Sonntag, 19. Mai 2024

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Haltung der Christdemokraten zum Irak-Krieg

Meurer: Manchen mag es schon gewundert haben: Wann debattiert endlich der Deutsche Bundestag über den drohenden Krieg gegen den Irak. Gestern gab es ein erstes Vorgeplänkel mit einer aktuellen Stunden im Parlament. Heute folgt ab 9:00 Uhr die Regierungserklärung des Kanzlers und dann eine ausführliche Debatte. Nach einigem Lavieren in der Vergangenheit - so wurde es zumindest auch in Washington aufgenommen - hat sich die Unionsspitze klar und eindeutig nun hinter die USA gestellt. Heute soll im Parlament ein entsprechender Antrag eingebracht werden, aber damit stellen sich die Christdemokraten gegen die Kirchen und auch in Widerspruch zur Haltung des Papstes. Am Telefon begrüße ich den CSU-Bundestagsabgeordneten, Norbert Geis. Guten Morgen, Herr Geis.

13.02.2003
    Geis: Guten Morgen.

    Meurer: Welche Bedeutung hat denn für Sie persönlich das Nein des Papstes zum Krieg?

    Geis: Das ist für mich völlig klar: Der Papst sagt nein zum Krieg. Er sagt aber nicht nein zum Krieg als letztes Mittel. Wir sagen aber alle nein zum Krieg. Keiner von uns will ja ernsthaft den Krieg haben. Wir alle sehen den Krieg als letztes Mittel an. Das stimmt eigentlich genau mit dem überein, was der Papst sagt. Möglicherweise ist der Papst entgegen den Amerikanern der Auffassung, dass noch nicht alle Mittel ausgeschöpft sind, um den Krieg zu verhindern, aber ich bin ganz sicher, dass die Unionsspitze und die gesamte Union der Meinung ist, dass erst alle Mittel ausgeschöpft werden müssen, um den Krieg zu verhindern. Also, ich finde, dass wir uns jetzt nicht im Gegensatz zur Auffassung des Papstes und der deutschen Bischofskonferenz befinden.

    Meurer: Mit dem Antrag heute, den die Unionsspitze formuliert hat und der sich an diesem Papier, das von acht Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union oder Europas formuliert worden ist - Europa und Amerika müssen zusammenstehen - fühlen Sie sich da mit Ihren Bedenken repräsentiert?

    Geis: Ich kann mich ohne weiteres mit diesem Antrag identifizieren, aber entscheidend für mich ist, dass wirklich alle, alle Mittel ausgenützt werden, um den Krieg zu verhindern und dass nur als letztes Mittel dann der Krieg in Betracht kommt, denn man muss immer wieder wissen, und das muss man jedem sagen, der darüber diskutiert, dass es natürlich darum geht, Saddam Hussein auszuschalten. Das ist ein blutbefleckter, orientalischer Despot, dem auch jedes Mittel recht ist, seine Macht zu verteidigen und sie auch mit aller Macht zu halten. Aber es wird bei dem Ausschalten Saddam Husseins immer auch darum gehen, dass Menschen unschuldig ihr Leben lassen müssen. Bei einem Krieg werden vielleicht viele Tausende von Menschen ihr Leben lassen müssen, und deswegen kann und darf für die gesamte westliche Welt, für jeden humanen Staat der Krieg nur immer das allerletzte Mittel sein oder ist nur immer dann erlaubt, wenn es wirklich darum geht, die Freiheit und das eigene Leben zu sichern. Dass wir von Saddam Hussein bedroht werden, das scheint mir ja nun einsichtig zu sein. Darüber diskutiert keiner ernsthaft, weil er tatsächlich Waffen hat, die die Menschheit bedrohen können. Aber die Frage ist: Ist er so weit, dass er sie auch einsetzt? Besteht die Gefahr, dass er sie einsetzt? Dies müssen natürlich die Nachrichtendienste, die Menschen, die Politiker, die Spitzenleute entscheiden, die insoweit die besten Informationen haben. Das kann ich von mir und hier aus nicht entscheiden. Ich kann nur immer wieder sagen, dass es richtig ist, dass wir den Krieg als allerletztes Mittel verwenden. Es ist aber erste und wichtigste Aufgabe, alles zu unternehmen, den Frieden zu wahren.

    Meurer: Sind Sie wie andere in der Union der Meinung, die Kirchen hätten keine Ahnung von Außenpolitik oder zu wenig Ahnung, um fundierte Stellungnahmen abzugeben?

    Geis: Das halte ich für falsch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Papst und die Bischöfe keine Ahnung von Außenpolitik haben. Ich glaube, da sollte sich kein Politiker überheben. Die sind sehr wohl informiert und können die Entwicklungen in der Welt sehr wohl betrachten. Das heißt natürlich nicht, dass sich ein Politiker, der Christ und ein treuer Kirchenmann ist, nicht seine eigenen Gedanken machen soll und dass er immer nur auf das hören soll, was der Papst in politischen Fragen sagt. Der kann sich seine eigene Meinung bilden, aber zu behaupten, dass die Kirchen keine Ahnung hätten, das halte ich für abwegig.

    Meurer: Haben Sie sich geärgert über das, was Ihre Fraktionskollege Friedbert Pflüger gesagt hat, der den Kirchen vorwirft, sie würden gegenüber einem Tyrannen beschwichtigen.

    Geis: Ich halte das für eine falsche Formulierung. Die Kirchen beschwichtigen nicht gegenüber einem Tyrannen. Sie wollen nur eines: Sie wollen, dass erst alle Mittel eingesetzt werden, um eine friedliche Regelung zu erreichen, um eben nicht unschuldiges Blut zu vergießen. Diese Formulierung von Herrn Pflüger würde ich so nicht wiederholen. Ich weiß auch nicht, ob er sie wirklich so gemeint hat.

    Meurer: Fühlen Sie sich, Herr Geis, zwischen Bündnistreue zu den USA und der strikten Mahnung des Papstes sozusagen hin- und hergerissen? Frage an den katholischen Abgeordneten.

    Geis: Ich meine, für mich ist die Mahnung des Papstes, den Frieden zu bewahren, ausschlaggebend, und diese Mahnung würde ich auch dem Präsidenten der USA sagen, wenn ich die Gelegenheit dazu hätte. Ich fühle mich nicht in dem Sinne dann hin- und hergerissen, sondern für mich ist die Sache völlig eindeutig: Der Präsident der USA hat als die Führungsmacht im Westen die größte Verantwortung, dass nicht unschuldiges Blut, dass nicht unschuldige Menschen ihr Leben lassen müssen und deswegen muss er an erster und vorderster Stelle alles unternehmen, um den Krieg zu verhindern. Die USA sollten nicht den Fehler machen, zu glauben, sie müssten mit Hilfe eines Krieges nun dort die Demokratie herbeibomben. Das wird man mit dem Islam nicht fertig bekommen. Es kann immer nur und einzig und allein darum gehen, Gefahr für die Menschheit zu unterbinden und zu verhindern und zurückzudrängen. Dass Saddam Hussein eine Gefahr ist, darüber brauchen wir nicht mehr diskutieren. Das ist in der Zwischenzeit Allgemeingut geworden. Darüber streitet niemand mehr. Die Frage, die ich vorhin schon gestellt habe, ist für uns alle: Ist diese Gefahr akut, dass kriegerische Mittel unbedingt notwendig sind. Das ist die entscheidende Frage. Da bitte ich die USA und alle führenden Politiker, sich das genau durch den Kopf gehen zu lassen und erst dann das Ja zum Krieg zu geben, wenn es gar nicht mehr anders geht.

    Meurer: Der CSU-Bundestagsabgeordnete, Norbert Geis, war das heute Morgen im Deutschlandfunk.

    Link: Interview als RealAudio