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Grundeinkommen
Arbeiten am Traum der solidarischen Gesellschaft

1.000 Euro, jeden Monat einfach so bekommen - und das für jeden Bürger. Das ist die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Immer mal wieder wurde über diese Idee diskutiert, der 30-jährige Jungunternehmer Michael Bohmeyer probiert es aus. Per Crowdfunding sammelt er Geld - und verlost ein Grundeinkommen.

Von Manfred Götzke | 18.09.2015
    Eine faltige Hand hält eine Geldbörse, aus der Scheine ragen.
    1.000 Euro einfach so, für jeden. Könnte das gut gehen? (Karl-Josef Hildenbrand /dpa)
    In Adidas-Shorts und grünem T-Shirt tapert Michael Bohmeyer über Rigipsplatten und Zementsäcke. Der Vorraum des neuen Großraumbüros von "Mein Grundeinkommen" ist noch eine Baustelle. Vor einem Jahr hat der 30-jährige Jungunternehmer den Verein gegründet, um seine Mitmenschen aus der Bevormundung, aus Knechtschaft und Hörigkeit zu befreien. Jetzt sind sie in eine Etage eines ehemaligen Postlagers gezogen, zusammen mit der NGO Flüchtlinge Willkommen.
    Seine Mitarbeiter sitzen schon zum wöchentlichen Teammeeting am neuen Eichenholz-Konferenztisch. Mit dabei: Johannes Ponader, ehemaliger Geschäftsführer der Piratenpartei, zwei Informatiker und eine PR-Frau. Jeder hat einen mehr oder weniger voll geklebten Applelaptop vor sich.
    "Wie sind sie dazu gekommen sich mit dem Thema Grundeinkommen zu beschäftigen?"
    "Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die solidarischer miteinander sein kann, wo es Freiräume gibt, wo der Mensch nicht unter Ökonomisierungsdruck steht. Und ich sehe das Grundeinkommen als wunderbares Mittel, um da hin zu kommen. Den Menschen zu sagen, du brauchst Geld zum Leben, deswegen hast du hier Geld zum Leben. Und weil du ein Mensch bist, kannst du ein anständiges Leben führen, und wir vertrauen dir, dass das, was du damit tust, sinnvoll für dich und damit auch für die Gesellschaft ist."
    Politik ausprobierbar machen
    Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens geistert seit acht, neun Jahren durch den politischen Raum. Fast alle Parteien haben Konzepte erstellt, Ökonomen haben sie durchgerechnet. Bohmeyer aber ist der erste in Deutschland, der es ausprobiert. Im kleinen Rahmen jedenfalls. Seit genau einem Jahr sammeln er und seine Mitstreiter per Crowdfunding Geld. Sobald 12.000 Euro zusammen sind, verlosen sie ein Grundeinkommen für ein Jahr.
    "Mein erster Internetkommentar war, eher friert die Hölle zu, als das Leute 12.000 Euro für jemand anderes Crowdfunden. Die Hölle ist nicht zugefroren, stattdessen war nach drei Wochen das erste Grundeinkommen zusammen. Mittlerweile haben 20.000 Menschen gespendet, 4.000 geben regelmäßig Geld. Es gibt 'ne totale Lust daran, zu experimentieren und mit unserem Projekt Politik ausprobierbar zu machen und einfach mal loszulegen."
    Dass sein Experiment nicht repräsentativ ist, weiß der Kommunikationswissenschaftler natürlich selbst. Aber darum geht es ihm auch gar nicht. "Erst einmal wollen wir einen Dialog herstellen. Ich glaube, es ist noch viel zu früh, es in den klassischen politischen Diskurs zu tragen, wir müssen noch gar nicht über Steuersysteme oder Finanzierungsmöglichkeiten reden, wir wollen gesellschaftlich darüber reden: Was gönnen wir uns selbst und was gönnen wir unseren Mitmenschen."
    "Das stellt die Machtfrage"
    14 Menschen beziehen Bohmeyers Grundeinkommen inzwischen. Ein Gewinner hat seinen Job im Callcenter aufgegeben, um eine Ausbildung zum Erzieher zu machen. In einer Familie mit drei Kindern hat die Mutter ihr Studium wiederaufgenommen. Der Vater kümmert sich derweil um die Kinder, arbeitet weniger. Viele leben und arbeiten aber weiter wie bisher. Schließlich gibt’s das Geld nur für ein Jahr. Das wäre bei einem bundesweiten Grundeinkommen was anderes, meint Bohmeyer. Vor allem der Niedriglohnsektor würde sich verändern.
    "Das stellt natürlich auch die Machtfrage, weil: Ich muss dann Jobs nicht mehr annehmen, die schlecht bezahlt werden, die müssen dann besser bezahlt werden oder automatisiert werden. Und ich kann was Sinnvolleres in meiner Zeit machen. Ich mach mir gar keine Sorgen, dass dann am ersten Tag niemand mehr arbeiten geht, weil die Leute ja eine so hohe Identifikation haben mit ihren Jobs."
    "Du machst das fertig? Ja, sicher?" Amira Jehida, die PR-Frau des Vereins leitet streng durch die diversen Tagesordnungspunkte. Es muss schnell gehen. Bohmeyer hat vergessen, dass er seine Tochter abholen muss - er hat in zwei Stunden Kinderdienst. Er kippelt mit seinem Stuhl, tippt hektisch in sein Handy, in der Besprechung hält er sich zurück. Er wirkt wie ein schüchterner Student, ein Träumer. Dabei ist Bohmeyer eigentlich ein Selfmademan.
    Auf einmal voller Mut und Tatendrang
    "Ich hab vor acht Jahren einen Versandhandel gegründet, nach ein paar Jahren bin ich da ausgestiegen, bin da immer noch Anteilseigner und bekomme da 1.000 Euro Gewinnausschüttung jeden Monat."
    "Wie hat sich denn Ihr Leben verändert, seit sie diese Art Grundeinkommen beziehen?"
    "Ich bin da erst mal in ein ganz schönes Loch gefallen und wusste gar nichts mit mir anzufangen, bis ich irgendwann gemerkt hab, Moment mal, ich kann mich ja entspannen, dieses Geld wird bleiben. Und dann begann bei mir ein spannender Prozess. Auf einmal war ich voller Mut und Tatendrang und hab angefangen, neue Geschäftsideen zu haben und hab "Mein Grundeinkommen" gegründet. Nur weil ich jetzt dieses Arbeits- und Einkommensverhältnis entknüpft habe, hat sich viel in meinem Leben auch emotional bewegt, dass ich gespannt bin, ob es anderen Menschen auch so geht."
    Das Teammeeting ist fast zu Ende. Die vier hauptberuflichen Grundeinkommens-Aktivisten besprechen noch kurz ihre nächsten Projekte. Es soll nicht bei der monatlichen Verlosung von Grundeinkommen bleiben. Als nächstes haben sie sich Hartz 4 vorgenommen. Es soll bedingungslos werden - für ein paar Auserwählte. Per Crowdfunding natürlich.