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Gute Aussichten für den Nahost-Friedensprozess

Heinlein: Tod zweier Hamas-Aktivisten im Gazastreifen, Schüsse israelischer Soldaten auf einen Waffenschmuggler bei Nablus, zwei Routinemeldungen der vergangenen Tage. Nachrichten über den Alltag der Gewalt im Nahen Osten. Und dennoch: In den zurückliegenden Wochen hat sich das Klima deutlich verbessert. Beide Seiten, Israelis und Palästinenser, scheinen bereit, den seit Jahren festgefahrenen Friedensprozess wieder in Gang zu bekommen. Der Tod von Yasser Arafat, die große Koalition in Israel und das neue Nahostengagement der USA könnten tatsächlich Veränderungen bringen. Erster Stichtag sind die palästinensischen Präsidentschaftswahlen Anfang Januar, über die ich jetzt sprechen will mit dem CDU-Europaabgeordneten Armin Laschet. Er reist Anfang Januar als EU-Wahlbeobachter nach Ostjerusalem. Herr Laschet, stehen wir tatsächlich vor einer Zeitenwende im Nahen Osten, oder sind es wieder einmal nur vergebliche Hoffnungen?

    Laschet: Man weiß das ja nie so genau im Nahen Osten, ob es tatsächlich eine Zeitenwende gibt. Wir hatten ja nach Oslo 1993 die große Hoffnung, dass es jetzt zum Frieden kommen würde, aber ich glaube dennoch, wenn man die letzten Jahre einmal Revue passieren lässt, jetzt ist im Jahre 2005 die Chance so groß wie nie zuvor, dass beide Seiten aufeinander zugehen, dass beide Seiten den Konflikt, den Tod, den Terror und alles, was damit zusammenhängt, überhaben, und dass man einen neuen Schritt wagen will, und dafür gibt es viele gute Signale.

    Heinlein: Welche Signale gibt es?

    Laschet: Es gibt zum einen eine neue palästinensische Führung, die selbst in diesen Tagen anerkennt, dass die Intifada, dass die Gewalt dem palästinensischen Volk eher geschadet als genutzt hat, die heute sagen, wenn man die letzten drei, vier Jahre Revue passieren lässt, waren es für uns schlechte Jahre. Zum anderen gibt es in Israel den angekündigten Rückzug aus dem Gazastreifen durch die Regierung Scharon, aber auch durch den Eintritt der Arbeiterpartei mit Shimon Peres, einen ausgewiesenen Fachmann für den Friedensprozess, der mehr will als sich nur aus Gaza zurückziehen, der auch im Westjordanland Siedlungen räumen will. Mit diesen beiden Konstellationen kann ich mir vorstellen, dass nach den Wahlen am 9. Januar konkrete Gespräche beginnen.

    Heinlein: Wie wichtig ist vor diesem Hintergrund der Ausgang der palästinensischen Präsidentschaftswahlen Anfang Januar für die Entwicklung in den kommenden Monaten im Nahen Osten?

    Laschet: Das ist natürlich sehr wichtig, denn der eine Spitzenkandidat, der auch Nachfolger von Yasser Arafat werden soll, ist Mahmud Abbas, ein Mann, der unter Arafat schon einmal Premierminister war, der dann das Handtuch geworfen hat, da er seine Reformen nicht umsetzen konnte und auch seine Friedensbemühungen immer wieder an Arafat gescheitert sind. Er liegt nach allen Umfragen im Moment vorne, und sollte er Präsident werden, ist er sicher jemand, der ein Garant für den Friedensprozess ist. Entscheidend ist natürlich auch, dass die radikalislamische Hamas nicht allzu stark aus diesen Wahlen hervorgeht, aber auch da gibt es im Moment Umfragen, die sagen, dass es einen großen Sieg von Mahmud Abbas geben könnte, und der hat dann die Autorität, auch mit Israel zu verhandeln. Israel hat dann keine Ausrede mehr zu sagen, wir haben keinen Gesprächspartner auf palästinensischer Seite, sondern dann gibt es einen gewählten Präsidenten in freien Wahlen, und ich glaube, auch das ist eine wichtige Voraussetzung.

    Heinlein: Ist Abbas ein Mann, dem Ariel Scharon vertrauen kann, dem er tatsächlich auch dann vertraut?

    Laschet: Ich habe schon den Eindruck, dass es so ist. Er war beteiligt an den Friedensprozessen von Oslo. Er hat sich immer gegen Gewalt gewendet. Ich denke auch, dass Ariel Scharon selbst dann im eigenen Land unter Druck kommen wird, dass dann die, die den Friedensschluss mit den Palästinensern wollen, auch die eigene Regierung an ihren Taten messen werden. Wenn man das auch an Aussagen hört, was Premierminister Scharon in den letzten Tagen äußert, dann ist erkennbar, auch er wird die Chance, die ihm das Jahr 2005 bietet, nutzen wollen.

    Heinlein: Welche Vision hat Ariel Scharon nach Ihrer Auffassung von einer friedlichen Zukunft im Nahen Osten? Was sind seine Pläne nach dem wahrscheinlichen Abzug aus dem Gazastreifen?

    Laschet: Das ist bei der Person Ariel Scharon wahrscheinlich das Schwierigste. Wenn man sich vorstellt, er kommt ja aus der Siedlerbewegung. Er stand ja auf dem rechten Flügel in Israel und er hat lange Jahre jeden Friedensschritt bekämpft. Seit er Premierminister ist, hat er nun allerdings versucht, den Abzug aus dem Gazastreifen auch gegen die rechten Kräfte in seiner eigenen Partei durchzusetzen. Damit war er erfolgreich, aber ob er eine Vision hat, die weitergeht als einen Rückzug aus dem Gazastreifen, da habe ich meine Zweifel. Da setze ich mehr auf diese Koalition mit der Arbeiterpartei, mit Shimon Peres, die ihn dann daran erinnern werden, dauerhafter Frieden wird nur entstehen, wenn wir uns soweit wie möglich aus besetzten Gebieten zurückziehen und nicht nur aus dem Gazastreifen.

    Heinlein: Kommen wir zum Schluss kurz noch zur Rolle der internationalen Gemeinschaft in diesem Prozess. Wie sehr werden sich nach Ihren Eindrücken, nach Ihren Erwartungen in der zweiten Amtszeit von George Bush die Amerikaner in diesen beginnenden Verhandlungen engagieren?

    Laschet: Auch da gibt es die Einschätzung, dass Präsident Bush wesentlich freier ist als seiner ersten Amtszeit, jetzt auch in diesem Friedensprozess wieder eine aktive Rolle zu spielen. Ohne die Amerikaner geht gar nichts. Die Amerikaner sind letztlich auch die Sicherheitsgarantie für Israel. Sie werden im Zweifel auch für die Sicherheit des Staates Israel garantieren. Das war immer bei den Europäer eher ein Mangel, dass sie zwar Verhandlungspartner sein können, aber nicht wirklich im Zweifelsfall auch für die Sicherheit Israels eintreten. Deshalb denke ich, dass das Quartett jetzt wiederbelebt wird. Das ist die Zusammenarbeit zwischen der USA, der Europäischen Union, Russland und den Vereinten Nationen. Die vier Akteure könnten einen Beitrag zum Frieden leisten. Die Europäer eher mit traditionellen Beziehungen zur arabischen Welt, die Amerikaner eher auf der Seite Israels, und diese Kombination bietet die Chance, dass auch mit internationaler Hilfe im Jahre 2005 ein Frieden in greifbarer Nähe rücken könnte.

    Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.