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Handwerksverband zufrieden mit gestiegener Lehrstellenzahl

Peter Lange: Die Azubis im Bundestag haben es also geschafft und unter dem Lehrherrn Wolfgang Thierse eine berufliche Perspektive bekommen. Dennoch wird spätestens heute Vormittag, wenn die Bundesagentur für Arbeit ihre Zahlen veröffentlicht, die jährlich wiederkehrende Frage diskutiert werden: ist das Glas halb voll oder halb leer? Wie groß ist die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage? Und diesmal kommt noch eine weitere Frage hinzu: Funktioniert der Ausbildungspakt zwischen Regierung und Wirtschaft, oder ist er sein Papier doch nicht wert? - Am Telefon begrüße ich nun Dieter Philipp. Er ist der Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks und damit des großen Trägers der beruflichen Bildung. Guten Morgen Herr Philipp!

Moderation: Peter Lange |
    Dieter Philipp: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Ihr Verband hat seine Mitgliedsfirmen immer wieder angespornt, noch mehr Lehrstellen anzubieten. Es gab auch viele regionale Erfolgsmeldungen. Können Sie jetzt ohne Vorbehalt sagen, das Handwerk hat seinen Teil zum Gelingen dieses Pakts beigetragen?

    Philipp: Ja. Wir liegen sehr gut in der Leistungsbilanz. Wir haben ein deutliches Plus gegenüber dem Vorjahr und unsere Betriebe sind hoch motiviert und ihnen gilt ein Dankeschön für das, was bisher geleistet ist. Ich bin sicher, dass sie auch das, was noch zu schaffen sein muss, bis zum Jahresende packen werden. Jedenfalls an der Motivation unserer Betriebe liegt es nicht.

    Lange: Tun die das aus Überzeugung oder aus Angst, dass andernfalls möglicherweise doch die Ausbildungsplatzabgabe kommt?

    Philipp: Nein. Wenn ich für das Handwerk spreche, dann haben wir überhaupt keine Sorge was die Ausbildungsplatzabgabe angeht. Die Ausbildungsquote im Handwerk liegt im Durchschnitt bei 10 Prozent. Da sind wir weit von den 7 entfernt, die die Messlatte wären, um eine Ausbildungsplatzabgabe zu zahlen. Nein, wir machen das aus Überzeugung und aus einer erkennbaren Notwendigkeit heraus, auch für die Zukunft für unsere Unternehmen entsprechend gut qualifizierte Facharbeiter zu haben. Diese beiden Gründe, Facharbeiter für die Zukunft und aus Überzeugung, dass wir der Jugend eine Chance geben müssen, das ist die Motivation für unsere Betriebsinhaber.

    Lange: Die Gewerkschaften sind jetzt eher skeptisch, aber wenn selbst Georg-Ludwig Braun, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, erklärt, am 1. Oktober werden wohl 20.000 Bewerber noch keine Lehrstelle haben - das sind etwa so viele wie im vergangenen Jahr zum gleichen Zeitpunkt -, inwiefern stellt das die Wirksamkeit des Pakts dann doch in Frage?

    Philipp: Ich beteilige mich nicht wie auch in den zurückliegenden Jahren an Zwischenspekulationen über Zahlen. Der Pakt als solcher hat schon eine hervorragende Wirkung gehabt. Er hat die Motivation in der gesamten deutschen Wirtschaft beflügelt und er wird auch bei den guten Ergebnissen, die heute aufzuweisen sind, den Endspurt noch beschleunigen. Damit denke ich, dass wir eine Chance haben, besser zu sein als im Vorjahr. An anderen Zahlenspekulationen beteilige ich mich nicht. Ich bin gewohnt, mich an Ergebnissen messen zu lassen, aber nicht an spekulativen Dingen, die teilweise ja noch auf Statistiken beruhen, die nicht belastbar sind.

    Lange: Trotzdem, Herr Braun ist ja nicht unbedingt gewerkschaftsfreundlich. Herr Philipp, wenn Sie sehen: deutliche Zuwächse in den Handwerksbetrieben, was die Ausbildungsplätze angeht, andererseits eine ähnlich große Lücke. Daraus könnte man ja auch schließen, große Industriebetriebe haben sich vielleicht weiter zurückgezogen und das Handwerk holt dafür die Kohlen aus dem Feuer.

    Philipp: Nein, das kann ich so nicht sagen. Wir haben allesamt im mittelständischen Bereich, diejenigen, die im Binnenmarkt arbeiten, die gleichen Probleme. Das Handwerk hat ja nicht nur mit einer größeren Zahl von Ausbildungsplatzbewerbern und Lehrstellenbewerbern zu tun, sondern gleichzeitig auch noch die Situation vor sich, dass wir in diesem Jahr erneut nicht die Wirtschaftskraft im Binnenmarkt haben, die unsere Betriebe in gleicher Stärke hält wie im Vorjahr. Wir werden leider in diesem Jahr wieder 100 bis 150.000 Mitarbeiter verlieren. Ich beziehe das dann um auf die Ausbildungsquote. Das wären 10 bis 15.000 Ausbildungsplätze, die im statistischen Durchschnitt alleine dadurch verloren gehen. Auch die müssen wir ausgleichen und auch dagegen müssen wir ankämpfen. Bei den Zahlen, die wir heute vorzuweisen haben, können wir feststellen, dass hier diese Arbeit durchaus möglich ist. Aber es ist nicht eine Frage, die sind gut und die sind schlecht, sondern wir haben allesamt unterschiedliche Voraussetzungen. Diejenigen, die im deutschen Binnenmarkt ihr Brot verdienen müssen, haben allerdings die größten Schwierigkeiten. Deshalb ist die Leistung, die unsere Organisation und unsere Betriebe auf dem Gebiet zur Zeit erbracht haben, überhaupt nicht zu unterschätzen.

    Lange: Wie sieht es aus mit dem Verhältnis zwischen Ost und West? Dieses Plus an Lehrstellen, ist das überwiegend im Westen oder kann der Osten dort auch etwas aufweisen?

    Philipp: Das ist auch eine sehr, sehr positive Bilanz. Wir haben trotz der viel größeren Schwierigkeiten der Betriebe im Osten ein Plus an Lehrstellen auch im Osten. Ich denke, dass auch dies ein sehr ermutigendes Zeichen ist, dass wir uns hier nicht auseinanderdividieren lassen und auch nicht auseinanderdividieren lassen brauchen, denn wir packen alle gleichermaßen an.

    Lange: Was passiert denn jetzt, Herr Philipp, nach den Buchstaben dieses Ausbildungspakts mit den Jugendlichen, die jetzt noch nicht versorgt sind?

    Philipp: Dort zieht das, was wir in den Vorjahren gemacht haben, in diesem Jahr noch verstärkt machen können, nämlich wir werben Ausbildungsplätze ein. Vor allen Dingen muss man sich ja mal anschauen: Auch in den Vorjahren hat sich gezeigt, dass das, was an Statistischem noch in den Listen steht, ja in Wirklichkeit schon eine andere Komponente beinhaltet, nämlich es sind viele darunter, die noch registriert sind, obwohl sie schon einen Lehrvertrag abgeschlossen haben. Es sind viele darunter, die auf einen schulischen, auf einen Ausbildungsplatz oder auf einen Studienplatz warten. Es sind viele darunter, die natürlich auch ihre Schwächen haben, Stichwort Pisa. Diesen wird man sich jetzt zuwenden. Man muss wieder die Einzelnen ansprechen, wie wir das in den Vorjahren auch gemacht haben. Dann haben wir auch in diesem Jahr den Check, bei dem festgestellt werden kann, wo ist die wirkliche Eignung, was können wir gezielt für sie tun. Das wird vorgenommen und es wird - da kann ich auch das unterstreichen, was Herr Clement sagt - jedem Jugendlichen eine solche Chance gegeben, sich dem Check zu stellen, die Gespräche zu führen. Ihnen wird dann auch ein Ausbildungsplatz, zumindest aber eine Einstiegsqualifikation für einen qualifizierten Beruf geboten.

    Lange: Einstiegsqualifikation ist ja auch etwas Neues. Was muss man sich darunter konkret vorstellen? Hilfsarbeiten im weitesten Sinne?

    Philipp: Nein. Einstiegsqualifikation sagt das Wort schon sind Qualifikationsbausteine, die schon einen Teil einer konkreten vorhandenen Ausbildung sind. Allerdings ist dies eine besondere Chance jetzt für Jugendliche, die ihre Schwächen haben. Ich sage noch einmal das Stichwort Pisa. Hier haben wir die Chance, dort wo eine Ausbildungseignung offensichtlich nicht gegeben ist über Einstiegsqualifikationen trotzdem noch die Jugendlichen fortzuentwickeln, dass sie schnellstmöglich zur Vollausbildung kommen. Im Übrigen sind diese Einstiegsqualifikationen auch nicht verloren. Derjenige, der sie gut absolviert und sich in einem entsprechenden Beruf einfindet, bekommt diese Dinge auch auf die spätere Lehr- und Fachausbildung angerechnet.

    Lange: Wann, Herr Philipp, ist der Zeitpunkt gekommen wo man sagen muss jetzt wird abgerechnet, hat der Pakt funktioniert oder nicht?

    Philipp: Wir haben, was das Handwerk betrifft, seit Jahren die Gepflogenheit, dass wir das Jahr abschließen, nämlich Ende Dezember wird der Schlussstrich unter die Bücher gezogen. So wird es auch in diesem Jahr sein. Es hat sich immer wieder bewahrheitet, dass es eben richtig ist, hier sorgfältig zu arbeiten, sich nicht in Spekulationen zu ergehen, sondern jeden einzelnen Fall, wenn er auch noch so schwierig wird, am Ende anzunehmen und zu schauen, dass eine Lösung gefunden wird. Wir werden dann am Jahresende den Schlussstrich ziehen. Ich bin heute sicher, dass wir in diesem Jahr ein besseres Ergebnis haben werden als im vergangenen Jahr.

    Lange: Das müssen Sie jetzt aber auch so sagen?

    Philipp: Nein, ich muss das überhaupt nicht sagen, denn die Zahlen, die Fakten belegen das.

    Lange: Ich danke Ihnen! - Das war in den "Informationen am Morgen" Dieter Philipp, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks.