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Händel, Mozart, Schostakowitsch

Bei dem 1948 gegründeten Musik-Festival in Aix-en-Provence sollte das Hauptaugenmerk auf Mozart liegen, obwohl der Komponist selbst nie in Aix-en-Provence gewesen ist. Neben Mozart standen in diesem Jahr auch Schostakowitsch und Händel auf dem Programm.

Von Frieder Reininghaus |
    Wer sich die Ergebnisse der Umfragen ansieht, die auch heuer wieder von Fachzeitschriften wie der "Deutsche Bühne" oder der "Opernwelt" unter deutschsprachigen Kritikern veranstaltet wurden, der wird gewahr, dass es derzeit höchst unterschiedliche Auffassungen gibt, hinsichtlich dessen, was gutes Musiktheater sein soll. In Mitteleuropa ist die Erwartung von mehr oder minder überzeugenden Regie-Konzepten in Kombination mit interessanter musikalischer Gestaltung geprägt. Trotz gelegentlich lautstarker Willens- oder Unmutsbekundungen sind die Stimmfetischisten in der Minderheit; in West- und Südeuropa geben sie den Ton an und setzen im Übrigen schickes Design auf der Bühne durch.

    Die Art und Weise, wie unter freiem Himmel im Hof der alten Archevêché von Aix-en-Provence "La clemenza di Tito" gestaltet wurden, war ein halbes Jahrhundert zurück hinter dem, was sinnvoll und möglich ist – also: "historisch". Colin Davies präsidierte den Londoner Symphonikern und ließ um des intendierten Ausdrucks willen das Tempo schwanken. David McVicar erinnerte mit einer wuchtigen Holztreppe an die Beschwörung von Palastintrigen durch den Habsburger Hofdichter Metastasio, der zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Werks längst das Zeitliche gesegnet hatte. Statt nun aber diese aus Opportunismus verunglückte letzte opera seria Mozarts der Gnade des Vergessens anheimfallen zu lassen, wird sie wie ein Kleinod zelebriert. Indem Carmen Ginnastasio, als beleidigt-intrigante Vitellia ohnedies eine Wuchtbrumme, einzelne Töne kräht wie ein vom Tode bedrohter Kapaun, schlägt das intendiert Erhabene ins Lächerliche um.

    Dmitri Schostakowitschs Gogol-Adaption "Die Nase” aus den späten 20er-Jahren kam beim "Festival d'Aix" in Koproduktion mit der Opéra de Lyon und deren langjährigem Dirigenten Kazushi Ono heraus.

    Ono greift bei dieser zwischen musikalischen Grimassen und Neoklassizismus changierenden Musik taff zu und unterstreicht die Momente des Turbulenten. Inszeniert wurde die Farce im Grand Théâtre de Provence vom künstlerischen Multi-Talent William Kentridge – mit vielerlei Anspielungen auf die Presse, die Bildende Kunst und Fotos von revolutionären Ereignissen in Petersburg nach 1917. Sollte der Komponist, was seine Apologeten behaupten, in Anverwandlung eines in den 1830er-Jahren aufmüpfigen Sujets ein neues russisches Spießertum kritisiert haben wollen, so hat sich von solchem Willen zu kritischen Anmerkungen in der Inszenierung von Kentridge nichts mitgeteilt. Freilich wäre einzig die Übersetzung der Groteske in die Gegenwart von künstlerischem Rang. Dies gilt nicht minder für Georg Friedrich Händels höfische Schäferidylle "Acis and Galatea" von 1718.

    Die heruntergekommene Domäne Grand Saint-Jean im Westen von Aix wurde schon zur letzten Saison aufwendig umgestaltet. Die Zuschauer blicken jetzt nicht mehr auf eine verranzte Wand, sondern hinaus ins weite Land – auf eine Allee und einen einzelnen gewaltigen Eichbaum über der versumpften Wiese. Stillschweigend ist er in wechselndem Lichtkleid der eigentliche Hauptdarsteller. Saburo Teshigawara ließ es bei etwas Gestrüpp auf der Plattform über dem kleinen Orchestergraben bewenden, in dem sich der aus lauter Liebe unaufmerksame Schäfer Acis, Nymperiche und weibliche Sumpfgöttlichkeiten verstecken können.

    Die vom Ausdruckstanz der 20er-Jahre inspirierten Bewegungen der Arme und Hände bedeuten gewiss so etwas wie historische Aufführungspraxis. Die Instrumente hingegen erscheinen recht neu und modern hergestellt: Unter Einsatz elektronischer Messgeräte so zugesägt und gebohrt, dass ihr Ton jene feinen Schwebungen entfaltet, die die Kundschaft an ein angeblich besseres Früher denken lässt. Einzig in Hinsicht dieses Theatertricks war die Produktion ganz auf der Höhe der Zeit. Und natürlich bezüglich der zentralen Botschaft: "Happy, happy ... "