Montag, 29. April 2024

Archiv

Günter Erbe: "Der moderne Dandy"
Typologie des Dandy-Phänomens

Günter Erbe klassifiziert in seinem neuen Buch die Spezies "Dandy" - der Geschmacksrebell, der die ästhetischen Maßstäbe einer Epoche überprüft, verfeinert und dabei stets die eigene Existenz in die Waagschale wirft. Der klassische Vertreter lebte im 19. Jahrhundert - heute ist seine Reinform verschwunden.

Von Barbara Sichtermann | 07.04.2017
    David Bowie 1974 bei einem Konzert in London: Er galt als großer Verwandlungskünstler.
    Künstler David Bowie war ein "moderner" Dandy (imago/LFI)
    Er bevorzugt die raffinierte Einfachheit, den unauffälligen Chic. Er ist stets Gentleman, zuweilen mit einer Prise Extravaganz. Er ist die Figur, die den Connaisseur durch seine Eleganz erfreut, die Menge durch seinen Witz verblüfft und die Welt durch seine Existenz überrascht. Sein Aufstieg fällt in die Epoche nach der französischen Revolution, als der Platz des obersten Geschmacksrichters in Sachen Mode, gute Manieren und feine Tafel zu verwaisen drohte. Diesen Thron bestieg der Dandy.
    George Brummell hieß in England der junge Beau, der Anfang des 19. Jahrhunderts den Glanz der vornehmen Erscheinung neu aufleuchten ließ. Ihm ähnlich war darin am Ende des Jahrhunderts der Ire Oscar Wilde, der es zu weltweiter Berühmtheit als Theaterdichter und Verfasser spitzer Aperçus brachte. Eines davon heißt: "Nur der Schein trügt nicht."
    Ein klassischer Dandy arbeitet nicht
    Ein Dandy war meist unpolitisch und homo- oder bisexuell, sein Narzissmus stark ausgeprägt und sein Wunsch zu gefallen nur durch das Bedürfnis gebändigt, es sich dabei keineswegs leicht zu machen. Bei klassischen Dandys dauerte die morgendliche Zeremonie des Ankleidens – möglichst mit Hilfe eines Kammerdieners – bis zu drei Stunden.
    Was der Autor Günter Erbe, Erforscher des Dandyismus, immer wieder betont, ist, dass ein Dandy nicht arbeitet. Er hält sich von den Lebenswegen des gemeinen Mannes fern, übt keinen Beruf aus, pfeift auf die Konvention und heult nie mit den Wölfen. Was seine Distanz zum Leben als Mühe und Arbeit betrifft, so ist er ein Nachfahre des müßigen Aristokraten.
    Aber auch ein Dandy braucht Brot und Butter, er ist also entweder von Geburt an begütert oder findet Gönner, die ihm sein Lebenswerk finanzieren. Und dieses Werk ist er selbst, sein duftender Körper im Schutz einer ausgesuchten, niemals modischen, stets perfekten Garderobe, ist seine Lebensführung, in der Genuss und ästhetische Selbsterfahrung im Mittelpunkt stehen, ist sein blitzender Geist, den an Schlagfertigkeit und federleichter Ironie so leicht niemand in einer Gesprächsrunde übertrifft.
    Leben für die Schönheit
    George Brummell war nicht von Adel, aber er fand Bewunderer, die in das Kunstwerk, das der Beau selbst war und an dem er unermüdlich feilte, investierten. Oscar Wilde kam auch aus dem Bürgertum, er schrieb für die Bühne und kam so zu Geld – Arbeit im schweißtreibenden Sinne war das aber nicht.
    Es gab etliche Dandys, die Einkommen als Dichter bezogen wie etwa Gabriele d'Annunzio, Hugo Ball oder Eugen Gottlob Winkler, es gab andere, die als Fotografen hervortraten wie Cecil Beaton oder als Modemacher wie in unserer Zeit Karl Lagerfeld. Aber Arbeit als schnöder Erwerb und bloßes Mittel zum Zweck lag ihnen allen fern. Es ging und geht ihnen darum, ihr Alleinstellungsmerkmal, nämlich Stil, Charme, Noblesse und souverän-spielerische Selbstinszenierung der auf Konformität zielenden Massenkultur entgegenzusetzen.
    Gabriele d'Annunzio
    Dichter und Dandy Gabriele d'Annunzio (picture alliance / dpa / Bifab)
    Manche Dandys waren ihr Leben lang verschuldet, andere sanken nach den Jugendjahren ins Vergessen, so manch einer wählte, wie der 1912 geborene deutsche Dandy Eugen Gottlob Winkler, den Freitod. Sein kurzes Leben weihte er der Schönheit. "Es sind die Zeichen des Luxus, die der Umwelt bedeuten sollen, mit wem sie es zu tun haben. Winkler hatte zu dieser Art, sich in Szene zu setzen, ein völlig unbekümmertes Verhältnis. Er wusste um seine Anziehungskraft. Er sah gut aus, war raffiniert herausgeputzt, besaß vollendete Manieren und war feinnervig bis in die Fingerspitzen – wie sollte dieser junge Mann, ein Geistesaristokrat von besonderen Graden, der zudem noch den Doktortitel trug, in den besten Kreisen der Gesellschaft nicht seinen Weg machen?"
    Gern auch mal als Faulpelz gelten
    Aber es klappte nicht, der junge Lebenskünstler wollte keinen Brotberuf ergreifen und war meist klamm. Und wenn er zu Geld kam, gab er es sofort mit wachsender Begeisterung für gänzlich überflüssige schöne Dinge aus. Er handelte wie viele Dandys, die, sofern sie mittellos waren, immer zugleich die Kunst der Hochstapelei beherrschen mussten. Günter Erbe über Winkler:
    "Die Verstellungskunst gehört zum Wesen des Dandys. Winkler beherrschte diese Methode so virtuos, dass er einige Jahre in den Kreisen der Münchner Bohème Furore machte. Er präsentierte sich in diesem Milieu weniger als ein Mann von Geist, ausgestattet mit außerordentlichen literarischen Fähigkeiten, sondern als ein mondäner Müßiggänger. Einer Freundin gestand er: 'Ich möchte lieber die Maske des weltgewandten fainéant mit aller Liebenswürdigkeit zur Schau tragen, als mir öffentlich und bei jeder Gelegenheit den geistigen Umtrieb von der Stirne ablesen zu lassen.'"
    Rebellion gegen Konformität
    Das ist ein weiterer hervorstechender Charakterzug des Dandys: Understatement. Selbstbewusst nimmt er eine Abseitsposition ein, die irgendwann unmerklich Mittelpunkt wird. Die Maske als Versteck und Medium der Vieldeutigkeit ist von der Lebensphilosophie des Dandys nicht zu trennen. Er gehört zu jenen Totgesagten, die länger leben, weil er sich immer wieder neu erfindet. Heute hat er es besonders schwer, denn die Kultur des Massenkonsums tut so, als könne jeder ein Dandy sein. Das trifft natürlich nicht zu.
    Erbes Buch bietet eine dem Thema angemessen elegant geschriebene Typologie des variantenreichen Dandy-Phänomens, wobei er den klassischen Vertreter des 19. Jahrhunderts von späteren Nachfolgern wie etwa Karl Lagerfeld oder David Bowie unterscheidet. Sein Fazit: Der Dandy rebelliert auch heute gegen den Massengeschmack, die Konformität und Gleichmacherei im Ästhetischen. Aber seine Reinform, wie sie einst durch Beau Brummell oder Lord Byron verkörpert wurde, ist mit deren Zeit versunken.
    Günter Erbe "Der moderne Dandy"
    Böhlau Verlag Köln, 350 Seiten, 29,99 Euro