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Grüne wollen Wehrpflicht weiterhin abschaffen

Klaus Remme: Gegner und Befürworter der Wehrpflicht warteten den gestrigen Tag auf ein Urteil, das in Leipzig gesprochen wurde am späten Nachmittag. Das Bundesverwaltungsgericht behandelte die Klage des Wehrpflichtigen Christian Pohlmann, der fühlte sich wegen seiner Einberufung ungerecht behandelt und beklagte Willkür, weil inzwischen nur noch ein kleiner Teil eines Jahrgangs eingezogen wird. Das Verwaltungsgericht in Köln hat ihm Recht gegeben, doch die Bundesrichter in Leipzig sahen das anders, sie bestätigten die geltende Einberufungspraxis. Die Diskussion um Wehrgerechtigkeit, Wehrpflicht oder Freiwilligenarmee geht dennoch weiter. Am Telefon ist Winfried Nachtwei verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen, die schon lange für eine Abschaffung der Wehrpflicht plädieren. Guten Morgen, Herr Nachtwei.

Moderation: Klaus Remme |
    Winfried Nachtwei: Guten Morgen, Herr Remme.

    Remme: Herr Nachtwei, hatten Sie große Hoffnungen in das Urteil aus Leipzig gesetzt?

    Nachtwei: Ich war in meinen Erwartungen offen, immerhin geht es ja um ein unabhängiges Gericht, und insofern hatte ich natürlich gewisse Hoffnungen, dass hier eindeutiger in eine andere Richtung gesprochen würde. Aber ich bin jetzt auch nicht enttäuscht, natürlich ist dieses Urteil soweit zu respektieren.

    Remme: Ist das ein Rückschlag für diejenigen in der Koalition, die für die Abschaffung der Wehrpflicht plädieren?

    Nachtwei: Nein, das meine ich nicht. Da denke ich sowieso nicht in Kategorien von Sieg und Niederlage, sondern es geht ja schlichtweg darum, wie wir bestimmte Ziele am besten verfolgen können, nämlich eine vernünftige, qualitativ und quantitativ ausreichende Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr, Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft aufrecht erhalten, zurückhaltenden Umgang mit dem Militär gewährleisten, darum geht es. Da ist unsere Meinung, dass hierfür die Wehrpflicht immer weniger notwenig ist - die hat sich überlebt - und dass wir dieses mit einer verantwortbar gestalteten Freiwilligenarmee hinbekommen können.

    Remme: Herr Nachtwei, noch einmal: Was ist das wichtigste, das schlagendste Argument gegen die Wehrpflicht?

    Nachtwei: Das schlagendste ist der veränderte Auftrag der Bundeswehr. Ihr Auftrag ist die Teilnahme an internationaler Krisenbewältigung im Dienste der Vereinten Nationen, und hier mit diesem Auftrag ist schlichtweg Wehrpflicht, die ja auch immer Rekrutierungsinstrument für Massenarmee ist, nicht mehr begründbar legitimierbar. Das ist das Kernargument.

    Remme: Die Grünen tun sich mit diesem Thema leichter als der größere Koalitionspartner, in der SPD sind die Meinungen durchaus geteilt. Allen voran hält zurzeit noch Verteidigungsminister Struck an der Wehrpflicht fest. Das so genannte dänische Modell wird seit einigen Tagen diskutiert. Das heißt also, die Wehrpflicht bleibt im Prinzip bestehen, doch der Bedarf, der wird durch Freiwillige gedeckt. Ist das etwas, mit dem die Grünen leben können?

    Nachtwei: Das kann ich bisher so nicht sagen, weil man nämlich den Kontext des dänischen Modells auf jeden Fall berücksichtigen muss. Hier ist die Aufgabenstellung für die nur noch relativ wenigen Wehrpflichtigen oder eingezogenen Wehrpflichtigen erheblich anders. Sie sind in Heimatschutzaufgaben eingesetzt, das ist das eine. Und dann das zweite, auch dieses so genannte dänische Modell ist ein Übergangsmodell. In zwei Jahren soll es wieder überprüft werden. Und was die Bundeswehr auf jeden Fall braucht, ist eine verlässliche Klärung dieser Frage und nicht alle paar Jahre wieder eine Neustrukturierung, eine so genannte Nachbesserung. In dieser elementaren Frage ist zügige Klärung angesagt.

    Remme: Bezweifeln Sie denn, dass die Bundeswehr ihren Bedarf durch Freiwillige decken könnte, wenn es demnächst nur noch um, sagen wir, 55.000 Soldaten geht?

    Nachtwei: Wir haben ja vorgeschlagen, als Alternative zur Wehrpflicht einen Wehrdienst einzurichten, hierzu würden dann weniger junge Leute, junge Männer und junge Frauen herangezogen. Dieser müsste attraktiver sein, also dieses ist auch ehrlicherweise gesagt auch etwas teurer auf jeden Fall pro Kopf als die Wehrpflicht. In dieser Zeit könnte ein Auslandseinsatz absolviert werden, nach solider Ausbildung, und wir sind uns sicher, dass hierfür genügend junge Leute gefunden werden könnten. Allerdings muss man dabei bestimmte Rahmenanforderungen erfüllen, einmal der Auftrag der Bundeswehr, der in der letzten Zeit immer mehr ausgeweitet wird, muss deutlicher geklärt und auch begrenzt werden. Dann habe ich eben schon gesagt, der Dienst attraktiver. Wenn diese Rahmenbedingungen stimmen, dann eben kann auch gewährleistet werden, dass die Nachwuchsgewinnung quantitativ und qualitativ, das ist ganz entscheidend, ausreichend ist.

    Remme: Herr Nachtwei, reicht es, wenn sich die SPD im Herbst mit dieser Frage auseinandersetzt und diese Frage klärt?

    Nachtwei: Nun, es ist das legitime Recht der SPD, diese entscheidende Frage auf ihrem Bundesparteitag zu klären. Allerdings ist der Zeitdruck erheblich und es wäre wünschenswert im Rahmen einer zügigen und soliden Bundeswehrreform, die ja jetzt Transformation heißt, diese Frage im Grunde schon eher zu klären. Dann könnte der Bundesparteitag das immer noch "absegnen", in Anführungszeichen, aber es wäre wirklich gut, wenn eher schon eine Klarheit in dieser Frage in der SPD und dann mit dem grünen Koalitionspartner gefunden werden könnte.