Ann-Katrin Büüsker: Steuern die beiden größten Volkswirtschaften der Welt endgültig in einen Handelskrieg?
Klemens Kindermann: Einerseits ja: Peking hat jetzt offenbar die für diese Woche geplanten Handelsgespräche mit Washington vorerst abgesagt. Eine chinesische Delegation hätte auf Einladung des US-Finanzministers Steven Mnuchin nach Washington reisen sollen.
Auf der anderen Seite haben wir letzte Woche nach der Verhängung der US-Zölle gegen China erstaunlicherweise deutliche Kurssteigerungen an den Börsen gesehen. Und dafür gibt es auch eine Erklärung: Alle hatten damit gerechnet, dass die chinesischen Waren im Volumen von 200 Milliarden Dollar mit 25 Prozent bezollt würden. Es waren dann aber zunächst nur 10 Prozent. Und das wurde als ein Signal der USA verstanden, dass noch Spielraum für Verhandlungen da sei. Dennoch, der Schlagabtausch zwischen China und USA hat seit heute einen neuen Höhepunkt erreicht und es gibt berechtigten Grund, sich um die Weltwirtschaft Sorgen zu machen.
Kurzfristig könnte Europa vom Konflikt profitieren
Büüsker: Wie sehr trifft der Handelskonflikt zwischen den beiden Supermächten uns hier in Deutschland?
Kindermann: Diese Frage habe ich dem langjährigen Leiter des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, Prof. Thomas Straubhaar gestellt und er hat darauf eine verblüffende Antwort: "Vielleicht kurzfristig würde ich nicht ausschließen, dass wir in Deutschland von solchen Konflikten zwischen Amerika und China sogar profitieren können. Das klingt etwas pervers, aber das ist halt in hochverflochtenen Weltwirtschaften so, dass das, was Sie dann vielleicht nicht zwischen Amerika und China handeln, plötzlich zwischen Europa und Amerika oder Europa und China handeln." Also kurzfristig möglicherweise sogar Handelsumlenkungen – Europa als Profiteur, so Prof. Thomas Straubhaar.
Büüsker: Sollte sich der Handelskonflikt ausweiten: Mit welchen mittel- und langfristigen Folgen müsste die deutsche Wirtschaft rechnen?
Kindermann: Mit schwerwiegenden. Man muss bedenken: Deutsche Unternehmen sind stark investiert, beschäftigen sowohl in den USA wie in China jeweils rund eine Million Menschen. Bei Wachstumseinbußen in diesen beiden Wirtschaftsräumen wären deutsche Unternehmen betroffen. Und beim Handel zwischen den beiden spielen auch deutsche Firmen eine wichtige Rolle. Zum Beispiel die deutschen Autobauer: Die produzieren eine ganze Reihe von Autos in den USA und exportieren von dort nach China, im letzten Jahr waren das 150.000 Fahrzeuge.
Und insgesamt wäre von einem Rückgang der Weltwirtschaft Deutschland besonders betroffen als Exportnation. Der Internationale Währungsfonds bezeichnet den Handelskonflikt schon jetzt als größtes weltwirtschaftliches Risiko der Gegenwart.
Welthandelsorganisation WTO hat versagt
Büüsker: Eigentlich soll sich um internationale Handelsstreitigkeiten ja die Welthandelsorganisation WTO kümmern. Hat sie versagt?
Kindermann: Ja, das kann man in der Tat so sehen. Nicht von ungefähr hat jetzt EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström erste Vorschläge für eine Reform der WTO vorgelegt. Prof. Thomas Straubhaar erklärt, warum die WTO nicht funktioniert: "Sie hat im Prinzip, weil es ja ein Gleichbehandlungsprinzip gibt, bei dem jedes Land eine Stimme hat, kleine Länder groß und große Länder klein werden lassen." Also: Luxemburg hat dasselbe Stimmrecht wie China – das kann eben auf Dauer nicht funktionieren. Aber: eine Modernisierung der WTO müsste von den Mitgliedstaaten einstimmig beschlossen werden. Und das sind 164.