Mittwoch, 24. April 2024

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Handelsstreit zwischen Türkei und USA
"Diese Krise ist von den USA provoziert worden"

Für eine wirtschaftliche Krise in der Türkei gebe es eigentlich keinen Grund, sagte Bülent Güven, Vorstandsmitglied der AKP-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten, im Dlf. Die derzeitige Krise sei von Amerika provoziert worden, die türkische Reaktion könne er deshalb gut verstehen.

Bülent Güven im Gespräch mit Philipp May | 15.08.2018
    Juli 2018 Nato-Gipfel in Brüssel: US-Präsident Donald Trump (l.) spricht mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (r.) während eines Arbeitsessens in Brüssel
    Liegen auf Konfrontationskurs: Trump und Erdogan (AFP / Benoit Doppagne)
    Philipp May: Am Telefon erreichen wir jetzt Güven Bülent. Er ist Deutschtürke, Mitglied der Hamburger SPD und Vorstandsmitglied der AKP-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten. Er sieht sich als Brückenbauer zwischen Deutschland und der Türkei. Schönen guten Morgen!
    Bülent Güven: Guten Morgen, Herr May!
    May: Herr Güven, ich sehe auf unserem Monitor, es ist Festnetz, auf dem wir Sie erreichen, also kein iPhone?
    Güven: Nein. Das ist richtig.
    May: Sie haben ein iPhone oder Samsung?
    Güven: Ich habe ein iPhone, ja.
    May: Alles klar. Müssen Sie jetzt umdenken?
    Güven: Nein, ich lebe in Deutschland. Das iPhone hat ja einen symbolischen Wert. Es ist ein Symbol des amerikanischen Kapitalismus. Amerika hat ja quasi, Trump hat ja mit seiner Erklärung mit dazu beigetragen, dass die türkische Lira an Wert verloren hat. Insofern kann ich diesen Zorn oder diese Reaktion der Türkei verstehen.
    "Das ist alles nicht rational, was Amerika jetzt momentan macht"
    May: Sollten die Türken dann tatsächlich dem Boykottaufruf Erdogans, auf iPhone und sonstige US-Elektronik zu verzichten, folgen?
    Güven: Ich würde dem in diesem Moment folgen, aber ich sag ja, das hat einen symbolischen Wert, und die Türkei ist für Apple – Apple ist ja ein amerikanisches Unternehmen – ein sehr wichtiger Markt, hat einen Marktanteil von zehn bis 20 Prozent, macht jährlich einen Umsatz von fast zwei Milliarden Dollar in der Türkei. Insofern hat das einen symbolischen Wert, nach dem, was der Präsident Trump angekündigt hat, Zölle auf Stahl, und dann hat er noch psychologisch dazu beigetragen, dass die Lira an Wert verloren hat. Da kann ich einfach diese symbolische Reaktion verstehen.
    May: Nur, ist das zielführend?
    Güven: Zielführend wahrscheinlich nicht. Aber das ist jetzt so, wie die Chinesen Zoll auf die Sojabohnen aus Amerika erheben, und so wie wir in Deutschland auch immer versucht haben, gegen den Einfluss der amerikanischen Zölle auf Aluminium auch Reaktionen gezeigt haben. Das ist eine Reaktion. Letztendlich ist das auch alles nicht rational, was Amerika und Trump jetzt momentan macht, und jedes Land versucht auf seine eigene Art, darauf eine Reaktion zu zeigen.
    May: Nicht rational ist ein gutes Stichwort. Offenbar will die Türkei jetzt auch mit Gegenzöllen unter anderem auf Autos, Alkohol und Tabak reagieren. Man hat ja als Außenstehender den Eindruck, da fahren zwei autokratisch gesinnte Herrscher, nämlich Trump und Erdogan, die vor allen Dingen die Sprache der Stärke kennen, ungebremst aufeinander zu.
    Güven: So sehe ich das nicht. Im Grunde genommen, wenn man sich die ökonomischen Fundamentaldaten der Türkei sich anschaut, dann gibt es eigentlich keinen Grund für eine Krise, für einen Verfall der Lira. Und Amerika hat einfach, so wie sie das mit China und mit Europa gemacht haben, einfach mit diesen Zöllen auf Eisen – Metalle – Stahl und Aluminium …
    "Warum liefert Trump den Putschisten Gülen nicht aus"
    May: Entschuldigung, wenn ich da ganz kurz einhake. Internationale Finanzanalysten sind sich eigentlich einig, dass es sehr wohl einen Grund für die Krise gibt, nämlich die viel zu niedrig bewertete Lira beziehungsweise den viel zu niedrigen Leitzins in der Türkei.
    Güven: Das ist eine Politik, worüber man sich streiten kann. Da hat die Türkei gesagt, wir sind für niedrige Zinsen. Das ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum die Lira an Wert verloren hat. Aber letztendlich ist das ja so, dass diese Krise zwischen Amerika und der Türkei nicht von der Türkei provoziert worden ist, sondern von Amerika, so wie das Amerika mit China und mit Europa provoziert hat.
    May: Wobei es Donald Trump ja offenkundig nicht um einen Wirtschaftskrieg mit der Türkei geht, sondern einfach nur darum, den in der Türkei festgehaltenen Pastor Andrew Brunson freizubekommen. Warum lässt Erdogan den nicht einfach gehen?
    Güven: Man kann die Gegenfrage stellen. Warum liefert Trump den Putschisten Gülen nicht in die Türkei, und warum unterstützt Amerika seit etlichen Jahren eine Terrororganisation, die die territoriale Integrität der Türkei infrage stellt?
    May: Weil es in der westlichen Welt begründete Sorgen über die Rechtstaatlichkeit in der Türkei gibt, zum Beispiel.
    Güven: Man kann darüber reden, aber letztendlich ist es ja so, dass die Türkei durch verschiedene Terrororganisationen, unter anderem von der PKK bedroht wird, und Amerika hat bis jetzt 6.000 Lkw Waffen an die Ableger der PKK in Syrien geliefert unter der angeblichen Begründung, dass man dadurch den IS bekriegen würde. Aber letztendlich ist das eine Organisation, die die territoriale Integrität der Türkei infrage stellt. Und man darf nicht vergessen, dass die Türkei ein NATO-Land ist und Amerika ein Partnerland, offiziell ein sicherheitspolitischer Partner der Türkei ist, aber mit diesen Aktionen die Sicherheitsinteressen der Türkei infrage stellt.
    "Die Türkei ist in einer Krisensituation"
    May: Okay, darüber – also angebliche Begründung würde ich jetzt nicht so sagen. Das steht ja wohl außer Frage, dass die Kurden den IS schon zurückgedrängt haben in Syrien. Aber vielleicht führt das zu weit. Kommen wir noch mal auf die Wirtschaftspolitik Erdogans zu sprechen. Sie haben ja gesagt, darüber kann man streiten. Jetzt hat die türkische Regierung angekündigt, Menschen staatsanwaltschaftlich verfolgen zu lassen, die sich kritisch über den Wirtschaftskurs äußern. Ist das das endgültige Ende der Meinungsfreiheit in der Türkei?
    Güven: Man muss das ja im Gesamtkontext sehen. In Deutschland werden ja auch jeden Tag verschiedene Facebook- und Twitter-Konten geschlossen, auch auf Wunsch der Bundesregierung. Und man hat ja momentan in der Türkei eine sehr sensible Situation. Man hat festgestellt, dass man über die sozialen Medien bestimmte Manipulationen entwickelt hat.
    May: Wir reden über staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, nicht über die Schließung von Twitter- und Facebook-Konten.
    Güven: Das kann ich jetzt schlecht beurteilen. Aber ich glaube, da wurde so was angekündigt. Ob es wirklich dazu kommt, weiß ich nicht. Aber momentan ist man halt quasi sehr in einer Krisensituation. Da versucht man halt, auf jede negative Reaktion zu reagieren. Und ich glaube, ich sehe das auch in diesem Rahmen.
    May: Wenn ich oder Sie jetzt beispielsweise twittern würden, Erdogan macht wirtschaftspolitisch genau das Falsche – Sie haben ja gesagt, darüber kann man streiten –, deshalb, liebe Landsleute, falls ihr Dollars unter dem Kopfkissen habt, behaltet die gerade lieber …
    Güven: Nein, also deshalb würde man nicht verfolgt. Aber wenn man eine systematische Manipulation über die sozialen Medien verfolgt, das würde man verfolgen wahrscheinlich. Aber nicht, dass wir unsere Meinung sagen.
    "Erdogans Schwiegersohn hat die fachliche Kompetenz"
    May: Und was eine systematische Manipulation ist, das entscheidet Erdogan?
    Güven: Nein, da muss man mal sehen. Das entscheidet nicht Erdogan. Erdogan hat auch nicht die Zeit. Letztendlich ist die Türkei ein Land, das eine sehr lange Tradition hat. Und die Türkei steht ja, das türkische Rechtssystem steht ja auch im Rahmen des Europäischen Menschengerichtshofs, und wenn da irgendwelche falsche Urteile getroffen würden, dann würde das in Europa noch mal korrigiert.
    May: Herr Güven, ich möchte noch mal zu einem anderen Punkt kommen, der ja auch in dem Beitrag vorhin von Karin Senz kritisiert wurde, von einem Mann auf der Straße, und den auch Finanzexperten sehr kritisch sehen, dass Erdogan ausgerechnet seinen Schwiegersohn zum Finanzminister gemacht hat. Hier würde man sagen, das ist Vetternwirtschaft. Oder gibt es in der AKP sonst keine guten Leute?
    Güven: Es ist keine Vetternwirtschaft. Der Schwiegersohn war ja in den letzten drei Jahren auch mal Energieminister, und er war ein sehr erfolgreicher Energieminister. Der Schwiegersohn hat in der Wirtschaft eine Karriere gemacht, war CEO von einem internationalen Unternehmen, hat in Amerika studiert. Also, die fachliche Kompetenz hat er, und letztendlich ist das eine politische Entscheidung, die er getroffen hat, aber als Vetternwirtschaft kann man das nicht bezeichnen.
    May: Was sollte die Türkei denn in ihren Augen tun? Internationale Finanzanalysten sind sich ja einig, Leitzinsen anheben und Hilfen vom Internationalen Währungsfonds in Anspruch nehmen.
    "Die ökonomischen Fundamentaldaten sind gut"
    Güven: Über Leitzinsen kann man reden, die sollte man jetzt, glaube ich, nach diesem Prozess anheben. Das ist nötig. Aber Währungsunion, da weiß ich nicht. Ich glaube, eher nicht, weil die Türkei hat ja keine Krise, wie man das in Griechenland hatte. Die ökonomischen Fundamentaldaten der Türkei sind sehr gut. Die Gesamtverschuldung liegt unter 30 Prozent des Bruttosozialprodukts. Das Haushaltsdefizit ist unter zwei Prozent des Bruttosozialprodukts. Die Türkei hatte letztes Jahr ein Wachstum von sieben Prozent, und es investieren immer mehr ausländische Investoren. Es gibt allein über 7.000 deutsche Unternehmen, die in der Türkei investiert haben. Also die ökonomischen Fundamentaldaten sind gut. Es gibt auch keine Liquiditätskrise, es gibt keine Krise in dem Sinne, wie man das in Griechenland gesehen hat. Aber es ist ein psychologischer Effekt, wie Ludwig Erhardt gesagt hat, Wirtschaftspolitik besteht zu 50 Prozent aus Psychologie. Und die Türkei muss jetzt Maßnahmen ergreifen, damit das Vertrauen in die Türkei wieder hergestellt wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.