Sonntag, 05. Mai 2024

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Grüne Umfragewerte
"Ich bin der beliebteste Oppositionspolitiker"

Die Umfragewerte der Grünen seien zuletzt sehr unschön gewesen, sagte Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir im DLF. Die Grünen hätten aber "tolle Politiker" in ihren Reihen und sie strebten Platz drei bei der Bundestagswahl an. Als wichtige Themen nannte er Integration, Umweltschutz und Europa.

Cem Özdemir im Gespräch mit Jasper Barenberg | 04.05.2017
    CEM ÖZDEMIR, Hintergrundgespräch, DLF, Funkhaus Köln, 03.05.2017
    "Ein Weckruf, dass alle zur Wahl gehen" sei die Aussage der Grünen-Kandidatin Löhrmann gewesen, sagte der Grünen-Vorsitzende und Spitzenkandidat Cem Özdemir im Interview mit dem Deutschlandfunk. (Deutschlandradio / Bettina Fürst- Fastré)
    Jasper Barenberg: In elf Ländern sitzen die Grünen mit in der Regierung. Davon profitieren aber kann die Partei im Bund im Augenblick jedenfalls offenkundig nicht. Lange her, dass die Grünen zehn bis zwölf Prozent in Umfragen einfahren konnten. Vor allem seit Martin Schulz Kanzlerkandidat der SPD ist, schrumpft die Partei gewissermaßen in sich zusammen. Für acht Prozent reicht es noch in einer Umfrage, die Forsa gestern veröffentlicht hat. Als die neuen Zahlen auf dem Markt waren, habe ich den Grünen-Co-Vorsitzenden Cem Özdemir gefragt, warum die Wähler die Grünen seit Wochen so bestrafen.
    "Darüber reden, worum es bei diesen Wahlen geht"
    Cem Özdemir: Heute genau tun sie es jetzt, glaube ich, mal nicht. Wir sind um ein Prozent hochgegangen. Bei der letzten Umfrage letzte Woche sind wir auch ein Prozent hochgegangen. In Schleswig-Holstein liegen wir gerade bei zwölf Prozent und in Baden-Württemberg, in meinem Bundesland, liegen wir bei fast 30 Prozent. Sie bestrafen uns nicht überall.
    Ich nehme an, Sie meinen die Umfragen, die wir davor hatten. Die waren allerdings sehr unschön. Und jetzt müssen wir dafür sorgen, dass wir wieder darüber reden, worum es bei diesen Wahlen geht. In Schleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen geht es darum, ob wir so tun, als ob der Klimawandel, so wie es Trump sagt, nur eine Einbildung ist von irgendwelchen Idioten, oder ob wir alles dafür tun, damit wir diese Erde künftigen Generationen in einem Zustand überlassen, dass wir uns dafür nicht bei unseren Kindern entschuldigen müssen.
    Barenberg: Wenn die Spitzenkandidatin hier in Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann, sagt, dass es bei der Landtagswahl in Düsseldorf am übernächsten Sonntag passieren kann, dass die Grünen rausfliegen aus dem Landesparlament – ich verstehe das als Alarmzeichen, als Weckruf -, dann sagen Sie, wir in der Bundespartei teilen solche Sorgen überhaupt nicht, das berührt uns gar nicht.
    "Ich bin sehr zuversichtlich"
    Özdemir: Das haben Sie jetzt gerade gesagt. Ich sage, das war ein Weckruf …
    Barenberg: Ich frage, weil Sie sagen, die Umfragen gehen bergauf und alles scheint in Ordnung aus dem, was Sie sagen.
    Özdemir: Das habe ich auch nicht gesagt, sondern ich zitiere nur Fakten. Ich bin möglichst nahe immer bei den Fakten. – Das war ein Weckruf noch mal, dass alle zur Wahl gehen und wissen, worum es geht. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Grünen hier nicht nur in den Landtag reingehen, sondern besser abschneiden werden, wie die Umfragen uns vorhersagen. Und jetzt muss man wissen, will man das alles rückgängig machen, was wir hier geschafft haben, den schwierigen Strukturwandel von Kohle hin zum Thema Verbreiterung, Diversifizierung der Wirtschaft. Das haben wir, glaube ich, ganz gut hingekriegt. Aber wir haben auch noch viel zu tun. Nach wie vor ist Nordrhein-Westfalen ein Land, das viel zu viel CO2-Emissionen ausstößt, das Kohlekraftwerke hat, die eigentlich abgeschaltet gehören. Es braucht da einen verlässlichen Plan, dafür steht Bündnis 90/Die Grünen. Wir sind aber auch diejenigen, die das Neue hier vertreten. Nordrhein-Westfalen ist nicht nur alte Technologien, sondern da sind ganz viele Startups, sind ganz viele Gründer.
    Ich muss zugeben, obwohl es mir schwerfällt als Stuttgarter, eines der modernsten Fahrzeuge in der Republik gerade fährt für die Post, und das ist in Aachen als Außengründung der RWTH gegründet worden. StreetScooter heißt es mit 0,0 Emissionen, sogar so gebaut, dass es gut ist für den Rücken, für die Arbeiter von der Post, und es kommt aus diesem Bundesland. Junge Leute haben das hergestellt. Hier tut sich was, hier brummt der Bär und für diese Politik stehen auch die Grünen hier. Und das alles aufs Spiel setzen, da ist, glaube ich, wichtig, dass man sich da sehr genau anschaut, was auf dem Spiel steht: Zurück in die Vergangenheit oder die Zukunft anpacken.
    Barenberg: Wenn Sie eine Frage zwischendurch gestatten?
    Özdemir: Ausnahmsweise.
    Barenberg: Die Grünen stehen in Nordrhein-Westfalen auch für Verhältnisse in den Schulen, an denen es massive Kritik gibt. Da steht Ihre Spitzenkandidatin Feuer, Sylvia Löhrmann von den Grünen. Die verantwortet das. Müssen sich die Grünen auch selbstkritisch fragen, an welchen Stellen sie nicht erreicht haben, was eigentlich das Ziel war?
    Inklusion, Integration, und Flüchtlinge
    Özdemir: Na ja. Ich meine, das ist jetzt kein Geheimnis, dass es nicht ganz so einfach ist, wenn man drei Aufgaben gleichzeitig bewältigen muss: Die Integration, die sowieso ansteht als eine Konsequenz dessen, dass wir in den 50ern, 60ern die Anwerbeabkommen hatten und so Leute wie ich in Deutschland geboren sind.
    Dann kommt dazu die zweite Aufgabe: Wie schaffen wir es, dass wir die Inklusion hinkriegen. Das ist eine Aufgabe, die von den Vereinten Nationen kommt. Deutschland hat diese entsprechende Konvention unterschrieben, muss sie in nationales Recht umsetzen. Und jetzt kommt noch eine dritte Aufgabe dazu, die wir nicht auf dem Zettel hatten, nämlich die Flüchtlinge, die ins Land gekommen sind, die auch noch zu integrieren. Und das alles unter der Maßgabe, dass der Bund kein Geld geben darf – geradezu absurd. Und da kann ich nur sagen, ich will Sylvia Löhrmann auch dadurch unterstützen und die Grünen hier in Nordrhein-Westfalen, dass das absurde Kooperationsverbot endlich wegkommt. Und ich will nicht ganz verhehlen: Das Kooperationsverbot, das war die SPD mit der CDU/CSU. Da kann ich nur sagen, genau hinschauen. Die SPD redet davon, dass sie mehr Geld in die Schulen geben will, hat aber in Berlin beschlossen, dass die Bundesregierung den Ländern kein Geld dafür geben will. Wer das anders sieht, muss das Kreuz bei Bündnis 90/Die Grünen machen. Es ist doch absurd, dass ich eine Schule in der Westsahara unterstützen darf, aber in Wuppertal beispielsweise nicht. Das will ich ändern.
    "Ich bin der beliebteste Oppositionspolitiker"
    Barenberg: Sie haben Robert Habeck angesprochen, einer der führenden Grünen in Schleswig-Holstein. Dort liegt die Partei stabil ja bei zwölf Prozent jetzt vor den Landtagswahlen dort. Er war Ihr Konkurrent in der Urwahl um den Spitzenkandidaten. Was macht Robert Habeck besser als Sie, wenn man die Umfragewerte vergleicht?
    Özdemir: Die Umfragewerte jetzt, soweit die mir bekannt sind, da bin ich, glaube ich, der beliebteste Oppositionspolitiker. Und ansonsten ist es so, dass Robert Habeck einer unserer Besten ist. Zusammen mit Winfried Kretschmann und anderen in den Ländern ist er vor Ort unglaublich beliebt und darum hoffe ich und bin sehr zuversichtlich, dass er mit Monika Heinold, unserer Spitzenkandidatin dort, ein klasse Ergebnis bekommen wird, hoffentlich die erfolgreiche Küstenkoalition fortsetzen wird. Und danach freue ich mich, dass Robert Habeck uns hier im Landtagswahlkampf Nordrhein-Westfalen unterstützen wird und bundesweit im Bundestagswahlkampf sicherlich auch kräftig mit anpacken wird.
    Wir stehen uns politisch sehr nahe und er wird damit eine ganz wichtige Rolle in diesem Wahlkampf spielen, sicherlich genauso wie Winfried Kretschmann, der im Süden eine ganz wichtige Rolle spielt. Ich bin stolz, dass wir solche tollen Politiker in unseren Reihen haben, und die werden wir natürlich kräftig einbauen.
    Barenberg: Wäre Robert Habeck der bessere Spitzenkandidat gewesen?
    Özdemir: Wenn er jetzt hier sitzen würde, dann würden Sie ihn fragen, Herr Habeck, müsste nicht eigentlich Herr Özdemir hier sitzen, angesichts des Referendums in der Türkei, Integrationsdebatte, Europathema, Dieselskandal und so weiter. Ich glaube, dass er ein super Spitzenkandidat gewesen wäre, und bin fest davon überzeugt, dass er einer unserer besten ist. Aber das ist, glaube ich, nicht unser Problem.
    "Bei der Frage nach Platz drei, da fängt es an, spannend zu werden"
    Barenberg: Merkel und die Union auf der einen Seite, Schulz und die SPD auf der anderen Seite – das ist für viele mit Blick auf die Bundestagswahlen die Entscheidung, die zu treffen ist. Hat der Christdemokrat, hat Günther Oettinger Recht, wenn er sagt, wenn zwei Elefanten im Raum sind, haben es die Mäuse schwer, haben die Mäuse ein Problem – eine Anspielung beispielsweise etwa unter anderem auf die Grünen, auf die kleinen Parteien?
    Özdemir: Vorübergehend ja, auf die Dauer, glaube ich, nicht. Einer der beiden Elefanten ist ja jetzt auch ein bisschen bei näherer Betrachtung ein wenig kleiner geworden. Natürlich hat nie jemand über den Schulz-Zug geschrieben und berichtet; das nehme ich jetzt einfach mal so zur Kenntnis, die Ironie gestatten Sie mir. Das gehört einfach in die Schnelllebigkeit unserer Zeit dazu.
    Die Frage, wer Bundeskanzler wird, das werden die beiden großen Volksparteien unter sich ausmachen. Da werden wir Grüne wohl nicht mitsprechen. Aber bei der Frage Platz drei, da fängt es an, spannend zu werden, und die Umfragen zeigen ja gerade, dass das Rennen offen ist. Ich will gerne meinen Beitrag dazu leisten mit Bündnis 90/Die Grünen, dass auf Platz drei nicht die AfD steht, sondern Bündnis 90/Die Grünen und damit eine Partei, die für ein weltoffenes Deutschland steht, für ein menschliches Deutschland steht, für ein Deutschland, in dem Menschen nicht danach beurteilt werden, wo sie herkommen, sondern ob sie anpacken für unser Land, aber vor allem auch für ein Land, das alles dafür tut, dass wir die Ziele, die wir in Paris gemeinsam beschlossen haben beim Klimaschutzgipfel, endlich in nationale Politik umsetzen.
    Also eine Landwirtschaftspolitik, die aufhört, Tiere zu quälen, das Wasser zu vergiften, die Artenvielfalt gefährdet, die Verkehrspolitik, die endlich dafür sorgt, dass wir auch in Deutschland die Elektromobilität voranbringen, und eine Energiepolitik, die auf hundert Prozent Erneuerbare setzt.
    "Wer auf Platz eins kommt, ist nicht unser Rennen"
    Barenberg: Aber wenn die Frage tatsächlich ist, bleibt Merkel oder wird sie abgelöst, warum sollte man die Grünen wählen, wenn Sie selber einräumen, mit der Entscheidung haben Sie gar nichts zu tun? Mit den Grünen kann es eine Kanzlerin Merkel für vier weitere Jahre geben, oder aber einen Bundeskanzler Schulz, und daran können Sie gar nichts tun.
    Özdemir: Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, wer auf Platz eins kommt, das entscheiden nicht wir, das entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Das ist nicht unser Rennen, sondern unser Rennen ist das, wer auf Platz drei kommt, und da haben wir, glaube ich, eine Menge mitzureden und konzentrieren uns darauf. Aber es ist auch klar: Uns gibt es nicht mit einer Position der Obergrenze. Uns gibt es auch nicht, ohne dass im Koalitionsvertrag die Ehe für alle drinsteht. Das sage ich an die Adresse von der CDU, aber vor allem auch der CSU. Und in die andere Richtung sage ich allerdings auch, uns gibt es auch nicht mit einem antieuropäischen Kurs. Die Linkspartei, mit der wir in Thüringen sehr erfolgreich koalieren und auch in Berlin koalieren, mit der werden wir im Bund nicht koalieren, wenn sich der Kurs von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine durchsetzt. Wenn sich dagegen der Kurs von Bodo Ramelow in Thüringen zum Beispiel durchsetzt, der eine Art sozialdemokratischer Kurs ist, dann kommen wir auch zusammen.
    Barenberg: Jetzt haben Sie einen Themenbereich noch gar nicht angesprochen: Flüchtlinge, islamistischer Terror, Übergriffe durch Migranten. All das hat ja die Menschen sehr beschäftigt. Die Menschen erwarten Antworten von Politikern und Sie beschreiben für die Grünen, wir setzen auf Klimaschutz und gegen Massentierhaltung. Liegt da vielleicht auch eine Antwort auf die Frage, warum die Grünen im Moment nicht so glänzend in den Umfragen dastehen?
    Nicht der Erdogan-Vereinigung Ditib Millionen geben
    Özdemir: Wenn man auf eine Frage nicht alles antwortet, was man sagen könnte, und die nächsten fünf Fragen nicht schon vorwegnimmt, heißt das nicht, dass man dazu nichts zu sagen hat, hätte jetzt mein Lehrer gesagt, wenn der jetzt an meiner Stelle hier sitzen würde. Wenn Sie mich zu innerer Sicherheit fragen, dann antworte ich auch zu innerer Sicherheit. Und hier unterscheiden sich unsere Antworten.
    Ich würde zum Beispiel bei der inneren Sicherheit nicht hergehen und der Erdogan-Vereinigung Ditib Millionen geben wie diese Bundesregierung und parallel dazu die Leitkultur fordern. Das widerspricht sich dann nämlich ein bisschen. Sondern ich würde hergehen und sagen, bei uns gibt es nur Geld für Organisationen, die sich eindeutig lossagen von Putin, von Erdogan, von anderen, und sich bekennen zu diesem Land und zur inländischen Organisation von Muslimen werden. Dann arbeiten wir gerne zusammen, dann gibt es auch Geld. Aber Organisationen, aus denen heraus Spionage betrieben wird, aus denen Menschen denunziert werden, die dann angeschwärzt werden bei der Einreise in die Türkei, die würden bei Bündnis 90/Die Grünen keinen Cent bekommen. Das ist eine sehr klare Ansage.
    Wir würden beispielsweise in einem Fall wie Anis Amri dafür sorgen, dass die Polizei untereinander gut zusammenarbeitet, wenn im Lagezentrum so was zur Sprache gebracht wird, dass dann nicht einfach jemand abtauchen kann. Wir würden dafür sorgen, dass die Dienste, die Polizeien angemessen ausgestattet werden, und da wo wir regieren, machen wir das ja auch.
    Lagebericht über Afghanistan der Realität im Lande anpassen
    Barenberg: Und Sie würden nicht nach Afghanistan abschieben, obwohl in Baden-Württemberg Abschiebungen nach Afghanistan stattfinden, wiederum im Land von Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen?
    Özdemir: Ministerpräsident Winfried Kretschmann schiebt nicht ab, sondern er tut das, was er nach dem Gesetz tun muss, dass er maximal die Abschiebungen drei Monate aussetzen kann. Mehr Möglichkeit gibt ihm das Gesetz nicht. Das kann man kritisieren, das kritisiere ich. Ich wünschte, dass er auch diese drei Monate wenigstens nutzen würde. Aber er kann das nicht aussetzen.
    Es gibt einen allerdings, der es aussetzen kann, und an den haben wir uns alle gemeinsam gewandt, von Winfried Kretschmann über Habeck, Löhrmann, alle zusammen, und das ist der Bundesaußenminister. Der könnte mit einer ganz einfachen Maßnahme, nämlich dass er den Lagebericht über Afghanistan der Realität im Lande anpasst, die nämlich eine ist, dass man dorthin guten Gewissens nicht abschieben kann, wenn er das macht, dann kann dorthin nicht abgeschoben werden. Ich kann Ihnen sagen, was ein grüner Außenminister, was eine grüne Außenministerin machen würde: als erstes den Lagebericht Afghanistan den Realitäten in Afghanistan anpassen. Damit wäre das Problem gelöst.
    Barenberg: Cem Özdemir, danke für das Gespräch.
    Özdemir: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.