Archiv


Grünen-Politiker: Ein Angebot an alle

Man sei keine "Wohlfühlpartei", sagt der Grünen-Politiker und Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer. Der ökologische Umbau der Gesellschaft verlange zum Teil schmerzhafte Eingriffe. Und dennoch: Man mache ernsthafte Politik und sage vor der Wahl, was nachher komme.

Boris Palmer im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: 2011, für die Grünen soll es das Jahr der Ernte werden. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg könnte ausgerechnet Winfried Kretschmann fast 60 Jahre CDU-Herrschaft im Ländle beenden und der erste grüne Ministerpräsident in Stuttgart werden. Und Renate Künast, sie rechnet sich Chancen aus, im Herbst ins Berliner Rathaus einzuziehen als Regierende Bürgermeisterin. Auf der anderen Seite hat die Führung auf dem Parteitag in Freiburg am Wochenende versichert, bei aller Zustimmung in den Umfragen auf dem Teppich bleiben zu wollen. Neue Wähler heißt Parteichef Cem Özdemir willkommen, sich treu bleiben wollen die Grünen aber auch, und das heißt nach Lesart der Partei, die Gesellschaft ökologisch und sozial umbauen.

    O-Ton Cem Özdemir: Wer uns wählt weiß, er bekommt auch Zumutungen. Ein Wohlfühlprogramm sieht sicherlich anders aus wie das, was Bündnis 90/Die Grünen vorhatten, liebe Freundinnen und Freunde. Lasst mich mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 sagen: Wir dürfen und wir werden den anderen den Gefallen nicht tun, dass wir unsere Konzepte nicht durchrechnen. Wir dürfen und wir müssen Ehrlichkeit wagen.

    Barenberg: Mit diesen Formulierungen antwortet Cem Özdemir auch auf den Vorwurf, die Grünen seien nicht mehr als eine Wohlfühlpartei. – Was ist also der Preis für die gute, die neue grüne Welt? Darüber habe ich vor dieser Sendung mit Boris Palmer gesprochen, dem grünen Oberbürgermeister in Tübingen, seit dem Wochenende auch Mitglied im Parteirat. Sieht er die Grünen auf dem Weg zur dritten Volkspartei?

    Boris Palmer: Ich sehe den Begriff "Volkspartei" positiv. Für das Volk da zu sein, die Anliegen des ganzen Volkes zu vertreten, ist im Begriff "Volksvertreter" schon enthalten. Und ich wundere mich da ein bisschen, warum das bei uns so skeptisch betrachtet wird. Ich glaube, dass unser Programm ein Angebot für alle ist.

    Barenberg: Klimaschutz, erneuerbare Energien, ein Herz für Schweinswale, Gleichberechtigung, ein wenig Protest gegen das Großprojekt "Stuttgart 21", sind die Grünen auch eine Partei zum Wohlfühlen?

    Palmer: Das Wesen der Politik ist, dafür gute Lebensverhältnisse herzustellen und insoweit auch zum wohlfühlen. Aber das heißt nicht, dass man unrealistisch ist, die Realitäten ausblendet, oder gar versucht, sich über die Schwierigkeiten hinwegzutricksen. Das machen wir alles nicht. Wir sind eine Partei, die ganz ernsthaft die Probleme angeht, aber die will, dass es den Menschen besser geht.

    Barenberg: Sie sprechen sich ja für den ökologischen Umbau der Gesellschaft aus. Sie haben auf Ihrem Parteitag in Sachen Energiepolitik beispielsweise beschlossen, möglichst schnell Strom und Wärme bald nur noch aus erneuerbaren Quellen zu beziehen. Heißt das nicht auf der anderen Seite auch, dass die Menschen sich auf weit höhere Preise für Strom und Heizung einstellen müssen?

    Palmer: Das heißt es nicht, denn in 20 Jahren wird der Preis für konventionelle Energie, besonders für Öl, aber auch für Kohle und Gas, so stark angestiegen sein, dass die erneuerbaren Energien dann den Preis drücken. Nur für eine Übergangszeit, für einige Jahre, sind sie noch teuerer, und da müssen wir tatsächlich etwas mehr bezahlen. Das bedeutet aber nur, dass wir dafür, dass wir unseren Kindern keine kaputte Welt, kein kaputtes Klima hinterlassen, etwas investieren müssen und in den nächsten Jahrzehnten dann sogar noch eine Rendite bekommen in Form günstigerer Energiepreise der Zukunft.

    Barenberg: Investieren müssen wir zum Beispiel auch in die Wärmedämmung für unsere Häuser und für die Mietwohnungen, auch das eine sehr teuere Angelegenheit. Wer soll das bezahlen?

    Palmer: Wir machen das in Tübingen mit unserer städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Die hat überwiegend Mieter mit geringem Einkommen. Wir sehen, dass die Kaltmiete zwar ansteigt, aber die Warmmiete kaum, denn sie sparen so viel Energiekosten, dass die höheren Mietkosten weitgehend kompensiert werden. Und wir sehen auch, dass alle Mieter wegen des größeren Wohnwertes einer sanierten Wohnung nachher zufriedener sind und die höhere Kaltmiete bezahlen wollen. Das ist ein Scheinkonflikt, der sich leicht auflösen lässt.

    Barenberg: Was den Bund betrifft, da verlangen die Grünen ja ein Programm in Milliardenhöhe, um diese Wärmedämmung zu finanzieren und zu fördern. Wer bekommt dann im Gegenzug weniger Geld?

    Palmer: Wir haben, anders als die FDP, keine Steuersenkungen im Programm. Wir wollen, dass Steuersenkungen, die aus der Vergangenheit gerade den Kommunen in die Tasche gegriffen haben, rückgängig gemacht werden. Und wir haben auch die Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz und einer breiteren Bemessung der Gewerbesteuer im Programm. Mit anderen Worten: Wir wollen, dass die öffentlichen Aufgaben solide finanziert werden.

    Barenberg: Das sind auch die Zumutungen, von denen Parteichef Cem Özdemir spricht, also Zumutungen vor allem für Unternehmer und für solche, die viel Geld verdienen?

    Palmer: Das ist ein Teil der Zumutungen. Wir wollen ernsthafte und ehrliche Politik machen, vor der Wahl sagen, was nachher kommt, und Tatsache ist: Die Schuldenbremse verlangt eine strikte Sparpolitik und eine vernünftige Einnahmepolitik. Nur wenn beides zusammenkommt, können wir die nach wie vor immense Staatsverschuldung auch halten.

    Barenberg: Das heißt, Leute, die mehr verdienen, besser verdienende sozusagen, denen wollen Sie tiefer in die Tasche greifen?

    Palmer: In der Tat! Wer viel verdient, kann auch etwas mehr für das Gemeinwesen tun. Er muss nicht entlastet werden, wie die FDP glaubt. Und das gilt auch für die sozialen Sicherungssysteme, in denen die Gutverdiener oft weniger einzahlen als die Mittelverdiener. Das sollte so nicht bleiben.

    Barenberg: Aber trifft es nicht auch ganz normale Familien, beispielsweise wenn es um das Ehegattensplitting geht, das Sie abschaffen wollen? Der Bund der Steuerzahler sagt, dass da eine große finanzielle Belastung auf normale Familien zukommt.

    Palmer: Das ist falsch. Es handelt sich um eine Umverteilung, denn das Ehegattensplitting bekommen auch kinderlose Paare. Das sehen wir nicht als Familie an. Familie ist da, wo Kinder sind, und wir wollen die frei werdenden Mittel durch Abschaffung des Ehegattensplittings auf die Familien mit Kindern konzentrieren. Das heißt, die Familien haben nachher mehr Geld, nicht weniger.

    Barenberg: Insgesamt, Herr Palmer, klingt das danach, als würden Sie den Umbau der Gesellschaft vorantreiben wollen, aber niemand müsste am Ende auf etwas verzichten.

    Palmer: Das wundert mich. Ich habe Ihnen gerade einiges gesagt, was durchaus auch schmerzhaft ist. Besserverdienende werden auf einen Teil ihres Einkommens verzichten müssen. Aber in der Tat: Wir glauben, dass unsere Konzepte so gut sind, dass die Allgemeinheit, die Gesellschaft als ganzes davon so viel profitieren wird, dass der Nutzen den Schaden weit überwiegt.

    Barenberg: Das heißt auch, wir setzen weiter auf Wirtschaftswachstum beispielsweise, nicht auf Einschränkungen?

    Palmer: Tatsächlich! Da haben wir uns gewandelt in den letzten 30 Jahren. Ohne Wirtschaftswachstum sind die öffentlichen Leistungen, die Daseinsvorsorge, die kommunalen Angebote, nicht zu finanzieren. Wir wollen aber, dass dieses Wirtschaftswachstum nicht mehr davon abhängig ist, die Natur zu zerstören, denn dann ist ja irgendwann auch das Wachstum zu Ende. Deswegen ist unser Programm zum Umbau der Industriegesellschaft, das heißt ökologische nachhaltige Politik, genau die Voraussetzung dafür, den Wohlstand zu erhalten.

    Barenberg: ... , sagt Boris Palmer, der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, seit dem Wochenende, dem Parteitag in Freiburg, auch Mitglied im Parteirat.