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Grüner Gesundheitspolitiker plädiert für Therapiefreiheit

Vor dem Hintergrund des in Ulm tagenden Ärztetages hat sich der Gesundheits-Experte von Bündnis90/Die Grünen, Harald Terpe, grundsätzlich für eine Therapiefreiheit der Mediziner ausgesprochen. Darüber hinaus forderte er einen höheren Steuerzuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung.

Moderation: Elke Durak |
    Durak: In Ulm hat am Vormittag der so genannte Ärztetag begonnen. Das ist eine Art Vollversammlung von Ärztevertretern aus ganz Deutschland, eine Versammlung mit politischen Botschaften - in diesem Jahr erst recht. Die Mediziner wollen vor allem, dass die Gesundheitspolitik in Teilen, aber grundsätzlich geändert wird, und sie wollen auch höhere Honorare. Das will die Politik so einfach nicht hinnehmen und schon gar nicht Ulla Schmidt, die resolute Gesundheitsministerin aus der SPD. Sie hat schon öfter auf Ärztetagen gesprochen und ist weniger gefährdet, angesichts des Widerstandes der Ärzte und vor allem ihrer Art, dies an die Frau zu bringen, in Tränen auszubrechen. Die Tränen kommen könnten aber viele Patienten in Deutschland, die sich angesichts der Kürzungsdebatten bange fragen: Bekomme ich beim Arzt eigentlich was ich brauche, oder bekomme ich das nicht mehr? Kann ich mir Gesundheit auch künftig noch leisten, wenn man den Diskussionen zwischen beiden Seiten so zuhört. Der Präsident der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe hat heute Morgen hier im Deutschlandfunk auf Probleme für das Arzt-Patienten-Verhältnis hingewiesen, wenn die politischen und vor allem finanziellen Rahmenbedingungen nicht eindeutig geklärt sind.

    Hoppe: "Denn Patienten, die zum Arzt oder zur Ärztin kommen, betrachten diese Person als ihren Partner und wenn der dann erst mal ankommen muss und sagt, das will ich zwar sein, aber in der und der und der Frage geht das nicht, weil das im System nicht vorgesehen ist, dann wird der Patient skeptisch. Man müsste diese Fragen dann vorher öffentlich diskutieren und vermitteln, dass das System nicht mehr alles bezahlen kann, was möglich ist in der heutigen Medizin, damit die Diskussion aus der individuellen Patient-Arzt-Beziehung herausgehalten wird."

    Durak: Und den Ball zurück gibt die Bundesgesundheitsministerin, die schon die Ärzte in der Verantwortung sieht zu entscheiden, was medizinisch notwendig ist und was nicht. Ulla Schmidt, ebenfalls heute Morgen hier im Deutschlandfunk:

    Schmidt: "Das was medizinisch notwendig ist, dafür haben wir Ärzte und Ärztinnen. Die Politik oder die politisch Verantwortlichen haben den Rahmen festgelegt, zum Beispiel dass Prävention, Rehabilitation dazu gehört, die Arzneimittelversorgung, die stationäre Versorgung und auch die ambulante Versorgung. Was wir müssen - und da hätte ich gerne auch die Ärzte an meiner Seite -, man muss konsequent immer wieder überprüfen: fließt eigentlich jeder Euro, den die Versicherten zahlen, auch zielgenau dahin, wo er hinkommen muss."

    Durak: Mitgehört hat und am Telefon ist Dr. Harald Terpe. Er ist Mitglied des Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen und Obmann seiner Fraktion im Gesundheitsausschuss. Außerdem ist er Facharzt für Pathologie in Mecklenburg-Vorpommern (in Rostock). Guten Tag Herr Terpe!

    Harald Terpe: Guten Tag Frau Durak.

    Durak: Wer soll denn nun entscheiden Ihrer Meinung nach, was der Patient braucht? Der Arzt oder die Politik oder der Gesundheitsrat, der in der Diskussion ist?

    Terpe: Im Grundsatz muss es weiterhin die Therapiefreiheit der Ärzte geben. Das heißt also im Grunde muss der einzelne Arzt in der Lage sein zu entscheiden, wie er den Patienten behandelt. Das ist auch notwendig glaube ich für das vertrauensvolle Zusammenwirken von Arzt und Patient, also damit auch für den Gesundungsprozess des Patienten. Wir haben - und das kommt ja bei den politischen Diskussionen meines Erachtens nach immer nur verschleiert herüber - natürlich in Deutschland mit dem Leistungskatalog eine politische Entscheidung gefällt dafür, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Leistungskatalog bezahlt wird. Damit sind einige oder ein Teil der Leistungen, die nicht im Leistungskatalog aufgeführt sind, nicht refinanzierungsmöglich. Das ist klar. Sie haben dann zum Schluss noch auf den Gesundheitsrat hingewiesen. Das ist ja eine aktuelle Forderung der deutschen Ärzteschaft jetzt in Ulm mit dem "Ulmer Papier", wo die Hoffnung besteht, dass über so einen Gesundheitsrat die Leitlinien für die zukünftige Gesundheitspolitik im Vorfeld transparent diskutiert werden.

    Durak: Der Gesundheitsrat soll sich zusammensetzen aus Ärzten und Politikern. Was haben Politiker für medizinische Kenntnisse - abgesehen jetzt von Ihnen zum Beispiel?

    Terpe: Es ist tatsächlich so, dass es relativ wenig Politiker gibt, die gleichzeitig auch medizinische Kenntnisse haben. Es ist ja so, dass eines der Konfliktthemen natürlich die Frage in der Gesellschaft ist, können wir in Zukunft sozusagen alles, was technisch, medizinisch, innovatorisch möglich ist, auch finanzieren. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, diese Frage kann ich gar nicht genau beantworten. Ich könnte Ihnen gar keine Antwort geben, ob ich glaube, dass das finanzierbar ist oder nicht.

    Durak: Weil?

    Terpe: Weil das im Grunde von so vielen Einflussfaktoren abhängig ist, zum Beispiel von der Frage, wie wir aktuell die Prävention in der Gesellschaft stärken. Denn wir wissen ganz genau: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Gesundheitsförderung und Prävention und der Frage, ob man beispielsweise bei fortschreitendem Alter sehr krank wird oder nur ein bisschen krank. Davon hängen ja auch die Kosten in der Zukunft ab. Es gibt also verschiedene Einflussfaktoren, die steuern würden, wie viel uns das Gesundheitssystem in der Zukunft kostet.

    Durak: In der von Ihnen erwähnten Ulmer Erklärung, die ja vorab schon in Auszügen auf dem Tisch liegt, die Ulmer Erklärung des Ärztetages, wird davon gesprochen, dass die an sich notwendige medizinische Versorgung nicht mehr allen Patienten zur Verfügung gestellt werden kann - es wird also ein Tatbestand festgestellt -, weil es Leistungsbeschränkungen gebe - das haben Sie angesprochen -, Rationierungen, Wartelisten und Unterversorgung. Das sind doch ganz klare Gründe oder Ursachen, die man beseitigen könnte?

    Terpe: Ja. Da gibt es zum einen natürlich die Frage, ob die Finanzierungsgrundlagen des heutigen GKV-Systems ausreichend sind.

    Durak: Gesetzliche Krankenversicherung!

    Terpe: Wir wissen ja noch aus dem letzten Wahlkampf zum Bundestag, dass der Wahlkampf eigentlich im Gesundheitssektor davon bestimmt war, dass versprochen wurde, die Finanzierungsgrundlagen des GKV-Systems auf eine sichere Zukunftsgrundlage zu stellen. Davon kann ja bisher überhaupt gar keine Rede sein, denn es ist an der Finanzierung, nämlich der Umlagefinanzierung nur die Abhängigkeit sozialversicherungspflichtiger Leistungen von der Lohnsumme geblieben und soll sich ja auch in dieser Legislaturperiode in keiner Weise ändern. Das ist weder sachgerecht, was die Finanzierung betrifft, weil das GKV-System beispielsweise ja auch eine ganze Menge von Fremdleistungen erbringt.

    Durak: Die gestrichen werden müssten?

    Terpe: Die durch andere Finanzierungsmöglichkeiten erschlossen werden müssten.

    Durak: Können Sie ein Beispiel geben?

    Terpe: Beispielsweise teilweise durch Steuerfinanzierung. Ich persönlich und die Grünen ja auch sind der Meinung, dass auch die Einnahmebasis in der GKV verbreitert werden muss. Das heißt im Grunde halten die Einnahmen nicht mehr mit den Ausgaben mit.

    Durak: Was muss den weg? Ein kurzes Beispiel noch!

    Terpe: Das habe ich jetzt nicht verstanden. Was meinen Sie, was weg muss?

    Durak: Sie sagten es gibt Möglichkeiten, Leistungen zu streichen, die nicht in die gesetzliche Krankenversicherung hingehören.

    Terpe: Das habe ich nicht gesagt!

    Durak: Dann habe ich Sie falsch verstanden.

    Terpe: Ja. - Ich habe gesagt, dass es eine Reihe von versicherungsfremden Leistungen sind, die durch das GKV-System finanziert werden, wo man sagen kann, da müssen zum Beispiel mehr Steuergelder reingehen. Wir hatten ja auch mal Entscheidungen gefällt in der Politik, einen höheren Steuerzuschuss zu zahlen. Der ist ja in dieser Legislaturperiode zunächst erst mal gestrichen worden mit der vagen Ankündigung, ihn in der Zukunft wieder aufzubauen - beispielsweise für die Versicherung der Kindergesundheit.

    Durak: Das wird in der Diskussion bleiben zwischen Ärzten und Politikern. Danke Harald Terpe für Ihre Meinung, Mitglied des Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen, Obmann seiner Fraktion im Gesundheitsausschuss und selbst Arzt in Rostock. Danke!