Stefan Heinlein: Europawahl 2009 - rund 400 Millionen Stimmberechtigte. Nach Indien ist es die zweitgrößte demokratische Wahl weltweit. Seit 1979, also seit exakt 30 Jahren, gibt es direkte Wahlen für das Europaparlament. In vier Wochen, am 07. Juni, ist es wieder so weit. Doch nur langsam kommt der Wahlkampf in Gang. Auch in Deutschland werden erst seit einigen Tagen Plakate geklebt und die Parteien beginnen mit ihren Kundgebungen. Der Wahlkampf ist bitter nötig. Laut Umfragen weiß nur jeder zweite Bundesbürger, dass dieser Urnengang überhaupt stattfindet. Seit 1979 auch sinkt die Wahlbeteiligung kontinuierlich. Bei der letzten Wahl gaben nur rund 43 Prozent der Bürger ihre Stimme ab. Auch diesmal wird es kaum anders sein, obwohl die politische Bedeutung des Europaparlamentes deutlich gewachsen ist. Mit neuen Wegen kämpfen die Parteien gegen die europäische Wahlmüdigkeit. Das Internet soll die Wähler mobilisieren.
Am Telefon ist nun der ehemalige EU-Parlamentspräsident Klaus Hänsch (SPD). Nach 30 Jahren im Europaparlament tritt er nun nicht mehr an. Guten Morgen, Herr Hänsch.
Klaus Hänsch: Guten Morgen!
Heinlein: Ist das Internet tatsächlich die letzte Hoffnung, um die europäischen Bürger an die Urne zu locken?
Hänsch: Nein, das ist nicht die letzte Hoffnung. Das Internet ist ein Instrument. Die letzte Hoffnung geht darauf, dass die Wählerinnen und Wähler verstehen, dass erstens das einige Europa für sie wichtig ist, dass es in den vergangenen 30 Jahren ungeheuer viel getan hat, dass sich das Parlament von einem Beratungsparlament zu einem Entscheidungsparlament entwickelt hat und dass es für jeden Einzelnen wichtig ist, den Gang der Dinge in Europa durch seine Stimmabgabe zu beeinflussen. Dass die Menschen das begreifen, das ist die Hoffnung, aber nicht das Internet.
Heinlein: Aber warum begreifen es so wenige Wähler, denn die Wahlbeteiligung sinkt seit 1979 kontinuierlich?
Hänsch: Das hat ja nun verschiedene Gründe, die zum Teil auch bei Europa liegen - das will ich gar nicht wegreden -, aber wir wollen uns mal die Wahlbeteiligung in anderen Bereichen, in anderen Wahlen etwa auf lokaler Ebene, auch auf regionaler Ebene in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ansehen. Es gibt in Deutschland Kommunalwahlen, da gehen 35 Prozent der Wählerinnen und Wähler zur Urne. Nationale Wahlen in einigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (auch häufig übrigens in den USA) liegen auch nur bei etwa 50, 45 Prozent. Ich sage nicht, dass ich zufrieden bin mit der Wahlbeteiligung Europas, vor allen Dingen nicht mit dem Absinken, aber ich stelle fest, dass es offensichtlich noch andere gesellschaftliche Gründe geben muss in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und darüber hinaus, die dazu führen, dass immer weniger Menschen an die Wahlurnen gehen, von Ausnahmen auf nationaler Ebene abgesehen.
Heinlein: Aber, Herr Hänsch, fast jeder Bundesbürger kennt tatsächlich Struck, Müntefering oder Steinmeier, doch Sie, Herr Hänsch, werden auch nach 30 Jahren im Parlament, im Europäischen Parlament, auf der Straße in Düsseldorf nur selten erkannt werden.
Hänsch: Das ist richtig, das geht vielen meiner Kollegen noch viel schlechter, das ist wahr. Damit sprechen Sie allerdings auch ein Problem an. Europäische Politik ist viel zu wenig personalisiert. Die Menschen wählen ja im Grunde, wenn man mal genau hinhört, nicht den Bundestag oder die französische Nationalversammlung, sondern sie orientieren sich an Personen, die dort während einer Legislaturperiode gehandelt haben und von denen sie wollen, dass sie das weiter tun, oder dass sie das nicht mehr tun. Das ist auf der europäischen Ebene sehr viel schwächer ausgeprägt und damit sich das bessert, haben wir den Vertrag von Lissabon, zunächst den Verfassungsvertrag und dann den Reformvertrag von Lissabon geschaffen, der es erlauben wird, dass sich europäische Politik stärker als bisher in Personen zeigt, und ich glaube, dass das dann auch dazu führen kann, dass die Menschen mehr an die Wahlurne gehen als bisher.
Heinlein: Liegt es also auch daran, dass viele Parteien Kandidaten aufstellen, die in Deutschland selbst ihre Karriere schon hinter sich haben?
Hänsch: Das ist ja schlichtweg nicht wahr. Es gibt bei den Europawahlen immer eine gute Mischung aus jüngeren, die ihre politische Karriere erst anfangen, und älteren, die allerdings schon Erfahrung haben in der Politik. Ich meine, das Europäische Parlament ist ja nicht eine Versammlung von Politakrobaten oder Künstlern, sondern da wird auch politische Erfahrung im nationalen Bereich gebraucht.
Heinlein: Aber die prominentesten Namen, Herr Hänsch, die jetzt kandidieren, sind Bütikofer und Bisky?
Hänsch: Ich verweise auf den Spitzenkandidaten der SPD, Martin Schulz. Das ist ein ganz erfahrener Europäer, der seine politische Karriere im Europäischen Parlament gemacht hat.
Heinlein: Aber in Deutschland kennt ihn niemand?
Hänsch: Der jetzige Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering ist ein langjähriger Parlamentarier, der vor 30 Jahren genauso wie ich angefangen hat. Also lassen wir uns doch nicht durch so einen grünen Einzelfall beeinflussen.
Heinlein: Aber dennoch: Pöttering und auch Martin Schulz wird in Deutschland kaum jemand kennen.
Hänsch: Das ist das Problem, das wir gerade eben schon angesprochen haben, mit der mangelnden Personalisierung europäischer Politik. Ich bin überzeugt davon, dass zumindest im Wahlkampf jetzt sich das noch ändern wird.
Heinlein: Wären, Herr Hänsch, vielleicht europäische Volksbegehren ein richtiger Weg, um mehr Menschen für europäische Themen zu begeistern?
Hänsch: Das wird nicht zur Begeisterung führen, aber es wäre ein Mittel, ein Instrument, um den Menschen Gelegenheit zu geben, auch selbst direkt in europäische Räder einzugreifen. Der Lissabon-Vertrag muss nur ratifiziert werden - übrigens muss auch der deutsche Bundespräsident noch unterschreiben - und in Kraft treten; dann haben wir die Möglichkeit zu einem Volksbegehren auf europäischer Ebene.
Heinlein: Ist aber nicht gerade dieses politische Gezerre um Lissabon ein abschreckendes Beispiel für viele europäische Wähler?
Hänsch: Na ja, es müssen ja 27 Staaten zusammenkommen, so groß ist die Europäische Union nun mal, und da kann es nicht ohne Klippen vorangehen. Das ist eigentlich normal. Ich verstehe, dass der eine oder andere Wähler da nicht mehr mitkommt, aber die Europäische Union ist eine Demokratie, und das bedeutet, es wird um jede politische Entscheidung, auch wenn es um die Revision von Verträgen geht, gestritten.
Heinlein: Ist diese Europawahl für viele Bundestagsparteien auch nur eine Art Aufwärmübung für die folgenden Wahlen, vor allem für die Bundestagswahl? Es wird ja recht wenig Geld eingesetzt im Vergleich zu anderen Wahlkämpfen für diesen Urnengang.
Hänsch: Ja, das hat es in der Vergangenheit bei verschiedenen Wahlen gegeben, aber ich habe den Eindruck, dass es diesmal ausgerechnet nicht so ist, sondern dass die Parteien verstanden haben, dass der Europawahlkampf ein eigenständiger Wahlkampf ist, der natürlich, wie das in Demokratien üblich ist, auch seine Auswirkungen haben wird in seinem Ergebnis auf die kommenden Wahlen. Aber dass die Europawahl von den Parteien so links oder rechts liegen gelassen wird, wie das in der Vergangenheit häufiger der Fall war, gerade diesen Eindruck habe ich in diesem Jahr nicht, sondern das wird ernst genommen. Der Wahlkampf hat ja gerade erst begonnen. Wir werden noch erleben, dass auch die Menschen das mitkriegen, dass die Dinge ernst sind.
Heinlein: Abschließend will ich Ihnen eine Zahl entlocken, Herr Hänsch. 43 Prozent hatten wir beim letzten Mal. Was wäre denn für Sie diesmal eine erfolgreiche Wahlbeteiligung?
Hänsch: Erfolgreich ist alles das, was über 50 Prozent kommt auf europäischer Ebene.
Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der langjährige SPD-Europaabgeordnete Klaus Hänsch. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Düsseldorf.
Hänsch: Danke schön!
Hinweis": Alles über das Wahlprozedere erfahren Sie auch auf den Webseiten der Bundeszentrale für politische Bildung.
Am Telefon ist nun der ehemalige EU-Parlamentspräsident Klaus Hänsch (SPD). Nach 30 Jahren im Europaparlament tritt er nun nicht mehr an. Guten Morgen, Herr Hänsch.
Klaus Hänsch: Guten Morgen!
Heinlein: Ist das Internet tatsächlich die letzte Hoffnung, um die europäischen Bürger an die Urne zu locken?
Hänsch: Nein, das ist nicht die letzte Hoffnung. Das Internet ist ein Instrument. Die letzte Hoffnung geht darauf, dass die Wählerinnen und Wähler verstehen, dass erstens das einige Europa für sie wichtig ist, dass es in den vergangenen 30 Jahren ungeheuer viel getan hat, dass sich das Parlament von einem Beratungsparlament zu einem Entscheidungsparlament entwickelt hat und dass es für jeden Einzelnen wichtig ist, den Gang der Dinge in Europa durch seine Stimmabgabe zu beeinflussen. Dass die Menschen das begreifen, das ist die Hoffnung, aber nicht das Internet.
Heinlein: Aber warum begreifen es so wenige Wähler, denn die Wahlbeteiligung sinkt seit 1979 kontinuierlich?
Hänsch: Das hat ja nun verschiedene Gründe, die zum Teil auch bei Europa liegen - das will ich gar nicht wegreden -, aber wir wollen uns mal die Wahlbeteiligung in anderen Bereichen, in anderen Wahlen etwa auf lokaler Ebene, auch auf regionaler Ebene in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ansehen. Es gibt in Deutschland Kommunalwahlen, da gehen 35 Prozent der Wählerinnen und Wähler zur Urne. Nationale Wahlen in einigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (auch häufig übrigens in den USA) liegen auch nur bei etwa 50, 45 Prozent. Ich sage nicht, dass ich zufrieden bin mit der Wahlbeteiligung Europas, vor allen Dingen nicht mit dem Absinken, aber ich stelle fest, dass es offensichtlich noch andere gesellschaftliche Gründe geben muss in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und darüber hinaus, die dazu führen, dass immer weniger Menschen an die Wahlurnen gehen, von Ausnahmen auf nationaler Ebene abgesehen.
Heinlein: Aber, Herr Hänsch, fast jeder Bundesbürger kennt tatsächlich Struck, Müntefering oder Steinmeier, doch Sie, Herr Hänsch, werden auch nach 30 Jahren im Parlament, im Europäischen Parlament, auf der Straße in Düsseldorf nur selten erkannt werden.
Hänsch: Das ist richtig, das geht vielen meiner Kollegen noch viel schlechter, das ist wahr. Damit sprechen Sie allerdings auch ein Problem an. Europäische Politik ist viel zu wenig personalisiert. Die Menschen wählen ja im Grunde, wenn man mal genau hinhört, nicht den Bundestag oder die französische Nationalversammlung, sondern sie orientieren sich an Personen, die dort während einer Legislaturperiode gehandelt haben und von denen sie wollen, dass sie das weiter tun, oder dass sie das nicht mehr tun. Das ist auf der europäischen Ebene sehr viel schwächer ausgeprägt und damit sich das bessert, haben wir den Vertrag von Lissabon, zunächst den Verfassungsvertrag und dann den Reformvertrag von Lissabon geschaffen, der es erlauben wird, dass sich europäische Politik stärker als bisher in Personen zeigt, und ich glaube, dass das dann auch dazu führen kann, dass die Menschen mehr an die Wahlurne gehen als bisher.
Heinlein: Liegt es also auch daran, dass viele Parteien Kandidaten aufstellen, die in Deutschland selbst ihre Karriere schon hinter sich haben?
Hänsch: Das ist ja schlichtweg nicht wahr. Es gibt bei den Europawahlen immer eine gute Mischung aus jüngeren, die ihre politische Karriere erst anfangen, und älteren, die allerdings schon Erfahrung haben in der Politik. Ich meine, das Europäische Parlament ist ja nicht eine Versammlung von Politakrobaten oder Künstlern, sondern da wird auch politische Erfahrung im nationalen Bereich gebraucht.
Heinlein: Aber die prominentesten Namen, Herr Hänsch, die jetzt kandidieren, sind Bütikofer und Bisky?
Hänsch: Ich verweise auf den Spitzenkandidaten der SPD, Martin Schulz. Das ist ein ganz erfahrener Europäer, der seine politische Karriere im Europäischen Parlament gemacht hat.
Heinlein: Aber in Deutschland kennt ihn niemand?
Hänsch: Der jetzige Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering ist ein langjähriger Parlamentarier, der vor 30 Jahren genauso wie ich angefangen hat. Also lassen wir uns doch nicht durch so einen grünen Einzelfall beeinflussen.
Heinlein: Aber dennoch: Pöttering und auch Martin Schulz wird in Deutschland kaum jemand kennen.
Hänsch: Das ist das Problem, das wir gerade eben schon angesprochen haben, mit der mangelnden Personalisierung europäischer Politik. Ich bin überzeugt davon, dass zumindest im Wahlkampf jetzt sich das noch ändern wird.
Heinlein: Wären, Herr Hänsch, vielleicht europäische Volksbegehren ein richtiger Weg, um mehr Menschen für europäische Themen zu begeistern?
Hänsch: Das wird nicht zur Begeisterung führen, aber es wäre ein Mittel, ein Instrument, um den Menschen Gelegenheit zu geben, auch selbst direkt in europäische Räder einzugreifen. Der Lissabon-Vertrag muss nur ratifiziert werden - übrigens muss auch der deutsche Bundespräsident noch unterschreiben - und in Kraft treten; dann haben wir die Möglichkeit zu einem Volksbegehren auf europäischer Ebene.
Heinlein: Ist aber nicht gerade dieses politische Gezerre um Lissabon ein abschreckendes Beispiel für viele europäische Wähler?
Hänsch: Na ja, es müssen ja 27 Staaten zusammenkommen, so groß ist die Europäische Union nun mal, und da kann es nicht ohne Klippen vorangehen. Das ist eigentlich normal. Ich verstehe, dass der eine oder andere Wähler da nicht mehr mitkommt, aber die Europäische Union ist eine Demokratie, und das bedeutet, es wird um jede politische Entscheidung, auch wenn es um die Revision von Verträgen geht, gestritten.
Heinlein: Ist diese Europawahl für viele Bundestagsparteien auch nur eine Art Aufwärmübung für die folgenden Wahlen, vor allem für die Bundestagswahl? Es wird ja recht wenig Geld eingesetzt im Vergleich zu anderen Wahlkämpfen für diesen Urnengang.
Hänsch: Ja, das hat es in der Vergangenheit bei verschiedenen Wahlen gegeben, aber ich habe den Eindruck, dass es diesmal ausgerechnet nicht so ist, sondern dass die Parteien verstanden haben, dass der Europawahlkampf ein eigenständiger Wahlkampf ist, der natürlich, wie das in Demokratien üblich ist, auch seine Auswirkungen haben wird in seinem Ergebnis auf die kommenden Wahlen. Aber dass die Europawahl von den Parteien so links oder rechts liegen gelassen wird, wie das in der Vergangenheit häufiger der Fall war, gerade diesen Eindruck habe ich in diesem Jahr nicht, sondern das wird ernst genommen. Der Wahlkampf hat ja gerade erst begonnen. Wir werden noch erleben, dass auch die Menschen das mitkriegen, dass die Dinge ernst sind.
Heinlein: Abschließend will ich Ihnen eine Zahl entlocken, Herr Hänsch. 43 Prozent hatten wir beim letzten Mal. Was wäre denn für Sie diesmal eine erfolgreiche Wahlbeteiligung?
Hänsch: Erfolgreich ist alles das, was über 50 Prozent kommt auf europäischer Ebene.
Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der langjährige SPD-Europaabgeordnete Klaus Hänsch. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Düsseldorf.
Hänsch: Danke schön!
Hinweis": Alles über das Wahlprozedere erfahren Sie auch auf den Webseiten der Bundeszentrale für politische Bildung.