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''Häufiger Missbrauch des Asylrechts muss begrenzt werden''

    Simon: Am Montag will das CDU-Präsidium ein Eckpunktepapier zur Zuwanderung verabschieden. Damit verbindet die Führung der Christdemokraten die Hoffnung, dass die seit Wochen anhaltende interne Diskussion um Einwanderung, Asyl und die so genannte "deutsche Leitkultur" in kontrollierbare Bahnen gelenkt wird. Peter Müller, der Ministerpräsident des Saarlandes, ist Vorsitzender der CDU-Zuwanderungskommission und Koautor des CDU-Eckpunktepapiers. Ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen Herr Müller!

    Müller: Guten Morgen.

    Simon: In Ihrem letzten Entwurf haben Sie geschrieben, Deutschland sei ein Einwanderungsland und das Boot sei noch nicht voll. Dafür haben Sie in der Union viel Kritik einstecken müssen, unter anderem auch von Angela Merkel. Werden denn im neuen Eckpunktepapier diese Sätze trotzdem noch einmal stehen?

    Müller: Es geht ja nicht um einzelne Sätze, sondern es geht um die Sache und von der Sache her ist klar: Die Bundesrepublik Deutschland hat in den letzten Jahren mehr Zuwanderer aufgenommen als viele klassische Einwanderungsländer, zum Beispiel relativ mehr Zuwanderer als die Vereinigten Staaten von Amerika. Vor diesem Hintergrund ist die Frage längst nicht mehr Zuwanderung ja oder nein, sondern die Frage ist Zuwanderung geregelt oder ungeregelt. Das ist die Debatte, die jetzt zu führen ist.

    Simon: Das heißt Sie bleiben dabei: Deutschland ist, ob man es mag oder nicht, ein Einwanderungsland?

    Müller: Faktisch lässt sich dieser Tatbestand überhaupt nicht bestreiten. Das wäre eine Verweigerung der Kenntnisnahme der Wirklichkeit. Mit welchem Terminus man das versieht ist demgegenüber sekundär.

    Simon: Ihr alter Entwurf ist ja ganz schnell vom Tisch verschwunden. Was war denn die Kritik der Parteichefin Angela Merkel? War ihr das zu pointiert?

    Müller: Ich weis nichts von einem alten Entwurf, der ganz schnell vom Tisch verschwunden ist. Das Eckpunktepapier ist in die Kommission versandt. Es gab nie eine Notwendigkeit, darüber einen Beschluss zu fassen. In der vergangenen Woche haben wir verabredet, dass auf der Basis dieses Papiers plus auf der Basis des Papiers, das Wolfgang Bosbach für die Bundestagsfraktion gemacht hat, ein Beschlussentwurf für das Präsidium erarbeitet wird. Darauf haben wir uns gestern verständigt und ich gehe davon aus, dass am Montag im Präsidium dann beschlossen wird.

    Simon: Und Sie gehen auch davon aus, dass Ihre Positionen breiten Raum finden werden in diesem Papier?

    Müller: Davon gehe ich aus. Es ist sicher, dass das breiten Raum im Papier findet. Ich gehe auch davon aus, dass es Zustimmung im Präsidium findet.

    Simon: Neben der CDU-Zuwanderungskommission, die Sie ja leiten, gibt es noch die Zuwanderungskommission, die Bundesinnenminister Otto Schily eingesetzt hat. Sie wird geleitet von Ihrer Parteikollegin Rita Süssmuth. Können Sie eigentlich die Kritik aus der Union an Frau Süssmuth wegen deren Arbeit in dieser Kommission nachvollziehen?

    Müller: Ich kann nachvollziehen, dass manche in der Union die Befürchtung haben, dass Rita Süssmuth politisch und parteipolitisch durch den Vorsitz in der Kommission, die von der Bundesregierung eingesetzt worden ist, instrumentalisiert wird. Insofern habe ich Verständnis für diejenigen, die dieses mit Unbehagen sehen. Auf der anderen Seite ist es so, dass Rita Süssmuth beschlossen hat, den Vorsitz der Kommission zu übernehmen. Das ist zu akzeptieren und es ist abzuwarten, welche Ergebnisse die Kommission vorlegen wird.

    Das wird übrigens die anderen Parteien, SPD und Grüne, nicht davon entbinden, ihren parteipolitischen Standort zu finden, und in dieser Debatte sind wir weiter als SPD und Grüne. Wir diskutieren parallel zur Süssmuth-Kommission diese Probleme, während die anderen Parteien das Thema tabuisieren.

    Simon: Wenn Sie an die Zusammenarbeit der Zuwanderungskommission denken sieht es dann so aus, dass Sie schließlich das Papier haben und es einreichen werden bei den endgültigen Beratungen, oder wie können Sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen?

    Müller: Wir formulieren in unserer Kommission die Position der CDU. Die Kommission der Frau Süssmuth arbeitet ja nicht an Parteistrukturen orientiert. Wenn die Ergebnisse der einen wie der anderen Kommission vorliegen, wird man sehen, wo die Überschneidungen sind, wird man auch sehen, wo es Dissenspunkte gibt, und das wird sicherlich die Debatte bereichern.

    Simon: Manche in Ihrer Partei fordern ja eine Grundgesetzänderung, um das individuelle Recht auf Asyl in ein institutionelles umzuwandeln, eine heikle Sache. Ziel ist es, die Zahl der Asylbewerber zu begrenzen. Was halten Sie von dieser Idee?

    Müller: Ziel ist es nicht, die Zahl der Asylbewerber zu begrenzen. Das Ziel besteht darin, den Missbrauch des Asylrechts zu bekämpfen.

    Simon: Läuft aber in der Substanz auf das selbe hinaus?

    Müller: Wir müssen lediglich zur Kenntnis nehmen, dass die Anerkennungsquote der Asylbewerber im Verwaltungsverfahren zwischen drei und vier Prozent liegt. Das heißt die allergrößte Mehrzahl derjenigen, die unter Berufung auf das Asylrecht in die Bundesrepublik kommen, nimmt dieses Recht missbräuchlich in Anspruch. Vor dem Hintergrund ist es berechtigt zu fragen, was wir tun können, um den Missbrauch zu bekämpfen. Da stellt sich dann auch die Frage nach der Umwandlung des Asylrechts in eine institutionelle Garantie.

    Eine andere Möglichkeit ist die, dass wir im Asylbereich eine modifizierte Regelung finden, die möglicherweise den Artikel 19 des Grundgesetzes, also die Rechtsweggarantie tangiert. Das wird im einzelnen zu besprechen sein. Ich glaube nur, dass es einfach im Interesse aller beteiligten, letztlich auch im Interesse der Asylbewerber ist, dass relativ schnell festgestellt wird, ob sie ein Bleiberecht haben oder nicht. Wenn dies erst nach mehrjährigen Gerichtsverfahren festgestellt wird, ist alleine dieses mehrjährige Verfahren und der damit verbundene Aufenthalt in Deutschland ein Anreiz, sich auch dann auf das Recht zu berufen, wenn politische Verfolgung nicht vorliegt.

    Simon: Aber Sie riskieren natürlich, dass wirklich verfolgte durchs Raster fallen, denn es hat sich herausgestellt, dass von diejenigen, die gegen den Bescheid klagen, immerhin noch bis zu zehn Prozent Recht behalten vor den Gerichten gegen den vorher ergangenen Bescheid. Das sind dann Fälle, die in Zukunft ja abgeschoben würden, auch wenn wirklich Gefährdung besteht.

    Müller: Überall wo Menschen handeln können Fehler passieren. Nur die Behauptung, dass das Recht der Asylbewerber, die wirklich politisch verfolgt sind, durch einen veränderten Rechtsweg tangiert würde, ist in dieser Allgemeinheit sicherlich nicht richtig. Wenn Sie sich das einmal in anderen europäischen Staaten anschauen, etwa in Holland, in Schweden, in Frankreich. Nirgendwo ist das individuelle Asylrecht so ausgestaltet wie in der Bundesrepublik Deutschland. Trotzdem kommt ja niemand auf die Idee zu behaupten, Schweden nimmt keine politisch verfolgten auf. Vor dem Hintergrund glaube ich, dass man die Debatte in aller Ruhe führen kann. Wir werden über kurz oder lang eine europäische Harmonisierung des Asylrechts brauchen, und da kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dies auf der Basis der individuellen Ausgestaltung des Asylrechts stattfindet, so wie wir sie zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland haben.

    Simon: Alle anderen Bundestagsparteien sind ja derzeit nicht bereit, das Asylrecht weiter einzuschränken. Für wie wichtig halten Sie in diesem Zusammenhang, dass eine überparteiliche Lösung gefunden wird?

    Müller: Ich halte das für sehr wichtig und ich glaube, dass sie auch nicht vermeidbar ist. Ein Staat kann ja nicht einfach wegschauen, wenn die Rechte, die er gewährt, überwiegend missbraucht werden. Wenn wir auch unter Einschluss der Gerichtsverfahren immer noch 90 Prozent Asylbewerber haben, die nicht wirklich politisch verfolgt sind, dann muss darauf reagiert werden, und dieser Debatte wird sich niemand verweigern können.

    Simon: Aber die Positionen der anderen Parteien sehen derzeit ja nicht danach aus, als ob die das gerne in eine institutionelle Asylgarantie umwandeln würden?

    Müller: Das mag zum jetzigen Zeitpunkt so sein, aber je stärker die öffentliche Debatte in dieser Frage geführt wird, um so zwingender werden die Argumente in der Sache. Deshalb wird dort auch noch Bewegung bei den anderen Parteien eintreten.

    Simon: Werden Sie die öffentliche Debatte dahingehend ein wenig befördern?

    Müller: Das ist notwendig. Im übrigen hat ja auch die Süssmuth-Kommission erklärt, dass auch das Thema Asyl auf den Tisch kommt und dass man sich auch dort mit diesem Thema beschäftigen wird. Warten wir einmal ab, was dort vorgeschlagen wird. Einzelne Äußerungen des Bundesinnenministers lassen erwarten, dass auch von Seiten der Kommission oder von Seiten des Bundesinnenministers Vorschläge gemacht werden, wie der Missbrauch des Asylrechts eingeschränkt werden kann.

    Simon: Sehen Sie auch wie manche ein Problem darin, dieses ganze Thema in der Nähe zu Wahlen zu diskutieren?

    Müller: In Wahlen muss über die Dinge gesprochen werden, die die Menschen beschäftigen. Vor diesem Hintergrund darf das Thema auch in Wahlkämpfen nicht tabuisiert werden. Ich hoffe, dass es uns gelingt, vor der nächsten Bundestagswahl eine einvernehmliche Lösung der gesamten Zuwanderungsproblematik zu finden. Wenn dies nicht gelingt, dann gibt es politisch alternative Vorstellungen und die Entscheidung über diese Vorstellungen ist natürlich eine Entscheidung, die auch bei Wahlen relevant ist. Insofern ist die Frage nicht, ob man das Thema behandelt. Die Frage ist, wie man das Thema behandelt. Klar ist, dass es sich um ein sensibles, um ein hoch komplexes Thema handelt. Entsprechend verantwortungsbewusst muss damit umgegangen werden. Verantwortungsbewusster Umgang heißt aber nicht, dass man einfach nur schweigt.

    Simon: Wenn ich Sie richtig verstehe sind das Problem die schrillen Töne. Jetzt ist aber die Frage: Gerade aus der Schwesterpartei CDU ist in der Diskussion um Zuwanderung immer wieder ein Ton eingetreten, der eine angstfreie Einwanderungsdebatte - ich will es einmal so sagen - schwierig macht. Wie wollen Sie das vermeiden? Sie sind ja nicht für scharfe Töne bekannt.

    Müller: Ich bin sehr dafür, dass wir in dieser Debatte auf jede Form von Einseitigkeit verzichten. Wissen Sie, wer einigermaßen unreflektiert die multikulturelle Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland ausruft, der schürt natürlich auch Ängste und der sorgt auch dafür, dass Fremdenfeindlichkeit entsteht. Insofern sind einseitige Schuldzuweisungen völlig falsch am Platz. Eines ist richtig: Alle Politiker sind aufgerufen, sehr sorgsam mit diesen Themen umzugehen und in dem Zusammenhang sicherlich auch auf das verwendete Vokabular zu achten.

    Simon: Gerade in diesen Tagen hat der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf gesagt, es würde nicht reichen zu sagen, man sei ein guter Europäer. Das sei ein Fluchtbegriff. Wenn wir jetzt an die letzten Jahre, das letzte Jahrzehnt denken, der frühere Bundeskanzler und langjährige CDU-Vorsitzende Helmut Kohl hat ja genau darauf größten Wert gelegt, dass Deutschland einen Platz in Europa hat. Schließen sich nach diesen neuen Auslegungen Europäer sein und Deutscher sein aus?

    Müller: Mit Sicherheit nicht. Das eine und das andere ergänzen sich. Ich glaube, da hatte schon Konrad Adenauer Recht, der immer gesagt hat, die europäische Einheit und die deutsche Wiedervereinigung sind die zwei Weiten der gleichen Medaille. Es gibt ein gemeinsames europäisches Erbe. Es gibt die Traditionen der Aufklärung, die Traditionen des Humanismus. Es gibt die Traditionen des Christentums. Die haben Europa geprägt. Dieses gemeinsame Erbe ist Grundlage des Zusammenlebens der Menschen in den europäischen Gesellschaften.

    Das schließt nicht aus, dass man sich zu dem Land, dass man sich zu der Nation bekennt, der man angehört. Also beides ergänzt sich und steht nicht im Widerspruch zueinander.

    Simon: Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, Vorsitzender der CDU-Zuwanderungskommission, im Gespräch im Deutschlandfunk. - Vielen Dank!

    Link: Interview als RealAudio