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Grünen-Abgeordneter verteilt kostenlos das Grundgesetz

500 Exemplare des Grundgesetzes verteilt heute der grüne Bundestagsabgeordnete Memet Kilic auf dem Marktplatz im baden-württembergischen Pforzheim. Er möchte damit Extremisten jeglicher Couleur etwas entgegensetzen.

Memet Kilic im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 18.05.2012
    Tobias Armbrüster: Die kostenlose Verteilung von Koran-Expemplaren hat vor wenigen Wochen zu einer breit angelegten und sehr kontroversen Debatte geführt. Der Koran ist nun allerdings nicht das einzige Dokument, welches man kostenlos unter die Leute bringen kann. Der grüne Bundestagsabgeordnete Memet Kilic wird heute Nachmittag auf dem Marktplatz im baden-württembergischen Pforzheim unterwegs sein und er will dort das Grundgesetz kostenlos austeilen.

    - Wir erreichen ihn über Handy, schönen guten Tag, Herr Kilic.

    Memet Kilic: Guten Tag, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Kilic, wie viele Exemplare haben Sie denn dabei?

    Kilic: Insgesamt 500: 200 in deutscher Sprache, 100 englisch, 100 türkisch, 50 polnisch und 50 portugiesisch habe ich dabei.

    Armbrüster: Und was wollen Sie mit dieser Aktion genau erreichen?

    Kilic: Am 23. Mai jährt sich dann der Verkündungstag unseres Grundgesetzes. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten versuchen die Extremisten jeglicher Couleur sich gegenseitig hochzuschaukeln. Wir haben es erlebt, als in Nordrhein-Westfalen Salafisten und Rechtsradikale versucht haben, Aufmerksamkeit zu erzielen und dabei auch Straftaten begangen haben. Und ich habe mir gedacht, man muss etwas entgegensetzen. Und es gibt uns verbindende Elemente und die sind auch in unserem Grundgesetz wunderbar geschrieben und beschrieben. Wir müssen deutlich machen, dass wir unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen Extremisten jeglicher Couleur verteidigen können. Daher möchte ich mit den Bürgerinnen und Bürgern über unsere Grundrechte ins Gespräch kommen!

    Armbrüster: Das heißt, das Ganze soll eine Retourkutsche gegen die Salafisten sein?

    Kilic: Ich mache selten Gegenaktionen, sondern für etwas. Sicherlich kann es auch so verstanden werden, aber ich trete für die Werte, die in unser Grundgesetz geschrieben worden sind, die sind ja auch universelle Menschenrechte. Ebenfalls befinden sich diese Werte in der Erklärung der Menschenrechte, aber auch in der Europäischen Konvention für Menschenrechte. Daher trete ich für unsere Grundrechte ein, für das verbindende Element, was uns hier verbindet mit allen Migranten oder nicht. Deshalb möchte ich eine Für-Aktion für unser Grundgesetz und für unsere Grundwerte gestalten.

    Armbrüster: Sie haben ja nun schon gesagt, dass Sie das Grundgesetz in mehreren Sprachen dabei haben. In welchen Bevölkerungsgruppen gibt es denn Nachholbedarf in Sachen deutscher Verfassung?

    Kilic: Ich glaube, in allen Bevölkerungsgruppen gibt es sicherlich auch Nachholbedarf. Es beschränkt sich nicht nur auf Immigranten. Und insbesondere auch in der deutschen Gesellschaft die Menschen, die in eine Demokratie hineingeboren worden sind, nehmen die Wichtigkeit unseres Grundrechtskatalogs nicht so sehr wahr und die glauben daran, dass es eine Selbstverständlichkeit ist: Wir haben eine Demokratie und es bleibt auch so. Dem ist nicht so, deshalb möchte ich auch aus meinen Erfahrungen berichten. Ich bin nicht in einen Rechtsstaat hineingeboren worden und habe viele Schwierigkeiten auch als Student gehabt, deshalb möchte ich bei dieser Gelegenheit auch insbesondere den jungen Menschen deutlich machen, dass unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht so statisch ist und es bleibt so, sondern man muss diese Werte wirklich verteidigen.

    Armbrüster: Bei der Koranverteilung davor wurde davor gewarnt, dass man jetzt massenweise Koranexemplare in deutschen Papierkörben und Mülleimern finden könnte. Jetzt fangen Sie an, das Grundgesetz zu verteilen, kostenlos. Ist so eine ... Ist die deutsche Verfassung, ist die nicht ein bisschen zu wertvoll für solche Art von politischer PR?

    Kilic: Unser Grundgesetz ist sehr wertvoll, aber nicht dafür gedacht, dass es in den Regalen verstaubt. Ich möchte es auch nicht wie einen Werbe-Flyer verteilen, so haben die Salafisten gemacht. Ich möchte regelrecht mit den Bürgerinnen und Bürgern bei dieser Gelegenheit auch ins Gespräch kommen. Wer von mir ein Exemplar bekommt, diskutiert mit mir, zumindest über den ein oder anderen Artikel. Artikel eins, die Menschenwürde ist unantastbar. Oder Artikel zwei, die Menschen und Individuen dürfen sich frei entfalten können und der Staat unterstützt sie auch dabei. Oder Gleichberechtigung von Mann und Frau oder Religionsfreiheit. Oder Meinungs-, Kunstfreiheit und Weltanschauungsfreiheit oder Nichtglaubensfreiheit. Über all diese Dinge möchte ich mit den Menschen diskutieren, damit sie dieses Grundgesetz nicht in die Mülleimer werfen, sondern mitnehmen und schön zu Hause platzieren, auch mit ihren Kindern darüber diskutieren.

    Armbrüster: Wir werden sicher weiter über diese Aktion berichten. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Memet Kilic war das, er verteilt heute Nachmittag kostenlos Grundgesetzexemplare in Pforzheim. Besten Dank für das Gespräch, Herr Kilic!

    Kilic: Ich danke Ihnen, Herr Armbrüster!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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