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Handprothesen
Elektroden verleihen neues Feingefühl

Die Beweglichkeit einer Hand nachzuahmen ist für die Hersteller von Handprothesen die größte Herausforderung. Nun haben Göteborger Forscher ein System entwickelt, bei dem die Prothese von implantierten Elektroden gesteuert wird. Damit lässt sich die Hand sehr viel präziser steuern.

Von Christine Westerhaus | 21.10.2014
    Ein Mann hebt mit einer Armprothese einen Ball vom Boden auf.
    Die Prothese funktioniert unabhängig von der Körperhaltung. (Ortiz Catalan et al/Case Western Reserve Universität/dpa)
    Einen Gegenstand aus der Luft fangen, eine Bohrmaschine bedienen oder eine Tasse aus dem Küchenschrank holen: An solchen alltäglichen Aufgaben ist Magnus, dem vor zehn Jahren der rechte Arm amputiert werden musste, früher gescheitert. Doch seit ihm Göteborger Forscher Elektroden in den verbliebenen Armstumpf pflanzten, die die Bewegungen seiner Prothese steuern, gelingt es ihm sogar, ein rohes Ei in die Schüssel zu schlagen.
    "Auf die alte Prothese konnte ich mich nicht verlassen - bei ihr hat sich immer willkürlich die Hand geöffnet, wenn ich den Arm über den Kopf gehoben habe. Außerdem musste ich immer kräftig Druck ausüben, damit ich eine Bewegung machen konnte. Jetzt reicht es, nur daran zu denken. Ich musste mich also erst wieder daran gewöhnen, dass Bewegungen so leicht machbar sind."
    Elektroden werden an verbleibende Nerven und Muskeln angesetzt
    Möglich wurde diese Präzision durch eine Technik, die an der Göteborger Chalmers Universität schon seit den 1950er-Jahren erforscht wird. Über ein Titanimplantat wird die Prothese mit dem verbleibenden Knochen verbunden. Elektroden, die direkt an die verbliebenen Armmuskeln und Nerven des Patienten angeschlossen werden, übertragen die Impulse des Gehirns auf die Prothese, erklärt Max Ortiz Catalan, der dieses System mit entwickelt hat:
    "Bei jeder Bewegung schickt das Gehirn über die Nerven Befehle an die Muskeln der Gliedmaßen, die diese Bewegung dann ausführen. Nach einer Amputation sind viele dieser Nerven und Muskeln noch vorhanden. Wir setzen deshalb Elektroden direkt an diese verbleibenden Nerven und Muskeln an und fangen damit die Impulse ab, die aus dem Gehirn gesendet werden. Und diese Signale nutzen wir, um sie in eine Bewegung der Prothese zu übersetzen."
    Mit der neuen Prothese lässt sich sogar eine Bohrmaschine bedienen.
    Mit der neuen Prothese lässt sich sogar eine Bohrmaschine bedienen. (Ortiz-Catalan et al., Sci. Trans. Med., 2014)
    Gesteuert wird diese Bewegung über einen Chip, der in die Prothese integriert ist. Um die Leistung dieses Chips und damit die Feinmotorik der Prothesen zu verbessern, schulen die Forscher die darin enthaltene Software mithilfe gesunder Probanden. Dazu haben Ortiz' Kollegen den Unterarm einer männlichen Testperson mit etwa zehn Elektroden verkabelt. Der Arm ist in einer Apparatur eingespannt, die Elektroden zeichnen die Signale auf, die die Nerven und Muskeln senden, wenn der Proband bestimmte Bewegungen ausführt. Beispielsweise, wenn er seine Hand zu einer Faust ballt oder die Finger spreizt.
    "Wir bringen dem Computer auf diese Weise bei, die elektrischen Signale zu unterscheiden, die bei den unterschiedlichen Bewegungen gesendet werden. Und sobald das Computerprogramm diese Signale auseinanderhalten kann, ist es auch in der Lage, die Impulse in Bewegungen zu übersetzen: Es sieht also beispielsweise: Jetzt versucht die Person, die Hand zu öffnen, also müssen wir den entsprechenden Befehl an die Prothese senden."
    Gespür für Berührungen in Teilen der Hand erzeugen
    Langfristig wollen die Forscher mit dieser Technik auch die Bewegung einzelner Finger steuern. Außerdem hofft Max Ortiz Catalan, Prothesen mithilfe der Elektroden auch eine Art Fingerspitzengefühl verleihen zu können. Mit entsprechenden Sensoren, die in eine künstliche Hand eingebaut werden, wollen sie im Gehirn bestimmte Empfindungen erzeugen. Die ersten Versuche zeigten schon vielversprechende Ergebnisse:
    "Als wir die verbliebenen Nerven stimulierten, berichtete der Patient über Empfindungen in der fehlenden Hand, die genau zu dem entsprechenden Nerv passten, den wir aktiviert hatten. Und das, obwohl der Arm schon seit zehn Jahren amputiert war. Das ist sehr spannend und wir schauen nun, wie wir die einzelnen Nerven aktivieren können, um das Gespür für Berührungen in einzelnen Teilen der Hand erzeugen zu können."
    Dass solche Empfindungen mit der entsprechenden Technik möglich sind, haben Forscher der Uni Freiburg bereits gezeigt. Doch die notwendige Computertechnik ist sehr aufwendig und lässt sich bisher nicht in eine Prothese integrieren. Alltagstauglich ist sie damit also nicht. Doch das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich eine künstliche Hand zumindest ein bisschen wie die eigene anfühlt, sagt der Schwede Magnus, der die Technik der Göteborger Forscher als Erster im Alltag nutzen durfte.
    "Die alte Prothese fühle sich wie ein zehn Kilo schwerer Rucksack an, den man am liebsten sofort loswerden möchte, wenn man nach Hause kommt. Die neue Prothese habe ich den ganzen Tag an, manchmal sogar wenn ich schlafe. Es fühlt sich einfach mehr wie ein richtiger Arm an und nicht wie ein Werkzeug!"