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Gutachter hält Daten-Grundlage bei Gesundheitsreform für dürftig

Der Finanzwissenschaftler Thomas Drabinski hat sein Gutachten über die Auswirkungen der geplanten Gesundheitsreform auf die Haushalte der Länder verteidigt. Die großen Probleme, die mit dieser Gesundheitsreform verbunden seien, die lauerten noch ein bisschen im Hintergrund. "Und erst in der Umsetzungsperiode wird sich zeigen, welche riesigen Probleme damit verbunden sind, von den langfristigen Problemen noch ganz zu schweigen", sagte Drabinski.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: 1,6 Milliarden für Baden-Württemberg, etwa 1 Milliarde für Bayern, weniger versteht sich. Geld, das die gesetzlichen Kassen dieser Länder an finanzschwächere abzugeben haben, wenn die Gesundheitsreform kommt und wenn die Zahlen stimmen, die das Kieler Institut für Mikrodaten-Analyse jetzt erstellt hat. Letzteres wird vom Gesundheitsministerium heftig bezweifelt. Allerdings heißt es intern auch, man werde diese Daten prüfen.

    Autor des genannten Gutachtens ist Thomas Drabinski, wie gesagt Finanzwissenschaftler an der Universität Kiel. Mit ihm habe ich vor der Sendung kurz sprechen können und ich habe ihn zunächst gefragt, weshalb er eigentlich in seiner Studie gleich drei Szenarien entwirft.

    Thomas Drabinski: Drei Szenarien letztendlich deshalb, weil es in Deutschland keine alleinige Datengrundlage gibt, mit der sozusagen alle Gesundheitsausgaben, die einem Bundesland zurechenbar sind, erhoben werden.

    Klein: Was zu dem großen Aufruhr jetzt geführt hat, das ist das Szenario, das besagt, dass die reichen Südwest-Länder bis zu einer Milliarde oder auch sogar drei Milliarden insgesamt an Kosten verlieren werden, überweisen werden an die finanzschwächeren Länder im Norden und im Nordosten. Wie kamen Sie zu diesen Ergebnissen?

    Drabinski: Die Ergebnisse kommen ganz einfach dadurch zu Stande, dass gegenübergestellt wird aus der Perspektive eines Bundeslandes, welchen Betrag zahlen die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung im neuen System oder würden zahlen im neuen System in den Gesundheitsfonds ein? Also sozusagen der Weg des Geldes in den Fonds wird berechnet. Dieser Betrag wird gegenübergestellt dem Betrag, die sozusagen die Patienten desselben Landes wieder aus dem neuen Gesundheitssystem entnehmen. Das heißt, ganz grob gesprochen kann man sagen, es wird geguckt - so wurde es nicht berechnet, aber zur Veranschaulichung -, dass geguckt wird, was wird pro Kopf eingezahlt und was fließt pro Kopf wieder zurück? Das wird für jede einzelne Person im Bundesland ermittelt. Dann werden alle Personen zusammengerechnet, hochgerechnet. Und aus der Gegenüberstellung, was eingezahlt wird und was für die Personen wieder zurückrechenbar ist, daraus ergibt sich der Saldo, und der ist für die einzelnen Länder eben unterschiedlich.

    Klein: Ist es jetzt eine Frage der politischen Gewichtung, welchem Szenario man folgt oder welcher Statistik man glaubt?

    Drabinski: Das würde ich jetzt schwer beantworten können. Das sind politische Erwägungen, die da wohl eine Rolle spielen. Für mich persönlich ist das Szenario II das interessanteste Szenario. Es ist de facto so, dass die südlichen Länder eine höhere Grundlohnsumme haben, jedenfalls überdurchschnittlich höher im Vergleich zu den relativen Versorgungspreisen, die in den südlichen Ländern, zumindest in denen, die Nettozahlerländer sind, entgegengestellt werden können. Es ist auch plausibel, und in dem neuen System wird es so sein, wenn ein Land vom Gesamtbetrag her mehr in den Fonds einzahlt als über Krankenkassen und über den neuen Risikostrukturausgleich und alles was geplant ist wieder zurückfließt, dann muss das Geld ja irgendwo bleiben. Und das Geld bleibt eben in den Ländern, die weniger einzahlen, aber dann wieder mehr hinterher ausgeschüttet bekommen.

    Klein: Das heißt, Sie denken, dass dieser Zahlensatz, der jetzt für diese Aufregung sorgt, der realistischste ist von denen, die Sie zur Verfügung gestellt haben?

    Drabinski: Der Datensatz ist realistisch, aber ich habe eben noch zwei weitere Szenarien berechnet, die eine Bandbreite angeben. Und die Bandbreite drückt die ökonomischen Auswirkungen der neuen Gesundheitsreform aus.

    Klein: Wenn das Gesundheitsministerium jetzt sagt, wir müssen diese neuen Zahlen zunächst mal prüfen, können Sie diese Skepsis verstehen?

    Drabinski: Die kann ich verstehen. Es ist ja verständlich, wenn es eben noch keine publizierten Daten zum neuen Gesundheitswesen gibt, jedenfalls keine, die der Öffentlichkeit so weit zugänglich sind und die plausible Ergebnisse hervorbringen. Dann ist es natürlich nicht überraschend, wenn eine Studie auf den Markt kommt, die solche Zahlen liefert, die halt vorher nicht vorgelegen haben. Natürlich muss man das prüfen.

    Klein: Aber wie erklären Sie es sich, dass das Bundesversicherungsamt zum Beispiel oder auch andere Gutachten nicht zu diesen Ergebnissen gekommen sind? Ist da auch ein bisschen schlampig, nachlässig gearbeitet worden?

    Drabinski: Das kann ich so weit jetzt nicht beurteilen. Man weiß nicht so genau, was im Gesundheitsministerium passiert, und dazu kann ich auch gar nichts sagen.

    Klein: Aber der Bürger fragt sich natürlich schon, weshalb geht das Ministerium von einer anderen Untersuchung aus als Sie jetzt zum Beispiel? Weshalb ist es nicht auch möglich gewesen, im Ministerium solche Szenarien zu erstellen? Weshalb ist die Überraschung jetzt so groß dort)

    Drabinski: Man kann darüber natürlich spekulieren. Vielleicht sind bestimmte Untersuchungen nicht gemacht worden oder liegen gar nicht vor, und dann überrascht es natürlich, wenn eine Studie auf den Markt kommt, die solche Untersuchungen bereitstellt.

    Klein: Wenn Sie sagen, der Verlust für die Südländer, für die Kassen dort wird sehr viel größer sein als bisher angenommen, können Sie sich vorstellen, dass dennoch die Gesundheitsreform, so wie sie jetzt geplant wurde, auf den Weg gebracht werden kann mit dieser neuen Grundlage?

    Drabinski: Ich würde sagen, die Grundlage der Gesundheitsreform hat sich so weit durch diese neue Studie nicht verändert. Die Grundlage der Gesundheitsreform ist eine sehr dürftige Grundlage. Und das ist eben auch der Punkt, der jetzt, meine ich, zu der Aufgeregtheit geführt hat, dass nämlich die ganzen Probleme, die die Gesundheitsreform mit sich bringt, die in die Gesetzesgebung mit hereinverhandelt worden sind, jetzt erst peu à peu und Tröpfchen für Tröpfchen zu Tage kommen. Die richtig großen Probleme, die mit dieser Gesundheitsreform verbunden sind, die lauern sozusagen noch ein bisschen im Hintergrund. Und erst in der Umsetzungsperiode wird sich zeigen, welche riesigen Probleme damit verbunden sind, von den langfristigen Problemen noch ganz zu schweigen. Das ist mittlerweile eben auch durchgedrungen, und das ist nunmehr auch in der politischen Entscheidungsebene so weit vorangedrungen, dass dort dem einen oder anderen Böses schwant.

    Klein: Jetzt steht so ein bisschen im Raum der Vorwurf an Sie, das Gutachten sei möglicherweise politisch motiviert, sei von jenen Ländern motiviert, die sich ziemlich darüber aufregen über die Ergebnisse. Wer hat das Gutachten denn in Auftrag gegeben?

    Drabinski: Die Aufregung ist unbegründet. Die Studie ist hier an der Uni Kiel erstellt worden. Es gab keinen Auftraggeber. Sie ist im Rahmen meiner wissenschaftlichen Arbeit hier an der Uni erstellt worden und ist letztendlich ein Teil meiner Arbeit, die ich hier im Rahmen meiner Habilitationsarbeit erledige. Ich habe übrigens im Laufe des Jahres schon eine ganze Reihe von Publikationen begleitend zur Gesundheitsreform veröffentlicht, die auch gelesen wurden. Das war jetzt die erste Publikation mit einer Pressekonferenz. Vielleicht hat es ja daran gelegen.

    Klein: Thomas Drabinski, Finanzwissenschaftler an der Universität Kiel und Autor des neuen Gutachtens zu den finanziellen Folgen der Gesundheitsreform.