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Grünen-Chefin: SPD und Union bremsen die Energiewende aus

Das Gesetz für erneuerbare Energien steht vor einer tief greifenden Reform. Um die Stromkunden nicht weiter zu belasten, will Umweltminister Peter Altmaier (CDU) die Kosten deckeln. Grünen-Chefin Simone Peter hält das für problematisch. Die Energiewende dürfe nicht an Tempo verlieren.

Simone Peter im Gespräch mit Jasper Barenberg | 08.11.2013
    Jasper Barenberg: So viel zeichnet sich jetzt bereits ab: Die Regeln für die Förderung und den Ausbau der erneuerbaren Energien werden in den nächsten Monaten gründlich überarbeitet werden. Auf dem Prüfstand stehen dabei auch die milliardenschweren Industrierabatte bei der Ökostrom-Umlage. Welche Unternehmen künftig weiter von der Umlage befreit werden sollen, darüber streiten SPD und Union in diesen Tagen in ihren Verhandlungen. Ein Dorn im Auge sind die ganzen Ausnahmen auch dem EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia. Er wittert unzulässige staatliche Hilfen und er droht mit Strafen, weswegen der amtierende Umweltminister Peter Altmaier und Nordrhein-Westfalens SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft jetzt in Brüssel versucht haben, den Hüter des Wettbewerbs zu besänftigen.

    Am Telefon ist die neue Vorsitzende der Grünen. Schönen guten Morgen, Simone Peter.

    Simone Peter: Guten Morgen!

    Barenberg: Frau Peter, wir haben es gerade gehört. Hannelore Kraft und Peter Altmaier haben sich in Brüssel starkgemacht für das deutsche Modell der Ökostrom-Förderung. Nun werfen Sie Union und SPD vor, sich bereits jetzt von der Energiewende zu verabschieden. Warum denn das?

    Peter: Was wir wahrnehmen ist, dass Kraft und Altmaier derzeit eher harte Bandagen gegen die erneuerbaren Energien aufziehen, aber sehr milde gegenüber den privilegierten Industrien auftreten, selbst wenn sie jetzt in Brüssel für einen Kompromiss werben. Klar war doch die Ansage, es geht um die Arbeitsplätze dieser privilegierten Industrien. Das ist ja richtig, dass wir die Arbeitsplätze nicht gefährden wollen, aber man muss immer sehen, dass die Kosten, die dort nicht übernommen werden, auf andere übertragen werden. Das sind die Verbraucherinnen und Verbraucher und die kleinen und mittleren Unternehmen und hier wächst der Zweifel an der Energiewende, der im Prinzip unberechtigt ist, weil wenn eine faire Lastenverteilung vorliegt, dann können wir die Energiewende auch fortsetzen. Es kann nicht sein, dass hier Ausbaubremsen und einseitige Entlastungen diskutiert werden; wir müssen die gesamte Energiewende im Blick haben.

    Barenberg: Was meinen Sie mit "einseitige Entlastung"?

    Peter: Die privilegierten Industrien werden entlastet. Da hat sich die Zahl der Entlastungen in der Zeit von Schwarz-Gelb verfünffacht. Wir haben es mittlerweile mit über 2000 Unternehmen zu tun, die entlastet werden. Wenn die Entlastungen so weitergehen, dann wird die Kostengrundlage, das Finanzierungsmodell der erneuerbaren Energien, infrage gestellt. Und andere müssen das mitbezahlen, weil die Kosten muss ja jemand tragen.

    Barenberg: Aber da zeichnet sich ja schon ab, Frau Peter, dass die Zahl der Begünstigten dort zusammengestrichen werden soll. In welchem Ausmaß wird noch verhandelt zwischen SPD und Union. Aber die Richtung ist schon klar, es werden mehr Unternehmen in Zukunft herangezogen werden an der Finanzierung beispielsweise der EEG-Umlage. Das ist doch ein guter Schritt?

    Peter: Aber wir fürchten, dass es doch nicht ausreichen wird, die Zahl der Entlastungen zurückzufahren. Die Signale gingen bisher in eine andere Richtung. Frau Kraft hat sich sehr stark für die Kohleunternehmen eingesetzt. Wir haben immer wieder Signale von der CDU bekommen, die Industrie nicht zu weit einzuschränken. Zum Beispiel auch im Bereich der Automobilindustrie und den CO2-Grenzwerten ist Frau Merkel sehr stark auf die Bremse getreten. Das heißt, wenn es hier zu einer Einschränkung kommen muss, dann muss sie so weit gehen, wie das ursprünglich unter Rot-Grün geplant war, dass wirklich nur die Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, entlastet werden. Wir haben durchgerechnet, wenn man das wieder zurückdreht, dann kann man zu einer Entlastung von vier Milliarden Euro kommen. Das wäre ein erklecklicher Beitrag. Das heißt, es dürfen nicht nur wenige Ausnahmen sein, wie es vom Bundesumweltministerium auch geplant und auch vorgezeichnet war, sondern es muss eine große Anzahl von Unternehmen sein, die wieder in die Vergütung rein müssen, für die diese Ausnahmen nicht länger gelten dürfen.

    Barenberg: Und diesen Vorwurf machen Sie vor allem der SPD, also Ihrem ursprünglichen, Ihrem ehemaligen Wunschkoalitionspartner?

    Peter: Nein. Uns liegt ein Papier aus dem Bundesumweltministerium vor, das klar besagt, bestimmte Branchen sollen wieder einbezogen werden, aber das reicht nicht aus. Wie gesagt, es kommt darauf an, dass wir diejenigen, die großen Industrien, die wirklich im internationalen Wettbewerb stehen, hier ausnehmen von den Umlagen beziehungsweise auch einschränken. Es kann aber nicht sein, dass weiter Getränkehersteller oder Schlachtereien hiervon profitieren, und auch das ganze Modell muss neu etabliert werden, weil wir derzeit in der Berechnung der EEG-Umlage auch die Lohnkosten drin haben. Und da sind immer mehr Unternehmen hingegangen und haben ihre Stammbelegschaft in Leih- und Zeitarbeiter umgewandelt, um mit von dieser EEG-Umlage zu profitieren. Das sind Entwicklungen, die gehen den vollkommen falschen Weg. Hier muss sich einfach grundsätzlich was ändern.

    Barenberg: Zur Ehrlichkeit, Frau Peter, gehört dann auch dazu, jetzt schon zu sagen, egal, in welche Richtung da entschieden wird und egal wie viele Unternehmen in Zukunft die Umlage zahlen müssen, dass dies keinen sehr stark dämpfenden Effekt auf die Strompreise haben wird. Der Strom wird dadurch nicht billiger werden, oder?

    Peter: Na ja, doch. Wenn man die Rückführung noch mal auf den ursprünglichen Stand macht, wie ich eben schon sagte bei den Großindustrien, dann könnte man da etwa einen Cent pro Kilowattstunde dämpfen. Das ist noch nicht die große Menge; es kommt aber auf verschiedene andere Faktoren an. Deshalb haben wir ja eine sehr unglückliche Konstruktion, wie sich die erneuerbaren Energien auf den Preis an der Börse auswirken. Wenn wir die erneuerbaren Energien derzeit sehr stark einspeisen, dann geht der Großhandelspreis stark nach unten. Davon profitieren auch wieder diese großen Industrien und auch die großen Energieversorger. Das heißt, die können billig Energie einkaufen. Die geben diese gesunkenen Kosten aber nicht an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiter. Wenn man das wieder umlenkt, dass die Absenkungen durch die erneuerbaren Energien hier nicht diesen Großhandelspreis so weit runterdrücken, dann könnte man noch mal ein bis zwei Cent rausnehmen. Wir können natürlich auch oder müssen auch darüber diskutieren, dass wir an einzelnen Standorten, zum Beispiel an Küstenstandorten für Wind, durchaus die Vergütungen noch weiter absenken können. Am EEG muss was getan werden, das ist richtig. Nur ein Kahlschlag oder ein Deckel, wie ihn derzeit Herr Altmaier vorsieht, der würde sich absolut innovationshemmend auswirken und würde die riesigen Potenziale, die wir in Deutschland haben, nicht ausnutzen.

    Barenberg: Aber was genau spricht denn dagegen, besonders kostenträchtige Ausbauprojekte - und Strom Offshore weit ab der Küsten gilt als nun mal besonders teurer Strom -, was spricht denn dagegen, da ein wenig zu bremsen, um das ganze noch irgendwie bezahlbar zu halten?

    Peter: Nein, dagegen spricht gar nichts. Wir diskutieren ja derzeit als Grüne auch gerade in Ländern unterschiedliche Modelle, wie das EEG aussehen soll, also das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wichtig ist, dass der Einspeisevorrang für die erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne bleibt. Natürlich muss man jetzt sehen: es darf kein Kostenberg oder eine Kostenlawine auf uns zukommen, was den Offshore-Ausbau angeht. Da werden aber auch Modelle überlegt, wie man das ein bisschen zeitlich streckt und staffelt. Dadurch, dass das sich jetzt schon seit einiger Zeit länger hinzieht, gehen wir nicht davon aus, dass jetzt plötzlich eine große Menge an Strom eingespeist wird aus der Offshore-Windkraft. Da kann man natürlich verschiedenes diskutieren. Nur wenn man grundsätzlich an dieses Gesetz herangeht, darf es nicht sein, dass man da jetzt zu einer Zerschlagung kommt, dass der grundsätzliche Wille, die erneuerbaren Energien auszubauen, an anderen Faktoren scheitert.

    Barenberg: Aber auch die Grünen sind dafür, das habe ich richtig verstanden, ein wenig zu bremsen, da wo es besonders teuer ist, beispielsweise Offshore? Das haben Sie eben als Beispiel genannt.

    Peter: Bremsen ist vielleicht der falsche Ausdruck. Es geht darum, eine Staffelung hinzubekommen, eine Streckung hinzubekommen. Bremsen ist da das falsche Signal.

    Barenberg: Was ist der Unterschied?

    Peter: …, dass man mit den möglichen Erzeugern, mit den möglichen Standorten hier diskutiert, was können wir denn wirklich realisieren in der nächsten Zeit. Da wurden ja immer Größenordnungen angedacht, die nicht eingetreten sind. Hier gilt es, noch mal zu gucken, was sind denn unsere Möglichkeiten bei der Offshore in den nächsten Jahren. Der Deckel ist entscheidend. Wir wollen ja keinen Deckel für den Offshore, sondern es geht um eine gewisse Streckung, weil Deckelung immer dazu führt, dass Investoren fern bleiben, dass wir keine Möglichkeiten dann haben, über bestimmte Zielmarken hinauszudenken. Und wenn die Energiewende wirklich gilt, dann heißt es ja irgendwann 100 Prozent erneuerbare Energien. Das heißt, wir müssen schon den Weg vorzeichnen. Das geht auch nicht mit dem Bestand alter Kohlekraftwerke. Wir brauchen sowohl ein Auslaufen der Kohlekraftwerke wie auch der Atomkraftwerke, um dann irgendwann 100 Prozent erneuerbare zu haben.

    Barenberg: Zum Schluss, Frau Peter: Das Kernproblem bei der Energiewende im Moment und wenn wir auf die steigenden Preise gucken sind die garantierten Preise für Ökostrom über viele, viele Jahre. Hat sich dieses ursprünglich richtige Konzept endgültig überholt?

    Peter: Nein, überhaupt nicht. Das ist ein einzigartiges Konzept, was mittlerweile in über 60 Ländern übernommen wurde, weil es so angelegt ist, dass wir zum ersten Mal – das hatten wir ja bei Kohle und Atom nie und das wird es auch nicht geben – alle Kosten umlegen und auch transparent darstellen. Das Gesetz war auch immer so angelegt, dass abnehmende Kosten für die Produktion eingerechnet waren. Das heißt, diese Vergütungen sind ja permanent gesunken. Wir haben damit Innovationsschritte und Möglichkeiten der Kostensenkung in den letzten Jahren ausgeschöpft, wie man das kaum in einer anderen Technologie hat. Wenn Sie sehen, dass für Fotovoltaik 50 Cent vor einigen Jahren noch normal waren und jetzt geht der Preis an die 12, 11 Cent hinunter, das sind natürlich Faktoren, die wir bei anderen Energieträgern nie hatten. Und man muss auch sehen: Diese Form der Energieerzeugung macht uns dauerhaft unabhängig von steigenden Kostenfaktoren. Wir müssen ja immer auch die Alternative betrachten. Sowohl die Atomenergie als auch die Kohlekraft wird ja immer teurer, ist kein Modell für die Zukunft, und von daher: Wenn wir mit diesem Modell der Einspeisung mit immer günstiger werdenden Technologien vorangehen, dann haben wir in Deutschland die Möglichkeit, einen erheblichen Standortvorteil zu gewähren und uns dauerhaft unabhängig von diesen immer teurer werdenden Energie-Importen abzukoppeln.

    Barenberg: Simone Peter, die Parteichefin von Bündnis 90/Die Grünen, hier live im Deutschlandfunk im Gespräch. Ich bedanke mich, Frau Peter.

    Peter: Gern geschehen. Einen schönen Tag noch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.