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Gustave Flaubert: "Drei Geschichten"
Bizarre Heiligenlegenden

Gustave Flauberts letztes zu Lebzeiten veröffentlichtes Buch handelt von drei Heiligenlegenden, die in drei verschiedenen Epochen des Christentums angesiedelt sind. Es hält Schockeffekte und Transzendenzerfahrungen bereit und eröffnet einen neuen Blick auf Flauberts literarisches Opus.

Von Ursula März | 05.11.2017
    Zeitgenössische Zeichnung des französischen Dichters. Flaubert wurde am 12. Dezember 1821 in Rouen geboren und starb am 8. Mai 1880 in Croisset bei Rouen. Seinen literarischen Durchbruch erlangte er mit dem Roman "Madame Bovary" (1857).
    Zeitgenössische Zeichnung des französischen Dichters Gustave Flaubert (dpa / picture alliance / Kultur)
    "Er hieß Loulou. Sein Leib war grün, die Spitzen seiner Flügel rosa, seine Stirn blau und seine Kehle golden".
    Tiere finden sich in der Literaturgeschichte en masse, mit einem eigenen Wikipedia-Eintrag jedoch wenige. Diesem Vogel wurde sogar ein ganzer Roman gewidmet. Der englische Schriftsteller Julian Barnes hat ihn 1984 verfasst, er heißt, wie auch der Wikipedia-Eintrag, "Flauberts Papagei". Denn ein ausgestopfter Papagei stand als Anschauungsobjekt auf dem Schreibtisch Gustave Flauberts, als er im Jahr 1876 die Erzählung "Ein schlichtes Herz" schrieb und, wie üblich, mit jedem Satz und jeder Silbe rang. Der Perfektionist literarischer Schönheit brauchte für eine Prosaseite nicht einen Tag, sondern eine Woche – im Glücksfall. Unerbittlich war er auch in der Genauigkeit der Darstellung. Worüber er schrieb, das musste er gesehen oder in ausgiebigen, enzyklopädischen Studien erforscht haben. Deshalb nahm ein ausgestopfter Papagei auf seinem Schreibtisch Platz. Ein solcher spielt in der Erzählung "Ein schlichtes Herz" eine zentrale Rolle. Er kommt eines Tages in das Haus der verwitweten Madame Aubain, die aber keinen Gefallen an ihm findet.
    "Doch er hatte die lästige Schrulle, an seiner Stange zu nagen, riss sich die Federn aus, verstreute seinen Kot, spritzte mit dem Wasser seiner Badewanne; Madame Aubin, die er verdross, schenkte ihn für immer und ewig Félicité."
    Sie, die Dienstmagd Félicité, ist die Hauptfigur der Erzählung. Ein Mensch von schlichtestem Gemüt, ganz und gar ungebildetem Verstand und minimalen Ansprüchen. Ein Mensch, dessen Leben so ereignislos verläuft, als wäre es nicht gelebt, sondern nur verweilt worden. Als junge Frau kommt Félicité in das Haus von Madame Aubain - und damit ist über die Existenz der Dienstmagd fast schon alles gesagt. Sie opfert sich für andere auf. Zäsuren ihres statischen Daseins sind einzig mehrere Trauerfälle, die ihr das Herz brechen. Ihr Neffe kommt in den karibischen Kolonien ums Leben, kurz darauf stirbt die junge Tochter von Madame Aubain. Dann aber schenkt der Zufall Félicité den grünen Papagei.
    "Sie fing an, ihn zu unterrichten; bald schon wiederholte er: 'Reizender Junge! Gehorsamster Diener, Monsieur! Gegrüßet seist du, Maria!' Sein Platz war neben der Tür, und manch einer wunderte sich, dass er nicht auf den Namen Jacquot hörte, denn alle Papageien hießen Jacquot. Man verglich ihn mit einer Pute, mit einem Klotz: lauter Dolchstöße für Félicité!"
    Denn die Dienerin mit dem geringen Verstand, für deren Seele "das Übernatürliche etwas ganz Einfaches war", ist vernarrt in das Tier. Mehr und mehr geht die Vernarrtheit über in religiöse Anbetung des mittlerweile verstorbenen und ausgestopften Papageis, womit sich der theologische Kontext der Erzählung eröffnet.
    "Mit Hilfe eines Brettchens wurde Loulou auf dem Kamin installiert, der ein wenig vorsprang in den Raum. Jeden Morgen beim Aufwachen erblickte sie ihn im Dämmerlicht und erinnerte sich sogleich der entschwundenen Tage und belangloser Handlungen bis hinein in ihre kleinsten Einzelheiten, ohne Schmerz, erfüllt von allergrößter Ruhe. Da sie mit niemandem Umgang hatte, lebte sie in nachtwandlerischer Benommenheit. Die Fronleichnamsprozessionen machten sie wieder hellwach. Sie erbat von den Nachbarinnen Strohmatten und Kerzenleuchter, um den Stationsaltar zu verschönern, der auf der Straße errichtet wurde".
    Heiligenlegende eines Antiklerikalen
    Nicht nur Amoral wurde Gustave Flaubert zu Lebzeiten vorgeworfen - an dem Inhalt des Ehebruchromans "Madame Bovary" entzündete sich ein Gerichtsprozess, an dessen Ende der Schriftsteller freigesprochen wurde. Auch die nüchterne Kühle seines Schreibstils, mit der er Romanfiguren behandelte, ihre Seelen, Charaktere, Verhaltensweisen sezierte, wurde von den Zeitgenossen registriert. Attribute, die im Zusammenhang mit Flaubert gern verwendet werden, lauten: zynisch, sarkastisch, misanthropisch. Ein Menschenfreund war er wohl tatsächlich nicht, ein antiklerikaler Geist zudem. Ätzende Skepsis und Pathos, lapidarer Ton und Mitgefühl gehen in seinem Stil eine einzigartige Verbindung ein. Nicht zufällig wird sie in der Geschichte der Dienstmagd Félicité besonders evident. Denn es handelt sich bei dieser Geschichte um eine Heiligenlegende, wenn auch eine der abgründigen Art.
    "In der Kirche betrachtete sie immer den Heiligen Geist und fand, er hatte etwas vom Papagei. Die Ähnlichkeit dünkte sie noch augenfälliger auf einem Bilderbogen aus Épinal, einer Darstellung der Taufe Unseres Herrn. Mit seinen purpurnen Flügeln und seinem smaragdenen Leib war er tatsächlich Loulous Porträt. Nachdem sie es gekauft hatte, hängte sie es an den Platz des Comte d´Artois –, sodass sie mit einem einzigen Blick nun beide sah. Sie verschmolzen in ihren Gedanken, der Papagei war geheiligt durch diese Verbindung mit dem Heiligen Geist, der in ihren Augen lebendiger wurde und fassbarer. Gottvater hatte, um sich auszudrücken, nicht eine Taube erwählen können, denn diese Tiere besitzen gar keine Stimme, vielmehr einen Ahnherrn Loulous. Und Félicité betete in Anschauung des Bildes, doch zuweilen schielte sie ein wenig nach dem Vogel."
    Gustave Flaubert erspart dem Leser nichts, auch nicht Félicités schockierenden Todesmoment, in dem sie sich mit dem, so muss man sagen, unappetitlichen Vieh wie mit einem Liebsten, ja wie mit dem Erlöser selbst vereinigt.
    "Obwohl er kein Kadaver war, fraßen ihn die Würmer; ein Flügel war gebrochen, Werg hing aus dem Bauch. Doch blind, wie sie nun war, küsste sie ihm die Stirn, drückte ihn an ihre Wange."
    Wer die Genialität dieses Klassikers der französischen Literatur erfassen will, kommt um seine großen Romane, um "Madame Bovary" oder "Die Erziehung des Herzens" nicht herum. Wer aber den ganzen Flaubert, die Fülle seiner Facetten und Themen kennenlernen möchte, zieht aus den "Drei Erzählungen" großen Gewinn. Dass sie dem deutschen Leser nicht zugänglich wären, lässt sich nicht behaupten. Die erste Übersetzung des Bandes entstand 1891, ihr folgten bis zum Jahr 2000 mehr als ein Dutzend weitere. Man kann sich also durchaus nach dem Sinn einer weiteren Übersetzungsversion fragen, wie sie nun aus der Hand Elisabeth Edls vorliegt, die unter anderem 2012 "Madame Bovary" in neuem Sprachgewand präsentierte. Edl, und das ist wesentlich, orientiert sich ausschließlich am französischen Original. Ihr Flaubert-Ton besitzt jene sachliche Straffheit, Wortpräzision und grammatikalische Ökonomie, die dem des Meisters so nahe wie möglich kommt. Stärker als vorangegangene, gleichsam weichere Übersetzungen macht sie Flauberts schonungslose Direktheit hörbar. Außer den drei Erzählungen enthält die Neuausgabe Briefe aus der Zeit der Entstehung, einen immensen Anmerkungsapparat und ein Nachwort von Elisabeth Edl, dessen Eleganz es zu einem Prosatext sui generis macht.
    Buchcover: Gustave Flaubert: "Drei Geschichten"
    Buchcover: Gustave Flaubert: "Drei Geschichten" (Buchcover: Hanser Verlag / Foto: picture alliance / dpa / Bifab)
    "Was ist Gustave Flauberts letztes Buch? Die Frage mag akademisch klingen, aber sie führt mitten hinein in die letzte Schaffensphase des großen Romanciers, sein letztes Lebensjahrzehnt. Zunächst einmal ist die Antwort im werkgeschichtlichen Sinn einfach: Die 'Drei Geschichten' erscheinen 1877 und sind das letzte von Flaubert abgeschlossene und veröffentlichte Buch. Der große Roman "Bouvard und Pécuchet", an dem er seit Jahren arbeitet, wird ab Dezember 1880 in "La Nouvelle Revue" publiziert, nach dem Tod des Autors am 8. Mai des desselben Jahres. Doch Flaubert hat die Arbeit nicht zu Ende führen können; der Roman hat keinen Schluss, und es muss auch offenbleiben, ob das existierende Fragment bereits seine definitive Form erreicht hat."
    Das letzte Buch zu Lebzeiten
    Mit der Arbeit an den "Drei Geschichten" versuchte Gustave Flaubert also, über seine Verzweiflung hinwegzukommen, die ihm das auch nach vielen Anläufen nicht gelingende Großprojekt "Bouvard und Pécuchet" bereitete. Als Nebenwerk minderer Ambition – die es bei Flaubert ohnehin nie gab – sind die drei Erzählungen jedoch keinesfalls zu betrachten. Außer "Ein schlichtes Herz" gehören dem Band "Die Legende vom Heiligen Julian" und "Herodias" an. Zusammen genommen rollen sie die dreiteilige, europäische Epocheneinteilung aus Neuzeit, Mittelalter und Altertum auf. Das heißt, die Geschichte des Christentums in rückwärtiger Lesart: "Ein schlichtes Herz" spielt in der Alltagswelt der Normandie des 19. Jahrhunderts. "Die Legende des Heiligen Julian" führt ins Mittelalter und ergänzt den Ödipusstoff um christliche Motivik. "Herodias" ist in der Antike etabliert. Alle drei Stücke erzählen Heiligenviten, alle drei wirken auch auf den heutigen Leser verstörend. Sie haben etwas Anstößiges, auf schockierende Weise Abgründiges. Man darf annehmen, dass Gustave Flaubert mit diesen drei Erzählungen auf den religiös-trivialen Massenkitsch reagierte, der den französischen Buchmarkt des 19. Jahrhunderts überschwemmte und den er zutiefst verabscheute. In wohlfeiler, ironiegetränkter Religionskritik geht der Band mit den drei Geschichten allerdings nicht auf.
    "Der Vater und die Mutter Julians bewohnten eine Burg mitten im Wald, am Hang eines Hügels. Die vier Ecktürme hatten spitze Dächer, gedeckt mit Schuppen von Blei, und die Grundmauern ruhten auf Felsblöcken, die steil abfielen bis hinunter in den Graben. Die Pflastersteine im Hof waren blank wie der Fliesenboden einer Kirche. Lange Traufen in der Gestalt von Drachen, die Mäuler nach unter gebleckt spien Regenwasser in die Zisterne; und auf den Fensterbänken gedieh, Stockwerk für Stockwerk, in bemalten Tontöpfen, ein Basilikum oder ein Heliotrop. Eine zweite Einfriedung aus Pfählen umgab zunächst einen Obstgarten, ferner ein Beet, in dem Blumenarrangements Monogramme bildeten, schließlich eine Weinlaube mit Blättergewölben, wo man Abkühlung finden konnte, und ein Mailspiel, bestimmt zum Zeitvertreib der Pagen. Jenseits davon lagen der Hundezwinger, die Pferdeställe, das Backhaus, die Kelter und die Scheunen. Weideland aus grünem Rasen erstreckte sich ringsum, eingeschlossen von einer dichten Dornenhecke. Man lebte schon so lange in Frieden, dass kein Fallgatter mehr herabsank; die Gräben waren voll Unkraut; Schwalben nisteten in den Schießscharten; und der Bogenschütze, der von früh bis spät auf der Kurtine umherging, verschwand in der Pfefferbüchse, sobald die Sonne allzu heiß schien, und schlief dort wie ein Mönch."
    Jedes der präzise angeordneten Details entspricht der historischen Realität, der Zeit mittelalterlichen Burgen. Dennoch entspricht die Darstellung nicht üblicher Historienprosa. Flauberts realistische Imagination rückt jeden Gegenstand so nah heran, dass sich der Leser wie in einer Zeitmaschine wähnt, die ihm die Vergangenheit als Gegenwart vor das Auge rückt. Kurz nach der Geburt Julians erhalten seine Eltern zwei mysteriöse Weissagungen. An das Bett der Wöchnerin tritt eine geisterhafte Gestalt.
    Schock der Obszönität
    "Es war ein Greis in grober Mönchskutte, mit einem Rosenkranz in der Hand, einem Quersack über der Schulter, allem Anschein nach ein Eremit. Er trat näher an ihr Lager und sagte, ohne den Mund aufzutun: "Freue dich, o Mutter, dein Sohn wird ein Heiliger!"
    Kurz darauf erfährt Julians Vater von einem stammelnden Zigeuner, der ebenfalls aus dem Nichts auftaucht:
    "Oh! Oh! Dein Sohn! ... viel Blut! ... viel Ruhm! ... stets glücklich! Die Familie eines Kaisers."
    Schon in der Kindheit entwickelt Julian eine obsessive Freude am Jagen, am Töten von Tieren. Als blutrünstiger Schlächter zieht er durch die Wälder, erlegt wie im Rausch ganze Wildrudel mit seinem Pfeil, Bogen und Speer. Bis sich ihm eines Tages ein gewaltiger Hirsch in den Weg stellt, den Julian verletzt hat.
    "Über die Toten hinweg schreitend kam er näher, gleich würde er sich auf ihn stürzen, ihn zerfetzen; und Julian wich zurück, erfüllt von unsagbarem Grauen. Das riesige Tier hielt inne; und mit lodernden Augen, feierlich wie ein Patriarch und wie ein Gerichtsherr, während fern die Glocke schlug, wiederholte er dreimal: "Verflucht! Verflucht! Eines Tages wirst du, blutrünstiges Herz, deinen Vater und deine Mutter morden!" Er sank in die Knie, schloss sanft die Lider und starb. Julian war wie betäubt, dann übermannt von jäher Müdigkeit; und Ekel erfüllte ihn, unendliche Traurigkeit. Die Stirn in beide Hände vergraben, weinte er lang."
    Um dem Ödipusfluch zu entkommen, verlässt er, wie sein Vorgänger aus dem antiken Mythos, die Eltern. Der geläuterte Sohn schließt sich Heeren an, die sich im christlichen Religionskrieg gegen Ungläubige befinden. Dem Fluch entgeht er dennoch nicht. Eines Nachts erdolcht er seine Eltern, die auf der Suche nach ihm sind, weil er sie für Diebe hält. Wie die Erzählung "Ein schlichtes Herz" läuft auch die "Legende vom Heiligen Julian" auf einen Todesakt zu, in dem die Erlösung umschlägt in etwas beinahe Obszönes. Um ihn zu wärmen, legt sich Julian zu einem Aussätzigen ins Bett.
    "Julian streifte seine Kleider ab; dann stieg er, nackt wie am Tag seiner Geburt, wieder ins Bett; und er spürte an seinem Schenkel die Haut des Aussätzigen, kälter als eine Schlange und rau wie eine Feile. Er suchte ihm Mut zu machen; und der andere erwiderte keuchend: "Ah! Ich sterbe! … Komm näher, wärme mich! Nicht mit den Händen! Nein! Mit all deinem Leib!" Julian streckte sich ganz über ihn, Mund auf Mund, Brust an Brust."
    Erlösung als Paradox
    Der sexuelle, vielmehr homosexuelle Akzent der Szene ist unübersehbar. In der körperlichen Vereinigung verwandelt sich der Aussätzige, die Gestalt von Jesus Christus kommt aus ihm hervor.
    "Zugleich drang maßlose Wonne, übermenschliche Freude gleich einer Flut in die Seele des entrückten Julian; und der, dessen Arme ihn weiter umschlungen hielten, wuchs, wuchs, bis Kopf und Füße die beiden Wände der Kate berührten. Das Dach entschwebte, das Firmament erblühte; - Julian stieg empor in die blauen Räume, von Angesicht zu Angesicht mit Unserem Herrn Jesus Christus, der ihn hinfort trug in den Himmel."
    Man darf dies eine ungeheuerliche Szene nennen: Eine christliche Himmelfahrt um den Preis erotischer Ekstase; wie auch Félicités Seligkeit im Moment ihres Todes nur um den Preis ihrer Papagei-Verwechslung und religiösen Verblendung möglich wird. Worauf, fragt man sich unwillkürlich, will Gustave Flaubert eigentlich hinaus? Was ist der Sinn dieser bizarren Heiligenlegenden? Alle drei bilden eine literarische Einheit, ergänzen und spiegeln sich. Auch in "Herodias" steht ein Tod am Ende: Die historisch verbürgte Enthauptung von Johannes dem Täufer, jenem jüdischen Bußprediger, der in Galiläa und Judäa auftrat und in einer Schlüsselszene des Neuen Testaments Jesus am Jordan taufte. Flaubert erzählt aus der Sicht des Herrschers Herodias Antipas, der Johannes im Jahr 28 nach Christus in den Kerker warf und bei einem Festmahl enthaupten ließ. Seine Stieftochter Salome hatte die Enthauptung als Preis dafür genannt, dass sie bei dem Fest als Tänzerin auftrat; ein ebenso grausamer wie sexuell codierter Handel.
    "Der Kopf kam herein; - und Mannaei hielt ihn an den Haaren, mit ausgestrecktem Arm, stolz über den Beifall. Nachdem er ihn auf eine Schüssel gelegt hatte, reichte er ihn Salome. Sie eilte flink auf die Empore; einige Minuten später wurde der Kopf von jener alten Frau zurückgebracht, die der Tetrarch am Morgen auf dem Dachgarten eines Hauses bemerkt hatte und vorhin im Gemach der Herodias. Er wich zurück, um ihn nicht zu sehen."
    Die Erzählung weicht dem grausigen Anblick keineswegs aus.
    "Die scharfe Klinge des Werkzeugs hatte, von oben nach unten gleitend, den Kiefer beschädigt. Beide Mundwinkel waren krampfhaft verzerrt. Blut, schon geronnen, sprenkelte den Bart. Die geschlossenen Lider waren bleich wie Muscheln; und die Kandelaber ringsum warfen ihre Schatten."
    Die nicht mehr als 160 Seiten umfassenden "Drei Geschichten", die Flauberts zu Lebzeiten veröffentlichtes Werk abschließen, sind für dessen Gesamtbetrachtung hoch bedeutsam. Sie erhellen Flauberts literarische Orientierung am christologischen Opfer- und Erlösungstopos. Die Art, wie er ihn auslegt, hat allerdings etwas Paradoxes. Indem Flaubert drei Heiligenlegenden formt, zerstört er sie zugleich. Denn in allen drei Geschichten mischt sich in die Begegnung mit dem Erlöser ein satanisches Element. Modernere, aufregendere Literatur als die Gustave Flauberts wurde im vorletzten Jahrhundert wohl kaum geschrieben. In diesem wunderbar gestalteten Band kann man sich davon noch einmal überzeugen.
    Gustave Flaubert: "Drei Geschichten", aus dem Französischen von Elisabeth Edl, Hanser Verlag 2017, 315 Seiten, 28 Euro.