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Gruner & Jahr trennt sich von Berliner Zeitung und Kurier

    Meurer: So bedeutend das Fernsehen auch sein mag, politische Themen in Deutschland, Meinungen, Stimmungen werden eher von den Zeitungen gesetzt und geprägt. Der Aufmacher in der FAZ, der Leitartikel in der Süddeutschen Zeitung, sie können den Nachrichtentag entscheidend bestimmen. In die deutsche Zeitungslandschaft ist seit gestern erneut Bewegung gekommen. Der Gruner&Jahr-Verlag, Teil des Bertelsmannkonzerns, will seine beiden Berliner Zeitungen, Berliner Zeitung und Kurier verkaufen und sich auch von anderen Regionalzeitungen trennen. Käufer in Berlin soll der Holzbrinck-Verlag sein. In ihm erscheint bereits der Berliner Tagesspiegel und die Wochenzeitung Die Zeit in Hamburg. Am Telefon Ulrich Pätzold, Professor für Journalistik an der Universität Dortmund. Guten Morgen, Herr Pätzold.

    Pätzold: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Warum verkauft Gruner&Jahr seine Zeitungen?

    Pätzold: Ja, warum verkauft er? Zunächst einmal geht es wohl darum, dass in der Tat die großen Pläne von Gruner&Jahr, nämlich von Berlin aus eine überregionale Zeitung aufzubauen, gescheitert sind. Da ist einfach eine völlig falsche Markteinschätzung die Ursache, nämlich der Markt der überregionalen Zeitungen. Die Berliner Zeitung ist eine Qualitätszeitung, eine sehr gute Zeitung, aber sie ist eine Zeitung mit sehr hohen Verlusten.

    Meurer: Woher kommen die hohen Verluste?

    Pätzold: Die Verluste kommen in erster Linie daher, dass anders als andere Zeitungen Gruner&Jahr tatsächlich in die Redaktion, in die Qualität der Zeitung sehr viel investiert hat und eben diese sehr hohen und hochtrabenden Pläne hatte, über die Grenzen hinaus mit der Zeitung einen neuen Markt erschließen zu können. Das ist ein sehr teures Unternehmen geworden, und der Verlag hat sich - das muss man jetzt einfach so sagen - gründlich übernommen und verschätzt. Nicht dass das Geld nicht da wäre, aber offensichtlich ist Bertelsmann und Gruner&Jahr nicht mehr bereit, weiter diese Verluste zu tragen und weiterzuentwickeln.

    Meurer: Welche Rolle spielt es, dass nach dem 11. September das Anzeigengeschäft zusammengebrochen oder deutlich reduziert ist?

    Pätzold: Na ja, zusammengebrochen ist es nicht. Wir sind ungefähr auf dem Niveau von 1999. 2000 war ein exorbitant gutes Anzeigenjahr. Aber in der Tat haben alle Zeitungen im Augenblick eine große Anzeigenkrise - übrigens die erste wirklich durchschlagende Krise der langen, langen Nachkriegszeit -, und das kommt verschärfend jetzt dazu und deswegen der Zeitpunkt wohl auch. Wir gucken im Augenblick nach Berlin, weil es die großen Verlage sind, Gruner&Jahr und Holzbrinck, aber wir hatten ähnliche Entwicklungen überall auf dem Zeitungsmarkt.

    Meurer: Wenn wir kurz in Berlin bleiben. Was bedeutet es für die Meinungsvielfalt in der Hauptstadt, wenn der Tagesspiegel und die Berliner Zeitung aus eine Hand erscheinen?

    Pätzold: Also, ich bin mir noch nicht so sicher, dass das, was im Augenblick die Nachricht ist, nämlich, dass die beiden zusammen gehen - und damit hat man ja die Vorstellung, dass nur noch eine Zeitung übrigbleibt -, so über den Deich gehen wird. Das Ganze muss jetzt erst einmal ins Kartellamt und das Kartellamt hat sich schon früher öfter mit diesem Fall Gruner&Jahr und Holzbrinck in Berlin beschäftigt, da es auch früher schon einmal solche Pläne gegeben hat. Wenn es denn eine Zustimmung seitens des Kartellamtes geben sollte, dann mit Sicherheit unter Auflagen. Ich denke, dass die Kartellamtsauflage mit Sicherheit lauten wird, dass die Selbstständigkeit der Redaktion beider Zeitungen erhalten bleiben muss.

    Meurer: Wenn beispielsweise Anzeigengeschäft, Vertrieb, Zustellung, usw. zusammengeworfen wird und die Redaktionen getrennt werden, können Sie damit aus der Sicht von Meinungsvielfalt leben?

    Pätzold: Erfahrungsgemäß ist es immer so, dass zunächst einmal, wenn in den wirtschaftlichen Bereichen als Anzeigenvertrieb die Kooperation gesucht und realisiert wird, dann mit einer gewissen Zeitverzögerung auch eben die Redaktionen dran sind, das heißt also, dass dann die publizistische Vielfalt Schaden nimmt. Das ist leider in der Geschichte immer so gewesen und warum sollte das dann in Berlin anders laufen? Aber ich denke, unter allen schlimmen Lösungen, die man sich vorstellen kann, wäre dieses immer noch die publizistisch und damit politisch befriedigenste Lösung.

    Meurer: Was kommt Ihrer Ansicht nach auf die Presselandschaft in Deutschland in der nächsten Zeit zu?

    Pätzold: Eine massive Konzentratinswelle wie wir sie seit den 70-er Jahren nicht wieder erlebt haben. Das kann man jetzt schon in vielen, vielen Einzelheiten sehen. In dieser Situation halte ich es seitens der Politik für überhaupt gar nicht sinnvoll, darüber zu diskutieren, die kartellrechtlichen Bestimmungen zu lockern, wie es vor kurzem der Bundeskanzler angedeutet hat.

    Meurer: Der Bundeskanzler und die Bundesregierung begründet das damit, dass die kleinen Verlage in den Regionen sonst einfach wirtschaftlich zusammenbrechen.

    Pätzold: Die Begründung ist richtig, aber das ist zunächst einmal ein Argument, das natürlich aus dem Verleger-Lager so kommen muss. Es gibt mit Sicherheit eine Vielzahl an kartellrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, und bevor man ein Gesetz oder das Kartellrecht ändert, sollte man diese Gestaltungsmöglichkeiten in den Vordergrund der Diskussion stellen. Wir haben ja aus der Pressegeschichte Beispiele, die einigermaßen doch zu vernünftigen Ergebnissen geführt haben, selbst in so großen Zeitungsgruppen wie die der Tageszeitungen hier im Ruhrgebiet. Also, ich denke, man sollte nicht vorzeitig an das Gesetz gehen, sondern zunächst einmal die Spielräume im gegebenen Gesetz voll auskosten.

    Meurer: Zur möglichen Pressekonzentration in Deutschland am Beispiel des Berliner Zeitungsmarkts sprach ich mit Ulrich Pätzold, Professor für Journalistik an der Universität Dortmung. Herr Pätzold, ich danke Ihnen herzlich und auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio