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Hält die Koalition in Mecklenburg-Vorpommern?

Heinlein: Am Telefon ist nun der PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch. Guten Morgen! Bartsch: Guten Morgen.

    Heinlein: Herr Bartsch, wir haben es gehört. In Schwerin tagt heute die SPD-Landesspitze. Wie tief müssen denn die Sozialdemokraten in die Knie gehen, um den Riss in der Koalition wieder zu kitten?

    Bartsch: Wissen Sie, hier geht es überhaupt nicht darum, dass jemand in die Knie gehen soll. Harald Ringstorff hat mehrfach gesagt, es ist seine Entscheidung. Wir wollen einfach vom SPD-Landesvorstand, von der Fraktion und von den Regierungsmitgliedern wissen, wie sie dazu stehen. Harald Ringstorff hat die Koalition schwer belastet. Er hat seine Entscheidung getroffen. Da ist völlig klar, dass es ein "weiter so" schlicht nicht geben kann. Hier muss eine neue Geschäftsgrundlage her.

    Heinlein: Wie soll denn diese Geschäftsgrundlage aussehen?

    Bartsch: Wissen Sie, ich neige nicht dazu, einer anderen Partei Empfehlungen zu geben. Ich kenne das ja aus der gerade jüngsten Vergangenheit, dass andere Parteien uns empfehlen, wie wir uns zur Vereinigung von KPD uns SPD oder zum 13. August oder zu anderen historischen Daten verhalten sollen. Das mache ich nicht. Die SPD ist gefordert. Der Ball liegt im Feld der SPD und sie muss agieren.

    Heinlein: Welche Erklärung von Seiten der SPD wäre denn für Sie akzeptabel?

    Bartsch: Ich sagte eben bereits, da mache ich keine Vorgaben. Die SPD muss sich dazu positionieren. Ich sage mal, was ich mir gar nicht vorstellen kann. Sagt der SPD-Landesvorstand und die Fraktion, das war alles in Ordnung, dann gibt es keine Geschäftsgrundlage mehr.

    Heinlein: Was raten Sie denn Ihren Parteifreunden in Schwerin, Koalitionstreue oder Bruch des Bündnisses?

    Bartsch: Ich finde, die PDS in Mecklenburg-Vorpommern hat sich bisher sehr politisch verhalten. Jeder Schnellschuss, Ausstieg oder drin bleiben wäre falsch gewesen. Es ist eine Entscheidung des Ministerpräsidenten. Er hat hier letztlich Politik delegitimiert, weil er allein monarchisch entschieden hat. Das kann nicht sein. Es gilt aber zu prüfen, ob eine Zusammenarbeit möglich ist. Da sage ich, die PDS ist nicht gefordert. Wir müssen immer noch mal klar festhalten, wo die Schuldigkeit für die derzeitige schwierige Situation ist. Ringstorff hat die Koalition belastet. Er hat allerdings auch ganz klar gesagt, er will mit der PDS weiterregieren. Er kann nur mit der PDS eine soziale Politik für Mecklenburg-Vorpommern machen. Das sind hehre Worte, aber das geht nicht zusammen mit diesem Bruch.

    Heinlein: Glauben Sie denn, Herr Bartsch, dass es tatsächlich eine einsame Entscheidung von Harald Ringstorff war, oder könnte es im Hintergrund noch andere Gründe gegeben haben?

    Bartsch: Ich beteilige mich dort überhaupt nicht an Spekulationen. Mir sind unterschiedlichste Dinge erzählt worden. Ich habe ja mit Helmut Holter und Herrn Ringstorff am Sonnabend in Güstrow auch unter sechs Augen geredet, aber darüber werde ich hier nicht sprechen. Spekulationen sind hier fehl am Platze. Es geht um eine politische Bewertung, ob da und wer da Hinweise gegeben hat. Ob das vielleicht wirklich eine einsame Entscheidung ist, das sei dahin gestellt. Das ist in der Politik manchmal so. Aber wir haben damit als PDS in Mecklenburg-Vorpommern politisch umzugehen und ich rate auch der Bundesebene, dort mit Hinweisen zurückhaltend zu sein. Ich bin ja Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern, dort gewählt und im ständigen Kontakt mit Holter und so weiter und ich glaube, dass wir dort bisher vernünftig agiert haben, nicht eskaliert haben. Die Kuh ist aber noch auf dem Eis.

    Heinlein: Befürchten Sie denn, dass die SPD vielleicht mit ihrem Verhalten im Bundesrat bewusst die Krise in Schwerin provoziert hat, um die in Berlin durchaus ungeliebte Koalition zu beenden und dann eventuell Neuwahlen anzusetzen?

    Bartsch: Die SPD mit Sicherheit nicht. Das hat Ringstorff am Sonnabend betont, dass es seine Entscheidung war. Ich sehe dort auch nicht eine etwa Bundesstrategie der SPD. Die PDS wird auch durch solch eine Entscheidung an ihren strategischen Zielsetzungen und an ihren wahlpolitischen Zielsetzungen, die klar und deutlich lauten, dass wir der SPD in den ostdeutschen Ländern eine Zusammenarbeit anbieten, wenn es einen grundlegenden Wandel in der wirtschaftlichen, sozialen und beschäftigungspolitischen Situation in Ost-Deutschland gibt, festhalten.

    Heinlein: Sie haben die Option, ein Bündnis mit der SPD einzugehen. Die andere Volkspartei, die CDU, kommt ja in der Regel wohl für beide Seiten nicht in Frage. Die SPD dagegen hat ja Optionen in jede Richtung. Ist die PDS auf Gedeih und Verderben an die SPD gebunden?

    Bartsch: Uns geht es hier zuallererst um Inhalte. Wenn die SPD meint, in Mecklenburg-Vorpommern mit der CDU regieren zu müssen, dann muss sie das tun. Das ist nicht im Interesse der Menschen. Harald Ringstorff hat das in aller Deutlichkeit gesagt, dass mit der CDU in Mecklenburg-Vorpommern kein Zusammengehen möglich ist. Dass die SPD das schlicht kann, zumindest arithmetisch, das ist bekannt. Aber für mich ist das keine arithmetische Frage. Hier geht es um die Menschen in diesem Land. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es Ansätze einer neuen Politik. Ich glaube, dass es eine Chance ist, die weit über Mecklenburg-Vorpommern hinaus geht, und deswegen darf man auch nicht leichtfertig spielen. Dass die SPD in Ost-Deutschland, zumindest in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, die stärkere Partei ist, das ist klar. Das sieht in Thüringen und in Sachsen anders aus. Dort ist die SPD für uns selbstverständlich auch eine konkurrierende Partei. Wir stehen im Wettbewerb. Aber in Mecklenburg-Vorpommern haben wir einen Koalitionsvertrag eigentlich für vier Jahre geschlossen.

    Heinlein: Sie haben am Wochenende gesagt und es gerade in anderer Form wiederholt, die PDS müsse ein Machtfaktor in dieser Republik werden, an dem kein Kanzler vorbei kommt. Nun haben wir ja gerade erlebt, dass sich ein SPD-Ministerpräsident an der PDS vorbeigeschlängelt hat. Werden Sie denn von den Sozialdemokraten überhaupt ernst genommen?

    Bartsch: Entschuldigen Sie, das ist eine Einzelentscheidung von Herrn Ringstorff. Die ist sehr schwerwiegend. Eines ist klar: Auch nur eine annähernde Wiederholung ist das Ende der Koalition. Wir dürfen nicht vergessen, die PDS ist Fünf-Prozent-Partei, die Sozialdemokraten mit über 40 Prozent in der Bundesrepublik. In Ost-Deutschland sieht das anders aus. Ob man uns ernst nimmt, das hängt selbstverständlich letztlich von unserem Einfluss in der Gesellschaft ab. Wir wollen unseren Einfluss bis 2002 verstärken. Das ist nominell ein höheres Ergebnis bei den Bundestagswahlen und bei den anstehenden Landtagswahlen, auch bei den Landratswahlen am jetzigen Wochenende. Aber da müssen wir auch in aller Bescheidenheit auf unsere jetzige Situation sehen. Wir kämpfen um mehr Einfluss. Wenn die PDS allerdings - und das habe ich gesagt, dazu stehe ich auch - stärker wird, wenn wir in mehreren ostdeutschen Landesregierungen sitzen würden, dann wird auch jeder Bundeskanzler Kompromisse mit links im Sinne der Menschen in diesem Land schließen müssen.

    Heinlein: Befürchten Sie denn nun, Herr Bartsch, dass die Gräben vielleicht innerhalb der PDS zwischen den Gegnern einer Regierungsbeteiligung mit der SPD und den Befürwortern von Koalitionen mit den Sozialdemokraten erneut tiefer werden könnten?

    Bartsch: Die PDS ist eine Partei in Bewegung. Eine Partei, die sich nicht bewegt, hat verloren. Selbstverständlich gibt es Auseinandersetzungen. Selbstverständlich hat Harald Ringstorff mit seinem Schritt nicht etwa Vertrauen befördert. Es ist eine ganz schwere Belastung, die natürlich auch innerparteiliche Wirkung hat. Hier hat jemand Verlässlichkeit nicht gezeigt. Hier hat jemand Ehrlichkeit nicht gezeigt. Hier hat jemand Demokratie missachtet. Das führt natürlich auch innerhalb der PDS zu Meinungen, die da sagen, mit so jemandem nicht. Das kann ich gut verstehen, aber unsere parteiinternen Diskussionen zu Programm, zu inhaltlichen Positionen, Arbeitsmarkt und ähnliches, die werden wir weiter führen. Ich finde es auch gut, dass wir die öffentlich durchführen. Aber wo Sie auch sicher sein können: die PDS wird entschlossen in die Wahlkämpfe, die anstehen, gehen, damit wir als Gesamtpartei unseren Einfluss verstärken.

    Heinlein: Was Sie gerade in moderate Worte verpackt haben, hat Sarah Wagenknecht von der kommunistischen Plattform viel deutlicher gesagt. Sie sagte, bei der SPD sei nun die Grenze überschritten, die PDS sei von Ringstorff zum Affen gemacht worden.

    Bartsch: Das teile ich so nicht, schon von der Wortwahl her. Meine Auffassung ist eine andere. Wir sind an der Grenze der Belastbarkeit. Ob wir darüber hinausgehen und die Koalition aufkündigen, das hängt an der SPD. Dass Sarah Wagenknecht diese Einschätzung schon am Freitagmittag treffen konnte zeugt davon, dass sie sehr politisch aktuell und weitsichtig agieren kann. Ich bin da nicht ganz so schnell; ich bin halt aus Mecklenburg-Vorpommern.

    Heinlein: Zur Krise der SPD/PDS-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern der PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch heute Morgen hier im Deutschlandfunk. - Herr Bartsch, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio