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Hannover Messe
Neue Produkte dank Künstlicher Intelligenz

Vernetzte Produktionsabläufe, Maschinen, die selbstständig über Prozesse entscheiden, sicherer Datenaustausch: Auch in der Industrie spielt Künstliche Intelligenz eine immer wichtigere Rolle. Vieles klappt bereits sehr gut, an anderer Stelle muss noch nachgesteuert werden.

Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber |
    Ein menschlich aussehender 3D gedruckter Roboter der Firma IOX LAB auf der Hannover-Messe 2018.
    Roboter auf der Hannover Messe 2018 (imago / Tim Wagner)
    "Dort gilt es wirklich, die Sprache der Industrie zu lernen, die Prozesse der Industrie zu lernen. Und das ist letztendlich die Aufgabe der IT, der IT-Security, die in dem Falle ein reiner Dienstleister der Industrie ist."
    Manfred Kloiber: Sagt Udo Schneider vom IT-Sicherheitsunternehmen Trend Micro. Und er beschreibt damit den Lauf der Messedinge, der dazu geführt hat, dass der technische Kern der IT-Messe CeBIT praktisch in die Hannovermesse Industrie integriert worden ist, die diese Woche an der Leine stattfand.
    CeBIT, so wird zwar noch ein Festival heißen, das im Juni in Hannover stattfinden soll. Aber die über drei Jahrzehnte in Hannover veranstaltete Technikmesse CeBIT – sie ist eigentlich schon Geschichte. Auch ihre Aussteller und Besucher waren in diesem Jahr auf der Industriemesse zu finden. Wie hat das denn diese Traditionsmesse verändert, Peter Welchering?
    Peter Welchering: Die Industriemesse ist digital geworden. Zwar sind Gabelstapler und Bagger am Rande des Hannoverschen Messegeländes immer noch zu sehen. Aber sie sind nur ein Element innerhalb eines umfassenden Industrie-4.0-Konzeptes. Die digitale Fertigung, die sieht nicht nur die Vernetzung aller Maschinen, Werkstücke und Mitarbeiter vor, sondern auch die elektronische Einbindung der Kunden und Zulieferer. Und darin liegt die eigentliche Wucht dieser vierten industriellen Revolution: In diesem Netzwerk wird die planende, die entwerfende und die konstruierende Tätigkeit automatisiert, die bisher dem Menschen, dem menschlichen Wissensarbeiter vorbehalten war. Das sorgt natürlich für massive Umbrüche. Das setzt aber vor allen Dingen einen sehr hohen Reifegrad bei den digitalen Lösungen, vor allen Dingen bei den Softwareanwendungen für die digitale Fabrik, voraus. Da liegt das große Geld. Aber da haben wir vor allen Dingen ein Riesenproblem. Und das bringt der erst seit wenigen Wochen amtierende neue Chef von T-Systems, Adel al-Saleh, so auf den Punkt.
    Bisher nur wenig Expertise
    "Digitale Lösungen, das ist ein sehr großer Markt. Hier fragen alle Kunden nach Hilfe. Sie benötigen Unterstützung, um ihre Prozesse zu digitalisieren, egal, ob das Client-Prozesse oder Backend-Prozesse sind. In Wirklichkeit gibt es nicht sehr viel Expertise in diesem Marktsegment."
    Welchering: Dass es hier so wenig Expertise gibt, das hat gleich mehrere Ursachen. Die informationstechnische Industrie hat sich eben noch nicht darauf eingestellt, dass sie Dienstleister für die Fertigung ist. Und dann hat das natürlich auch mit dem Fachkräftemangel in diesem Bereich zu tun. Und da stimmt die althergebrachte Gleichung der Arbeitsmarktpolitik eben nicht, dass der freigesetzte Gabelstapler-Fahrer dann mal eben zum Virtual-Reality-Designer umgeschult wird. Und drittens hat der Mangel an Expertise damit zu tun, dass die Programmierkonzepte für die digitale Fertigung noch gar nicht zu Ende gedacht sind.
    Solange aber die bisherige Bananen-Produktpolitik der IT-Industrie einfach in der digitalen Fertigung angewendet wird, fehlt da Expertise. Und das wird noch fatale Folgen haben.
    "Bananen-Politik funktioniert nicht mehr"
    Kloiber: Bananen-Politik, Peter, das müssen wir noch mal kurz erklären: Das Produkt reift beim Anwender – also es wird eine Grundstruktur entwickelt, die als grüne Banane ausgeliefert wird und beim Anwender dann gelb wird.
    Welchering: Genau, und das funktioniert nicht mehr. Es fragt sich nur, wann sich die IT-Hersteller dann von dieser Produktpolitik dann verabschieden wollen und welche Schäden bis dahin entstanden sind. Dass Industrie-4.0-Konzepte hier ganz andere Anforderungen stellen und welche das sind, das ist – wohl zum ersten Mal in dieser Breite – auf der Industriemesse in Hannover diskutiert worden. Selbst Microsoft-Vizepräsident Jean-Philippe Courtois sagt, Microsoft habe diese Anforderungen erkannt und wolle sie jetzt schnell mit Partnern wie etwa T-Systems umsetzen.
    "Das wird untermauert durch das Internet der Dinge. Sicher wissen sie, dass Marktforscher von IDC bis zu 20 Milliarden vernetzte Dinge vorhersagen, sowohl Geräte als auch Menschen. Unter anderem auf der Azure-Plattform. Da geht es ums Geräte-Management oder um Datenvisualisierung. Da geht es darum, die Unternehmen für das Internet der Dinge fit zu machen".

    Kloiber: Und das Internet der Dinge ist dabei ja so etwas wie die Basis für Industrie-4.0-Konzepte. Und da wurde in den vergangenen Monaten und Jahren ja vor allen Dingen darüber diskutiert, wie müssen wir denn Werkzeugmaschinen, Roboter, Werkstücke über welche Kommunikationsprotokolle vernetzen, damit sie kooperieren können. Dieser Kooperationsgedanke ist auf der Industriemesse in diesem Jahr wesentlich breiter diskutiert worden als sonst. Da ging es ganz zentral um Vernetzung selbstlernender Maschinen. Da ging es darum, wie diese Maschinen über Systeme virtueller Realität mit dem Menschen interagieren können. Und natürlich geht es bei allen diesen Fragen auch immer um Sicherheitsaspekte. Aber zunächst einmal müssen Daten in der digitalen Fertigung über Austauchsplattformen fließen, damit Vernetzung überhaupt funktioniert. Über diesen Datenaustausch in einheitlichen industriellen Datenräumen macht sich schon seit zwei Jahren die International Data Spaces Association Gedanken. Der Industrieverband hieß bis vor kurzem noch Industrial Data Space, und er versucht mit seinen über 80 Mitgliedern in diesem Bereich weltweit Standards zu setzen. Vorstandsmitglied Ulrich Ahle habe ich nach der Zielsetzung gefragt:
    "Letztendlich geht es darum, Daten verfügbar zu machen. Insbesondere auch Daten zwischen unterschiedlichen, sogenannten IoT-Plattformen, also Plattformen, die Daten aus dem Internet der Dinge verfügbar machen. Zwischen diesen Plattformen Daten austauschen zu können. Und das ist eine der Zielsetzung des International Data Spaces, so wie er heute heißt. Wir haben ihn ja vor vier Wochen umbenannt. Ursprünglich hieß diese Organisation Industrial Data Space, ist unter der Federführung einer Reihe von Fraunhofer-Instituten vor gut zwei Jahren gegründet worden. Gegründet von 18 deutschen Unternehmen zu der Zeit mit dem Fokus, das Datenmanagement gerade im Industriebereich, von industriellen Daten-Plattformen weiter zu verbinden, weiter voranzutreiben und gleichzeitig das zu ermöglichen, was wir Daten Souveränität nennen. Dass ich als Besitzer eines Datums, eines Datensatzes, bestimmen kann was jemand, der Zugriff auf meine Daten erhält, damit machen darf. Und dazu gibt es mittlerweile technische Möglichkeiten, die wir in der Referenz-Architektur implementiert haben."
    "Standards sind sehr wichtig"
    Kloiber: Wenn Sie sagen, es geht vor allen Dingen darum, dass man Daten Souveränität hat, das heißt also, dass jeder über die Daten die er selbst generiert auch bestimmen kann, auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch um Interoperabilität, also dass man mit jedem Beliebigen austauschen kann - dann spielen wahrscheinlich Standards eine ganz große Rolle dabei.
    "Ja, Standards sind sehr wichtig in diesem Umfeld. Denn es ist wichtig, dass sich die beiden Partner, die Daten austauschen, sich auch verstehen können. Und es geht darum, letztendlich alle Kontext-Informationen, alle Informationen und Daten, die beschreiben was um uns herum passiert, diese Daten verfügbar zu machen. Und wenn wir Maschinen ansprechen, dann heißt es, in welchem Zustand befinden sich Maschinen? Wie ist die Temperatur von Maschinen? Wie sind die Schwingungen? Wie ist die Qualität zum Beispiel der Schmierstoffe? Diese Daten aufzunehmen und basierend auf den Daten dann Aussagen über den Zustand der Maschine machen zu können.
    Und diese Daten werden dann nicht nur vom Besitzer einer Maschine verwendet, sondern werden auch den Herstellern dieser Maschinen zur Verfügung gestellt, um solche Predictive Maintenance Services für den Endanwender anbieten zu können."
    Klar definieren, wer auf Daten zugreifen darf
    Kloiber: Es gibt aber auch solche Szenarien, die sagen, dass zum Beispiel auch ein Autohersteller auf die Maschinendaten seiner Zulieferer zugreifen kann, was denen vielleicht gar nicht so Recht ist, dass das geht.
    "Und genau da zieht unsere Daten-Souveränität. Denn die Daten-Souveränität ermöglicht es dem Besitzer der Maschine, dem Käufer der Maschine, zu definieren, wer auf seine Daten zugreifen darf, wem seine Daten bereitgestellt werden und was der Empfänger dieser Daten mit seinen Daten machen darf.
    Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ich habe gerade einen Stift in der Hand und kann einem Empfänger dieser Daten das 3D-Modell dieses Stiftes geben und erlaube ihm, auf einem 3D-Drucker diesen Stift dreimal auszudrucken. Und nach dem dritten Ausdruck ist der Datensatz für ihn nicht mehr verwendbar, nicht mehr lesbar, nicht mehr weitergebbar. Und wir haben mittlerweile Technologien, die diese Regelungen, die ich mit dem Empfänger treffe, auch wirklich technisch erzwingen. Ich bin also nicht mehr nur darauf angewiesen, solche Regelungen vertraglich zu vereinbaren, sondern ich kann sie auch technisch sicherstellen.
    Kern-Komponente ist der sogenannte IDS-Konnektor
    Kloiber: Sie müssen noch einmal erklären, wie diese IDS-Referenz Architektur strukturiert ist. Was sind die Elemente in dieser Referenz Architektur?
    "Die eigentliche Kern-Komponente ist der sogenannte IDS-Konnektor. Das ist ein Software Baustein, der in einzelnen Maschinen, in einzelnen IoT-Plattformen installiert wird. Und über diesen Konnektor wird dann der Datenaustausch ermöglicht. Weitere Funktionen werden zum Beispiel über einen App-Store bereitgestellt, wo Softwarepakete, die intelligente Lösungen basierend auf den Daten realisieren, bereitgestellt werden. Und die Kommunikation, den Austausch stellt insgesamt ein IDS-Broker zur Verfügung.
    Daneben gibt es eine ganze Reihe weiterer Architektur-Komponenten aber die wesentliche Komponente der Idee Referenz Architektur ist der IDS-Konnektor."
    Ganz neue Qualität in der Fertigungssteuerung
    Welchering: Solche Konnektoren sorgen dann auch dafür, dass die Daten aus der wirklichen Fertigung auch in die virtuelle Fertigung fließen. Simulation und Datenvisualisierung mit VR-Mitteln sorgen für eine ganz neue Qualität in der Fertigungssteuerung. Denn so kann ständig eine Prognose berechnet werden, was demnächst in der Fabrik oder Fertigungsstraße so alles passiert. Droht ein Motor auszufallen, kann er rechtzeitig ersetzt werden. Klappt eine Lieferkette just in time nicht, weil der LKW des Zulieferers gerade auf der Autobahn im Stau steht, dann wird die Fertigung einer anderen Produktcharge eben vorgezogen.
    Der Ingenieur im Leitstand muss dafür allerdings einen regelrechten Zeitsprung vollziehen. Gerade steht er noch im realen Leitstand, als eine Warnmeldung eingeht. Eine Pumpe droht auszufallen. Welche Konsequenzen es hätte, diese Pumpe jetzt sofort zu ersetzen, schaut sich der Leitstand-Ingenieur dann im virtuellen Leitstand an. Dazu muss er lediglich die VR-Brille überstreifen. Und dafür müssen viele Daten nicht nur eingespeist, sondern, sie müssen über einheitliche Formatvorgaben ausgetauscht werden. Welche Daten das sind, beschreibt der Fertigungsspezialist Guenter Dahm vom VR-Spezialisten Virtalis.
    "Wenn wir also konkret über eine Fertigung, über eine Smart Factory, sprechen, dann macht es natürlich Sinn, Qualitätsdaten der Produkte, die produziert werden, in Echtzeit mit einzubringen, Produktionsdaten der Fertigungsleitsysteme in Echtzeit mit einzubringen und sogar den menschlichen Faktor, also das gesamte operative Management, wie Schichtbücher, Checklisten, all das zusammenzubringen, um entsprechende Entscheidungen fällen zu können im Tagesbetrieb."
    Ein digitaler Zwilling der Fabrik und der Produkte
    Kloiber: Da entsteht dann ein riesiger Berg an Daten aus der Produktion, Peter. Was macht man daraus?
    Welchering: Man macht daraus eine Art "digitaler Zwilling" der Fabrik, aber auch der einzelnen Produkte. Und das nutzen die Entwicklungsingenieure, um sowohl die Produkte zu verbessern, als auch den Fertigungsprozess insgesamt dann zu optimieren. Alle Änderungen, die den Ingenieuren dabei einfallen, spielen sie zunächst einmal am jeweiligen digitalen Zwilling durch.
    Soll also zum Beispiel eine Werkzeugmaschine eine zusätzliche Achse bekommen, wird die in der virtuellen Realität eingebaut. Der Entwicklungsingenieur kann sich das Ergebnis auf seinem Tablet anschauen. Er kann aber auch in die VR-Höhle, in die berühmte Cave, gehen, dort einmal rund um die Maschine laufen und zwar virtuell, aber ganz hautnah, die Änderungen erleben, die durch den Einbau einer zusätzlichen Achse an dieser Maschine entstanden sind. Zu dieser Darstellung in der virtuellen Realität kommt dann sowohl in Ausbildungssituationen als auch bei der Entwicklung von Produkten oder Maschinen zunehmend die Künstliche Intelligenz dem Menschen zu Hilfe.
    Dr. Kurt Bettenhausen, beim Verein Deutscher Ingenieure für "digitale Transformation" zuständig, hat den derzeitigen Stand des Einsatzes Künstlicher Intelligenz auf der Industriemesse so beschrieben:
    "Heute setzt sich das vor allen Dingen im Bereich des Designs und Entwurf durch, Generative Engineering, Generative Design ist eine der Methoden, wo die Maschine selbstständig lernt, bessere Strukturen zu erarbeiten. Die meisten Anwendungsbeispiele kennen wir aus dem Bereich Additive Manufacturing, wo Strukturvorschläge gemacht werden, die den Ingenieur beim Entwurf aktiv unterstützen, indem algorithmisch parallel ausgewertet wird, ob die Strukturen auch tragfähig sind und die Aufgaben erfüllen können."
    Autonom entscheidende Systeme
    Kloiber: Und wie sieht dann der nächste Schritt aus, Peter:
    Welchering: Der nächste Schritt sind dann KI-Systeme, die dem Konstrukteur nicht nur Vorschläge unterbreiten, wie er seine Konstruktion weiter entwickeln kann, sondern: Die Werkzeuge oder andere Produkte werden selbstständig konstruiert und entwickelt. Aus den Assistenzsystemen, die dem Menschen Lösungen vorschlagen, sollen Systeme werden, die autonom entscheiden. VDI-Direktor Ralph Appel skizziert diese Entwicklung so.
    "Es gibt heute weitgehend Einsatz von KI im Bereich der Datenanalyse, Stichwort "Big Data", und im Bereich der Assistenzsysteme. Das Thema, wo autonome Entscheidungen getroffen werden, ist heute noch nicht sehr verbreitet. Das ist sicher die Zukunft, wenn wir über automatisiertes Fahren, über autonome Systeme reden, über Verkehrsflussoptimierung und andere. Ich glaube, das ist der nächste Schritt, den wir jetzt gemeinsam gehen müssen.
    Von daher ist auch der Zeitpunkt, über diese neue Technologie zu reden, auch der richtige, jetzt, wo sich neue Applikationsfelder auftun.
    Welchering: Mit diesen neuen Einsatzfeldern tun sich Entwickler wie Anwender schwer. Selbstfahrende Pkw waren bereits in tödliche Unfälle verwickelt. Dr. Dirk Michelsen von der IBM Deutschland erklärt, was dahintersteckt.
    "Wenn man dazu übergeht, dass man sagt, das System lernt on the fly, das heißt, es lernt aus Interaktionen und verändert sich, dann ist diese Nachvollziehbarkeit im strengen Sinne nicht mehr so gegeben. Sie ist in dem Sinne durchaus gegeben, dass man einfach loggen kann, welche Veränderungen im System da sind. Das heißt, man stellt dann fest, das System hat sich verändert, und es hat sich wie folgt verändert. Aber das führt dann dazu, dass die Nachvollziehbarkeit, sagen wir mal, komplexer und schwieriger wird.
    Ergebnisse von KI-Systemen transparent machen
    Kloiber: Nun, Peter, das ist ja eine Feststellung, die nicht auf der Industrie-Messe, sondern allerorten getroffen wird – die Undurchschaubarkeit der Algorithmen und der maschinellen Entscheidungen, wird ja überall dort kritisiert, wo Maschinen am Werk und Menschen betroffen sind.
    Welchering: Und deshalb geht es jetzt darum, Ergebnisse von KI-Systemen transparent zu machen, die Entscheidungsberechnung muss für den Menschen nachvollziehbar sein. Und das stellt die KI-Entwickler vor ganz neue Herausforderungen. Clemens Dannheim, Chef der KI-Softwareschmiede Objective beschreibt das so.
    "Da geht es auch schon in die Richtung, dass man für Verifikationssysteme künstliche Sensordaten, synthetische Sensordaten erzeugt, die dann zum Antrainieren von neuronalen Netzwerken benutzt, um genau solche Testszenarien ableiten zu können, die einem hinterher eine Verifikation erlauben, damit ein solches System auch zuverlässig funktioniert. Der alte Ansatz wie beim deterministischen Programmieren in der normalen Algorithmik, der lässt sich so nicht mehr fahren. Daher muss man sich da ganz neue Alternativen überlegen, so wie jetzt dieses systematische Anlernen von neuronalen Netzen durch synthetische Sensordaten beispielsweise."
    Kloiber: Was heißt das denn jetzt im Klartext, was Clemens Dannheim da beschrieben hat? Neue Verifikationsmethoden und Kontrollsysteme sind verfügbar, sie werden aber nur sehr zögerlich eingesetzt?
    Welchering: Genau, denn sie verursachen zusätzliche Kosten. Deshalb sind auf der Industriemesse auch Vorschläge für eine gesetzliche Regulierung sehr intensiv diskutiert worden. Solche Regulierungsvorschläge richten sich immer nach dem Grad des Risikos beim Einsatz eines KI-Systems. Natürlich ist das bei einem selbstfahrenden Auto viel größer als beim Einsatz eines KI-Systems für die Kreditvergabe oder bei einem KI-gestützten Callcenter-System, das die Anrufer auf die kaufmännischen oder technischen Spezialisten verteilen soll, je nachdem, ob die eine Frage zur Rechnung oder ein technisches Problem mit einem gekauften Gerät haben. Allerdings stehen wir da noch sehr am Anfang.
    "In der Politik ist das Problem noch gar nicht angekommen"
    Kloiber: Und wie steht es mit der Politik, ist die auf die Diskussion der Expertinnen und Experten, so wie in Hannover geführt wurde, überhaupt eingegangen?
    Welchering: Nein. In der Politik ist dieses Problem noch überhaupt nicht angekommen. Das haben die Diskussionen auf der Industriemesse deutlich gezeigt. Allerdings zeigte sich dort auch, dass intensive Diskussionen durchaus zu Industriestandards führen können, die dann zum Beispiel ein Sicherheitsproblem besser lösen. Industriesteuerungen etwa waren über viele Jahre hinweg ein beliebtes Angriffsziel von Hackern. Als solche Steuerungen entwickelt wurden, hat niemand daran gedacht, dass sie vernetzt werden sollten. Und als genau das passierte, wurden sie angreifbar. Und dann wurde eine Zeit lang rumprobiert, nachträglich Sicherheit in die Steuerungen zu bringen. Und genau das hat natürlich überhaupt nicht funktioniert. Bei neuen Industriesteuerungen können solche Sicherheitssysteme direkt eingebaut werden. Aber die alten Industriesteuerungen jetzt alle durch neue Steuerungen zu ersetzen, das war eben auch kein gangbarer Weg. Die Lösung lautete dann: Die alten Steuerungen nicht mehr zu patchen, sondern deren sie von außen abzusichern. Und das hat zu wesentlich mehr Sicherheit in der Fabrik geführt. Wie diese Absicherung funktioniert, schildert Udo Schneider von Trend Micro.
    "Zum Beispiel, dass man die Netzwerkkommunikation dieser Geräte von vornherein untersucht und filtert, das heißt, die eigentlichen Geräte an sich. Die Steuerungen, Aktoren und Sensoren, bleiben unverändert, aber die Verbindung zum Leitstand, die Verbindung zu den Kontrollsystemen, läuft heutzutage über normale Internet- oder Ethernet-Verbindungen, die man mit ganz formalen Komponenten auch filtern und schützen kann, das heißt, damit kann ich halt eine Produktionszelle, die eigentlich nie dafür gedacht war, ans Netzwerk angeschlossen zu werden, doch sicher am Netzwerk betreiben."
    Welchering: Die IT-Sicherheitsexperten sind den Spezialisten aus den anderen Bereichen der IT-Branche hier tatsächlich ein Stück voraus. Sie haben erkannt, dass sie von der installierten Basis in der Fertigung ausgehen müssen, um dann für diese Basis Sicherheitskonzepte zu entwickeln. Ein Sicherheitskonzept für die digitale Fabrik, das die Anforderungen der Fertigung den informationstechnischen Prinzipien unterordnet, das kann nämlich nicht funktionieren. Das haben die IT-Sicherheitsexperten erkannt. Und sie erschließen sich gerade zaghaft einen weiteren Geschäftsbereich, nämlich die Erarbeitung von Sicherheitskonzepten für KI-Systeme. Doch da steht die Entwicklung, wie sich auf der Industriemesse gezeigt hat, noch ganz am Anfang.