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Günther Anders. Philosophieren im Zeitalter der technologischen Revolutionen.

Trends und Moden verschonen selbst Philosophen nicht - seien diese nun notorische Ketzer oder Heilsverkünder gewesen. Der Stern des Maschinenstürmers und Atombombenphilosophen Anders begann spätestens zu dem Zeitpunkt zu verglühen, da der Kommunismus abgedankt hatte, der kalte Krieg beendet war und die nukleare Bedrohung aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verschwinden begann. Die jüngsten Katastrophen jedoch -gedacht nur an Tschernobyl oder den 11. September 2001 in den USA - scheinen dieser Kassandra und ihrer Apokalyptik Recht zu geben. Was wäre in einer Angstgesellschaft, plötzlich wieder sensibilisiert für die Gefahr von Attacken durch ABC-Waffen, antiquierter als das Prinzip Hoffnung? Gleichwohl bestimmte letzteres das politische Engagement des Günther Anders, der sich selbst als "Feuerwehrmann" begriff, wenn es galt, vor dem Genozid durch Kernspaltung zu warnen.

Bernd Mattheus |
    Alles prädestinierte Anders für eine regelrechte akademische Laufbahn. 1902 als Günther Sigmund Stern in Breslau geboren, ging er als Sohn der Psychologen Clara und William Stern, in seiner Eigenschaft als kindliches Studienobjekt, früh in die Forschungsliteratur ein: Person und Sache war das Buch des Vaters betitelt, womit dieser die personalistische Psychologie begründen sollte. Der Titel klingt wie eine Themenvorgabe für den Sohn.

    Anders studiert bei Cassirer und Panofsky Philosophie und Kunstgeschichte, schließlich in Freiburg bei Heidegger und Husserl, bei dem er im Alter von 21 Jahren promoviert. Der Versuch jedoch, sich mit einer Abhandlung zur Musikrezeption bei Paul Tillich zu habilitieren, scheitert 1929. Der junge Philosoph, inzwischen mit Hannah Arendt verehelicht, lässt sich 1930 in Berlin nieder, wo er regelmäßig für den Börsen-Courier schreibt. Von diesem Moment an wählt er sich 'Anders' als Pseudonym, mehr vielleicht: als eine im Namen mitschwingende Selbstverpflichtung, Nonkonformismus, Anders-Sein zu leben und stets ein kritisches 'Aber' zu artikulieren? Der Nationalsozialismus zwingt den Juden 1933 zur Emigration nach Paris. Im Gegensatz zu Walter Benjamin gelingt ihm drei Jahre darauf die Weiterflucht in die USA, wo er sich zeitweise als Fabrikarbeiter durchschlagen muss, selbst wenn er mit anderen Emigranten wie Brecht, Thomas Mann, Alfred Döblin, Marcuse oder Adorno verkehrt und für die Zeitschrift für Sozialforschung rezensiert.

    Bevor es zur Veröffentlichung seines Hauptwerks kam, Die Antiquiertheit des Menschen, 1956, war Anders 1950 nach Europa zurückgekehrt und hatte diverse Lehrstuhlangebote - sowohl von ostdeutscher als auch von westdeutscher Seite - abgelehnt.

    In seiner kompakten Studie über Anders' Philosophieren bemüht sich Liessmann, die Linien von der frühen negativen Anthropologie nachzuzeichnen, die dann in der These von der Antiquiertheit des Menschen gipfeln. Was Anders zum Nihilisten, zumindest zum unheilbaren Skeptiker hätte disponieren können, verkehrt sich unter den historischen Ereignissen des Jahres 45 zu einer engagierten Philosophie. Mit dem Atombombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki sowie den in den Nürnberger Prozessen verhandelten millionenfachen Tötungen in den Konzentrationslagern vollzieht er gleichsam einen Paradigmenwechsel vom

    'Mensch ohne Welt' zur 'Welt ohne Mensch'.! Diese "philosophische Anthropologie im Zeitalter der Technokratie" entzündet sich also an den Tragödien von Auschwitz und Hiroshima. Die Antiquiertheit des Menschen verweist ganz allgemein auf die Diskrepanz Mensch/technologisches Universum, die Kluft zwischen Homo sapiens und seinen technischen Erfindungen, die Anders als prometheisches Gefälle zwischen "Gerät" und "Leib", "Machen" und "Vorstellen", "Tun" und "Fühlen" bezeichnet./^Am Fließband hatte er leibhaftig erfahren, was Automation bedeutet. "Man glaubt kein Ende, man sieht kein Ende -der Fortschrittsbegriff hat uns apokalypseblind gemacht." Im Stil seiner "Übertreibungen in Richtung Wahrheit" zugespitzt formuliert: die Technik sei zum "Subjekt der Geschichte" in der "Volksgemeinschaft der Apparate" gewordenl Barbarei ist für Anders die unmittelbare Konsequenz der Technokratie: sei es die "fabrikmäßige Liquidierung von Menschenmassen" in allen Lagern der Welt, sei es das nicht minder sadistische Verdampfen, Verstrahlen, Verstümmeln hunderttausender japanischer Zivilisten durch die Atombombe. Es sind dies nur zwei Beispiele für "Leichenherstellung" im Großmaßstab, die sich dem (psychologischen Gesetz verdanken, daß dem Einzelnen das Töten um so leichter fallt, je größer sein Abstand zum Opfer ist, d.h. je unsichtbarer und somit abstrakter für den Täter die subjektiven Qualen des jeweiligen ,Menschenmaterials' sind. Bisher haben Konventionen verhindere chemische oder bakterielle Massenvernichtungswaffen in Kriegen zum Einsatz kamen - andererseits weist nichts darauf hin, dass die Militärs einschlägige Forschungen eingestellt hätten. Mit Hiroshima und Nagasaki beginnt insofern eine neue Zeitrechnung, als die Fähigkeit der Menschheit, sich selbst auszulöschen, demonstriert wurde. Führte die Die Antiquiertheit des Menschen 1956 noch die "Seele" im Untertitel, so wird im 1980 erschienenen Folgeband die "Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen 'Revolution' prognostiziert. Nicht mehr steht nur die gewissermaßen narzisstische Kränkung des Mängelwesens Mensch durch vermeintlich perfekte Technik zur Debatte. Genforscher wie auch Informatiker scheinen daran zu arbeiten - unter dem Vorwand, das Auslaufmodell zu optimieren -, die Spezies Mensch überflüssig werden zu lassen. Für Anders birgt die Emanzipation des homo faber zum homo creator die Gefahr seiner Selbstabschaltung. Die harte, apokalyptische Variante erblickte er im künstlich produzierten Element Plutonium -jedes Kernkraftwerk galt ihm als potentielle Atombombe. In der Entzifferung des menschlichen Genoms und in der Folge davon: der Genmanipulation und dem Klonieren, wollte er die weiche Variante sehen, den Menschen zum Rohstoff für die Produktion neuartiger Produkte oder Produktionsmittel" zu degradieren. Wenn wir die Welt als eine "auszubeutende Mine" behandeln, könnte in Analogie dazu, schreibt er, die Frage nach dem Wesen des Menschen, "wenn der Mensch als Rohstoff ad libitum benutzt werden würde, vollends sinnlos werden".

    Die polemischen Äußerungen dieses Ketzers zu den Medien Fotografie, Radio und Femsehen } verstehen sich fast von selbst, konditionieren sie doch unser Verhalten maßgeblich. "Nachrichten" werden von Anders als camouflierte Urteile, Wertungen entlarvt, im noch jungen Femsehen komme die Welt lediglich als "Phantom und Matritze" vor. Jean Baudrillard wird dies als Simulation denunzieren. Anders revidiert gelegentlich sein Urteil -insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen der Vietnam-Kriegsbericht-Dokumentationen. Fatalerweise aber hat das Diktum "im Anfang war die Sendung, für sie geschieht die Welt", bei manchen Formaten nichts an Gültigkeit eingebüßt.

    Als der Vielgeehrte 1992 in Wien starb, verstummte ein streitbarer Moralist und Fortschrittskritiker vom Rang eines Erwin Chargaff, Guido Ceronetti oder E.M. Cioran. Er hatte als Frage formuliert, was gewiss seine Lebensmaxime war: "Sollte Leben - Nonkonformismus sein?

    Zum Vorteil für den Leser stellt Konrad Paul Liessmann nicht allein Anders' Leben und Werk dar, sondern überträgt dessen Themen in unsere technologisch hochgerüstete Gegenwart.