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Haltung der Arabischen Liga zum Irak-Konflikt

Simon: Der Vorschlag der Vereinigten Arabischen Emirate, Saddam Hussein und seine gesamte Regierung sollten zurücktreten, um einen Krieg vom irakischen Volk abzuwenden, erregte am Wochenende einiges Aufsehen. Aber nicht gerade bei der arabischen Liga, wo er vorgestellt wurde. Die arabischen Staaten hätten einfach nicht den Mut, darüber zu diskutieren, sagte der frustrierte Urheber der Initiative, Cheik Said. Stattdessen gab es ein Communique wie immer, Bagdad solle die Forderungen der Vereinten Nationen erfüllen, die Kontrolleure müssten mehr Zeit haben, kein arabisches Land dürfe militärisch gegen den Irak vorgehen. Am Telefon begrüße ich jetzt Volker Perthes, den Nahostexperten der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen.

    Perthes: Guten Morgen.

    Simon: Herr Perthes, hat die arabische Liga damit ihre Chance verpasst, das Schicksal der Region in arabische Hände zu nehmen?

    Perthes: Ich bin nicht sicher, ob die arabische Liga als Organisation diese Chance jemals gehabt hat. Wenn dann sind es einzelne arabische Staaten, die hier Führungsqualitäten beweisen könnten. Dazu gehören sicherlich die Vereinigten Arabischen Emirate, wenn sie ein paar gute Partner finden. Dazu gehört Saudiarabien, dazu gehört Ägypten. Diese Staaten sind sich auch einigermaßen einig, dass sie den Krieg vermeiden wollen, indem sie Druck auf Saddam Hussein machen wollen. Es gibt aber eben andere Kräfte in der arabischen Liga und in der arabischen Welt, wie Syrien etwa, die sagen: Wir wollen nicht unbedingt den Druck erhöhen, sondern wir wollen auf jeden Fall ein klares Statement machen, dass wir einen amerikanischen Angriff zum Regimewechsel in einem arabischen Staat verhindern wollen, dass wir uns dagegen stellen, ein Stück weit aus der Angst heraus, sozusagen als nächste auf die Liste amerikanischen Zorns zu kommen. Es gibt natürlich ein paar arabische Staaten, wo amerikanische Soldaten heute stationiert sind und sich auf einen möglichen Krieg vorbereiten: Kuwait, Katar, Bahrain, die einer zu starken anti-amerikanischen oder Anti-Kriegsresolution dann eben auch nicht zustimmen wollten.

    Simon: Sie sprachen gerade die kleinen Länder am Golf an. Davon haben Kuwait und Bahrain ja auch gesagt, sie wollen den Vorschlag der Emirate unterstützen, aber eingangs nannten Sie auch eine ganze Reihe wichtiger, arabischer Länder, wie Saudarabien und Ägypten, die im Prinzip auch für eine solche Lösung seien könnten. Warum kommt es in der arabischen Liga nie zu einer wirklichen Auseinandersetzung in der Sache, nie zu einer Mehrheitsdiskussion?

    Perthes: Das liegt ein Stück weit an der Struktur der arabischen Liga. Es ist eben kein Staatenbund, der sich gegenseitig erlaubt, in die sogenannten inneren Angelegenheiten anderer Staaten hineinzuregieren, sondern es ist nur eine Liga unabhängiger, souveräner Staaten. Man schließt aus den Diskussionen alles aus, was unterhalb der Ebene staatlicher Souveränität angesiedelt ist. Dazu gehört dann eben die Frage, ob man eine Regierung irgendwo entfernen sollte oder ob man einen Regierungschef oder Präsidenten auffordern sollte, sein Amt zu verlassen und ins Exil zu gehen. Man redet auch nicht über die politischen Verhältnisse, also mehr oder weniger Pluralität oder mehr oder weniger Diktatur. Man redet auch nicht über die wirtschaftlichen oder politischen Reformprozesse, die vielleicht in einigen Ländern mit Hilfe anderer angeschoben werden können. Das wird zum Teil sehr vorsichtig bilateral getan. Das wird zum Teil in den arabischen Wirtschaftsfonds getan, wo ein wenig Druck auf Reformen von den Geberländern auf die Nehmerländer - aber auf Ebene der arabischen Liga - gemacht wird. Da sitzen die Staatsoberhäupter zusammen und versuchen, sich auch möglichst wenig weh zu tun.

    Simon: Wenn wir von der Liga mal weggehen und vielleicht auch die kleinen Golfstaaten, Kuwait, Bahrain, Emirate und den Uman beiseite lassen, gibt es trotzdem noch große Länder in vielen Ländern der arabischen Regionen, wo nicht wirklich Fans von Saddam Hussein an der Regierung sind. Ist es die Angst vor der Straße, die die Mehrheit cdieser Regierungen von einer harten Politik gegenüber Saddam abhält?

    Perthes: Angst vor der Straße oder Angst vor der öffentlichen Meinung gibt es in allen arabischen Staaten. Die öffentliche Meinung in den arabischen Staaten ist stärker noch als die in Europa - sicherlich fast zu 100 Prozent - gegen einen Krieg. Das heißt nicht, dass diese Regime glauben, sie würden morgen weggefegt, aber sie müssen sich durchaus ein Stück weit um die Zustimmung der Straße oder der Öffentlichkeit kümmern. Eine stärkere Resolution oder ein stärkeres Vorgehen, ein aktiveres Vorgehen, dazu sind wahrscheinlich allenfalls heute Staaten wie Saudiarabien und Ägypten in der Lage. Sie müssen allerdings aufpassen, dass sie nicht auch von der Öffentlichkeit oder von anderen Staaten angeschuldigt werden, hier den Lakai der Amerikaner zu machen. Aber wenn es einen Platz für stille Diplomatie gibt, also etwa den Versuch, Saddam Hussein und seine Mannschaft doch noch kurz vor einem amerikanischen Angriff zum Aufgeben und zum Exil zu bewegen, dann sind das sicherlich größere, glaubwürdigere Staaten, die sich nicht voll auf die amerikanische Linie stellen wie Saudiarabien oder Ägypten, die hier vielleicht überhaupt noch eine Chance haben, in Bagdad etwas auszurichten.

    Simon: Glauben Sie denn, dass Bagdad auf irgendetwas hört, was von Seiten der Araber kommt?

    Perthes: Die Frage ist, auf wen Bagdad überhaupt hört. Wenn, dann sind es wahrscheinlich einige große arabische Staaten, die glaubhaft sagen: Wir haben kein Interesse an einem Krieg, weil wir die Folgen für die regionale Stabilität und auch natürlich die humanitären Folgen fürchten, weil wir nicht wissen, ob das Ganze nicht zu einer Zerspaltung des Iraks, zu Bürgerkriegen, zur Involvierung der Türkei und Irans, etc führt, die gleichzeitig eben nicht wie Katar oder Kuwait oder wie Bahrain von den Irakern als kleiner Anhängsel amerikanischer Politik verschrieen werden können. Saudiarabien hat auch in Bagdad einen gewissen moralischen, politischen Stand. Ob saudische Erfolge, saudische Bemühungen letztlich Erfolg haben können, das wird man nicht wissen. Die Frage ist auch, ob die Führung in Bagdad überhaupt noch glaubt, dass ein Krieg vermeidbar ist. Wenn sie sicher sind, dass es den Krieg in jedem Fall geben wird, egal ob Saddam Hussein nun den Irak verlässt oder nicht, dann werden sie sich auf gar keinen Fall bewegen, sondern weiter in ihrer Rhetorik verhalten und sagen: Wir halten aus. Wir kämpfen bis zum letzten Mann. Selbst wenn das die irakischen Armee dann wahrscheinlich nicht tun wird.

    Simon: Sehen Sie Anzeichen für diese Tendenz?

    Perthes: Anzeichen für die Tendenz, dass sie durchhalten wollen und nicht aufgeben?

    Simon: Ja.

    Perthes: Ja. Es ist tatsächlich so, es scheint so zu sein, dass das irakische Regime, die Führung überzeugt ist, dass die Kriegsentscheidung in Washington gefallen ist, egal was sie in Bagdad tun. Das zeigt sich ein Stück weit ja auch an der Auseinandersetzung über die Zerstörung der irakischen Raketen, wo gerade in den letzten Tagen zwar begonnen worden ist, einige Raketen zu zerstören, aber jetzt gesagt worden ist: Wenn wir das Gefühl haben, die Amerikaner wollen den Krieg auf jeden Fall führen, warum sollen wir dann unsere letzten Waffen zerstören?

    Simon: Wie hilfreich ist es eigentlich, wenn George Bush eine Demokratisierung der Region und eine Lösung des Palästina-Problems nach einem Irak-Krieg verspricht?

    Perthes: Nun, das sind ja beides richtige Themen: Demokratisierung der Region und Lösung des Palästina-Konflikts. Ich denke, es wäre richtiger zu sagen: Lasst uns die demokratischen, pluralistischen Kräfte, die es in der arabischen Welt gibt, die große Schwierigkeiten haben, sich in ihren je einzelnen Staaten mit den Regimes auseinanderzusetzen, unabhängig von einem Krieg mit dem Irak unterstützen oder lasst uns nicht darauf warten, dass man einen Krieg gegen den Irak gewinnt bevor wir Unterstützung bekommen. Das Gleiche gilt für Israelis und Palästinenser. Die Unterstützung wird möglicherweise auch Druck von außen brauchen, um ihren Konflikt zu lösen, ohne dass dies mit einem Sieg über Bagdad verbunden ist.

    Simon: Ganz herzlichen Dank. Das waren Informationen von Herrn Volker Perthes, dem Nahostexperten der Stiftung Wissenschaft und Politik.

    Link: Interview als RealAudio