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Grünen-Politikerin zur Folter in der Ostukraine
"Es hat mich in den Details überrascht, aber nicht in der Dimension"

Die Berichte von Menschenrechtsorganisationen über Foltergefängnisse in der Ostukraine hätten sie nicht überrascht, sagte Rebecca Harms, Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, im DLF. Schon lange seien systematische Menschenrechtsverstöße dort bekannt gewesen. Auf Grundlage dieser Berichte müsse nun vor allem mit Russland neu geredet werden, so Harms.

Rebecca Harms im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 18.05.2016
    Die Fraktionsvorsitzende der Grünen / Europäische Freie Allianz im Europaparlament, Rebecca Harms.
    Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, im Interview mit dem Deutschlandfunk. (dpa-Bildfunk / Wolfgang Kumm)
    Ann-Kathrin Büüsker: Zunächst einmal aber schauen wir in die Ostukraine. Sie haben es vielleicht eben in den Nachrichten gehört: Von dort gibt es Berichte über massenhafte Folter. Menschenrechtsorganisationen berichten über mehr als 4.000 Fälle von Verschleppungen, auf beiden Seiten der Front, also sowohl bei Ukrainern als auch bei den Russen. Über die Foltervorwürfe in der Ostukraine möchte ich nun sprechen mit Rebecca Harms, Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Guten Tag, Frau Harms.
    Rebecca Harms: Guten Tag!
    Büüsker: Frau Harms, war in diesem Ausmaß mit der Gewalt zu rechnen, oder überrascht Sie das?
    Harms: So bitter das klingt, ich habe heute Morgen von Ihrer Korrespondentin Sabine Adler den Bericht gehört und es hat mich in den Details überrascht, aber eigentlich nicht in der Dimension. Ich bin in den letzten Jahren, seit der Krieg gegen die Ukraine dort im Osten geführt wird, immer wieder im Osten der Ukraine gewesen und weiß von der Helsinki-Gruppe in Charkiw, die das schon lange versuchen zu beobachten und zu dokumentieren, dass diese Menschenrechtsverstöße dort systematisch vorkommen.
    "Großteil der Verstöße findet in Donezk und Lugansk statt"
    Büüsker: Es gibt diese Folter durchaus auf beiden Seiten. Haben die Regierungen sowohl in Kiew als auch in Moskau gar kein Interesse daran, das in irgendeiner Art und Weise zu verhindern?
    Harms: Ich würde sagen, man sollte mal bei dem bleiben, was ich beim ersten Durchsehen des Berichtes gefunden habe, auch bei OSZE-Berichten, und was auch im Korrespondentenbericht von Frau Adler gesagt worden ist. Der weitaus größere Teil der Verstöße, die vielen Foltergefängnisse, das findet in diesen sogenannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk statt, und daran sind russische Geheimdienstler und Soldaten nach Zeugenaussagen beteiligt.
    Man darf nicht vernachlässigen die Menschenrechtsverstöße auch in der Ukraine. Wir tun das auch nicht. Wir haben aber auf die Ukraine und auf die Behörden in der Ukraine andere Einflussmöglichkeiten als auf diese Milizionäre und Kriminellen im Donbass.
    Büüsker: Ist da dann auch die Bundesregierung gefordert, auf die Ukraine Druck auszuüben, diese Taten aufzuklären?
    Harms: Die Ukraine - und das ist, finde ich, jetzt mal eine Frage, der man nachgehen muss - ist ja im Prinzip immer noch für dieses Territorium zuständig, hat aber keinen wirklichen Zugang. Wer auch immer was anderes behauptet, in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk, aus denen diese furchtbaren Horrorgeschichten jetzt wieder berichtet werden, da herrscht ein von Russland systematisch unterstütztes Regime, und dieses Regime, das setzt sich zusammen aus Milizionären, unterstützt auch von offiziellen Kräften Russlands.
    "Zivilisten sind immer wieder Folteropfer geworden"
    Büüsker: Das klingt jetzt insgesamt sehr ausweglos, wenn ich mir auch die Situation der Menschen vor Ort vorstelle. Wir haben gehört, es waren auch viele Zivilisten, die Folteropfer geworden sind. Wie können wir denn diesen Menschen helfen?
    Harms: Zivilisten sind immer wieder Folteropfer geworden. Jeder wird sich an das furchtbare Bild einer Frau aus Donezk erinnern, die an einen Laternenpfahl gebunden worden ist von den Milizionären und die dort bespuckt und geschlagen worden ist und ein furchtbares Schild um den Hals hängen hatte. Die stand dort an einem Schandmal. Die Frau ist befreit worden so wie auch andere, und ich glaube, das Wichtigste ist jetzt erst mal, dass man diesen Informationen nachgeht.
    Und wie gesagt: Auf ukrainischer Seite haben wir als Europäische Union ganz andere Druckmöglichkeiten. Die russische Seite, die den Krieg im Osten ja von Anfang an unterstützt hat und den auch gegen die Demokratisierung der Ukraine eröffnet hat, um da zu stören, die hat in der Erfüllung des Minsker Abkommens noch nie das geliefert, was sie unterschrieben hatte, wozu sie sich in Minsk bekannt hatte, und mit dieser russischen Seite muss auf der Grundlage dieses Berichts neu geredet werden.
    "Mit einer robusten Blauhelm-Mission an der Demarkationslinie die Seiten trennen"
    Büüsker: Das heißt, von einem wirklichen Friedensprozess kann im Moment überhaupt nicht gesprochen werden?
    Harms: Es wird täglich geschossen. Die OSZE-Beobachter melden immer wieder Schießereien. Es gibt immer wieder Tote, immer wieder auch sterben Zivilisten oder werden Zivilisten verwundet. Ich kann an der Stelle nur daran erinnern, dass ich schon zu Beginn der OSZE-Mission in der Ukraine gesagt habe, dass ich glaube, dass man nur weiterkommt, wenn man mit einer robusten Blauhelm-Mission da an der Demarkationslinie die Seiten trennt, und ich fühle mich, gemessen an den Berichten, die regelmäßig kommen, darin eigentlich immer bestätigt. Allerdings ist das auch eine Forderung, von der wir nicht wissen, auch wenn die Ukrainer sie immer unterstützt haben, wie wir sie verwirklichen sollen.
    Büüsker: … sagt Rebecca Harms, Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Frau Harms, vielen Dank für das Gespräch heute Mittag hier im Deutschlandfunk.
    Harms: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.