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Hamm-Brücher kritisiert Parteienoligarchie

Hildegard Hamm-Brücher wirbt für mehr direkte Demokratie in Deutschland. "Wir haben eine Parteiendemokratie und keine Bürgerdemokratie. Und da ist eine offenkundige Fehlentwicklung", sagte die FDP-Politikerin, die unter anderem eine Direktwahl des Bundespräsidenten für erwägenswert hält.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Am Telefon begrüße ich Frau Hildegard Hamm-Brücher, eine Grand Dame der deutschen Politik, die selbst schon öfters als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt wurde. Guten Morgen, Frau Hamm-Brücher!

    Hildegard Hamm-Brücher: Guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Frau Hamm-Brücher, diese Rede wird vermutlich in der Großen Koalition nicht allen gefallen vor allem die Kritik am Sozialstaat und den Meinungen und den Reformen. Köhler ist ein unbequemer Präsident. Es wird auch spekuliert, ob man nicht einen anderen Kandidaten finden könnte. Sie haben sich seinerzeit bei seiner Wahl für die Gegenkandidatin Gesine Schwan ausgesprochen. Wie ist heute Ihr Bild von Köhler?

    Hamm-Brücher: Also ich muss sagen, ich bin wie Saulus Paulus oder Paulus Saulus geworden. Jedenfalls sind meine Vorbehalte, die ich gegen die Kandidatur von dem weithin unbekannten Horst Köhler hatte und die Überzeugung, dass Gesine Schwan endlich auch nun als Frau zum Zuge kommen sollte, bin ich wirklich im Laufe der Zeit sehr angenehm enttäuscht worden und habe auch die Meinung, dass Herr Köhler, selbst wenn hin und wieder er den Parteien unbequem ist und anderen Interessengruppen und so weiter., er doch in unsere Geschichte als ein hervorragend kompetenter Bundespräsident eingehen wird.

    Liminski: Darf man das als Plädoyer für eine zweite Amtszeit von Horst Köhler verstehen?

    Hamm-Brücher: Ja, ich glaube, das ist noch nicht ganz spruchreif. Aber ich persönlich würde sagen, dass es eine gute Sache wäre. Und ich habe ja auch vorgeschlagen, um eine kleine Demokratisierung in unsere höchsten Spitzenämter zu bekommen, man sollte doch bei der zweiten Wahlperiode unter Umständen einen Volksentscheid herbeiführen, das heißt die Bürger entscheiden zu lassen, ob Herr Köhler eine zweite Amtszeit haben soll oder nicht. Und dass nicht den Parteien, die teilweise vergrätzt sind, und den Meinungsmachern zu überlassen, sondern mal die Bürgerinnen und Bürger fragen, wollt Ihr eigentlich Herrn Köhler noch mal oder nicht? Also ich weiß schon, dass ist ein bisschen ein Stein ins Wasser. Aber trotzdem sollte man ab und zu immer noch mal überlegen, wie kann man das Staatsoberhaupt in unserem Lande den Bürgern näher bringen?

    Liminski: Nun sind Bundespräsidenten meistens sehr beliebt. Vorgänger Rau war es, Herzog auch, ebenfalls von Weizsäcker, Scheel sowieso. Und Heuss ist geradezu legendär geworden. Beliebt aber machtlos - könnte, sollte man der Legitimität, die in der Beliebtheit steckt, nicht von Anfang an, also nicht erst bei der zweiten Amtsperiode, sondern von Anfang an eine offizielle Grundlage geben, indem man dem Bundespräsidenten direkt vom Volk wählen lässt.

    Hamm-Brücher: Ja, ich habe das ja schon immer wieder vertreten, weil ich ja selbst das Opfer von dem Parteigeschacher und Kalkül bis in den dritten Wahlgang 1994 gewesen bin, dass man auf eine breitere Basis die Auswahl des Präsidenten stellen sollte, aber bin damit immer wieder gestrandet. Und die Frage der Macht oder der Nichtmacht finde ich auch gar nicht so schrecklich wichtig. Gerade wenn es eine Volkswahl gibt, und die Wahl fällt nicht so gut aus, dann ist es ja nicht so schlimm, wenn eine wäre wie bei Hindenburg, der mit einer schicksalhaften Wahl verbunden ist.

    Liminski: Könnte man die Macht des Präsidenten stärken, indem man ihm die Möglichkeit gibt, das Parlament aufzulösen, falls sich eine Mehrheit im Parlament dafür ausspricht?

    Hamm-Brücher: Ja. Das ist ja wohl auch schon möglich jetzt nach den letzten Ereignissen. Es wäre auch eine Sache, die mir am Herzen liegt, dass auch die Selbstauflösung des Parlaments möglich wird, ohne dass alle möglichen Tricks da angewandt werden müssen, wie man das immer jetzt der Fall war bei vorzeitigen Auflösungen. Also es gäbe sehr viel für die politischen Parteien und die Führungsinstanzen in eigener Zuständigkeit an Reformen zu tun, die sie aber immer wie den heißen Brei umkreisen und nicht anpacken.

    Liminski: Frau Hamm-Brücher, in der Presse wird Köhler zunehmend kritisiert. Keiner höre mehr auf ihn, heißt es. Und im "Spiegel" ist diese Woche zu lesen, er habe es sich mit großen Teilen der politischen Klasse verscherzt. Man sei gereizt, empfinde ihn als Zumutung, gar als Fehlgriff. Wenn ich Sie recht verstehe, ist das nicht gerechtfertigt? Wird hier aus den Büschen geschossen, um ihn madig zu machen?

    Hamm-Brücher: Ja. Das halte ich für überwiegend so, dass so eine seltsame Allianz entstanden ist, die nun den Bundespräsidenten verunsichern will. Und ich bedauere das auch sehr. Denn wenn man sich die Reden nachträglich genauer anguckt, haben sie soviel Substanz und soviel wichtige Sachkenntnis, die zu akzeptieren ist, dass die Kritik, gut nicht jede Rede ist eine flammende Rede, aber eigentlich ist der Bundespräsident eben da, um Nachdenklichkeit zu stimmen und nicht Massenapplaus. Also ich finde, er tut das alles abgewogen und sehr verantwortungsvoll.

    Liminski: Das Problem der politischen Klasse mit dem Bundespräsidenten scheint zu sein, dass er überaus beliebt und populär ist, ein Mann des Volkes sozusagen. Zeigt sich denn in seiner Person eine Entfremdung zwischen dem Volk und dem politisch-medialen Establishment?

    Hamm-Brücher: Ja. das haben wir ja ohnehin, dass die Entfremdung zwischen den politischen Parteien und den Bürgern und der Zivilgesellschaft, gerade der politisch engagierten, immer spürbarer wird. Und das liegt eben auch daran, dass die Parteien kaum noch Nachwuchs haben, dass nur 2,4 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger Mitglieder von Parteien sind und die Parteien aber alles zu entscheiden haben. Es ist eigentlich eine Parteienoligarchie, die wir praktizieren, mit keinen wirklich überzeugenden demokratischen Grundlagen.

    Liminski: Präsidenten oder Monarchen sind Integrationsfiguren, meistens jedenfalls. Wäre es nicht sinnvoller, sie gehörten keiner Partei an? Wenn ich Sie so reden höre, wäre das ja sozusagen auch eine Figur, die dann über den Parteien steht.

    Hamm-Brücher: Ja, das muss natürlich von Fall zu Fall jetzt immer eine andere Partei sein je nach seiner Kenntnis und seiner Überzeugung. Und über den Parteien stehen, heißt ja nicht, auch eine Parteimeinung zu vertreten. Also Parteien gehören zur Demokratie, und die sind richtige Entscheidungsfaktoren. Also ich bin nicht ein Anhänger der ewigen Parteimiesmacherei. Aber wir haben die Gewichte. Wir haben eine Parteiendemokratie und keine Bürgerdemokratie. Und da ist eine offenkundige Fehlentwicklung.

    Liminski: Köhler hat sich jetzt in seiner Berliner Rede mit dem Thema Sozialstaat auseinandergesetzt. Das berührt die Alltagssorgen vieler Menschen im Land. Sollte sich der Präsident öfter in die Tagespolitik einmischen?

    Hamm-Brücher: Ach, das kann man nicht so generell sagen. Ich finde, er hat es ein paar Mal bei wichtigen Gelegenheiten getan. Und es kommt ja auch nicht auf das Öfter oder auf das Wenige an, sondern es kommt auf das Wie und den richtigen Zeitpunkt. Und da hat es bisher keinen Mangel gegeben. Also die Idee, dass der Köhler der Präsident des Kapitalismus, des Neoliberalismus sei, die ist doch völlig widerlegt.

    Liminski: Welche Eigenschaft, Frau Hamm-Brücher, ist denn für einen Präsidenten am wichtigsten?

    Hamm-Brücher: Das ist so eine schwierige Frage. Natürlich, dass er kompetent ist, dass er mutig ist. dass er Zivilcourage hat, Fingerspitzengefühl für die richtigen Gelegenheiten sind nicht die wichtigste Eigenschaft. Die gibt es nicht. Die eine ist mal mehr oder mal weniger. Aber ich finde, dass Köhler seit Richard von Weizsäcker der unabhängigste Präsident ist von allen. Die anderen waren alle viel zu sehr doch parteienabhängig.

    Liminski: Eine vermutlich einfache Frage. Sollte der nächste Bundespräsident, also nach der eventuell zweiten Amtszeit von Herrn Köhler, eine Frau sein?

    Hamm-Brücher: Nun, ich war schon immer mal der Meinung, dass wir unbedingt in dieses Amt auch eine Frau wählen müssten. Und es ist natürlich ein bisschen schwierig, solange wir eine Kanzlerin haben, dann auch noch eine Bundespräsidenten durchzusetzen. Das halte ich für ein bisschen utopisch. Falls eine irgendeine Konstellation kommt, dann wäre ich wirklich dafür, dass wir das mit allen Kräften versuchen sollten.

    Liminski: Plädoyer für den Präsidenten oder die Präsidentin, die künftige. Das war die Staatsfrau Hildegard Hamm-Brücher. Besten Dank für das Gespräch, Frau Hamm-Brücher.

    Hamm-Brücher: Ich danke auch.