Jochen Spengler: Die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene wird von der Mehrheit der Bundesbürger begrüßt. Dass CDU und Grüne in Hamburg zusammen regieren wollen, findet eine Mehrheit von 52 Prozent der Befragten des heute veröffentlichten ZDF-Politbarometers gut. 19 Prozent bewerteten die Zusammenarbeit als nicht gut; 26 Prozent ist es egal. Wie dem auch sei: Nach wochenlangen Verhandlungen unterzeichneten gestern CDU und Grün-Alternative Liste den Koalitionsvertrag. Heute nahmen Bürgermeister Ole von Beust und die Grünen-Chefin Anja Hajduk Stellung zu ihren gemeinsamen Vorhaben.
Die Sendung ist wie eine Pralinenschachtel: Man weiß nie, was einen als nächstes erwartet. Und jetzt ist auch klar, mit wem wir über Schwarz-Grün in Hamburg sprechen wollen. Es ist der Fraktionsvorsitzende der Hamburger SPD, Michael Neumann. Guten Tag, Herr Neumann!
Michael Neumann: Moin! Hallo!
Spengler: Ist dieses Bündnis historisch, was da heute an Ihnen vorbei in der Hansestadt geschlossen wird?
Neumann: Das wird sich rausstellen am Ende der Legislaturperiode. Es ist zumindest das erste Mal, dass auf Landesebene eine schwarz-grüne Koalition zustande kommt, und im Grunde ist es in gewisser Weise Normalität. Die Sozialdemokraten koalieren mit verschiedenen Partnern. Bisher waren die Grünen auf uns abboniert. Jetzt haben sie auch eine andere Option geöffnet. Das ist kein Grund zur Aufregung. Es kommt auf die Inhalte an.
Spengler: Das können Sie ja wahrscheinlich verstehen, dass sie auch andere Optionen geöffnet haben, weil Sie haben ja auch alle Optionen?
Neumann: Das wollte ich sagen. Die Sozialdemokraten hatten in Rheinland-Pfalz eine sozialliberale Koalition, haben eine Große Koalition auf Bundesebene, haben ein erfolgreiches rot-grünes Bündnis in Bremen. Von daher ist da Aufregung nicht angesagt, sondern Normalität. Was mir allerdings Sorgen macht sind die Inhalte und die Scheinkompromisse, die da gefunden worden sind.
Spengler: Da kommen wir gleich drauf zu sprechen. Wie lange geben Sie denn Schwarz-Grün?
Neumann: Die haben sich vorgenommen, jetzt vier Jahre zu regieren. Ob das wirklich so lange hält? Ich glaube, eine Markstrecke wird wirklich der Bundestagswahlkampf und die Bundestagswahl im nächsten Jahr sein. Ob es darüber hinausreicht und ob auch die Integrationsfigur Ole von Beust so lange noch im Bürgermeisteramt bleibt? Ich denke, bis zur Bundestagswahl wird es reichen. Darüber hinaus mache ich ein Fragezeichen.
Spengler: Das bezweifeln Sie von Ihrem Gefühl her, dass das dann darüber hinaus fortgeführt wird in Hamburg?
Neumann: Es sind sehr viele Kompromisse inhaltlich gemacht worden, die zum Teil hanebüchen sind - ich weiß: Demokratie besteht aus Kompromissen -, die wirklich in der Sache Murks sind. Da hat man jetzt den unbedingten Willen zur Macht und zur Öffnung einer weiteren Koalitionsoption. Das ist ein Signal auch auf Bundesebene, denn um Hamburger Interessen ging es bei den Verhandlungen nicht. Das ist schon etwas, was auf die Bundestagswahl hinweist. Wenn die Bundestagswahl dann, hoffe ich, für die CDU verloren geht, wird man auch dort wieder stärker auf die Sachebene kommen. Und ob es in Hamburg reicht, wird man dann sehen.
Spengler: Was in Hamburg ist Murks an den Kompromissen?
Neumann: Zum einen ist der ganze Koalitionsvertrag unter der Überschrift zu sehen "Unser Dorf soll schöner werden". Das ist eine lange Wunschliste von vielen Dingen, die nicht finanziert sind. Das Wort "soll" ist das häufigst genannte Worte, ich glaube über 300 Mal, es soll das geschehen, es soll das geschehen. Das einzige, wo es konkret wird ist die Bildungspolitik und da kann ich nur sagen: Das ist ein Programm, das dazu führen wird, dass Sozialdemokraten gute Chancen haben, spätestens 2012 wieder erfolgreich in Hamburg zu regieren, denn die Abschaffung des Elternwillens, dass jetzt nur noch Lehrer und Schule darüber entscheiden dürfen, was aus den Kindern wird, ob ein Kind eine Stadtteilschule, ein Gymnasium oder eine Realschule besuchen darf, das, glaube ich, werden die Hamburgerinnen und Hamburger, das werden sich Eltern, nicht gefallen lassen.
Spengler: Aber die gemeinsame Grundschule sechs Jahre lang, das hätten Sie doch auch gerne umgesetzt, oder?
Neumann: Unser Konzept war - und das war auch vor der Wahl in der Enquete-Kommission in der hamburgischen Bürgerschaft von allen Parteien beschlossen worden -, die sechsjährige Grundschule ad acta zu legen. Wir wollen langfristig eine Gemeinschaftsschule, eine Stadtteilschule, für alle. Aber der Weg über die sechsjährige Grundschule war parteiübergreifend zwischen den Grünen, zwischen der CDU und uns Sozialdemokraten in der Enquete-Kommission der letzten Legislaturperiode ad acta gelegt worden, weil alle sich einig waren: Das ist der falsche Weg, um dahin zu kommen.
Spengler: Elternwille wird abgeschafft, sagen Sie. Was meint das genau?
Neumann: Bisher haben in Hamburg die Eltern ein sehr starkes Mitentscheidungsrecht, auf welche weitere Schulform ihr Kind geht, ob es also den klassischen Weg Richtung Realschule, Hauptschule, Gymnasium oder Gesamtschule geht. Das soll in Zukunft so geregelt werden, dass das die Schulkonferenz entscheidet. Wenn man als Eltern Widerspruch dagegen einlegt, dann soll es Eignungstests für die Kinder geben. Da kann ich aus eigener Erfahrung berichten: Ich bin so ein Kind, das keine Empfehlung für ein Gymnasium bekommen hat, und meine Eltern dann gesagt haben, sie wollen aber trotzdem versuchen, mich auf ein Gymnasium zu schicken. Und es hat geklappt.
Spengler: Aus Ihnen ist etwas geworden.
Neumann: Das will ich so nicht sagen, aber zumindest sind all diejenigen, die eine gymnasiale Empfehlung gehabt haben, zum Teil ohne Abitur von der Schule gegangen. Von daher glaube ich. das ist ein Freiheitsrecht; das darf man Eltern nicht nehmen: Kinder dürfen nicht zu Versuchskaninchen gemacht werden.
Spengler: Herr Neumann, Sie haben eben gesagt, in diesen 60 Seiten Koalitionsprogramm stehen viele hübsche Absichten, "Unser Dorf soll schöner werden", aber keine Finanzierung. Nennen Sie mir ein Beispiel: Was ist zum Beispiel eine schöne Absicht, ohne dass die Finanzierung feststeht?
Neumann: Beispielsweise die Formulierungen, alles was Infrastrukturmaßnahmen angeht, oder das was wir im O-Ton vorhin gehört haben, was den Bildungsbereich angeht. Der Senat hat im Wahljahr - also 2007 und Anfang 2008 - über 800 Millionen Euro zusätzlich ausgegeben. Da sind wir ins Minus gegangen. Keiner weiß, wo das Geld herkommen soll. Die Landesbank hat bisher realisiert einen Verlust von 1,3 Milliarden Euro. Das sind die typischen Dinge, die wir in Sachsen, die wir in Düsseldorf erlebt haben. Die erleben wir auch in Hamburg. All das sind Dinge, die noch nicht gedeckt sind, und jetzt weitere Investitionen - niemand weiß, wo das Geld herkommen soll.
Spengler: Jetzt haben Sie die einmalige Chance, den politischen Gegner zu loben. Was gefällt Ihnen am schwarz-grünen Programm?
Neumann: Na ja, wenn ich ehrlich bin, ist die Idee der Stadtbahn etwas, die wir Sozialdemokraten seit langen Jahren fordern. Das wurde noch von der CDU immer wieder als Straßenbahn, als Bimmelbahn aus dem letzten Jahrhundert bezeichnet. Ich glaube, die grundsätzliche Entscheidung ist für Hamburg eine richtige, den ÖPNV auszubauen.
Spengler: Elbvertiefung?
Neumann: Elbvertiefung, aber da muss man auch mal warten, weil dort schlichtweg ja die CDU in Niedersachsen mit beiden Beinen auf der Bremse steht. Dort will man den Standortfaktor Wilhelmshaven, den Parallelhafen zu Hamburg stärken. Von daher ist das zwar gut, wenn man sich in Hamburg darauf einigt, aber es kommt darauf an, dass Herr von Beust seinen Ministerpräsidentenkollegen in Hannover erst mal zur Räson bringt, damit wir das umsetzen können. Moorburg scheint mir auch ein ähnliches Desaster zu werden. Da warten auch enorme Schadensersatzforderungen auf den Hamburger Senat.
Spengler: Das sieht ja so aus, als würde das dort auf ein Gaskraftwerk hinauslaufen. Wäre das so schlimm?
Neumann: Nein, im Gegenteil. Wir selbst sind ja auch in der Ablehnung des Kraftwerkes Moorburg klar. Das Problem ist nur, dass es einfach den Anschein hat, als habe der Bürgermeister rechtsverbindliche Zusagen gemacht vor der Wahl. Wenn Vattenfall bereits, wie Sie selbst sagen, 1,3 Milliarden Euro verauslagt haben und Aufträge erteilt haben in Erwartung, dass der Bauantrag genehmigt wird, weil es klare Signale aus dem Senat dazu gab, dann muss Hamburg schlimmstenfalls vor Gericht belangt werden wegen Schadensersatz, und das ist eine Finanzbelastung, die im Moment noch gar nicht darstellbar ist. Ökologisch sind wir immer auf der Position gewesen, Gaskraftwerk ist das richtige und auch nicht in der großen Dimension, wie das Kohlekraftwerk in Moorburg geplant war.
Spengler: Wenn ich das so höre, die Schulreform, die Elbvertiefung, kein Kohlekraftwerk Moorburg mehr, wäre doch das, was Grün mit Ole von Beust verabredet hat auch mit Ihnen so ähnlich möglich gewesen oder?
Neumann: Wir hatten ja ein Sondierungsgespräch mit den Kollegen der CDU, das allerdings sich auf 90 Minuten reduziert hatte, weil im Grunde dort auch viel Belanglosigkeiten ausgetauscht wurden. Von Vornherein war klar: die CDU wollte gar nicht um der Inhalte willen eine Hamburger Lösung, wollte nicht das beste für Hamburg, sondern sie wollten schlichtweg die taktische Option Schwarz-Grün öffnen. Das war der Hintergrund. Von daher war das ein nettes Gespräch. Die Kartoffelsuppe des Bürgermeisters war lecker, aber ansonsten hätten wir uns das Gespräch auch gut sparen können. Es war von vornherein klar: Es geht nicht um Inhalte, es geht um die Machtposition-Option. Christa Goetsch - das ist die Vorsitzende der GAL-Fraktion - hat mal auf die Frage, was sie an Herrn von Beust schätzt, richtigerweise gesagt, sympathisch, aber skrupellos bei der Auswahl seiner Koalitionspartner. Das passt.
Spengler: Aber wenn Grün jetzt mit Ihnen hätte machen können, dann wäre doch so etwas Ähnliches herausgekommen in Sachen Elbvertiefung, in Sachen Kraftwerk Moorburg. Das meinte ich!
Neumann: Bei der Frage der Elbvertiefung wäre der Senat sicherlich durchsetzungsfähiger gewesen, was Niedersachsen angeht - auch mit der Unterstützung von Wolfgang Tiefensee. Was Moorburg angeht, kann man sicherlich immer Regelungen finden, indem man miteinander redet. Mittlerweile hat aber Vattenfall die Stadt bereits verklagt, weil es derart eskaliert ist. Das ist kein Umgang, auch als Investitionsstandort große Investoren so abzuschrecken. Und die Schulpolitik ist schlichtweg eine Katastrophe. Eine Abschaffung des Elternwillens - das Beispiel, was wir besprochen haben - wird es mit Sozialdemokraten nicht geben.
Spengler: Dass nun die Grünen aus der babylonischen Gefangenschaft mit Ihnen herauskommen und nun zu den Schwarzen gehen, macht Sie das sauer, oder ist das unhanseatisch?
Neumann: Nein, überhaupt nicht. Hier ist es, glaube ich, Normalität. Es gibt da auch einen Generationswechsel. Ich bin auch eher froh darüber, dass wir nicht mehr über rot-grüne Projekte philosophieren. Es geht um die Politik des Machbaren und von daher bin ich da nicht sauer - im Gegenteil. Es ist allerdings schon überraschend - wir haben ja schon einige Sitzungen der Bürgerschaft erlebt -, wie schnell sich einzelne Abgeordnete und diejenigen, die auch in Kürze im Senat sitzen, sich schon die Attitüde des Regierens angewöhnt haben. Eine leichte Arroganz der Macht verspürt man schon, aber das ist eine menschliche Reaktion. Ich weiß nicht, wie wir uns vielleicht verhalten hätten, wenn es für Rot-Grün gereicht hätte.
Spengler: Sie haben ja auch lange Erfahrung darin. Was halten Sie denn von der Schlussfolgerung, die nun die Jusos ziehen, die SPD müsse nun mehr auf die Linkspartei zugehen, um auch sich selbst weitere Koalitionsmöglichkeiten zu eröffnen?
Neumann: Wir haben darüber in Hamburg bereits diskutiert, und es ist schlichtweg so, dass die Linkspartei in Hamburg sich auf die Zuschauertribüne zurückgezogen hat politisch. Sie sind der Auffassung, der Hauptgegner der Linkspartei sei die Sozialdemokratie, fordern solche Dinge wie Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan oder Reform von Hartz IV. Das sind alles Dinge, die wir in Hamburg gar nicht entscheiden können, die wir inhaltlich im Übrigen auch ablehnen. Von daher: Wenn die Linkspartei aufs Spielfeld zurückkommt, sind sie Gesprächspartner, aber bisher sind sie weit davon entfernt. Es liegt bei denen, und wenn die sich bewegen und eine vernünftige Partei werden, die bereit ist Verantwortung für Hamburg oder für Deutschland zu übernehmen, kann man mit denen reden. Bisher ist das noch leider Lichtjahre entfernt.
Spengler: Michael Neumann, der Fraktionsvorsitzende der Hamburger SPD, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Neumann, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche eine erfolgreiche Oppositionszeit.
Neumann: Das werden wir haben. Vielen Dank.
Die Sendung ist wie eine Pralinenschachtel: Man weiß nie, was einen als nächstes erwartet. Und jetzt ist auch klar, mit wem wir über Schwarz-Grün in Hamburg sprechen wollen. Es ist der Fraktionsvorsitzende der Hamburger SPD, Michael Neumann. Guten Tag, Herr Neumann!
Michael Neumann: Moin! Hallo!
Spengler: Ist dieses Bündnis historisch, was da heute an Ihnen vorbei in der Hansestadt geschlossen wird?
Neumann: Das wird sich rausstellen am Ende der Legislaturperiode. Es ist zumindest das erste Mal, dass auf Landesebene eine schwarz-grüne Koalition zustande kommt, und im Grunde ist es in gewisser Weise Normalität. Die Sozialdemokraten koalieren mit verschiedenen Partnern. Bisher waren die Grünen auf uns abboniert. Jetzt haben sie auch eine andere Option geöffnet. Das ist kein Grund zur Aufregung. Es kommt auf die Inhalte an.
Spengler: Das können Sie ja wahrscheinlich verstehen, dass sie auch andere Optionen geöffnet haben, weil Sie haben ja auch alle Optionen?
Neumann: Das wollte ich sagen. Die Sozialdemokraten hatten in Rheinland-Pfalz eine sozialliberale Koalition, haben eine Große Koalition auf Bundesebene, haben ein erfolgreiches rot-grünes Bündnis in Bremen. Von daher ist da Aufregung nicht angesagt, sondern Normalität. Was mir allerdings Sorgen macht sind die Inhalte und die Scheinkompromisse, die da gefunden worden sind.
Spengler: Da kommen wir gleich drauf zu sprechen. Wie lange geben Sie denn Schwarz-Grün?
Neumann: Die haben sich vorgenommen, jetzt vier Jahre zu regieren. Ob das wirklich so lange hält? Ich glaube, eine Markstrecke wird wirklich der Bundestagswahlkampf und die Bundestagswahl im nächsten Jahr sein. Ob es darüber hinausreicht und ob auch die Integrationsfigur Ole von Beust so lange noch im Bürgermeisteramt bleibt? Ich denke, bis zur Bundestagswahl wird es reichen. Darüber hinaus mache ich ein Fragezeichen.
Spengler: Das bezweifeln Sie von Ihrem Gefühl her, dass das dann darüber hinaus fortgeführt wird in Hamburg?
Neumann: Es sind sehr viele Kompromisse inhaltlich gemacht worden, die zum Teil hanebüchen sind - ich weiß: Demokratie besteht aus Kompromissen -, die wirklich in der Sache Murks sind. Da hat man jetzt den unbedingten Willen zur Macht und zur Öffnung einer weiteren Koalitionsoption. Das ist ein Signal auch auf Bundesebene, denn um Hamburger Interessen ging es bei den Verhandlungen nicht. Das ist schon etwas, was auf die Bundestagswahl hinweist. Wenn die Bundestagswahl dann, hoffe ich, für die CDU verloren geht, wird man auch dort wieder stärker auf die Sachebene kommen. Und ob es in Hamburg reicht, wird man dann sehen.
Spengler: Was in Hamburg ist Murks an den Kompromissen?
Neumann: Zum einen ist der ganze Koalitionsvertrag unter der Überschrift zu sehen "Unser Dorf soll schöner werden". Das ist eine lange Wunschliste von vielen Dingen, die nicht finanziert sind. Das Wort "soll" ist das häufigst genannte Worte, ich glaube über 300 Mal, es soll das geschehen, es soll das geschehen. Das einzige, wo es konkret wird ist die Bildungspolitik und da kann ich nur sagen: Das ist ein Programm, das dazu führen wird, dass Sozialdemokraten gute Chancen haben, spätestens 2012 wieder erfolgreich in Hamburg zu regieren, denn die Abschaffung des Elternwillens, dass jetzt nur noch Lehrer und Schule darüber entscheiden dürfen, was aus den Kindern wird, ob ein Kind eine Stadtteilschule, ein Gymnasium oder eine Realschule besuchen darf, das, glaube ich, werden die Hamburgerinnen und Hamburger, das werden sich Eltern, nicht gefallen lassen.
Spengler: Aber die gemeinsame Grundschule sechs Jahre lang, das hätten Sie doch auch gerne umgesetzt, oder?
Neumann: Unser Konzept war - und das war auch vor der Wahl in der Enquete-Kommission in der hamburgischen Bürgerschaft von allen Parteien beschlossen worden -, die sechsjährige Grundschule ad acta zu legen. Wir wollen langfristig eine Gemeinschaftsschule, eine Stadtteilschule, für alle. Aber der Weg über die sechsjährige Grundschule war parteiübergreifend zwischen den Grünen, zwischen der CDU und uns Sozialdemokraten in der Enquete-Kommission der letzten Legislaturperiode ad acta gelegt worden, weil alle sich einig waren: Das ist der falsche Weg, um dahin zu kommen.
Spengler: Elternwille wird abgeschafft, sagen Sie. Was meint das genau?
Neumann: Bisher haben in Hamburg die Eltern ein sehr starkes Mitentscheidungsrecht, auf welche weitere Schulform ihr Kind geht, ob es also den klassischen Weg Richtung Realschule, Hauptschule, Gymnasium oder Gesamtschule geht. Das soll in Zukunft so geregelt werden, dass das die Schulkonferenz entscheidet. Wenn man als Eltern Widerspruch dagegen einlegt, dann soll es Eignungstests für die Kinder geben. Da kann ich aus eigener Erfahrung berichten: Ich bin so ein Kind, das keine Empfehlung für ein Gymnasium bekommen hat, und meine Eltern dann gesagt haben, sie wollen aber trotzdem versuchen, mich auf ein Gymnasium zu schicken. Und es hat geklappt.
Spengler: Aus Ihnen ist etwas geworden.
Neumann: Das will ich so nicht sagen, aber zumindest sind all diejenigen, die eine gymnasiale Empfehlung gehabt haben, zum Teil ohne Abitur von der Schule gegangen. Von daher glaube ich. das ist ein Freiheitsrecht; das darf man Eltern nicht nehmen: Kinder dürfen nicht zu Versuchskaninchen gemacht werden.
Spengler: Herr Neumann, Sie haben eben gesagt, in diesen 60 Seiten Koalitionsprogramm stehen viele hübsche Absichten, "Unser Dorf soll schöner werden", aber keine Finanzierung. Nennen Sie mir ein Beispiel: Was ist zum Beispiel eine schöne Absicht, ohne dass die Finanzierung feststeht?
Neumann: Beispielsweise die Formulierungen, alles was Infrastrukturmaßnahmen angeht, oder das was wir im O-Ton vorhin gehört haben, was den Bildungsbereich angeht. Der Senat hat im Wahljahr - also 2007 und Anfang 2008 - über 800 Millionen Euro zusätzlich ausgegeben. Da sind wir ins Minus gegangen. Keiner weiß, wo das Geld herkommen soll. Die Landesbank hat bisher realisiert einen Verlust von 1,3 Milliarden Euro. Das sind die typischen Dinge, die wir in Sachsen, die wir in Düsseldorf erlebt haben. Die erleben wir auch in Hamburg. All das sind Dinge, die noch nicht gedeckt sind, und jetzt weitere Investitionen - niemand weiß, wo das Geld herkommen soll.
Spengler: Jetzt haben Sie die einmalige Chance, den politischen Gegner zu loben. Was gefällt Ihnen am schwarz-grünen Programm?
Neumann: Na ja, wenn ich ehrlich bin, ist die Idee der Stadtbahn etwas, die wir Sozialdemokraten seit langen Jahren fordern. Das wurde noch von der CDU immer wieder als Straßenbahn, als Bimmelbahn aus dem letzten Jahrhundert bezeichnet. Ich glaube, die grundsätzliche Entscheidung ist für Hamburg eine richtige, den ÖPNV auszubauen.
Spengler: Elbvertiefung?
Neumann: Elbvertiefung, aber da muss man auch mal warten, weil dort schlichtweg ja die CDU in Niedersachsen mit beiden Beinen auf der Bremse steht. Dort will man den Standortfaktor Wilhelmshaven, den Parallelhafen zu Hamburg stärken. Von daher ist das zwar gut, wenn man sich in Hamburg darauf einigt, aber es kommt darauf an, dass Herr von Beust seinen Ministerpräsidentenkollegen in Hannover erst mal zur Räson bringt, damit wir das umsetzen können. Moorburg scheint mir auch ein ähnliches Desaster zu werden. Da warten auch enorme Schadensersatzforderungen auf den Hamburger Senat.
Spengler: Das sieht ja so aus, als würde das dort auf ein Gaskraftwerk hinauslaufen. Wäre das so schlimm?
Neumann: Nein, im Gegenteil. Wir selbst sind ja auch in der Ablehnung des Kraftwerkes Moorburg klar. Das Problem ist nur, dass es einfach den Anschein hat, als habe der Bürgermeister rechtsverbindliche Zusagen gemacht vor der Wahl. Wenn Vattenfall bereits, wie Sie selbst sagen, 1,3 Milliarden Euro verauslagt haben und Aufträge erteilt haben in Erwartung, dass der Bauantrag genehmigt wird, weil es klare Signale aus dem Senat dazu gab, dann muss Hamburg schlimmstenfalls vor Gericht belangt werden wegen Schadensersatz, und das ist eine Finanzbelastung, die im Moment noch gar nicht darstellbar ist. Ökologisch sind wir immer auf der Position gewesen, Gaskraftwerk ist das richtige und auch nicht in der großen Dimension, wie das Kohlekraftwerk in Moorburg geplant war.
Spengler: Wenn ich das so höre, die Schulreform, die Elbvertiefung, kein Kohlekraftwerk Moorburg mehr, wäre doch das, was Grün mit Ole von Beust verabredet hat auch mit Ihnen so ähnlich möglich gewesen oder?
Neumann: Wir hatten ja ein Sondierungsgespräch mit den Kollegen der CDU, das allerdings sich auf 90 Minuten reduziert hatte, weil im Grunde dort auch viel Belanglosigkeiten ausgetauscht wurden. Von Vornherein war klar: die CDU wollte gar nicht um der Inhalte willen eine Hamburger Lösung, wollte nicht das beste für Hamburg, sondern sie wollten schlichtweg die taktische Option Schwarz-Grün öffnen. Das war der Hintergrund. Von daher war das ein nettes Gespräch. Die Kartoffelsuppe des Bürgermeisters war lecker, aber ansonsten hätten wir uns das Gespräch auch gut sparen können. Es war von vornherein klar: Es geht nicht um Inhalte, es geht um die Machtposition-Option. Christa Goetsch - das ist die Vorsitzende der GAL-Fraktion - hat mal auf die Frage, was sie an Herrn von Beust schätzt, richtigerweise gesagt, sympathisch, aber skrupellos bei der Auswahl seiner Koalitionspartner. Das passt.
Spengler: Aber wenn Grün jetzt mit Ihnen hätte machen können, dann wäre doch so etwas Ähnliches herausgekommen in Sachen Elbvertiefung, in Sachen Kraftwerk Moorburg. Das meinte ich!
Neumann: Bei der Frage der Elbvertiefung wäre der Senat sicherlich durchsetzungsfähiger gewesen, was Niedersachsen angeht - auch mit der Unterstützung von Wolfgang Tiefensee. Was Moorburg angeht, kann man sicherlich immer Regelungen finden, indem man miteinander redet. Mittlerweile hat aber Vattenfall die Stadt bereits verklagt, weil es derart eskaliert ist. Das ist kein Umgang, auch als Investitionsstandort große Investoren so abzuschrecken. Und die Schulpolitik ist schlichtweg eine Katastrophe. Eine Abschaffung des Elternwillens - das Beispiel, was wir besprochen haben - wird es mit Sozialdemokraten nicht geben.
Spengler: Dass nun die Grünen aus der babylonischen Gefangenschaft mit Ihnen herauskommen und nun zu den Schwarzen gehen, macht Sie das sauer, oder ist das unhanseatisch?
Neumann: Nein, überhaupt nicht. Hier ist es, glaube ich, Normalität. Es gibt da auch einen Generationswechsel. Ich bin auch eher froh darüber, dass wir nicht mehr über rot-grüne Projekte philosophieren. Es geht um die Politik des Machbaren und von daher bin ich da nicht sauer - im Gegenteil. Es ist allerdings schon überraschend - wir haben ja schon einige Sitzungen der Bürgerschaft erlebt -, wie schnell sich einzelne Abgeordnete und diejenigen, die auch in Kürze im Senat sitzen, sich schon die Attitüde des Regierens angewöhnt haben. Eine leichte Arroganz der Macht verspürt man schon, aber das ist eine menschliche Reaktion. Ich weiß nicht, wie wir uns vielleicht verhalten hätten, wenn es für Rot-Grün gereicht hätte.
Spengler: Sie haben ja auch lange Erfahrung darin. Was halten Sie denn von der Schlussfolgerung, die nun die Jusos ziehen, die SPD müsse nun mehr auf die Linkspartei zugehen, um auch sich selbst weitere Koalitionsmöglichkeiten zu eröffnen?
Neumann: Wir haben darüber in Hamburg bereits diskutiert, und es ist schlichtweg so, dass die Linkspartei in Hamburg sich auf die Zuschauertribüne zurückgezogen hat politisch. Sie sind der Auffassung, der Hauptgegner der Linkspartei sei die Sozialdemokratie, fordern solche Dinge wie Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan oder Reform von Hartz IV. Das sind alles Dinge, die wir in Hamburg gar nicht entscheiden können, die wir inhaltlich im Übrigen auch ablehnen. Von daher: Wenn die Linkspartei aufs Spielfeld zurückkommt, sind sie Gesprächspartner, aber bisher sind sie weit davon entfernt. Es liegt bei denen, und wenn die sich bewegen und eine vernünftige Partei werden, die bereit ist Verantwortung für Hamburg oder für Deutschland zu übernehmen, kann man mit denen reden. Bisher ist das noch leider Lichtjahre entfernt.
Spengler: Michael Neumann, der Fraktionsvorsitzende der Hamburger SPD, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Neumann, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche eine erfolgreiche Oppositionszeit.
Neumann: Das werden wir haben. Vielen Dank.