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Grüne setzen auf mehr Einnahmen durch neue Finanzsteuer

Bei der Börsenumsatzsteuer würde nur ein kleiner Teil der Geschäfte am Finanzmarkt erfasst, sagt Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Eine europaweite Abgabe auf Finanzgeschäfte müsse aber möglichst umfassend sein, damit sie auch Steuereinnahmen bringe. Die im Fiskalpakt beschlossene Schuldenbremse führe sonst zu Sozialkürzungen.

Gerhard Schick im Gespräch mit Christoph Heinemann | 13.03.2012
    Christoph Heinemann: Die europäischen Finanzminister beraten - oder man könnte auch sagen streiten - heute abermals über die Finanzsteuer. Deutschland, Frankreich und andere Partner befürworten die Abgabe auf Finanzgeschäfte, Großbritannien und Schweden etwa treten auf die Bremse. Auch in Berlin sorgt die Börsensteuer für Streit, wir haben den FDP-Politiker Volker Wissing gerade gehört. Wolfgang Schäuble, der Bundesfinanzminister, hat schon einmal vorausschauend angekündigt, wenn die große Lösung im Kreise aller EU-Staaten nicht zu finden sei, dann müsse man anfangen, über Alternativen nachzudenken. In der Diskussion geraten gelegentlich zwei Dinge durcheinander: die Finanztransaktionssteuer und die Börsenumsatzsteuer - sie gibt es auch unter dem Begriff der Stempelsteuer. Das erste Wort, Finanztransaktionssteuer, besteht aus 24, das zweite, Börsenumsatzsteuer, aus 18 Buchstaben.

    Gerhard Schick ist finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Guten Tag!

    Gerhard Schick: Guten Tag!

    Heinemann: Herr Schick, Finanztransaktions- oder Börsenumsatzsteuer - wir haben jetzt die Unterschiede verstanden und erklärt bekommen von Theo Geers. Ist es nicht letztendlich gleichgültig, welches Instrument man wählt?

    Schick: Es ist überhaupt nicht gleichgültig. Zum einen ist das Volumen sehr unterschiedlich. Dadurch, dass eben bei der Börsenumsatzsteuer nur wirklich ein kleiner Teil der Geschäfte am Finanzmarkt erfasst werden, ist das Aufkommen deutlich niedriger. Da würde man Äpfel mit Birnen vergleichen, wenn man das gleichsetzt. Zum zweiten ist es so, dass ja gerade die Gefahr besteht, dass wenn sie nur Aktiengeschäfte belasten, aber Derivate nicht, dass man versucht auszuweichen. Das kann man auch in Großbritannien beobachten bei der "stamp duty", dass auf Derivate ausgewichen wird und dann Transaktionen nicht mehr im transparenteren Aktienmarkt, sondern im intransparenteren Derivatemarkt stattfinden. Das kann natürlich nicht unser Interesse sein.

    Heinemann: Deshalb sagt ja die FDP unter anderem, lasst uns die Börsenumsatzsteuer ausweiten.

    Schick: Na ja, und dann gibt es auch nur wieder einen Teil der Ausweitung, weil das ganze Anleihegeschäft außen vor bleiben würde. Und immer, wenn sie nicht einen umfassenden Ansatz wählen, ist die Gefahr, dass sie neue Ausweichreaktionen herbeiführen und damit alles noch komplexer machen. Wir haben doch ein Interesse daran, dass die Steuer so umfassend wie möglich gestaltet wird und damit möglichst alle Marktteilnehmer möglichst gleichmäßig besteuert werden und außerdem Ausweichreaktionen gering gehalten werden. An anderer Stelle weist ja die FDP auch auf die Gefahr von Ausweichreaktionen hin, da sollte man schon konsistent sein.

    Heinemann: Und möglichst sollten die kleinen Leute nicht über Gebühr beansprucht werden. Sie haben die Rechnung der Union Investmentgesellschaft gehört: ein Riester-Sparer, der monatlich 100 Euro einzahlt, der zahlt bei einer Laufzeit von 40 Jahren 14.000 Euro Finanztransaktionssteuer. Das ist eine Stange Geld!

    Schick: Ja. Wir haben schon bei einer Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages an anderer Stelle aus der Fonds-Branche Berechnungen gesehen, die dann jämmerlich in sich zusammengefallen sind während dieser Anhörung. Und auch bei dieser Berechnung wird man sich noch mal genau die Annahmen anschauen müssen. Natürlich haben wir heute die Tatsache, dass viele Fonds sehr schnell hin- und herhandeln. Wir wollen aber in Zukunft einen stabileren Finanzmarkt, und deswegen wird es da Reaktionen geben. Ich halte diese Berechnung in dieser Form nicht für seriös. Wir haben in der Anhörung - auch unwidersprochen übrigens von allen Sachverständigen - wesentlich geringere Schätzungen bekommen. Und eins muss man sich auch immer klar machen: Ein großer Teil unserer Bevölkerung hat gar kein Geld und Kapitalvermögen, das gehandelt werden könnte, und deswegen wird eine Finanztransaktionssteuer in ihren Verteilungswirkungen immer dazu beitragen, die soziale Schieflage zu korrigieren. Das ist ein Grund, warum wir sie brauchen.

    Heinemann: Aber gerade die Riester-Rentner sind doch diejenigen, die ansparen, die am Finanzmarkt aktiv sind.

    Schick: Wenn Sie sich anschauen, wo ein Großteil des Geldvermögens liegt, dann ist das ganz klar bei den oberen zehn und 20 Prozent unserer Gesellschaft konzentriert. Und deswegen ist es von den Verteilungswirkungen her richtig und notwendig, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen.

    Heinemann: Und gerade die oberen zehn oder 20 Prozent wie auch die Händler können von heute auf morgen sagen, Frankfurt adieu, Bonjour London.

    Schick: Das ist genau der Punkt, dass man natürlich eine Steuer schaffen muss, die - und da gibt es ja verschiedene Vorschläge, wie das gestaltet werden kann - die Ausweichreaktionen räumlicher Art begrenzt, indem man eben nicht rekurriert auf den Ort, wo der Handel stattfindet, sondern an den beteiligten Unternehmen anknüpft, oder an dem gehandelten Finanzprodukt, und genau mit diesen Vorschlägen kann man das auch eindämmen.

    Heinemann: Aber gerade wenn eine Gesellschaft ihren Sitz nicht in Deutschland hat - und in Deutschland handeln viele Gesellschaften, die hier nicht beheimatet sind -, kann sie ihren Handel ja rasch verlegen.

    Schick: Das ist in einem gewissen Maße möglich, aber es wird immer einen Bezugspunkt geben. Die Frage ist dann auch insgesamt, welchen Finanzmarkt wollen wir hier. Wir wollen hier einen Finanzmarkt, der stabil ist und wo langfristige Investitionen finanziert werden. Man kann nicht auf der einen Seite sagen, wir wollen den Finanzmarkt neu aufstellen, und auf der anderen Seite alles verteidigen, was ist wie es ist. Sonst wird es nicht zu einer Änderung kommen. Die FDP hat ja jetzt schon viele Schritte, den Rückzug angetreten; ich glaube, es ist notwendig, dass sie ihren Widerstand endlich mal aufgibt.

    Heinemann: Herr Schick, aber die britische Börsenumsatzsteuer ließe sich in ganz Europa einführen. Bei der Finanztransaktionssteuer machen die Briten zumindest nicht mit. Ist Einigkeit in dieser Frage nicht ein Wert an sich?

    Schick: Es ist dann kein Wert an sich, wenn das vom Aufkommen her weit hinter den Notwendigkeiten zurück bleibt. Sie sehen ja in der Diskussion zur Bekämpfung der Schuldenkrise in Europa, wie wichtig es ist, zusätzliche Einnahmen zu schaffen und dabei gerade die Sektoren unserer Wirtschaft heranzuziehen, die bisher wenig beitragen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben, zum Beispiel den Finanzsektor. Und das zweite zentrale Argument ist ja gerade, dass Sie auch in London beobachten können, wie die Umgehung des "stamp duty" zahlreiche neue, auch komplexe Finanzprodukte schafft, und das kann nicht unser Interesse sein. Wichtig ist jetzt, dass die Finanzminister den Weg frei machen dafür, dass diejenigen Länder vorangehen können, die bereit sind, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen, und dass es jetzt auch aus der Bundesrepublik Deutschland, aus dem Finanzministerium einen konkreten Vorschlag gibt, der uns in der Sache weiter bringt. Denn es kann jetzt nicht mehr nur um Willenserklärungen gehen, sondern wir brauchen hier konkrete Schritte nach vorne.

    Heinemann: Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, Herr Schick, dann geht es Ihnen gar nicht darum, die Märkte zu regulieren durch diese Steuer, sondern Sie wollen ganz einfach und schlicht mehr Geld einnehmen.

    Schick: Die Finanztransaktionssteuer hatte immer zwei Ziele. Das eine Ziel war ein fiskalisches Interesse, zu sagen, wir brauchen zusätzliche Einnahmen für wichtige Aufgaben. Zum Beispiel heißt deswegen die Kampagne "Steuer gegen Armut", weil es auch darum geht, Mittel für Entwicklungshilfe und Klimaschutz und andere wichtige Aufgaben bereit zu stellen. Und das zweite Ziel ist eine Stabilisierung. Die erreichen wir nicht insgesamt. Die Finanztransaktionssteuer kann nicht alle Probleme am Finanzmarkt lösen, aber sie kann gerade im Bereich des Hochfrequenzhandels, dort wo sehr schnell die Transaktionen stattfinden, kann sie eine bremsende Wirkung haben und das ist auch wichtig.

    Heinemann: Werden die Grünen ihre Zustimmung zum Fiskalpakt von der Einführung einer Transaktionssteuer abhängig machen?

    Schick: Ich denke, beim Fiskalpakt ist es wichtig zu sehen: Was sind eigentlich die klaren Defizite? Ein Defizit ist, wenn man Schuldenbremsen einführt, dass bei einer Unterfinanzierung des öffentlichen Sektors sie dazu führt, dass auch wichtige Ausgaben gestrichen werden müssen, im sozialen Bereich, im Bildungsbereich, wenn eine Schuldenbremse greift und der Staat zu wenig Einnahmemöglichkeiten hat. Es sind in den letzten Jahren gerade im Bereich von Vermögen und im Bereich der Finanzbranche zu wenig Steuereinnahmen erzielt worden. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass nicht die Schuldenbremse dazu führt, angesichts der schwachen Einnahmesituation, dass es zu einer unsozialen Konsolidierungspolitik kommt.

    Heinemann: Will sagen?

    Schick: Deswegen ist es wichtig, hier nicht nur irgendwelche Willenserklärungen zu haben, sondern wir brauchen konkret eine Stärkung der Einnahmebasis der öffentlichen Hand in Europa, damit diese Schuldenbremse zur Konsolidierung beiträgt, aber gleichzeitig nicht die soziale Schieflage vergrößert.

    Heinemann: Also Ja zum Fiskalpakt, abhängig vom Ja zur Finanztransaktionssteuer?

    Schick: Auf jeden Fall muss es eine klare Perspektive für eine Stärkung der Einnahmen geben, und wenn das über eine Finanztransaktionssteuer nicht erreichbar ist, dann brauchen wir eine andere Art.

    Heinemann: Herr Schick, Sie weichen aus! Ich hatte jetzt ganz konkret gefragt, zweimal gefragt: Machen Sie es davon abhängig?

    Schick: Ich glaube, die Aussage ist deutlich gewesen, ...

    Heinemann: Nicht für mich!

    Schick: … dass es Fortschritte geben muss bei der Stärkung der Einnahmen, zum Beispiel durch eine Finanztransaktionssteuer.

    Heinemann: Wir erinnern uns. SPD und Grüne haben den Euro-Stabilitätspakt von Maastricht aufgeweicht, SPD und Grüne haben Griechenland in die Eurozone gelassen, im Falle einer Ablehnung des Fiskalpaktes wären die Grünen endgültig die Euro-Destabilisierungspartei.

    Schick: Ich glaube, dass Sie hier eine sehr merkwürdige Perspektive aufmachen, denn die Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist ja etwas, was alle Parteien nachher nicht als solches angesehen haben, sondern es war eine Weiterentwicklung, die auch die jetzige Regierung nicht zurücknehmen wollte. Und die politischen Gründe, die Eurozone zu begründen, von damals sind nach wie vor richtig, weil für die langfristigen wirtschaftlichen Perspektiven Europas es wichtig ist, mit einem stabilen Währungsraum voranzukommen. Und es ist der Punkt sehr wichtig, dass wir die Schuldenbremse nicht nur irgendwie in die Verfassungen schreiben, sondern dass wir auch die Perspektive dafür schaffen, dass sie auch wirklich eingehalten werden kann. Das können wir nur dann, wenn wir auch die Einnahmen der öffentlichen Hand sicherstellen. Und deswegen ist es notwendig, nicht nur die rechtlichen Bedingungen festzuschreiben, sondern auch für konkrete stärkere Einnahmen des Staates zu kämpfen - nicht nur für die soziale Balance, sondern auch dafür, dass die Konsolidierungspolitik wirklich gelingen kann.

    Heinemann: Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Schick: Ich danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.