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Guerillakrieg im Irak

Heuer: Eine Reihe von Selbstmordanschlägen hat gestern die irakische Hauptstadt erschüttert. 43 Menschen kamen bis heute früh ums Leben, mindestens 200 wurden verletzt. Ein Ziel der Attentate war das Büro des internationalen Komitees vom Roten Kreuz in der irakischen Hauptstadt. Wer steckt hinter der Anschlagserie im Irak? Darüber möchte ich jetzt mit Rolf Tophoven sprechen, Chef des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik in Essen. Guten Morgen, Herr Tophoven.

    Tophoven: Guten Morgen, Frau Heuer.

    Heuer: Wer, glauben Sie, steckt dahinter?

    Tophoven: Das Bild des Terrors im Irak, wie es uns derzeit präsentiert wird, dominieren nicht so sehr hierarchisch aufgebaute Gruppierungen, sondern es sind vielmehr amorphe und nicht hierarchische Strukturen, die von daher auch von der Besatzungsmacht schwer zu bekämpfen sind. Derzeit, so würde ich es einmal sehen, operiert eine Art Internationale des militanten islamistischen Terrors in Bagdad und Umgebung. Die Selbstmordattentate, der modus operandi der jüngsten, von Ihnen zitierten Terroranschläge sind vielmehr Teil eines globalen, heiligen Krieges militanter Islamisten, die sich die Vertreibung der Besatzungstruppen aus Irak zum Ziel gesetzt haben.

    Heuer: Was für Gruppen sind denn das, Herr Tophoven?

    Tophoven: Diese Gruppen sind konkret ehemalige Anhänger der Baath Partei Saddam Husseins. Es sind alte Saddam Anhänger, die über ein immenses Arsenal an Waffen verfügen, an Handfeuerwaffen, an Sturmgewehren, an Sprengmaterial, an Panzerfäusten. Es sind einige hunderte Veteranen des Afghanistankrieges, es sind El-Kaida-Männer, die über Syrien, Iran, Jemen, Saudi Arabien in den Irak geströmt sind, dort die Guerillafront gegen die Amerikaner und ihre Verbündeten aufbauen, es sind Terrorprofis der pro-iranischen Hisbollah aus dem Libanon. Diese terroristische Gemengelage ist sozusagen der Brandbeschleuniger für die Eskalation der innenpolitischen Gewalt im Irak und wir haben, Frau Heuer, seit Wochen auf libanesischen Internetseiten den Aufruf von der Entsendung lebender Bomben nach Irak. Darunter gibt es auch palästinensische Gruppierungen aus dem Libanon unter Führung des Fatah-Kommandeurs Munir Al Makdah.

    Heuer: Herr Tophoven, aber eine Anschlagsserie, wie die, die wir gestern erlebt haben, die spricht ja für einen hohen Organisationsgrad der Attentäter. Sie sagen, die verschiedenen Gruppen, die Sie nennen, würden nicht koordiniert. Wie kann so etwas überhaupt funktionieren? Oder gibt es da doch einen geheimen Kopf?

    Tophoven: Wir müssen angesichts der Eskalation und der Multifunktionalität des modus operandi mehr und mehr davon ausgehen, dass es zwar keine hierarchische Zentrale, kein Oberkommando für diese Art des Terrors gibt, wohl aber eine interne Absprache diverser Gruppen, darunter verstehe ich Kommando A unterstützt Kommando B, Kommando B unterstützt C. Wenn wir die Dimension des Anschlages mit hunderten Kilogramm von Sprengstoff uns betrachten, dann erinnert das sehr stark an die Handschrift von Selbstmordprofis aus dem Nahen und Mittleren Osten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass wir bereits 1983 einen schweren Bombenanschlag gegen das Hauptquartier der amerikanischen Marines in Beirut hatten.

    Heuer: Herr Tophoven, jetzt lassen Sie uns aber nicht zurückblicken, weil uns die Zeit sonst wegrennt. Woher haben die Attentäter die vielen Waffen eigentlich?

    Tophoven: Die Armee des Irak ist ja sehr schnell besiegt worden ohne großen Widerstand. Es gibt Tausende und Millionen Handfeuerwaffen, die im Untergrund versteckt sind. Die Männer beispielsweise der so genannten Revolutionären Garden von Saddam Hussein wissen, wo diese Verstecke sind. Die Amerikaner haben mangelhafte nachrichtendienstliche Aufklärung, die CIA ist nicht vorbereitet auf die Nachkriegsära im Irak, man hat Schwierigkeiten hier geheimdienstliche Informationen zu bekommen, um diese Nester auszuheben. Die Männer, die jetzt einströmen wissen natürlich dieses Handwerkszeug des Krieges zu handhaben und sie wissen, wie man den so genannten Heiligen Krieg führt. Und selbst die Amerikaner müssen ja zugeben, dass wir heute eine Art Guerillakrieg im Irak haben. Und wenn man dieses Eingeständnis schon macht, dann konzediert man natürlich den Terroristen und Guerillas, dass sie ein mehr als ernst zu nehmender Gegner sind.

    Heuer: Was sollen die USA denn jetzt tun? Können zum Beispiel kurzfristig die Sicherheitsmaßnahmen im Irak verschärft werden?

    Tophoven: Es müssen so bald wie möglich humanitäre und infrastrukturelle Probleme im Irak gelöst werden. Die Versorgung muss hundertprozentig hergestellt werden, es muss das Wasser hundertprozentig fließen. Die Elektrizität im Lande muss funktionieren, es müssen Versorgungsengpässe behoben werden. Aber, ich sehe hier derzeit auch eine mangelnde, klare Definition einer amerikanischen Rückzugsstrategie. Es fehlen, wie gesagt, langfristige politische Konzepte, die schnell umgesetzt werden können. Und je länger die Besatzungsmacht täglich das Feindbild für die Guerillas liefert, umso ärger, so befürchte ich, wird der Terror in den kommenden Wochen und Monaten zunehmen.

    Heuer: Kurze Frage zum Schluss. Sie sind also für einen baldigen Rückzug der Amerikaner und dafür, dass die Iraker die Regierungsverantwortung rasch selbst in die Hand bekommen?

    Tophoven: Die Strategie einer westlichen Besatzungsmacht im Nahen Osten, in einem arabisch-muslimischen Land muss eh und immer dieses Ziel haben. Ich erinnere hier, in diesem Zusammenhang, an die bittere Erfahrung der Israelis, die, wie man weiß, jahrelang im Libanon waren, doch bittere Lehren ziehen mussten und das sollte den Amerikaner erspart bleiben, zumal sie engste Berater aus Israel haben, die ihnen immer wieder sagen, macht die Sache politisch stabil, so schnell wie möglich, und zieht euch dann zurück.

    Heuer: Rolf Tophoven, der Leiter des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik heute früh im Deutschlandfunk. Danke, Herr Tophoven, und auch Ihnen einen schönen Tag.

    Tophoven: Dankeschön, auf Wiedersehen.