
Auch wenn sie Haftbefehls berührende Reminiszenz an Mey in der aktuell so viel Aufsehen erregenden Netflix-Doku zunächst überrascht habe, erklärte die Rap-Forscherin im Deutschlandfunk, beide träfen sich in der Zugänglichkeit ihrer Texte. Mey mache Texte, mit denen man sich identifizieren könne, die allgemeinverständlich Not und Melancholie ausdrückten.
Außerdem gehe es darin um Sozialkritik. Vielfach werde das Leben der "kleinen Leute" beziehungsweise der Unterprivilegierten dargestellt, festgehalten und die Zustände anschließend kritisiert. Beide Künstler stünden auch auf der gleichen Seite der populären Musik sowie der Lyrik. Lyrik werde oft als angestaubt wahrgenommen, führte Ingold aus. Durch Popmusik und gerade auch durch den Rap sei sie jedoch eine der meistrezipierten Literaturformen.
Verblüffung, weil Deutschrapper mit Migrationshintergrund traditionelles deutsches Liedgut von Reinhard Mey hören?
Die Verblüffung vieler komme vermutlich daher, vermutete die Wissenschaftlerin von der Uni Bamberg, dass hier das migrantisch Geprägte mit einem traditionellen deutschen Liedgut in Verbindung gebracht werde.
Dabei sei auch der Deutschrap seit den 90er Jahren eine sehr deutsche Kunstform. Er beanspruche die deutsche Sprache ebenfalls für sich, betonte Ingold. Und gerade "Haftbefehl" sei eben auch bekannt dafür, dass er die deutsche Sprache mitgeprägt habe.
"Haftbefehl" laut Rap-Forscher Martin Seeliger mit seinem künstlerischen Einfluss sehr wichtig
Der Bremer Soziologe Martin Seeliger, der ebenfalls zum Rap forscht, erklärte im Deutschlandfunk Kultur, Haftbefehl sei mit seinem künstlerischen Einfluss sehr wichtig. Nach dem Rapper Anis Ferchichi, alias Bushido, in den Nullerjahren sei es ab 2013/2015 Haftbefehl gewesen, der das Genre in Deutschland geprägt habe. Er sei zum Prototyp des deutschen Gangsterrappers geworden.
Haftbefehl habe zudem viele Dinge gemacht, die vor ihm niemand getan habe, fügte Seeliger hinzu. Dazu gehöre, verschiedene Sprachen zu mischen; Kurdisch, Arabisch, Türkisch, Italienisch und andere.
Haftbefehl macht in Schlüsselszene der Netflix-Doku seinen persönlichen Bezug zu Reinhard Mey deutlich
Der schwer suchterkrankte Musiker Aykut Anhan hatte in einer Schlüsselszene der Netflix-Doku "Babo - die Haftbefehl-Story" seine persönliche Verbindung zu Reinhard Mey deutlich gemacht. Von Selbstzweifeln geplagt, sinkt er am Geburtstag seiner Tochter in der Szene auf dem Boden zusammen, sucht in seinem Handy nach einem bestimmten Lied von Mey. Als er es findet, spielt er es ab und singt es mit.
Es handelt sich um das Stück "In meinem Garten" aus dem Jahr 1970. Mey thematisiert darin vor allem Verlustängste und Beziehungssorgen. In den Sozialen Medien wird das Lied seitdem von Haftbefehl-Fans zahlreich geteilt und nachgesungen. Die Fans geben sich überrascht, beeindruckt und angetan von Meys Text und Musik.
Reinhard Meys "In meinem Garten" von 1970 erreicht nach Haftbefehl-Doku die Top Ten in den Charts
"In meinem Garten" stieg inzwischen in die Charts der Streamingplattformen Apple und Spotify ein. Zuletzt erreichte es sogar die Top Ten, noch vor vielen Liedern des Weltstars Taylor Swift. Haftbefehl stieg gleich mit mehreren Liedern in die Charts neu ein.
Der Dokumentarfilm, der unter anderem von dem Schauspieler Elyas M'Barek produziert wurde, steht seit Tagen auf Platz 1 in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Biografie erinnert an "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" aus dem Jahr 1978.
Diese Nachricht wurde am 05.11.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.



