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Grundstückspoker in Garmisch-Partenkirchen

München will 2018 die Olympischen Spiele ausrichten. In einem Jahr soll es den Zuschlag geben. Doch die Olympia-Befürworter haben ihre Rechnung ohne die Bauern aus Garmisch-Partenkirchen gemacht.

Von Michael Watzke | 05.08.2010
    "Wir Landsleit, Werdenfelser Buam. Wir binden uns ein Sträußlein und stecken es uns ans Hütlein, so leben wir Landsleit, Werdenfelser Buam."

    Bäuerin Veronika Bartl singt das Werdenfelser Heimatlied. Werdenfelser - so nennt sich der Menschenschlag am Fuße der Zugspitze. In den letzten Monaten ist sei es ihr besonders ans Herz gewachsen, sagt die Partenkirchnerin.

    "Meine Familie ist seit 1633 auf dem Hof. Wir sind also sozusagen Generationen, die das schon machen. Das, was ich von meinen Ur-Ur-Urgroßeltern gekriegt hab, kriege ich jetzt von meinen Eltern wieder und möchte es eigentlich an meinen Sohn wieder weitergeben."

    Bartls 26-jähriger Sohn hilft der Mutter bei der Bewirtschaftung des geraniengeschmückten Hofes mitten in Partenkirchen. Zehn Stück Vieh hält Veronika Bartl. Keine normalen Milchkühe, sondern Werdenfelser. Kühe mit Charakter, erklärt Bartl:

    "Die Werdenfelser Kühe sind genauso stur wie wir. Die haben ein Durchsetzungsvermögen, und die haben einen Stand, aber auch eine Leichtigkeit wie ein Hirsch. Drum sind sie in der Alm droben. Wenn dort Gämsen rumspringen, kann unsere Kuh noch mithalten."

    Von zehn Stück Vieh kann man nicht leben. Veronika Bartl arbeitet zusätzlich im Garmischer Krankenhaus. Geld ist ihr nicht wichtig, sagt sie. Deshalb wird sie ihr Land nicht für Olympia hergeben:

    "Ich hab das letzte Wort gesprochen. Und der Satz, den ich immer wieder sage: "Wenn ich gewusst hätt', dass meine Kuh Gras frisst, dann hätte ich meinen Acker nicht geteert." Ich kann’s nicht hergeben, weil sonst kann ich das andere nicht weitermachen. Auch wenn mir die versprechen, ich würde es wieder so zurückkriegen. Wenn ich einen Regenwald abholze, wie es gerade geschieht, dann kann man den nicht wieder herstellen. Der ist einfach weg."

    Ohne das Grundstück von Veronika Bartl aber kommt die Olympiabewerbung nicht aus. Zumindest nicht nach den bisherigen Planungen. Veronika Bartl besitzt 260 Hektar Land, das entspricht der Größe von rund 500 Fußballplätzen. Die Olympiagesellschaft bräuchte davon etwa die Hälfte der Fläche. Insgesamt braucht sie 78 Grundstücke, 58 davon will sie pachten und 20 kaufen. Bisher, heißt es aus dem Gemeinderat, haben lediglich zwei Eigentümer zugesagt.

    "Ich sollte einen Blanko-Vertrag unterschreiben, ohne zu wissen, was da eigentlich passiert. Zuerst hieß es, ein Parkplatz, dann vielleicht eine Straße, dann konnte es plötzlich vielleicht nur ein Zeltplatz sein, und dann konnte auch ein Haus draufstehen. Ich weiß am Ende gar nicht, was passiert. Mittlerweile bin ich so enttäuscht durch dieses ganze Geldgemache, es geht nicht mehr um die Sportler, es geht wirklich nur noch ums Geld."

    Geld spielt tatsächlich eine wichtige Rolle: Zwischen 50 Cent und 1,50 Euro Pachtgebühr pro Quadratmeter soll die Olympia GmbH den Eigentümern geboten haben. Vielen Bauern ist das zu wenig. Veronika Bartl ist es gleichgültig vollkommen egal. Auch vor Enteignung hat sie keine Angst. Artikel 14 des Grundgesetzes verbietet es, den Landwirten ihr Eigentum einfach so zu entwenden. Und anders als ein Flughafen oder eine Bundesautobahn sind Olympische Spiele nicht von nationalem Interesse.

    Auf dem Festplatz in Garmisch zieht der Volkstrachtenverein feierlich ins Bierzelt. Frauen in grünweißen Dirndln, Männer in braunen Lederhosen. An den festlichen Gewändern kann man die Einwohner der Bindestrich-Marktgemeinde unterscheiden. Garmischer tragen weiße Pfosen, so heißen die gestrickten Wadenwärmer. Partenkirchner Pfosen sind grau. Früher saßen die Einwohner der beiden Ortsteile meist getrennt in den Bierbänken. Doch die Olympia-Diskussion hat in Garmisch-Partenkirchen neue Allianzen geschmiedet. In Ja- und Nein-Sager. Max Wank, Gemeinderat der CSU, fragt sich, welches Lager größer ist:

    "Also im November war ich mir ziemlich sicher, dass die Mehrheit der Bürger hinter der Idee "Olympische Spiele in Garmisch-Partenkirchen" steht. Ich bin mir nicht mehr sicher, bin aber dennoch überzeugt, dass man die Bürger fragen sollte. Denn das ist Demokratie."

    Die CSU hatte schon im vergangenen November ein Ratsbegehren beantragt. Der Gemeinderat lehnte das ab, aber Wank kämpft weiter dafür: Die rund 20.000 wahlberechtigten Bürger sollen in einem Bürgerbegehren für oder gegen Olympia abstimmen:

    "Dann geht man auch im Gemeinderat viel sicherer mit Entscheidungen um. So wie es geplant war und lange unterm Deckel gehalten wurde, war es eben aus unserer Sicht nicht vernünftig. Weil für uns der Flächenverbrauch zu groß ist und weil wir überhaupt keine Zahlen haben, wie uns die finanzielle Situation dann einholen wird."

    Beides, der Flächenverbrauch und die Finanzierung, sind nun Teil der Gespräche mit dem Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, CSU-Minister Siegfried Schneider. Gerüchteweise soll sogar Ministerpräsident Seehofer höchstpersönliche Einzelgespräche mit den Bauern führen. Plan A der Staatsregierung sieht ein weitläufiges Olympisches Dorf hinter dem alten Eisstadion vor. Wenn die dafür erforderlichen Grundstücke nicht zu bekommen sind, soll Plan B umgesetzt werden: Das Dorf soll dann dichter gedrängt und höher werden. Der Vorteil beider Pläne: Nach Olympia 2018 könnte dort ein Kongresshotel entstehen. Die Gegner fürchten, beide Pläne könnten das Ortsbild der Gemeinde dauerhaft schädigen. Garmisch-Partenkirchen würde seinen dörflichen Charakter verlieren. Die Staatsregierung will die Verhandlungen bis Ende August abgeschlossen haben. Ein Bürgerbegehren dagegen würde Monate dauern.