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Grünen-Politiker: Chatami öffnet Fenster zum anderen Iran

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour hat den Aufruf des ehemaligen iranischen Präsidenten Mohammed Chatami zu einem Dialog der Religionen begrüßt. Chatami mache "ein kleines Fensterchen auf, durch das man durchschauen kann, um einen anderen Iran zu sehen", sagte der Deutsch-Iraner. Chatami stärke diejenigen im Iran, die für eine vernünftige Lösung im Atomstreit seien.

Moderation: Christine Heuer |
    Christine Heuer: Der Atomstreit mit Iran geht also weiter, und in dieser Situation und auch kurz vor dem fünften Jahrestag der Anschläge vom 11. September ist der ehemalige iranische Staatspräsident Chatami auf einer Good-Will-Tour ausgerechnet in den USA. Dort hat der als gemäßigt geltende Politiker zu einem Dialog der Kulturen aufgerufen und die amerikanischen Muslime dazu, sich für Frieden und Sicherheit einzusetzen. Am Telefon begrüße ich Omid Nouripour von den Grünen, er ist als Nachrücker für Joschka Fischer ganz frisch im Bundestag und er ist Besitzer zweier Pässe, des deutschen und des iranischen. Guten Morgen, Herr Nouripour!

    Omid Nouripour: Guten Morgen, Frau Heuer!

    Heuer: Halten Sie Chatamis Äußerungen vom Wochenende für ein ernst zu nehmendes Gesprächsangebot?

    Nouripour: Es ist definitiv ein sehr gutes Angebot, allerdings ein zivilgesellschaftliches. Chatami spielt im Iran in den Machtverhältnissen keine Rolle mehr. Allerdings hat er eine Bühne, eine internationale, die Vereinten Nationen haben ihm eine geboten, er ist ja auch bei ihnen beschäftigt, und er spielt sich jetzt dementsprechend neu wieder zum Akteur, allerdings zivilgesellschaftlicher Art. Das muss man auf der Basis sehr ernst nehmen, auf der kulturellen und auf der Basis einer Botschaft, die sagen will, Iran, das ist nicht nur Ahmadinedschad.

    Heuer: Und mit Ahmadinedschad ist diese Mission, sage ich mal, von Chatami in den USA gerade auch nicht abgestimmt aus Ihrer Sicht?

    Nouripour: Davon würde ich erst mal definitiv ausgehen. Es gibt eine unglaublich große Heterogenität in den Machtstrukturen der Elite im Iran, und es ist sehr häufig der Fall, dass Ahmadinedschad beispielsweise vorprescht mit Aktionen und mit Initiativen, die nicht einmal mit dem revolutionären Führer vorbesprochen wurden. Dementsprechend kann man davon ausgehen, dass jeder Einzelne dieser iranischen Akteure gerade im Ausland, wo die Kontrolle kleiner ist, eigene Interessen vertritt.

    Heuer: Trotzdem äußert sich Chatami ja nicht in einem politisch luftleeren Raum. Er hat das, was er jetzt in den USA gesagt hat, früher schon so formuliert, nämlich zu einem Dialog der Kulturen aufzurufen. Mit welcher Absicht wiederholt er das gerade jetzt?

    Nouripour: Ich glaube auf der einen Seite, dass er definitiv weiß, wie ernst die Lage ist, und als ein politisch denkender Mensch versucht er definitiv zu deeskalieren. Gleichzeitig will er sich auch profilieren, das ist überhaupt keine Frage. Laut iranischer Verfassung könnte er bei der nächsten Wahl wieder antreten als Präsidentschaftskandidat.

    Heuer: Hätte er dann Chancen?

    Nouripour: Derzeit, würde ich sagen, nein. Er gilt immer noch als Loser, er gilt immer noch als derjenige, der große Hoffnungen geweckt hat und keine einzige erfüllt hat, und vor allem ist er auf dem Land nicht so gern gesehen wie Ahmadinedschad. Das spricht nicht gegen Chatami, sondern für Ahmadinedschad, der als erster Staatspräsident durch die kleinsten Provinzen auch noch getourt ist in den letzten Wochen und Monaten. Allerdings muss man wissen, dass es ein Gesicht geben muss in dem Fall, dass Ahmadinedschad seine sozialen, also seine innenpolitischen Versprechungen nicht eingelöst hat. Deshalb wäre ich jetzt definitiv dagegen zu sagen, was Chatami da macht, ist völlig irrelevant, sondern man muss ihn mit im Spiel halten und man muss ihn auch sehr ernst nehmen.

    Heuer: Das Land, in dem sich Chatami gerade aufhält, die Vereinigten Staaten von Amerika, denen wäre sicher nichts lieber als ein politischer Umsturz innerhalb des Iran. Ist das denn etwas, das Chatami mitmachen würde?

    Nouripour: Ich glaube nicht. Ich glaube, dass er die Chance dazu hatte und sie nicht genutzt hat. Man muss wissen, dass ein Umsturz im Iran weiterhin keine große Begeisterung aufruft. Man ist müde von Kriegen und Revolutionen und Blutvergießen, und das wollen die Menschen auch nicht. Ahmadinedschad und Chatami sind beide Teil desselben Systems. Chatami wollte keinen Umsturz, nie, er wird in auch weiterhin nicht wollen, sondern er wollte Reformen, die das System auf eine humane Art stabilisieren, und Ahmadinedschad wiederum ist einer, der das alte Erbe Chomeinis vertritt und ideologisch mit einem schweren Rucksack durch die Gegend läuft. Beide allerdings sind keine Superdemokraten, die den USA einen Gefallen tun würden, also Chatami auch nicht, und ein Regime-Change im klassischen Sinne, wie die USA sich das vorstellt, wird es mit ihm nicht geben.

    Heuer: Eröffnet Chatamis Reisediplomatie in den USA trotzdem neue Chancen für eine Einigung Irans mit dem Westen, vielleicht jetzt nicht konkret im politischen Streit über das Atomprogramm, sondern generell gefragt?

    Nouripour: Ganz sicher. Es ist so, dass die Heterogenität innerhalb Irans, die Stärke und die Kraft der Zivilgesellschaft, dass diese beiden Faktoren bisher viel zu wenig Eingang gefunden haben, vor allem seit Ahmadinedschad gewählt wurde und vor allem seit er mit seinen markanten radikalen Sprüchen wirklich das Bild des Irans auch bestimmt. Chatami macht jetzt ein kleines Fensterchen auf, durch das man durchschauen kann, um einen anderen Iran zu sehen, und ich glaube, dass das für die Bekräftigung und für die Stärkung derjenigen im Iran, die für vernünftige Lösungen zu haben sind und für demokratische Reformen, definitiv von Vorteil ist.

    Heuer: Omid Nouripour, Vorstandsmitglied der Bündnisgrünen und neues Mitglied im Bundestag, er ist der Nachrücker für Joschka Fischer und wird in dieser Funktion in dieser Woche das erste Mal im Bundestag mit dabei sein. Herr Nouripour, danke für das Gespräch.

    Nouripour: Ich danke Ihnen.