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Hamburg und der NSU
"Nicht ein einziges Mal nach rechts ermittelt"

Im NSU-Prozess wird bald das Urteil fallen - aber in Hamburg gibt es noch offene Fragen. Die "Initiative für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Tasköprü" und die Linken fordern einen Untersuchungsausschuss. Die anderen Parteien sehen dafür keine Notwendigkeit.

Von Axel Schröder | 24.05.2018
    In der Hamburger Schützenstraße erinnert neben einem Gedenkstein auch ein Stern mit einem kleinen Porträtfoto an den Gemüsehändler Süleyman Tasköprü, der hier von den Rechtsterroristen des NSU erschossen wurde
    In der Hamburger Schützenstraße erinnert neben einem Gedenkstein auch ein Stern mit einem kleinen Porträtfoto an den Gemüsehändler Süleyman Tasköprü, der hier von den Rechtsterroristen des NSU erschossen wurde (Deutschlandradio/ Axel Schröder)
    Der kleine Laden in der Hamburger Schützenstraße steht leer. Auf dem Gedenkstein links neben dem Schaufenster sind die Namen der Opfer des NSU eingraviert. Und im Boden eingelassen erinnert ein Stern mit einem kleinen Porträtfoto an den Gemüsehändler Süleyman Tasköprü, der hier von den Rechtsterroristen erschossen wurde.
    "Wir stehen hier vor einem Laden, der fast komplett verglast ist, von außen kann man wunderbar reingucken. Drumherum sind ganz viele Wohnungen. Und auch, wenn man vergegenwärtigt, dass Herr Tasköprü am helllichten Tag, am Vormittag des 27. Juni 2001, ermordet wurde, ist das ein Anschlag, der sozusagen mitten in das Leben trifft."
    In der Hamburger Schützenstraße, wo Süleyman Tasköprü in einem Gemüseladen erschossen wurde, weist ein Gedenkstein auf die anderen Opfer der Mordserie des rechtsterroristischen NSU hin
    Ein Gedenkstein in Hamburg weist auch auf die anderen Opfer der Mordserie des rechtsterroristischen NSU hin (picture alliance/ dpa/ Florian Schuh)
    Warum wurde der Gemüseladen als Tatort ausgewählt?
    Robin Steinbrügge gehört zur "Initiative für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Tasköprü". Für ihn war der Mord ein Zeichen an die gesamte türkische Gemeinschaft in Hamburg: Fühlt Euch nicht sicher. Es kann jeden von Euch treffen! Die Initiative fordert einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft, um die offenen Fragen des Mordes aufzuklären. Eine davon ist, warum der Gemüseladen in der belebten Hamburger Schützenstraße als Tatort ausgewählt wurde.
    "Wenige hundert Meter von hier entfernt ist eine Polizeidienststelle, an der man auch vorbeikommt, wenn man beispielsweise von der Autobahn kommt. Insofern ist das auch ein Ort, wo man entweder so drauf sein muss, dass es einem völlig egal ist, entdeckt zu werden. Oder man kennt sich hier mit den Gegebenheiten schon so aus, dass man weiß, wie man in schnellster Zeit und relativ unauffällig das Feld räumen kann."
    Robin Steinbrügge geht davon aus, dass die rechtsextremen Mörder Unterstützer in Hamburg gehabt haben müssen. Leute, die den Tatort im Vorfeld ausgekundschaftet haben. Diese Vermutung stehe nach wie im Raum, bestätigt auch Christiane Schneider von der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss müsse unter anderem klären, ob nicht auch die führenden Köpfe der damals sehr aktiven, militanten Hamburger Neonazi-Szene, zum Beispiel Christian Worch oder Thomas Wulff, vom Terror des NSU wussten.
    "Es geht nicht um eine Zelle, sondern um ein Netzwerk. Und da gibt es Erkenntnisse aus Untersuchungsausschüssen und aus dem Münchener Prozess. Nämlich, dass sowohl Tino Brandt aus Thüringen wie der bayerische Verfassungsschutzmitarbeiter Kai Dalek regelmäßig bei Worch und Wulff Bericht erstattet haben über die Entwicklungen in Thüringen. Die waren über die Entwicklungen, zum Beispiel, dass Waffen gehortet wurden, ständig auf dem Laufenden."
    Keine Hinweise auf Verbindung zu Hamburger Neonazis
    Nach dem Auffliegen des NSU vor sieben Jahren durchforsteten die Hamburger Polizei und das Landesamt für Verfassungsschutz ihre Aktenbestände. Das Ergebnis: Es gibt keine Hinweise auf Verbindungen zwischen Hamburger Neonazis und dem NSU. Christiane Schneider:
    "Nicht beantwortet ist, warum die Polizei und das Landesamt für Verfassungsschutz nicht ein einziges Mal wirklich nach rechts ermittelt haben."
    Wie bei den NSU-Morden in anderen Bundesländern gingen auch die Hamburger Ermittler davon aus, dass die Täter im Bereich der Organisierten Kriminalität zu suchen seien, dass ausländische Banden dahinter stecken könnten. Erst fünf Jahre nach dem Mord an Süleyman Tasköprü fragten die Ermittler beim Hamburger Verfassungsschutz nach, ob nicht auch ein rechtsextremistisches Tatmotiv denkbar sei. Aber auch dort gab es nach Angaben der Behörde keinerlei entsprechende Hinweise darauf. Für Sören Schumacher, den innenpolitischen Sprecher der zusammen mit den Grünen regierenden SPD, wäre deshalb nach heutigem Kenntnisstand die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses weder nötig noch besonders ergiebig:
    "Hier in Hamburg sind alle Akten von vorne bis hinten aus den Behörden gewendet worden. Und uns wurde sehr, sehr gut darüber berichtet und wir sind gut informiert worden. Deswegen sind wir der Meinung, dass das parlamentarische Instrument des Untersuchungsausschusses hier derzeit nicht notwendig ist."
    Offene Fragen klären - in den bestehenden Gremien
    Er verweist auf die Innenausschusssitzungen zu dem Thema, in denen bereits alle Erkenntnisse ausgebreitet worden seien. Auch im PKA, im Parlamentarischen Kontrollausschuss der Bürgerschaft, in dem Gremium, das die Arbeit des Verfassungsschutzes überwachen soll, waren die offenen Fragen Thema, konnten aber nicht beantwortet werden. In diesem Kontrollausschuss sitzt auch Antje Möller von den Grünen. Sie will die offenen Fragen zum NSU-Komplex weiter klären:
    "Deshalb würde ich für mich erstmal den Weg gehen, die alten Unterlagen nochmal anzugucken, abzugleichen mit den Fragen, die sich aus dem Prozess in München oder aus anderen neuen Informationen ergeben. Und diese Fragen würde ich erstmal stellen wollen in den Gremien, die wir haben."
    Und erst dann müsse man entscheiden, ob ein NSU-Untersuchungsausschuss auch in Hamburg tatsächlich neue Erkenntnisse zutage fördern kann. Weil auch CDU, FDP und AfD in der Bürgerschaft keine Notwendigkeit für einen Untersuchungsausschuss sehen, wird die Forderung der Linken nach eben diesem Gremium erfolglos bleiben. Beweise dafür, dass die Behörden mehr wissen als sie zugeben, hat auch Christiane Schneider nicht. Aber es gebe Hinweise darauf, erklärt sie und fordert, auch im Interesse der Angehörigen von Süleyman Tasköprü, weiter nachzuforschen:
    "Wenn das nicht aufgeklärt wird und zwar so lückenlos wie möglich, dann werden die Familien bis an ihr Lebensende schwer darunter leiden, dann werden sie nicht zu einem Frieden kommen. Und das ist ein Zustand, der ist nicht hinzunehmen."