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Grünen-Parteitag
Keller: "Europa bedeutet Hoffnung"

Die Europa-Abgeordnete der Grünen, Ska Keller, will neue europapolitische Schwerpunkte setzen. Die EU müsse sozialer werden, das gelte vor allem für die Flüchtlingspolitik, sagte Keller im DLF. Die Grünen bestimmen heute auf ihrem Parteitag in Dresden die Kandidaten für die Europawahl.

Ska Keller im Gespräch mit Jürgen Liminski | 08.02.2014
    Jürgen Liminski: Bei einer Online-Umfrage haben die Grünen ihre Spitzen für die Europawahl küren lassen. Und siehe da: Als Siegerin ist die Brandenburger Politikerin Franziska Keller, genannt Ska Keller, hervorgegangen. Sie ist mit 32 Jahren eine der jüngsten Spitzenpolitikerinnen im Europaparlament. Eingezogen ist sie dort 2009 und wenn es ihr gelingt, bei der anstehenden Kampfabstimmung auch die Spitzenkandidatur der Partei auf dem seit gestern tagenden Parteikongress in Dresden zu erringen, könnte sie die jüngste Fraktionschefin im Europaparlament werden.
    - Welches Programm hat sie? Hat sie auch persönliche Ambitionen für Deutschland? Sie ist jetzt am Telefon, guten Morgen, Frau Keller!
    Ska Keller: Guten Morgen!
    Liminski: Frau Keller, warum wollen Sie Ihre Kollegin Rebecca Harms von der Spitze verdrängen?
    Keller: Ich möchte ein Angebot machen an den Parteitag. Es geht hier nicht darum, irgendwelche Kampfkandidaturen, wie es immer heißt, sondern das ist ein ganz normaler Vorgang, dass man an der Spitze eben auch Auswahl hat. Denn genau darum geht es ja bei der demokratischen Wahl. Und ich möchte eben meine Erfahrung, meinen Erfahrungshintergrund auch einbringen. Ich bin Teil einer Generation, die mit Europa aufgewachsen ist, die mit Europa ganz alltäglich umgeht, aber die eben auch vieles sieht, was sich in Europa ändern muss. es läuft nämlich gerade viel schief zum Beispiel, wenn wir uns die Flüchtlingspolitik angucken, wo Menschen abgedrängt und abgewehrt werden, aber eben auch in der Frage der Krisenbewältigung und der Frage, ob Europa für die Menschen noch etwas anbietet, etwas, was sie stolz macht auf Europa, was ihnen eine Perspektive gibt in Europa. Und ich glaube, da müssen wir wieder zurück hinkommen, dass Europa wirklich auch Hoffnung bedeutet und nicht wie jetzt vor allem streichung, Sparung, Frontex und Troika.
    Liminski: Ja, zu dem Programm kommen wir gleich. Was wollen oder glauben Sie denn, besser machen zu können als Ihre Mitbewerberin?
    Keller: Ich glaube, ich kann Sachen auch anders machen. Und darum geht es ja, dass man unterschiedliche Möglichkeiten anbietet, sodass sich die Delegierten ein Bild machen können und dann ihre Entscheidung treffen können. Und ich denke, ich kann oder ich mache Europapolitik anders und ich setze andere Schwerpunkte und ich habe eben einen anderen Erfahrungshintergrund.
    Liminski: Wäre denn mit dem möglichen Generationswechsel – das wäre ja einer – auch ein Programmwechsel verbunden?
    Keller: Das Programm besprechen wir gleichzeitig auf dem Parteitag und da setze ich mich eben auch dafür ein, dass wir die Idee des sozialeren Europa nach vorne stellen und besonders auch das Leid der Flüchtlinge nicht vergessen, sondern das eben zu einem zentralen Thema machen. Dass es eine Schande ist, wenn Leute immer noch im Mittelmeer ertrinken, wenn sie nach Europa fliehen wollen, wenn sie Schutz suchen hier vor Verfolgung. All das sind Themen, die, ich finde, sehr wichtig sind, aber die auch bis jetzt sehr gut in unserem Programm verankert sind.
    Liminski: Also, ein sozialeres Europa, die Flüchtlingsfrage, das sind Schwerpunkte Ihres europapolitischen Programms?
    Keller: Ja, das sind Schwerpunkte meines politischen Programms. Dazu kommt noch, wie wollen wir aus der Krise kommen, wie wollen wir grüne Jobs schaffen, wie soll Europa fairer werden auch in der Welt. Weil zum Beispiel, in unserer Handelspolitik, da läuft gerade sehr viel falsch, da machen wir unsere eigenen Rechte mit kaputt, aber eben auch die Rechte anderer Menschen in anderen Staaten.
    Liminski: Sind Sie für das Freihandelsabkommen mit den USA?
    Keller: Das Freihandelsabkommen mit den USA, das ist, finde ich, auf völlig falsche Füße gestellt. Wenn wir uns das Mandat angucken, das der Europäische Rat, also die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union der Kommission gegeben haben zum verhandeln, da sieht man eben genau, dass es da nicht darum geht, die Standards, die wir haben, zu stärken oder noch anzuheben, sondern es geht um eine Abschwächung der Standards. Es geht darum, dass US-amerikanische Unternehmen bald das Recht haben sollen, die Europäische Union oder die Mitgliedsstaaten zu verklagen. und auf Grundlage dieses Mandats kann man keine ordentlichen Verhandlungen führen, noch dazukommt, dass es völlig intransparent läuft, die Verhandlungen, dass nur Großunternehmen dazu befragt werden. So kann kein guter Handel aussehen, so kann kein gutes Handelsabkommen auch mit den USA entstehen.
    Liminski: So, wie Sie das ausdrücken, könnte man sich auch vorstellen, dass es dafür Mehrheiten im Europaparlament geben wird!
    Keller: Das sollte man hoffen, denn eigentlich müsste es völlig konsensual sein, für die Rechte des parlaments zu streiten, für demokratische Rechte und eben auch für gute Verbraucherschutzstandards. Aber leider ist das eben nicht mehrheit im Europäischen Parlament, sondern viele Kolleginnen und Kollegen glauben der Kommission, die sagt, dadurch wird ein unglaubliches Wirtschaftswachstum entstehen, was aber zu bezweifeln ist. Und dazu steht eben die Frage, inwieweit sich dieses vermeintliche Wachstum, wie gesagt, was die Kommission nicht nachweisen kann, dann auch noch in Arbeitsplätze auswirkt. Und zwar dass es gute, neue Arbeitsplätze geben sollte und die an anderer Stelle nicht verschwinden. Und auch da müssen wir sagen, nach vielen Studien, die es dazu gegeben hat, ist davon nicht auszugehen, dass das TTIP besonders viele, dass das EU-US-Handelshandelsabkommen besonders viele Arbeitsplätze bringen sollte. Im Gegenteil, wir werden eher noch verlieren und genauer auch bei unseren Umweltstandards, bei unseren Verbraucherschutzstandards. Also scheint dieses TTIP auch kein guter Deal zu sein für die Europäische Union. Und deswegen werden wir so einem Abkommen auf jeden Fall nicht zustimmen.
    Liminski: Mit dem Parlament wird es auch eine neue Kommission, einen neuen Kommissionspräsidenten geben. Welche bedingung muss denn Martin Schulz erfüllen von denen, die Sie eben auch genannt haben, damit Sie und Ihre Fraktion ihn zum Präsidenten der Kommission wählen?
    Keller: Wenn Herr Schulz grüne Stimmen haben will, dann muss er erst mal uns ein tragfähiges Angebot machen. Er muss sagen, wo er grüne Ideen auch umsetzen will und wie und wo und wann konkret. Und so ein Angebot, das muss er erst mal liefern.
    Liminski: Sie haben jetzt in einem Zeitungsartikel erwähnt, dass die Fronten zwischen den Parteien im Europaparlament nicht so starr seien wie im Bundestag. Würden Sie auch mit den Kommunisten in Straßburg Abstimmungskoalitionen eingehen?
    Über Ska Keller
    Geboren 1981 in Guben, Brandenburg. Die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen hat an der Freien Universität Berlin und an der Sabanci Üniversitesi Istanbul Islamwissenschaft, Turkologie und Judaistik studiert. Seit 2001 ist sie Mitglied der Grünen Jugend, seit 2002 Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. 2009 wurde Ska Keller mit 27 Jahren in das Europäische Parlament gewählt, wo sie der Fraktion Die Grünen/EFA angehört. Sie ist dort Mitglied im Handelssausschuss (INTA) und im Innenausschuss (LIBE).
    Keller: Wir haben klare Unterschiede zwischen den Fraktionen. Es ist ganz klar, wo die Unterschiede in der inhaltlichen Positionierung sind zwischen uns und den anderen. Aber wir haben eben wechselnde Mehrheiten. Und deswegen können wir auch oft – oder zumindest manchmal – Mehrheiten bekommen für unsere Grünen, in unseren grünen Positionen. Und deswegen ist es auch so wichtig, Menschen, Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament der anderen Fraktionen davon zu überzeugen, dass sie für unsere Ideen abstimmen. Und ja, wir stimmen auch manchmal mit der linken-Fraktion ab, das soll vorgekommen sein.
    Liminski: Und für schwarz-grüne Bündnisse sind Sie zu haben?
    Keller: Wie gesagt, im Europäischen Parlament geht es um Inhalte, geht es um wechselnde Mehrheiten für verschiedene Abstimmungen, da geht es nicht um Koalitionenbildung. Wir haben keine geheimen oder offenen Absprachen mit anderen Fraktionen. Und wenn wir uns das Abstimmungsverhalten mal anschauen, da kann es zwar vorkommen, dass wir ausnahmsweise mal zusammen abstimmen mit den Konservativen, aber das ist sicherlich eher die Ausnahme.
    Liminski: Lockere Fronten im Europaparlament, gilt das auch für den Front National aus Frankreich? Die dürfte nach den jetzigen Umfragen als stärkste partei in Frankreich aus den Wahlen hervorgehen.
    Keller: Nein, es gibt ganz klar Grenzen, wo wir nicht weitergehen sollen als grüne Partei, auch generell als Parteien, die sich der Demokratie und den Menschenrechten verpflichtet haben, auch dem Schutz von Menschenrechten. Und die Parteien, die sich da nicht bei diesem Konsens beteiligen wollen, die müssen eben da außen vor bleiben.
    Liminski: Sagt Franziska Keller, Kandidatin für die Spitze der Grünen-Liste für die Europawahlen am 25. Mai. Besten Dank für das Gespräch, frau Keller!
    Keller: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.