Dirk Müller: Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro bleibt irgendwie konsequent. Er ist gewählt, er ist der Chef der Exekutive, er bestimmt die Politik seines Landes und nicht etwa Emmanuel Macron, wie er sagt, den er offenbar ganz und gar nicht mag, vor allem nicht dessen Ratschläge, vor allem nicht dessen Vorhaltungen, selbst nicht dessen Hilfsangebot von 20 Millionen Dollar. Von Kolonien redet Bolsonaro plötzlich, und das geht nicht mit uns. Der Kampf gegen zehntausende Brandherde indes, er geht weiter.
20 Millionen Dollar von den G7-Staaten – das war das Angebot. Aber Jair Bolsonaro lehnt das ab. Keine Amazonas-Soforthilfe, jedenfalls nicht aus diesen Kreisen. Sein Argument: Pflanzt doch bei euch in Europa neue Bäume. – Darüber wollen wir sprechen mit der Grünen-Europaabgeordneten Anna Cavazzini, unter anderem zuständig für Handelspolitik. Guten Tag!
Anna Cavazzini: Schönen guten Tag, Herr Müller.
Müller: Frau Cavazzini, kann Bolsonaro in diesem Punkt auch einmal recht haben?
Cavazzini: Die Strategie von Bolsonaro ist ja sehr durchsichtig. Er will einfach zuhause beim Agrobusiness – das hatten wir auch gerade schon im Beitrag gehört – punkten und spielt sich da ein bisschen auf als der Beschützer der wirtschaftlichen Interessen, die es im Regenwald gibt.
"Da brennt die Lunge unseres Planeten ab"
Müller: Aber er ist der Präsident dieses Landes. Das kann er ja auch tun.
Cavazzini: Genau! Aber was ich sagen wollte, dass natürlich auch klar ist, dass die EU und die europäischen Staaten natürlich auch ihre Rolle in der ganzen Frage Abholzung des Regenwaldes überdenken müssen. Man sollte nur an unseren Fleischkonsum denken, wir haben riesige Importe von Soja schon jetzt, und Regenwald wird auch schon jetzt abgeholzt. Das heißt, die europäischen Staaten müssen natürlich überlegen, was ihre Rolle ist. Auch der Klimawandel, der sich immer weiter anheizt, der hat auch damit zu tun, dass der Regenwald gerade brennt, denn die Dürreperioden werden länger. Noch sind immer die europäischen Staaten und die Industrienationen die, die am meisten den Klimawandel anheizen mit deren CO2-Pro-Kopf-Emission.
Müller: Das war jetzt meine Frage, Frau Cavazzini. Hat er dann doch recht mit dem Hinweis zu sagen, macht erst mal in Europa eure Bäume wieder klar?
Cavazzini: Ich finde nicht, dass er recht hat mit dem Hinweis "erst mal", weil die Bäume in Europa sind jetzt seit 300, 400 Jahren irgendwie abgeholzt. Es geht jetzt darum, den Amazonas zu retten, unsere grüne Lunge des Planeten. Ich glaube, alle, die die Bilder gesehen haben, die verspüren die gleichen Schmerzen, da brennt wirklich die Lunge unseres Planeten ab. Darum geht es jetzt, und ich glaube, wir sollten auch keinen Tag verlieren. Bolsonaro führt da einfach eine ganz krasse Ablenkungsstrategie.
Ich sage nur: Europa muss sich natürlich auch ein bisschen an die eigene Nase fassen, was die eigene Klimapolitik, was die eigene Landwirtschaftspolitik und was die eigene Fleischkonsumpolitik angeht.
Müller: Weil Brasilien oft nur liefert und wir Europäer bestellen?
Cavazzini: Genau. Deutschland oder die EU ist einer der größten Exportmärkte für Soja und das wird hier zum allergrößten Teil dazu benutzt, um Rinder zu füttern. Das heißt, wir könnten auch in Europa darüber nachdenken, einfach eine andere Landwirtschaftspolitik zu machen. Man könnte diese Sojaimporte leicht ersetzen durch heimische Pflanzen.
Freihandelsabkommen wird Abholzung "weiter anheizen"
Müller: Das wird aber hier seit vielen, vielen Jahren schon diskutiert und diese Wirtschaftsbeziehungen, diese Export-Import-Beziehungen zu Lateinamerika, speziell in unserem Fall zu Brasilien, bestehen ja auch in dieser Struktur, in diesem Handelsverhältnis seit vielen, vielen, vielen Jahren. Wir haben zwei Zahlen gefunden: 14,5 Milliarden Euro ist das Volumen der Agrarerzeugnisse von Brasilien in die Europäische Union. Noch eine kleinere Zahl: 118.000 Tonnen davon alleine Rindfleisch. Das ist ja keine Bolsonaro-spezifische Zahl. Das war, um das so zu formulieren, ja schon immer so!
Cavazzini: Genau. Die Handelsstrukturen, wie wir sie gerade haben, die sind über die letzten Jahre gewachsen. Was aber gerade verschärfend dazukommt, ist, dass die Europäische Union zusammen mit den Mercosur-Staaten ein Freihandelsabkommen schließen will. Der Text wurde gerade im Juli fertigverhandelt. Dieses Freihandelsabkommen Mercosur wird diese bisher gewachsenen Wirtschaftsstrukturen noch mal verschärfen und auch die Exporte und somit meiner Meinung nach die Abholzung des Regenwaldes weiter anheizen.
Müller: Weil der Handel noch freier und einfacher wird?
Cavazzini: Genau. Die Quoten für bestimmte Produkte wie Rindfleisch und Ethanol, die werden steigen. Das heißt, es muss mehr Rindfleisch in Brasilien, oder es wird wahrscheinlich mehr Rindfleisch in Brasilien produziert, um diese Quoten zu erfüllen. Das Agrobusiness – das wurde auch im Beitrag erwähnt – war ein sehr starker Treiber davon. Die haben wahrscheinlich auch mit dazu beigetragen, Bolsonaro an die Macht zu bringen, denn der hat von vornherein auch im Wahlkampf immer gesagt, na ja, wir müssen wirklich den Regenwald ökonomisch erschließen, wir müssen weiter exportieren, die Landwirtschaft weiter industrialisieren. Das wird durch dieses Abkommen verschärft.
"Der Druck von außen hat schon auch gewirkt"
Müller: Aber, Frau Cavazzini, wenn ich das richtig verstanden habe, was auch unsere Korrespondentin eben berichtet hat, dann war es ja jetzt die Agrarlobby in Brasilien, die gesagt hat, Moment, wir müssen jetzt hier eingreifen, wir müssen diese Brände stoppen.
Cavazzini: Aber erst nach Druck. Man muss auch mal sagen, Bolsonaro hat ein, zwei Tage lang sogar die NGOs bezichtigt, dass die die Brände gelegt haben, weil sie mehr Gelder aus dem Ausland einstreichen wollten. Das ist schon alles sehr, sehr zynisch. Man hat gemerkt in den letzten zwei Tagen, dass der Druck von außen schon auch gewirkt hat. Deswegen glaube ich schon, diese Einsätze des Militärs, um jetzt den Regenwald noch ein bisschen zu retten, das hat schon damit zu tun, dass es internationalen Druck gab. Auch die Drohungen von Irland, von Frankreich und auch von Luxemburg zu sagen, wir blockieren jetzt erst mal den Mercosur-Deal, die haben, glaube ich, die Agrarwirtschaft ganz schön aufhorchen lassen in Brasilien.
Müller: Aber das ist ja in Ihrem Sinne. Sie können ja froh sein, mit dem grünen Verständnis, mit der grünen Herangehensweise an diese Thematik, wenn dieser Deal gar nicht zustande kommt.
Cavazzini: Genau. Die Grünen sind schon seit Anfang der Verhandlungen – der Deal wird jetzt schon seit 20 Jahren verhandelt, das muss man auch mal sagen, hat aber nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen bisher. Wir haben die Verhandlungen schon immer sehr, sehr kritisch begleitet – aus den Gründen, die ich gerade schon erzählt habe, weil wir eigentlich eine Nachhaltigkeitswende bräuchten in der Landwirtschaft, aber auch auf europäischer Seite in der Automobilindustrie. Da sollen jetzt die Exporte steigen. Das haben wir schon immer sehr, sehr kritisch gesehen.
"Keine verbindlichen Öko- und Sozialstandards" im Abkommen
Müller: Aber dann brauchen Sie sich auch nicht mehr über freien Handel letztendlich auslassen beziehungsweise den noch einmal fordern, weil Sie wollen freien Handel, aber mit vielen, vielen, vielen, vielen Einschränkungen und vielen Ausnahmen.
Cavazzini: Wir sind auf jeden Fall dafür, dass Produkte frei auf der Welt hin- und hergeschifft werden können und dass frei gehandelt werden kann. Das ist auch gut für die Konsumenten. Aber wir haben bestimmte Standards, die wir anlegen wollen. Wir wollen zum Beispiel verbindliche Öko- und Sozialstandards. In dem Abkommen, was wir gerade fertigverhandelt haben, Mercosur, gibt es keine verbindlichen Öko- und Sozialstandards. Da gibt es ein Kapitel, da stehen viele schöne Sachen drin: Wir wollen gegen Abholzung vorgehen, wir wollen das Pariser Klimaabkommen einhalten, wir wollen die Menschenrechte einhalten. Aber das Kapitel ist nicht sanktionierbar. Da kann die EU am Ende gar nicht so viel machen, wenn Bolsonaro jetzt zum Beispiel wieder mal irgendwie weiter abholzt oder die Menschenrechte mit den Füßen tritt, denn das Kapitel ist einfach sehr zahnlos. Wir fordern, dass es verbindliche Öko- und Sozialstandards in diesem Handelsabkommen gibt.
Müller: Blicken wir noch einmal auf die brasilianische Innenpolitik, auf den brasilianischen Präsidenten, vielleicht ohne den Einfluss, ohne die Rolle der Europäer hier in dem Punkt überzubewerten. Hat ein brasilianisch gewählter legitimierter, demokratisch legitimierter Präsident das Recht und die politische Kompetenz zu sagen, wir wollen das Amazonas-Gebiet wirtschaftlich weiterentwickeln und nutzen?
Cavazzini: Ich sehe das immer nicht als einen monolithischen Block. Es gibt sehr, sehr viele verschiedene Interessen in Brasilien, und natürlich kann man sagen, Bolsonaro hat jetzt erst mal die Mehrheit erlangt. Es ist auch ein bisschen die Frage, mit welchen Mitteln. Aber er ist gewählter Präsident, das stimmt. Aber es gibt natürlich auch eine Regel, die besagt, nicht die Mehrheit kann alles gegen die Minderheit unternehmen. Es gibt indigene Gemeinschaften, es gibt NGOs, es gibt auch die Bundesstaaten, die teilweise auch eine andere Politik fahren wollen als Bolsonaro. Das heißt, Bolsonaro muss natürlich auch gucken, dass er die Indigenen schützt, dass er die NGOs schützt, und das tut er gerade nicht.
Der zweite Punkt ist: Der Amazonas – und das hat Macron auch schon gesagt und das sagen auch viele Expertinnen und Experten, dass der Amazonas auch schon so was ist wie ein internationales Gemeinschaftsgut.
Große Teile des Amazonasgebiets "unter Schutz stellen"
Müller: Das ist ein Welteigentum und da hat Bolsonaro als Präsident dieses Landes nicht viel mitzureden?
Cavazzini: Ich würde nicht sagen, dass es ist ein Welteigentum ist, aber ich glaube, die internationale Staatengemeinschaft hat eine Verpflichtung, genauso wie Bolsonaro, der eine Verpflichtung hat, weil Brasilien auch das Pariser Klimaabkommen unterschrieben hat. Brasilien hat auch die nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO unterschrieben. Es gibt sehr viele internationale Abkommen, die Bolsonaro auch in die Pflicht nehmen.
Die internationale Gemeinschaft und Brasilien haben die Pflicht, gemeinsam zu gucken, wie können wir das unter einen Hut bringen, dass natürlich auch wirtschaftliche Interessen, die legitim sind – Brasilien will auch aus der Armut rauskommen und hat das in den letzten Jahren auch geschafft –, zu vereinbaren sind mit internationalem Klima- und Umweltschutz. Da muss man einfach an einem Strang ziehen und da hilft es auch nicht, wenn man sich gegenseitig jetzt hier so hochschaukelt.
Müller: Meine Frage war ja: Ist das Amazonas-Gebiet für Sie unantastbar?
Cavazzini: Ich glaube, wir müssen ganz viele starke Regeln in Kraft setzen, dass so viel wie möglich des Amazonas-Gebietes geschützt wird. Die Vorgängerregierungen hatten ja auch schon ein bisschen was getan. Die deutsche Entwicklungshilfe oder die europäische natürlich auch hat da auch schon viel unternommen. Ich würde sagen, der Amazonas kann nie sakrosankt sein, aber wir müssen wirklich übereinkommen, große Teile davon unter Schutz zu stellen, aber auch zu schauen, wie können Entwicklungsinteressen von Brasilien geschützt werden.
"Wir sind da ein Stück unglaubwürdig"
Müller: Und sind wir da glaubwürdig, wenn wir mit diesen Export- oder Importquoten bei den Brasilianern mit dem Fingern darauf hinweisen zu sagen, was sie zu tun haben?
Cavazzini: Ich finde – das habe ich am Anfang auch gesagt -, wir sind da ein Stück unglaubwürdig, denn mit richtig großem Fleischkonsum in Deutschland holzen wir jeden Tag symbolisch ein kleines Stück des Regenwaldes auch ab, weil wir einfach riesen Sojaimporte in Deutschland und auch in der Europäischen Union an die Rinder verfüttern. Und es gehört auch dazu, an die eigene Nase sich zu greifen und schon auch zu überlegen, wie kann man hier die Landwirtschaft so umgestalten, dass wir nicht auf diese Sojaimporte angewiesen sind, sondern dass wir verstärkt heimische Produkte nutzen. Und das ist möglich, das zeigen ganz viele Studien.
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