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Grünen-Politikerin Künast: G8-Klimaziele zu vage

Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, sieht in den Beschlüssen des G8-Gipfels zum Klimaschutz eine verpasste Gelegenheit. Sie sei es langsam überdrüssig, ständig zu hören, was im Jahr 2050 sein solle, sagte Künast. Zu diesem Zeitpunkt, an dem die G8-Staaten den CO2-Ausstoß um die Hälfte reduziert haben wollen, werde keiner der Akteure mehr politische Verantwortung tragen.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 09.07.2008
    Dirk-Oliver Heckmann: Von einem klimapolitischen Durchbruch war da gestern schon die Rede, als bekannt wurde, auf was sich die Spitzen der sieben führenden Industrienationen und Russlands im japanischen Toyako verständigt hatten. Nachdem auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm noch die Rede davon war, dass man die Halbierung des Kohlendioxid-Ausstoßes bis 2050 in Erwägung ziehe, habe man sich nun verbindlich auf dieses Ziel geeinigt. Selbst die Vereinigten Staaten seien jetzt im Boot. Schnell aber wurde klar, dass es an dieser Verbindlichkeit offenbar zu wünschen übrig lässt. Heute kamen die G8 mit den Vertretern der Schwellenländer China, Indien, Mexico, Brasilien und Südafrika zusammen. Auch Australien, Indonesien und Südkorea waren geladen. Am Telefon begrüße ich zu diesem Thema jetzt Renate Künast. Sie ist die Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen Frau Künast.

    Renate Künast: Guten Morgen Herr Heckmann!

    Heckmann: Frau Künast, in Heiligendamm hieß es im vergangenen Jahr, man wolle ernsthaft in Erwägung ziehen, den CO2-Ausstoß bis 2050 zu halbieren. Nun heißt es, die G8 wolle mit allen Parteien in der UNO-Klimarahmenkonvention die Vision teilen, das Ziel einer Reduzierung zu erreichen. Auf der einen Seite ist jetzt immer wieder - wir haben es gerade auch gehört - von einem deutlichen guten Ergebnis zu hören; auf der anderen Seite hat Helmut Schmidt einmal gesagt, wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen.

    Künast: Das hat Helmut Schmidt mal wieder ganz scharf formuliert. Ich sage Ihnen aber klar: Sie sehen daran, wie viele unterschiedliche Möglichkeiten es gibt, etwas vage zu formulieren für das Jahr 2050. Jenseits der Frage, ob man ernsthaft prüft oder ob man Visionen hat, wichtig ist doch eines, dass man jetzt losgeht. Mir reicht auch nicht zu sagen, wir zielen auf die Kopenhagener Verhandlungen Ende 2009, wo man Kyoto dann fortführt, sondern jetzt müssen wir loslaufen und müssen vorneweg die Industrieländer loslaufen und ihre Art zu transportieren, zu wohnen, zu produzieren wirklich verändern. Es reicht nicht, hin und wieder einen Urwaldschutz-Fonds zu finanzieren, sondern dann muss man zum Beispiel in Deutschland den Mut haben, andere Autos zu bauen oder die Spritschleudern nicht auch noch steuerlich zu privilegieren.

    Heckmann: Das heißt Sie würden von einer verpassten Gelegenheit sprechen?

    Künast: Definitiv! Ich reihe mich in die Reihe derer ein die sagen, eine verpasste Gelegenheit. Ich bin langsam überdrüssig, ständig zu hören was 2050 sein soll, wo niemand von den Akteuren jetzt in Japan in 42 Jahren noch politische Verantwortung tragen wird. Also niemand wird es dann nachvollziehen können. Wir müssen die handelnden Politiker jetzt daran messen, dass sie jetzt loslaufen. Wir müssen ja auch Ziele bis 2020 haben. Wenn man die erreichen will, muss man jetzt umbauen. Da sehe ich, dass gerade Europa mit Deutschland vorneweg immer noch an den alten Dingen ist. Wer hat denn den Mut, eine Agrarreform in Brüssel zu machen und zu sagen, wir schmeißen nicht Geld hinterher für klimaschädliche Landwirtschaft, zum Beispiel die vielen Chemikalien? Wer hat den Mut, wirklich scharfe Regeln für neue Fahrzeuge in Europa zu machen?

    Heckmann: Aber immerhin hat sich die EU ja auf das mittelfristige Reduktionsziel 20 Prozent bis 2020 verständigt?

    Künast: Ja, aber genau darum geht ja die Debatte. In der EU sind wir den einen Zentimeter weiter: ein Ziel avisiert für 2020, das nach wissenschaftlicher Berechnung zwar zu wenig ist, immer noch zu niedrig, aber wollen wir mal nicht so genau sein. Und trotzdem gibt es doch in Brüssel ein Geziehe und Gezerre, das doch die Bevölkerung bei uns auch gar nicht mehr versteht. Es reicht ja nicht, das Ziel zu haben, aber wenn die Kommissarin Frau Fischer-Boel Vorschläge zu einer Agrarreform macht, wo Gelder dann umgebaut werden, blockiert vorne an Deutschland. Wenn es um Neufahrzeuge und CO2-Werte geht, blockiert Deutschland. Wenn man endlich den vier Energieriesen, die uns ja gerade mit ihrer Atomdebatte und den Profiten, die sie machen wollen, auf die Nerven gehen, die Netze wegnimmt, damit es Wettbewerb gibt und man Erneuerbare einbinden kann, dann ist es schon wieder die Bundesregierung, die bremst. Das ist so: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass - in der Hoffnung, dass 2020 oder 2050 nie kommen möge.

    Heckmann: Schauen wir noch einmal, Frau Künast, auf den globalen Rahmen. Immerhin muss man konstatieren, die Vereinigten Staaten sind eingebunden und das dürfte doch als Erfolg auch der Kanzlerin zu werten sein oder?

    Künast: Mit Verlaub, es geht jetzt darum, mit anderen eine Vision zu teilen, "to share a vision". Damit hat die USA sich zwar darauf eingelassen, an der Stelle ein Papier mit zu schreiben, aber der alte Beschluss des US-Kongresses von 1992, dass die USA nie ein international bindendes Ziel unterschreiben würde, ist damit noch nicht weg, sondern sie teilen eine Vision. Ich sage mal da in aller Munde das Thema Energie, Energiepreise und Klima ist, selbst in den USA der Druck schärfer wird, blieb George Bush wahrscheinlich nichts anderes übrig, als in seinen letzten Monaten - am 4. November sind in den USA Wahlen - zumindest so eine allgemein unverbindliche Vision zu teilen. Spannend wird es im nächsten Januar.

    Heckmann: Wie optimistisch sind Sie denn, Frau Künast, dass die USA dann doch mitziehen? Es kommt ja immerhin zu einem Regierungswechsel.

    Künast: Meine Hoffnung liegt darauf, dass Barack Obama im Januar sozusagen als Präsident vereidigt wird. Dann wird es viel mehr Multilateralismus geben, viel mehr Kooperation und Gespräche. Ich glaube, dass der mit einer entsprechend demokratischen Mehrheit im US-Kongress um einiges nach vorne gehen wird, womit aber eines noch nicht ausgemacht ist, Herr Heckmann, ob die USA dann wirklich international für sie verbindliche Ziele unterschreibt, oder ob sie nur auf eine Technologie setzt. Verbindlich müssen sie es aber machen. Warum? - Weil die Chinesen sagen ja zu Recht, wir haben zwar in der Masse die meisten Emissionen, aber umgerechnet auf die Anzahl der Bevölkerung nicht. Die USA und Europa müssen vorneweg gehen und wenn wir die bis Ende nächsten Jahres bei dem Kyoto-Plus-Prozess bewegen wollen, dann müssen wir auch technologisch und mit Maßnahmen in Europa vorangegangen sein - nicht um sie nur vom Guten zu überzeugen, sondern wir müssen sie fast nervös machen, dass Europa und die USA die moderne Technologie entwickelt. Die Chinesen und die Inder müssen das Gefühl haben, da wollen wir mit.

    Heckmann: Glauben Sie, Frau Künast, dass die wage Formulierung des G8-Abschlussdokumentes zur Rechtfertigung der Schwellenländer dienen musste, sich nicht auf konkrete Ziele zu verständigen?

    Künast: Herr Heckmann, Ihr Korrespondent hat ja vorhin erzählt, dass zum Beispiel China und Indien gesagt hat "reicht uns nicht! Wir brauchen mittelfristige Ziele". Mir geht es da genauso. Zu beschreiben, wohin man 2050 reisen will, reicht nicht. Die Reise beginnt jetzt mit dem ersten Schritt und zu Recht werden die weiter darauf pochen und sagen, ihr verbraucht oder emittiert teilweise ja das Zehnfache pro Person im Verhältnis zu einem Chinesen oder Inder. Ihr müsst als Industrieländer jetzt zuerst losgehen. Und ich sage Ihnen, das ist eine Verpflichtung und Aufgabe, aber es ist für uns auch eine Wahnsinns-Chance. Jeder Privathaushalt wird ein Interesse daran haben, neue Technologien zu haben, und unsere Wirtschaft und wir alle sollten wegen der Arbeitsplätze ein Interesse haben, vorneweg diese neuen Technologien zu entwickeln.

    Heckmann: Frau Künast, die Reise beginnt jetzt, haben Sie gerade eben gesagt - auch natürlich in Deutschland. Die Union fordert vor dem Hintergrund der Klimadebatte eine Verlängerung der Laufzeiten bei der Atomkraft. Die Zustimmung zur Atomkraft auch in der Bevölkerung steigt. Die Internationale Atomenergiebehörde hat in einer Studie vorgelegt, dass 32 neue Atommeiler im Jahr gebaut werden müssten, um die Klimaziele zu erreichen. Und selbst das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat gestern die Möglichkeit einer Verlängerung der Laufzeiten hier im Deutschlandfunk ins Spiel gebracht. Das heißt also: Bröckelt da die Front gegen den Ausstieg aus dem Ausstieg?

    Künast: Bei den Grünen bröckelt gar nichts! Ich bin nach wie vor davon überzeugt: Die Atomenergie ist eine Risikotechnologie. Wir haben Milliarden an Steuergeldern dort hineininvestiert. Ich sehe nicht, dass in Zukunft ohne Steuergelder Kernkraftwerke gebaut werden würden und welche, die nicht risikobehaftet wären. Die Atomkraftwerke und die, die jetzt ihre Verlängerung wollen, hängen einfach damit zusammen, dass man dort unheimlich viel Geld scheffeln kann. Die Zahlen sind ja auch öffentlich über die Milliarden-Beträge. Ich will keine Risikotechnologie, sondern das was da ganz spannend ist: wirklich Effizienz. Wir können 30 Prozent der Energie einsparen. Die Erneuerbaren: Wir können bei Strom bis 2020 auf über 40 Prozent erneuerbaren Strom kommen. Die Idee, eine Europäische Union der Erneuerbaren Energien zu bauen mit einem Netz, wo wir zum Beispiel den Wind aus Irland nutzen, das ist eine spannende Vision und nicht diese Atomtechnologie, die ja am Ende beim Klimawandel nur helfen würde, wenn wir ich glaube weit über 1.000 Atomkraftwerke weltweit bauen würden. Das sehe ich überhaupt nicht. Selbst die USA hat 30 Jahre lang kein einziges gebaut.

    Heckmann: Heute Morgen hier im Deutschlandfunk Renate Künast, die Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Frau Künast, besten Dank für das Gespräch!