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Gute Haushaltslage in Schleswig-Holstein
Glück oder Verdienst der Landesregierung?

Vorreiter bei der Energiewende, hohe Steuereinnahmen: Wirtschaftlich geht es Schleswig-Holstein derzeit nicht schlecht - die Koalition konnte sogar Kürzungen ihrer Vorgängerregierung zurücknehmen. Doch die Opposition warnt: Die Landesregierung habe nicht für schlechte Zeiten vorgesorgt.

Von Johannes Kulms | 04.05.2017
    Die Installationshubinsel "Thor" steht am 21.05.2014 bei Montagearbeiten an der Konverterplattform "Meerwind Süd/Ost" im Offshore Windpark von WindMW in der Nordsee rund 16 Seemeilen vor Helgoland, Schleswig-Holstein.
    Schleswig-Holstein nimmt eine Vorreiterrolle bei der Energiewende ein. (picture-alliance / dpa / Christian Charisius)
    Nach der Ebbe kommt die Flut – so lautet zumindest an Schleswig-Holsteins Nordseeküste die Gewissheit. Doch finanziell dominierte im 2,8-Millionen-Einwohner-Land eigentlich immer das Gefühl von Ebbe.
    Dass es seit einigen Jahren etwas anders läuft, ist auch Wolfgang Felkner nicht entgangen. Der 71-jährige Rentner wohnt in Reinfeld, einer Kleinstadt in Lübeck. Er nutzt einen Wahlkampfauftritt von Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold, um auf ein Problem aufmerksam zu machen, dass auch im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielt: die überfällige Sanierung von Straßen und Brücken.
    "Ich habe gehört, in der Presse gelesen, Sie haben ja sehr viel Geld eingesammelt inzwischen. Also, die fließen ja nur so, die Gelder. Und wir haben hier in Reinfeld ein riesengroßes Problem, wir haben eine Landesstraße 71, die läuft hier unten so lang, direkt gleich rechts, und die soll seit über 35 Jahren ausgebaut werden…"
    Die niedrigen Zinsen und die sprudelnden Steuereinnahmen haben Finanzministerin Heinold in den letzten Jahren in die Hände gespielt. 2,3 Milliarden Euro mehr als erwartet konnte die Grünen-Politikerin seit 2012 an Einnahmen verbuchen. 2016 verzeichnete Schleswig-Holstein einen Haushaltsüberschuss von 565 Millionen Euro.
    Glück oder Verdienst?
    Die schwarz-gelbe Vorgängerregierung unter Ministerpräsident Carstensen ist vor allem durch ihren Sparkurs in Erinnerung geblieben. Nicht so die sogenannte Küstenkoalition aus SPD, Grünen und SSW, der Partei der dänischen und friesischen Minderheit: Sie hat viele Kürzungen im sozialen Bereich zurückgenommen – zum Beispiel beim Blindengeld oder den Schulen der dänischen Minderheit – und hat sich auch bei der Ausstattung von Polizei und der Bezahlung von Grundschullehrern großzügig gezeigt.
    "Sie haben sicherlich vielen Menschen nicht persönlich wehtun müssen, weil sie eine Haushaltslage gehabt haben, die wünscht sich keine Opposition für ihre politische Arbeit. Aber die ist natürlich für Schleswig-Holstein wünschenswert," muss auch Daniel Günther anerkennen, der Spitzenkandidat der Schleswig-Holsteinischen CDU. Doch sagt er: Die gute wirtschaftliche Lage sei weniger Verdienst der Landesregierung, als vielmehr Glück. Ein Vorwurf, den sowohl Heinold wie auch Ministerpräsident Albig zurückweisen: Schleswig-Holstein sei nicht mehr länger Konsolidierungsland, so der SPD-Politiker:
    "Wir haben’s geschafft von daher kommt immer auch das Glück mit dem Tüchtigen, in diesem Fall waren wir sehr tüchtig."
    Die Landesregierung habe finanziell wichtige Weichenstellungen gestellt, macht auch Wilhlem Knelangen deutlich, Politikwissenschaftler von der Uni Kiel. Anderseits sei die Kritik der oppositionellen CDU und FDP durchaus berechtigt, die der Küstenkoalition vorwerfen, zu wenig für schlechte Zeiten vorzusorgen:
    "Was passiert, wenn die Steuereinnahmen versiegen? Wir haben aber Verpflichtungen, die diese Landesregierung auch eingegangen ist und die auch in der Zukunft wirksam werden. Und 'ne andere Frage ist selbstverständlich auch eine Frage der Bank!"
    Versäumnisse bei Bildung und Breitbandversorgung
    Mit "der Bank" meint Knelangen das größte gemeinsame Sorgenkind von Hamburg und Schleswig-Holstein – die marode HSH-Nordbank. Fünf bis acht Milliarden Euro dürften die Verluste allein die Steuerzahler in Schleswig-Holstein kosten, so die Prognose aus dem Kieler Finanzministerium.
    Gemeinsam organisiert haben sich auch die Hamburger und Schleswig-Holsteinischen Unternehmerverbände. Die UVNord wirft der Landesregierung Stillstand vor beim Ausbau der Infrastruktur – vor allem der A20. Auch hätte sie sich angesichts des eingeführten Landesmindestlohns und der Erhöhung der Grunderwerbssteuer mehr positive Signale für den Mittelstand gewünscht. Versäumnisse sehen die Unternehmer ebenso beim Thema Bildung und der Breitbandversorgung.
    Dass es bei der Energiewende im industriearmen Norden nicht vorangegangen sei, lässt sich allerdings nicht behaupten. Zwar wird im Wahlkampf viel über die Bedingungen für den Ausbau der Windkraft gestritten. Doch sehen alle Parteien im Landtag Schleswig-Holstein in der Vorreiterrolle beim Megaprojekt Energiewende. 2015 hat das Land umgerechnet 110 Prozent des Stromeigenbedarfs durch Erneuerbare Energien erzeugt – drei Viertel davon steuerte die Windkraft bei.