Donnerstag, 16. Mai 2024

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Grützner: Selbstverpflichtung der Telekommunikationsbranche besteht

Jürgen Grützner vom Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten hat davor gewarnt, aus der möglichen Straftat eines Einzelnen auf die gesamte Branche zu schließen. Zehn Jahre lang habe es keine Sicherheitsprobleme gegeben. Grützner räumte ein, dass das Krisentreffen im Bundesinnenministerium ein guter Anlass sei, um über Verbesserungen bei der Verschlüsselung von Daten zu beraten.

Moderation: Sandra Schulz | 02.06.2008
    Schulz: In der Bespitzelungsaffäre bei der Telekom gehen die Ermittlungen weiter. Tief blicken ließen allerdings die Äußerungen des früheren Vorstandsvorsitzenden Kai-Uwe Ricke, mit denen ihn die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" gestern zitierte. Danach habe er zwar die Konzernsicherheit beauftragt, die Quellen von Indiskretionen zu suchen und abzustellen. Gleichzeitig verwahre er sich aber gegen den Verdacht, er habe die angewandten kriminellen Methoden gebilligt oder gar angeordnet. So die Zeitung weiter. Für heute hat Bundesinnenminister Schäuble die Telekommunikationskonzerne zu einem Gespräch eingeladen, um über eine Selbstverpflichtung der Branche zum Datenschutz zu beraten.

    Wir bleiben beim Thema. Dem Innenminister für heute nicht abgesagt hat Jürgen Grützner vom Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten, der mehr als 70 Telekommunikationsunternehmen vertritt. Und den begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Grützner: Einen schönen guten Morgen!

    Schulz: Herr Grützner, die Initiative ist ja von Bundesinnenminister Schäuble ausgegangen. Haben Sie Beratungsbedarf?

    Grützner: Das werden wir sehen. Wir müssen ganz sauber und ordentlich prüfen, was hier eigentlich vorgefallen ist. Wenn es dann Lücken geben sollte, wenn es Verbesserungsmöglichkeiten gibt - es gibt meistens Verbesserungsmöglichkeiten -, dann ist das sicherlich ein guter Anlass, über solche Verbesserungen zu sprechen. Ich glaube, dass aber eine Selbstverpflichtung, so wie sie Herr Schäuble hier vorgeschlagen hat, uns wirklich nicht sehr viel weiter bringt.

    Schulz: Wie sicher sind die Daten bei den Unternehmen, die Sie vertreten, Herr Grützner?

    Grützner: Wir haben seit zehn Jahren einen liberalisierten Markt. Alle Unternehmen werden lizenziert von der Bundesnetzagentur, müssen ihr Sicherheitskonzept also der Bundesnetzagentur vorstellen. Das wird in wichtigen Fällen und bei großen Unternehmen jährlich kontrolliert. Änderungen müssen angemeldet werden. Es hat hier seit zehn Jahren keine Probleme gegeben. Es wird dann allerdings sich nicht vermeiden lassen, dass man in gefährliche Situationen kommt, wenn es sich bewahrheiten sollte, dass ein Vorstand hier Anordnungen trifft und Sicherheitssysteme außer Kraft setzt. Dann können die Sicherheitssysteme noch so gut sein; wenn der Chef sie außer Kraft setzt, dann diskutieren wir an der falschen Stelle.

    Schulz: Hat die Branche ein Sicherheitsproblem oder die Telekom?

    Grützner: Das werden wir heute sehen, ob es ein Sicherheitsproblem gibt. Wir haben zehn Jahre lang kein Sicherheitsproblem in diesem Sinne gehabt. Wir können aus dem Vorgang, aus einer strafbaren Handlung eines Einzelnen oder mehrerer, die sogar gemeinschaftlich hier Sicherheit außer Kraft gesetzt haben, nicht auf eine Branche schließen.

    Schulz: Das heißt Sie schließen es aus, dass es ähnliche Meldungen gibt bei Telekom-Konkurrenten?

    Grützner: Ich kann an dieser Stelle überhaupt nichts ausschließen. Ich sage Ihnen, dass wir zehn Jahre keine Probleme hatten, und das ist eine sehr, sehr gutes Ergebnis.

    Schulz: Warum sind Sie dann gegen eine Selbstverpflichtungserklärung, wenn es doch auch um vertrauensbildende Maßnahmen geht?

    Grützner: Wir sind selbstverpflichtet!

    Schulz: Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar will ja, dass die Daten verschlüsselt beim Telekommunikationsunternehmen liegen und der Schlüssel bei einem Unabhängigen hinterlegt wird. Was spricht dagegen, sich auf so eine Sicherheitsverfahrensordnung zu einigen?

    Grützner: Das ist auch eine gute Idee, aber sie haben immer Schnittstellen vom Unternehmen zu der speichernden Dienststelle, Behörde oder wie man das auch immer nennt. Genau an diesen Schnittstellen kann natürlich zugegriffen werden. Irgendwo werden diese Daten generiert. Wenn ich kriminelle Energie einsetze, dann werde ich mich genau an den Stellen in das System einloggen, die eben vorhanden sind. Ohne diese Schnittstellen und ohne den Faktor Mensch geht es nicht. Dort wo der Mensch völlig versagt, dort kann nur das Strafrecht helfen, nicht aber Technik und irgendwelche komplizierten Vorgaben.

    Schulz: Sie vertreten ja die Konkurrenten der Telekom. Welche Vorteile ziehen Sie eigentlich aus der Bespitzelungsaffäre?

    Grützner: Ich glaube das gibt keine Vorteile. Ich glaube wir müssen den Bürgern klar machen, dass ihre Daten sicher sind, und ich bin mir sicher, dass die Wettbewerbsunternehmen, die zum Teil sehr viel kleinere Unternehmen sind als die Deutsche Telekom, genau wissen, dass ein solcher Skandal eigentlich für sie der Tod wäre. Hier ist man vielleicht bei der Deutschen Telekom als sehr großem Ex-Monopolisten etwas unvorsichtiger umgegangen. Das kann man aber jetzt noch nicht hier absehen. Für die Wettbewerber kann ich Ihnen jedenfalls versichern, dass dort die Datensicherheit und der Schutz der Kundendaten ganz weit oben steht.

    Schulz: Sie haben Kritik an dem Treffen heute geübt. In welchem Fall wäre die Begegnung heute ein Erfolg?

    Grützner: Ich glaube es ist der falsche Zungenschlag, wenn man die Wettbewerber einbestellt und mit ihnen über Lösungen sprechen will. Ich gebe zu bedenken, dass die Deutsche Telekom immerhin noch zu einem großen Teil in Staatseigentum steht.

    Schulz: 15 Prozent!

    Grützner: Hier hätte also gerade staatlich die Möglichkeit bestanden, rechtzeitig Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen, wenn man dies wollte. Ich glaube man muss hier nicht die Wettbewerber einbestellen, um hier zu solchen Gesprächen zu kommen.

    Schulz: Warum gehen Sie dann überhaupt hin?

    Grützner: Weil es ein guter Anlass ist und wir werden uns nicht wegen eines Wortes oder wegen einer sehr schwierigen Situation, in der sich jetzt alle Unternehmen hier befinden, hier solchen Gesprächen verschließen.

    Schulz: Es gibt ja neuen Streit über die Vorratsdatenspeicherung. Ist das ein Anlass, mit dem Bundesinnenminister darüber noch mal zu sprechen?

    Grützner: Ja, ganz sicherlich. Wenn wir ein halbes Jahr lang Daten speichern, dann werden tausendfach mehr Daten gesammelt, als dies vor einem halben Jahr noch der Fall war. Das erhöht die Gefährdung. Das haben wir dem Innenminister gesagt. Und es gibt bis heute nicht einmal abschließende Regelungen des Bundes, wie die Schnittstellen zum Beispiel aussehen sollen. Das heißt gerade der Fall, den Sie ansprachen, wie diese Daten behandelt werden, wie sie an den Bund übergeben werden und wer dafür letztlich zahlt, das ist seit zwei Jahren nicht geklärt und hierauf haben wir immer wieder hingewiesen. Da besteht Handlungsbedarf bei der Bundesregierung.

    Schulz: Wenn das alles noch nicht geklärt ist, warum ziehen die Telekommunikationsunternehmen denn da überhaupt mit und geben die Daten raus, die jetzt nach der Vorratsdatenspeicherung zu speichern sind?

    Grützner: Ja, natürlich geben wir die Daten raus. Wenn hier Gefahr im Verzug ist, wenn Kinder entführt sind, wenn es um Straftaten geht, dann müssen wir so handeln und dann kommt es nicht darauf an, ob wir hierfür eine Entschädigung erhalten oder nicht. Dann muss hier gehandelt werden und das tun wir.

    Schulz: Die Vorratsdatenspeicherung gilt jetzt seit Anfang des Jahres. Wie viele Abfragen hat es gegeben?

    Grützner: Das ist von Unternehmen zu Unternehmen extrem unterschiedlich. Bei den Mobilfunkern fallen recht viele Abfragen an. Bei Unternehmen, die nur Geschäftskunden haben, fallen meistens gar keine Anfragen an. Trotzdem sind die Kosten bei den Unternehmen ähnlich hoch und ähnlich groß und das ist ein Problem für die Unternehmen und das sollte auch gelöst werden.

    Schulz: Das heißt es geht Ihnen um die Kosten?

    Grützner: Ja, natürlich! Es geht um Kosten und es geht darum, dass die Bedarfsträger - so heißen Polizeidienststellen und andere Dienststellen, die auf die Daten zugreifen - wissen, dass es etwas kostet, denn die Erfahrung aus Österreich zeigt, dass sich dort die Abfragen sofort auf ein Viertel reduziert haben, als man zumindest einen gewissen Kostenanteil den Behörden hier auferlegt hat und das ganze nicht wie ein Selbstbedienungsladen aussieht.

    Schulz: Jürgen Grützner vom Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten. Haben Sie vielen Dank!

    Grützner: Ich danke Ihnen.