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Guter böser Keim

Medizin.- Der Magenparasit Helicobacter pylori ist eigentlich für seine Gefährlichkeit bekannt, kann Magenentzündungen und sogar Krebs verursachen. Da die Medizin ihn in der Vergangenheit stark bekämpft hat, ist die Zahl der Erkrankten zurückgegangen. Doch möglicherweise war das zu viel des Guten, denn der Keim hat auch positive Effekte.

Von Sabine Goldhahn | 05.02.2013
    Der Magenkeim Helicobacter pylori hat verschiedene Seiten. Für Erwachsene ist er gefährlich, in der Kindheit dagegen nützlich. Denn je nachdem, wann wir uns mit dem Bakterium infizieren, reagiert unser Immunsystem anders. Im Erwachsenenalter erkennt die körpereigene Abwehr ihn als ganz normalen Keim und bekämpft ihn entsprechend. Dann bekommen wir Magenprobleme, die im Extremfall sogar zu Krebs führen können. Nicht jedoch, wenn uns der Keim wie schon seit Jahrtausenden im frühesten Kindesalter befällt:

    "Helicobacter ist da anders, der löst zunächst einmal eine vollkommen asymptomatische Infektion aus, wir wissen gar nicht, dass wir mit diesem Keim besiedelt sind",

    erklärt Anne Müller vom Institut für Molekulare Krebsforschung der Universität Zürich. Sie ist fasziniert von dem uralten Magenbewohner.

    "Wir ziehen uns den als Babys zu, ein Keim, der von der Mutter auf die Kinder übertragen wird, ist das, in der Regel ein einziger Stamm, wir sind also mit dem gleichen Keim infiziert von der Wiege bis ins Grab, das Immunsystem kann diesen Keim ja nicht eliminieren, es kann diese Infektion nicht kontrollieren, was dazu führt, dass es sich um eine chronische persistente Infektion mit Helicobacter handelt."
    Während man bei einer Infektion mit Salmonellen, Choleraerregern oder anderen Bakterien normalerweise kurzzeitig heftig krank wird und das Immunsystem stark darauf reagiert, bleibt das bei Helicobacter-Infektionen aus. Aber nur, wenn man sich den Keim als Baby zuzieht. Er präsentiert sich nämlich nicht als Feind, sondern setzt zwei sogenannte immunmodulierende Substanzen frei, die unser Immunsystem dauerhaft umprogrammieren. Durch die lokale Infektion in der Magenschleimhaut wird eine Signalkaskade in Gang gesetzt, die am Ende zu einer Reaktion der T-Zellen in den Lymphknoten führt. Das hat die Zürcher Biologin jetzt gemeinsam mit anderen Forschern an Mäusen herausgefunden. Gleichzeitig hat sie untersucht, was nach dieser Umprogrammierung mit den Zellen passiert.

    "Und diese regulatorischen T-Zellen, das sind wirklich mobile Zellen, die sich im Blutsystem bewegen können, die problemlos die Lungen erreichen können, und die in der Lunge allergenspezifische Immunantworten blockieren können."

    Die Folge: Auch wenn ein Allergen in die Lunge gelangt, bleibt die allergische Reaktion aus. Somit schützt also eine Infektion mit Helicobacter pylori vor allergischem Asthma. Das konnte man bereits in anderen Studien an Mäusen zeigen. Ausserdem weiß man es auch durch Beobachtungen am Menschen. Kinder und junge Erwachsene, die den Magenkeim in sich tragen, erkranken kaum an allergischem Asthma. Völlig egal, ob das Hausstaubmilben, Katzenhaare, Pollen oder andere Auslöser sind – wir geniessen durch unseren uralten Magenparasiten einen natürlichen Asthmaschutz. Das Problem ist nur, dass Helicobacter in westlichen Industrienationen bereits am Aussterben ist.
    "Noch vor 50 Jahren war eigentlich jeder infiziert, dagegen Kinder, die jetzt auf die Welt kommen oder vor zehn Jahren auf die Welt gekommen sind, haben nur noch ein minimales Risiko, sich Helicobacter irgendwo zuzuziehen, die sind in der Regel zu unter zehn Prozent noch mit Helicobacter infiziert",

    erklärt die Wissenschaftlerin. Für sie ist die übertriebene Hygiene und die hohe Zahl an Antibiotikabehandlungen im frühen Kindesalter die Hauptursache für das Verschwinden des Bakteriums und damit für den Verlust des natürlichen Asthmaschutzes. Um diesen Verlust zu kompensieren, arbeitet sie bereits an einem Mittel, das nur die positiven Bestandteile des Helicobacter enthält.

    "Und zwar schwebt uns vor, dass wir eine Art Impfstoff entwickeln, der diese beiden Faktoren enthält und möglicherweise noch weitere immunmodulatorische Faktoren, dass wir damit Kinder impfen. Speziell würde man sich da wahrscheinlich zunächst mal um Kinder kümmern, die aus Allergikerfamilien kommen."

    Ihnen würde die Impfung im ersten halben Lebensjahr besonders nutzen. Die Zürcher Forscherin geht davon aus, dass man bereits in zwei bis drei Jahren die ersten Kinder mit diesem Impfstoff behandeln könnte. Denn bei Mäusen haben die zwei Faktoren bereits geholfen.