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Gute Familienpolitik mit Vereinbarkeit von Beruf und Familie

    Heinemann: Für Familien aus Skandinavien oder Frankreich ist die Versetzung des Brotverdieners nach Deutschland eine Strafexpedition, denn verglichen mit dem staatlichen Angebot zur Kinderbetreuung in deren Heimat ist die Bundesrepublik restlos unterentwickelt. In Kopenhagen gehen 80 Prozent aller Kinder im Alter von ein bis zwei Jahren in die Kinderkrippe, die von 7 bis 17 Uhr geöffnet sind. Ähnlich in unserem westlichen Nachbarland. Nach der Krippenzeit können junge Franzosen die kostenlose Vorschule besuchen. Dort wie auch auf den weiterführenden Schulen verbringen die Kinder den Tag ebenfalls bis 17 Uhr und stehen nicht kurz nach 13 Uhr hungrig vor der Haustür. Zwei Folgen. Erstens: wesentlich mehr Däninnen und Französinnen arbeiten und zweitens: die Geburtenrate ist deutlich höher als in Deutschland. Kinderzahl pro Frau in Frankreich 1,9, in der Bundesrepublik 1,4, letztere Zahl mit den bekannten Konsequenzen. Jährlich wächst die Zahl der Rentner um die Einwohnerzahl einer Großstadt wie Gelsenkirchen und inzwischen ist auch die Erkenntnis gereift, dass Deutschland seine katastrophale demographische Entwicklung nicht durch Einwanderung wird auffangen können. Ein erster Schritt könnte nun erfolgt sein. Das heißt bisher gibt es nur eine Ankündigung. Einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Kindern will Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) einführen. Guten Morgen!

    Bergmann: Schönen guten Morgen.

    Heinemann: Frau Bergmann, bis wann denn?

    Bergmann: Da muss ich erst mal korrigieren. Hier hat es eine Fehlmeldung gegeben. Wir werden jetzt kein Gesetz machen, aber wir werden uns mit den Ländern darauf verständigen, in welcher Weise wir das Problem der Ganztagsbetreuung vor allen Dingen der null- bis dreijährigen, aber auch der drei- bis sechsjährigen und der Schulkinder regeln können. Gesetze kann man nur gemeinsam mit den Ländern machen, weil wir dort ja immer durch den Bundesrat müssen.

    Heinemann: Von Gesetzen hatte ich glaube ich auch gar nicht gesprochen. Aber trotzdem: wie lange wird es denn dauern?

    Bergmann: Es geht darum, ein bedarfsgerechtes Angebot zu schaffen. Das ist das gemeinsame Ziel. Wir liegen - Sie haben die Zahlen ja genannt - wirklich sehr schlecht. Wir brauchen gar nicht nach Dänemark oder Schweden zu gucken. Manchmal reicht der Blick nach Ost-Deutschland. Wir haben ein Ost-Deutschland ein bedarfsgerechtes Angebot. Ich war vorige Woche in einer Kinderbetreuungseinrichtung in Sachsen-Anhalt. Die macht um 6 Uhr auf und hat bis 17 Uhr geöffnet. Natürlich bekamen die Kinder auch Mittagessen. Das war ein Angebot für alle Eltern, also nicht nur für die erwerbstätigen. Also auch der Blick ist mal ganz vernünftig, damit wir sehen, welches Angebot wir schaffen müssen.

    Heinemann: Warum gibt es das nicht längst im Westen?

    Bergmann: Das hat sehr viel mit dem traditionellen Rollenverständnis zu tun. Erwerbsarbeit von Frauen war in der DDR immer angesagt, war auch ökonomisch notwendig, aber die Frauen wollten auch ihre ökonomische Unabhängigkeit. Dadurch ist das Kinderbetreuungsangebot da gewesen. Dort sind Plätze reduziert worden, aber nur weil nicht mehr genug Kinder vorhanden sind. Wir haben in West-Deutschland eben noch ein sehr traditionelles Rollenbild. Das geht davon aus, dass Mütter immer noch das Gefühl haben sie müssen sich entschuldigen, wenn sie ihre Kleinkinder ein paar Stunden in eine gute Betreuungseinrichtung geben. Das Bild von der Rabenmutter steckt noch sehr in den Köpfen. Wir haben jetzt natürlich auch Unterstützung von der Wirtschaft, die mittlerweile auch erkannt hat, dass wir viele gut qualifizierte Frauen haben und dass es ökonomisch sehr unvernünftig ist, wenn man nicht dafür sorgt, dass sie auch einer Erwerbsarbeit nachgehen können.

    Heinemann: Frau Bergmann, wie ist es grundsätzlich: Sollte der Staat Ihrer Meinung nach eine Politik betreiben, die zum Ziel hat, dass wieder mehr Kinder geboren werden?

    Bergmann: Nein. Ich mache Familienpolitik nicht als Bevölkerungspolitik.

    Heinemann: Warum nicht?

    Bergmann: Anders muss der Ansatz sein. Wir wissen, dass junge Menschen den Wunsch nach Familie haben. Alle jungen Leute, junge Männer und junge Frauen sagen, sie möchten Kinder. In der Regel möchten sie sogar zwei Kinder. Wenn dieser Kinderwunsch dann nicht umgesetzt wird, dann muss man sich doch fragen woran liegt das. Da sind wir eben sehr schnell bei dem Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie, weil insbesondere die jungen Frauen sehen, an denen bleibt es ja in aller Regel, dass das offensichtlich doch nicht so ganz klar geht, und dann wird der Kinderwunsch herausgeschoben. Die ersten Kinder kommen ja auch relativ spät und manchmal werden sie gar nicht realisiert. Es geht also wirklich darum zu sagen, was wollen junge Familien und dafür die Bedingungen zu schaffen. Sie wollen eben Erwerbsarbeit! Das ist nun mal so.

    Heinemann: Ich greife das Wort auf, was Sie eben benutzt haben. Warum keine Bevölkerungspolitik angesichts dieser katastrophalen demographischen Entwicklung bei uns?

    Bergmann: Weil ich nicht glaube, dass man das Problem mit finanziellen Leistungen lösen kann. Das geht wie gesagt sehr viel tiefer. Wir haben ja auch die Versuche von anderen Seiten erlebt, wo gesagt wurde, dann muss man eben Erziehungsgeld bezahlen oder was auch immer. Andererseits sehen wir bei den Ländern, die eine hohe Frauenerwerbsquote haben, eine höhere als wir, dass diese auch diejenigen sind, bei denen mehr Kinder geboren werden.

    Heinemann: Das hängt aber doch miteinander zusammen. Wenn man das Beispiel Frankreich nimmt, dann ist es doch so, dass die Politik der gaullistischen Regierung immer so war, dass man eben eine Bevölkerungspolitik macht. Auf einmal war es so, dass die Erwerbsquote höher war und die Kinderzahl wieder stieg. Frankreich hatte vorher auch eine ganz andere Bevölkerungsentwicklung. Das heißt man kann schon von staatlicher Stelle aus eine solche Zahl lenken.

    Bergmann: Ich würde sagen, man kann eine gute Familienpolitik machen und dann muss man definieren, was eine gute Familienpolitik ist. Eine gute Familienpolitik ist, sich darum zu kümmern, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie möglich ist, dass zum Beispiel auch die Arbeitszeitreduzierung, die man familienbedingt anbringt, vom Betrieb auch honoriert wird, nicht nur für Mütter, sonder auch für Väter, dass das Umfeld stimmt, was ja auch nicht immer sehr familienfreundlich ist. Dann bin ich der Überzeugung bekommt man auch eine höhere Geburtenrate.

    Heinemann: Frau Bergmann, die Familienpolitik der rot/grünen Bundesregierung beschränkt sich bisher auf das Verteilen von ein paar Zehn-Mark-Scheinen. Ein Negativbeispiel: die Ökosteuer trifft Familien viel härter als Kinderlose, weil Familien mehr heizen und mehr fahren müssen. Und jetzt kommt die Perversion: mit den höheren Abgaben subventionieren Familien dann auch noch die Renten der kinderlosen Doppelverdiener. Da müssten Sie doch eigentlich rot werden?

    Bergmann: Man muss einmal sehen, was wir in der Familienpolitik an finanziellen Leistungen gemacht haben. 50 Mark Kindergeld sind in dieser Legislaturperiode schon da. 2002 wird es eine weitere Kindergelderhöhung geben. Da kann man über Summen jetzt noch nicht reden. Wir haben die Steuerentlastungen, die natürlich bei Familien sehr zu Buch schlagen.

    Heinemann: Bei Singles aber mehr!

    Bergmann: Wir haben bei der BAFöG-Reform eine Familienkomponente; das Kindergeld wird nicht mehr angerechnet. Das sind also alles Dinge, die Familien finanziell schon beträchtlich entlasten. Wenn wir uns die Rentenreform angucken - Sie haben das Thema Rente angesprochen -, ist natürlich das, was wir auf den Tisch gepackt haben, auch sehr familienfreundlich, weil es dort ansetzt, zum Beispiel bei der Teilzeitarbeit. Frauen sind ja in der Regel diejenigen, die verkürzt arbeiten. Wenn sie jetzt bis zum 10. Lebensjahr des jüngsten Kindes Beiträge aufgestockt bekommen bis zur Durchschnittshöhe, so ist das ein Ausgleich für das, was an Erwerbsarbeit verloren geht aufgrund dessen, dass man Kinder aufzieht. Ich denke, das ist schon der richtige Weg. Da können wir uns noch mehr vorstellen, vor allen Dingen im Bereich der Kinderbetreuung. Dort machen wir auch weiter. Aber ich denke, dort sind wir schon auf dem richtigen Weg.

    Heinemann: Wobei die Familienverbände immer wieder darauf hinweisen, dass Singles oder kinderlose Paare von dieser Regierung viel stärker entlastet werden als Familien mit Kindern. Grundsätzlich die Frage: Gerhard Schröder hat Sie seinerzeit als Ministerin für Frauen, Familie und das ganze Gedöns eingeführt. So sprach er damals. Hat der Kanzler damit den geringen Stellenwert der Familienpolitik in seiner Prioritätenliste beschrieben?

    Bergmann: Nein! Ich habe ja auch gerade gesagt, dass Familienpolitik wirklich in allen Bereichen bei uns einen hohen Stellenwert hat. Dieses "Gedöns" hängt mir natürlich an, wahrscheinlich so lange wie ich lebe, aber ich weiß auch, wie solche Reden manchmal zu Stande kommen. Familie, Senioren, Frauen und Jugend sagt sich in der Regel auch nicht immer so ohne weiteres auf. Ich weiß nicht, ob Sie vorher auch noch mal auf Ihren Zettel geguckt haben, wie es denn nun eigentlich heißt. Da kommt so ein lockerer Spruch, und den hat man dann an der Backe kleben.

    Heinemann: Wir beschränken uns also auf den Titel. - Bundesfamilienminister Christine Bergmann war das (SPD) in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio