Welter: Wenn Sie bedenken und hinterfragen, wie Sie es ausdrücken, kommen Sie dann zu anderen Resultaten, als man das zu Ende des 19. Jahrhunderts kam?
Lepik: Ende des 19. Jahrhunderts war die Entwicklung geprägt vor allen Dingen von der schnellen Bereitstellung von Büroräumen auf engem Platz, in Chikago, oder auch in New York. Das waren zunächst rein ökonomische Gesichtspunkte, die den Wolkenkratzer so haben wachsen lassen, die hohen Kosten für die Grundstücke und daneben der wachsende Bürobedarf. Man denkt heute daran, dass es sich zum Ende des 19. Jahrhundert von der industrielle Epoche immer mehr auf eine administrative Epoche im 20. Jahrhundert entwickelt hat und dadurch die Funktionen der Verwaltung immer stärker geworden sind. Jede große Firma, ob jetzt in Amerika oder eben dann auch in Europa und heute in Asien, sucht in diesem Wolkenkratzer nicht nur eine ökonomische Befriedigung, durch die Platzfunktion, die sie erfüllen, sondern eben auch als eine Repräsentationsfigur.
Welter: Als Symbol der Macht?
Lepik: Genau, als Symbol der Macht, als Symbol der wirtschaftlichen oder der politischen oder sonstigen Bedeutung, die man damit einfach durch pure Höhe darstellen kann.
Welter: Aber man mag von der Erfolgsgeschichte des Hochhauses nicht mehr so gerne sprechen, seit das World Trade Center am 11. September 2001 zerstört wurde. Sind nicht auch für Sie Hochhäuser seither etwas Bedrohliches, etwas Instabiles geworden?
Lepik: Ich glaube, dass das mit den Wolkenkratzern ein ähnlicher Fall ist, wie vielleicht mit den Flugzeugen, mit der Entwicklung der Flugzeuge. Als die ersten großen Flugzeugunfälle passierten, gab es ja auch diese allgemeine Panik und Angst, dass vielleicht dieses Verkehrsmittel zu unsicher sei. Und so ähnlich war es ja eigentlich auch immer mit den Wolkenkratzern, dass man geglaubt hat, sie seien eventuell gefährlich. Natürlich hat der 11. September ein starkes Nachdenken gebracht, über die Frage, wie es weitergehen kann, ob die Stabilität, ob die Sicherheit auch in der Zukunft gewährleistet werden kann. Aber ich denke, es wird so ähnlich sein, wie mit dem Flugverkehr. Hochhäuser sind eine Funktion in unserem städtischen Leben geworden, die gar nicht mehr wegzudenken ist gerade in dieser zunehmenden Verdichtung von Städten in Asien, in denen es gar keine andere Lösung mehr geben kann als Hochhausbauten.
Welter: Und das, was in Manhattan entstehen soll, der Freedom Tower - heute ist die Grundsteinlegung - ist das für Sie etwas Funktionales oder ist das ein Symbol für das, was da geschehen ist, also eher ein politisches Symbol?
Lepik: Der Freedom Tower ist natürlich in ersten Linie ein patriotisches, politisches Symbol. Ein Hochhaus an dieser Stelle wird immer ein Symbol sein für das, was vorher da gestanden hat, also die Twin Towers, das World Trade Center. Die ganze Entwicklung, die jetzt auf diese Grundsteinlegung hingeführt hat, war ja vor allen Dingen getragen von dieser symbolhaften Idee, an diese Stelle etwas zu bauen, was vielleicht auch wieder New York, Manhattan, in die öffentliche Diskussion bringen kann mit Architektur. Denn das möchte ich auch noch mal unterstreichen, gerade in den letzten zehn Jahren hat sich ja die Entwicklung des Wolkenkratzers ganz nach Asien verlagert. Amerika versucht jetzt mit diesem Projekt wieder den Anschluss zu finden und auch wieder in der Weltöffentlichkeit mit einem solchen Hochhaus Bedeutung zurück zu holen.
Welter: Gefällt Ihnen eine solche Übermacht der Symbole? Daniel Libeskind hat ja die patriotische Klaviatur zu spielen verstanden und vermutlich deshalb auch den Zuschlag bekommen. Er hat 1776 Fuß gewählt für die Höhe, das Jahr der Unabhängigkeitserklärung. Grundsteinlegung ist heute am Tag der amerikanischen Unabhängigkeit, 4. Juli. Ist eine Übermacht der Symbole in diesem Fall so angebracht?
Lepik: Das war doch das Erstaunliche an dieser ganzen Planungsgeschichte für den Neubau, dass am Anfang nach dem Schock des 11. September eigentlich alle gedacht haben, es darf hier gar kein Hochhaus mehr entstehen, es dürfen keine Symbole mehr errichtet werden, die dann wieder zu einer Zerstörung führen könnten. Das im Lauf dieser Planung, durch die ganzen Befragungen auch der Öffentlichkeit und dann vielleicht auch durch den Einfluss von Libeskind hier ein ganz starkes Umkehren in der öffentlichen Meinung entstanden ist und man doch wieder auf dieses Symbolhafte hingesteuert hat - das ist vielleicht das Erstaunlichste an diesem Wettbewerb und vielleicht auch das beinahe Frustrierende, denn nun kehrt sich das Ganze genau dahin zurück, wo eigentlich die Zerstörung begonnen hat.
Welter: Hätten Sie sich etwas anderes gewünscht?
Lepik: Ich glaube, in dem zweiten Wettbewerb - es sind ja insgesamt drei Stufen gewesen - bei dem auch Richard Meier und Norman Foster und andere dabei waren, gab es schon architektonisch sehr interessante Entwürfe, die vielleicht sich hätten besser weiterentwickeln lassen als der Entwurf von Libeskind.
Welter: Ist das etwas schlicht, was jetzt geschieht?
Lepik: Es ist sehr schlicht, weil die Ideen von Libeskind - man kann sie finden, wie man mag - sind jetzt zurückgestuft worden, zurückgestutzt auf ein reines Investorenbedürfnisse. Das, was Mister Silverstein eben braucht, sind eine Million Quadratmeter Büroraum an dieser Stelle. Dafür gibt er sein Geld, und er gibt es eben nicht so gerne für architektonische Höchstleistungen, sondern er braucht Büroraum. Dafür war Libeskind am Anfang der Richtige, um das Zugpferd zu geben, mit diesen ganzen Ideen, und nun wird alles zurückgestuft auf etwas, was eigentlich durch Skidmore, Owings & Merrill, SOM, und David Childs, den jetzigen Architekten, auf ein brauchbares Maß gebracht wird. Damit ist aber auch der Ideengehalt verloren.
Welter: Aber offenbar hat der Pächter Silverstein auch nicht daran glauben wollen, dass Libeskind so hoch und auch sicher bauen kann.
Lepik: Silverstein möchte natürlich schnell seine Kosten wieder hereinbekommen. Er ist ein Investor, der nicht die Menschheit mit Ideen beglücken will, sondern er will sein Geld verdienen, und dafür war Libeskind für ihn natürlich der falsche Architekt. Libeskind hat ja bis heute kein Hochhaus errichtet. Er hat keine Erfahrung, während SOM seid 20, 30 Jahren fast nichts anderes tut, als Hochhäuser zu bauen. Von daher war die Entscheidung des Pächters natürlich die richtige.
Welter: Über diesen speziellen Anlass hinaus, welche Zukunft hat der Bautyp Hochhaus aus Ihrer Sicht?
Lepik: Ich glaube, er wird in der Zukunft noch sehr viele Lösungen bieten, gerade durch die Flexibilisierung der Ideen, die jetzt in den letzten Jahren eingetreten ist. Denken Sie mal an die europäischen Hochhäuser von Norman Foster etwa oder von Renzo Piano, der jetzt auch immer neue Aspekte hineinbringt. Denken Sie auch an die ganzen ökologischen Aspekte, die jetzt einfließen. Es gibt in Asien noch immer mehr Wohnhochhäuser. Ich glaube, diese Idee des Wolkenkratzers als reines Bürohochhaus, das wird sich immer mehr verlagern in Richtung einer Diversifizierung. Es wird mehr Typologien des Hochhauses geben, als das reine symbolhafte Supermegarekordhochhaus.