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Grünen-Politiker: Einigung über Regeln zur Einbürgerung ungerecht

Der Vorsitzende des Bundesausländerbeirates, Memet Kilic, hat den Beschluss der Innenministerkonferenz zu Sprachtests für Einbürgerungswillige undifferenziert genannt. Menschen mit niedrigem Bildungsniveau könnten dadurch ausgeschlossen werden, sagte Kilic. Die Vermittlung von Grundrechten in Einbürgerungskursen sei dagegen zu begrüßen.

Moderation: Dirk Oliver Heckmann |
    Dirk Oliver Heckmann: Befassen wir uns nun mit dem Treffen der Innenminister der Länder zum Thema Einbürgerung. Medienwirksam hatten sie gestern einen Abstecher auf die Zugspitze gemacht. Weitblick sollte das demonstrieren und Gemeinsamkeit. Und tatsächlich: bei den zweitägigen Beratungen in Garmisch-Partenkirchen über neue einheitliche Regelungen zur Einbürgerung sind die Minister zu einem Ergebnis gekommen. Am Telefon ist nun Memet Kilic. Er ist Vorsitzender des Bundesausländerbeirates. Guten Tag Herr Kilic!

    Memet Kilic: Guten Tag!

    Heckmann: Herr Kilic begrüßen Sie es, dass die Länder sich auf eine einheitliche Linie jetzt verständigen konnten?

    Kilic: Eine Einigung klingt immer gut, aber man muss wirklich einen kurzen geschichtlichen Überblick wiedergeben, damit wir merken in welche Richtung die Reise geht. Der erste Einbürgerungsanspruch wurde unter der Kohl-Regierung, vom heutigen Bundesinnenminister, auch vom damaligen Bundesinnenminister geschaffen und die Menschen könnten nach 15 Jahren einen Anspruch auf Einbürgerung haben. Von den Menschen hat man überhaupt keine Sprachkenntnisse abgefragt, nur bei Ermessenseinbürgerung, und nach zehn Jahren hat man einfach mündliche Sprachkenntnisse gefragt. Unter der rot-grünen Regierung kam es dann, was Sprachkenntnisse betrifft, zu einer Erschwerung: ausreichende Sprachkenntnisse, qualifizierte Sprachkenntnisse. Daraus haben einige Bundesländer schriftliche Sprachkenntnisse gemacht und jetzt kommen die Innenminister und sagen, wir haben uns darauf geeinigt, dass jeder Bewerber eine ausreichende Sprachkenntnis bringen muss.

    Heckmann: Und das stößt bei Ihnen auf Kritik?

    Kilic: Ja, weil es undifferenziert ist. Mein Schwiegervater hat hier 35 Jahre lang bei den Heidelberger Druckmaschinen als einfacher Arbeitnehmer gearbeitet und sich eine Rente verdient. Er hatte von vornherein ein niedriges Bildungsniveau und lückenhafte Sprachkenntnisse. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn man solche Personenkreise ausschließt und sagt, ihr müsst erst mal so einen Kurs absolvieren. Wenn das nicht erfolgreich ist, dann bleibt ihr ewig außen vor. Man sollte den Menschen, die vor 1973 nach Deutschland gekommen sind, ihre Jugend in den Aufbau dieses Landes investiert haben, sagen ihr seid willkommen, wir wollen ohne Bedingungen, dass ihr Staatsbürger werdet, wenn ihr wollt.

    Heckmann: Die Sprachkurse sind das eine, Herr Kilic, die Integrationskurse das andere, wo eben Inhalte vermittelt werden sollen, beispielsweise wie das Grundgesetz aufgebaut ist. Begrüßen Sie denn diesen Punkt?

    Kilic: Ich begrüße diesen Punkt insbesondere für Neuzuwanderer, weil die Menschen, die Staatsbürger sein wollen, auch Grundkenntnisse von der staatlichen Grundordnung haben müssen. Das ist auch heute noch geltendes Gesetz. Einbürgerungsrichtlinien sehen das auch vor. Ich finde es gut, wenn man auf der Grundlage unseres Grundgesetzes so etwas macht, insbesondere Artikel I, die Würde des Menschen ist unantastbar, oder III, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, insbesondere negative Glaubensfreiheit, Pressefreiheit, Kunstfreiheit, all diese Grundrechte mal vermittelt werden, aber auch abverlangt werden. Man muss aber nach dem Bildungsniveau des Personenkreises eine Befragung durchführen. Alles deutet jedoch darauf hin, dass wir es später mit einem schriftlichen Sprachtest, aber auch Grundwissenstest zu tun haben werden. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist alles zentral organisiert und kann nicht alles über Rollenspiele, wie Herr Beckstein sagt, organisiert werden. Wir werden am Ende einen schriftlichen Test haben und das wird auf Kosten der Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau, Analphabeten oder der Menschen, die in einer anderen Schriftsprache wie etwa Arabisch oder Kyrillisch alphabetisiert sind, gehen und das finde ich nicht in Ordnung.

    Heckmann: Die beiden Bundesländer Hessen und Baden-Württemberg waren ja eigenständige Wege gegangen mit ihrem umstrittenen Gesprächsleitfaden und dem Wissenstest. Erwarten Sie denn jetzt, dass diese eigenen Wege eingestellt werden?

    Kilic: Das erwarten wir und das hat auch der baden-württembergische Innenminister insgeheim erwartet, weil er weiß, dass sein Gesinnungstest verfassungswidrig war. Er war zu feige, das zurückzuziehen, aber auch zu feige, es umzusetzen. Er hat auch niemanden abgefragt. Er ist jetzt erleichtert zu sagen ja, wir müssen das zurückziehen, weil wir einen Kompromiss haben. Der hessische Günter-Jauch-Test, wer wird Millionär, welcher nur den Akademikern erlaubt hätte, sich einbürgern zu lassen, muss sowieso verschwinden. Die Innenministerkonferenz lässt aber immer noch die Inhalte offen. Die einzelnen Bundesländer werden weiterhin ihre eigenen Süppchen kochen, eigene Fragen stellen, selbst gestalten wie schwer oder leicht ein Einbürgerungsverfahren sein soll. Das erfüllt mich weiterhin mit großer Sorge.

    Heckmann: Es gibt ein weiteres Problem: die so genannten Altfälle. Das sind diejenigen Ausländer, die schon lange in Deutschland leben, aber ohne einen wirklich langfristigen Aufenthaltstitel. Da sind auch noch offene Fragen?

    Kilic: Ja. Es gibt Menschen, die seit 10, 15 Jahren hier mit Kettenduldungen leben. Alle drei Monate müssen sie sich Sorgen machen, ob diese Duldung verlängert wird. Die können auch nichts dafür, dass sie nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können. Die können auch nicht abgeschoben werden. Es wäre gut, wenn man eine neue Altfallregelung trifft und sagt, diese Menschen müssen endlich eine Perspektive haben. Deren Kinder dürfen nicht weiterhin traumatisiert werden. Die sind hier groß geworden, hier in die Schule gegangen. Diese Altfallregelung muss kommen und ich weiß nicht, ob diese Einigung noch zu Stande kommen kann.