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Hans Leyendecker: Die Lügen des Weißen Hauses. Warum Amerika einen Neuanfang braucht

Hans Leyendecker zählt zu den wenigen Journalisten in Deutschland, die man mit gutem Recht als investigativ bezeichnen kann. Lange für den Spiegel, heute für die Süddeutsche Zeitung, wühlte er im Sumpf von Korruption, Bestechung, Filz, Steuerhinterziehung und Vorteilsnahme und deckte alleine oder im Team unter anderem die Affären um Flick, Graf Lambsdorff, Lothar Späth oder Helmut Kohl auf. Auch in der bundesdeutschen Kommunalpolitik fand Leyendecker manches, was die Ertappten zum Rückzug zwang oder direkt in die Untersuchungshaft führte. Sein im letzten Jahr erschienenes Buch "Die Korruptionsfalle - Wie unser Land im Filz versinkt" entwickelte sich zum Bestseller. In diesen Tagen nun überrascht Hans Leyendecker mit einem Band, der nun gar nicht in seine doch eher innenpolitische Themenpalette passen will. "Die Lügen des Weißen Hauses" ist er überschrieben und verspricht im Untertitel eine Antwort auf die Frage "Warum Amerika einen Neuanfang braucht".

Hermann Theißen im Gespräch mit dem Autor | 07.06.2004
    Hans Leyendecker:
    Also, es ist kein Enthüllungsbuch. Es ist das Buch eines deutschen Journalisten für den deutschen Markt. Ich hatte mit dem Thema über längere Zeit zu tun. Ich habe vor mehr als zehn Jahren mit einem Kollegen zusammen ein Buch gemacht über den Irak und die Frage, wer damals Saddam Hussein hochgerüstet hat. Aus dieser Zeit waren Kontakte geblieben zu Geheimdienstlern, zu UN-Inspekteuren, und nach dem 11. September wurden diese Kontakte intensiviert. Und da bekam ich mit, wie in Amerika die Geheimdienste auch manipuliert worden sind, um die Kriegsgründe zu finden, und das war eigentlich dann der Ansatz zu sagen: Das versuche ich für den deutschen Markt zu machen. Kein Buch natürlich für Amerika, da gibt es herausragende Werke.

    Hermann Theißen :
    Und an diese herausragenden Werke, etwa an Benjamin Barbers bei Beck erschienene Analyse "Imperium der Angst - Die USA und die Neuordnung der Welt" oder an Bob Woodwards "Plan of Attack", jener Innenansicht der Bush-Administration, deren deutsche Übersetzung für diesen Sommer von der DVA angekündigt ist, knüpft Hans Leyendecker an. Er dokumentiert, wie sich eine Gruppe um US-Vizepräsident Cheney und um den stellvertretenden Verteidigungsminister Wolfowitz mit Fälschungen, Täuschungen und Übertreibungen beim Wahlvolk und bei einigen Verbündeten Zustimmung für den Krieg gegen den Irak erschwindelt haben. Lügen, darauf weist Hans Leyendecker hin, haben in der Politik, insbesondere in der amerikanischen Politik, eine lange Tradition. Richard Nixon log unter anderem in der Watergate-Affäre, Bush senior log in der Iran-Contra-Affäre, und auch beim ersten Irakkrieg wurde die Zustimmung mit frei erfundenen Horrorgeschichten über die Brutalität der Irakis in Kuwait angeheizt. Was also ist das Neue an der Lügenfabrik des George W. Bush?

    Hans Leyendecker:
    Das Neue ist, dass damit ein imperialer Anspruch verbunden wird. Es wird nicht einfach eine Handlung begründet, sondern man hat versucht, ein Imperium zu installieren. Ziel der Truppe war ja: Wenn der Irak befreit worden wäre, so die Vorstellung, dann würde man möglicherweise weiter ziehen nach Syrien, man würde die Verhältnisse im Iran ändern wollen und neu ordnen im Nahen und Mittleren Osten. Und das, was diese Truppe gemacht hat, unterscheidet sich schon von den ganz gewöhnlichen Lügen, weil dahinter ein Herrschaftsanspruch steht. Hier ist keine Schwindelei oder dass man versucht hat, ein Ereignis zu beschleunigen, sondern hier ist wirklich die Weltgemeinschaft durch Lügen auf einen Kurs gebracht worden, der für Amerika verhängnisvoll ist. Und das, was wir jetzt als Desaster erleben, das heißt, im Irak erleben, aber auch in der Frage ..., die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Politik ist ja deutlich geringer geworden. Das ist schon ein Ausmaß, das wir vorher so nicht gekannt haben.

    Hermann Theißen :
    In seinem Buch liefert Hans Leyendecker kurze Biographien und Psychogramme von allen denen, die er zu Bushs Kriegskabinett zählt. Vizepräsident Dick Cheney erscheint als "Kurien-Monsignore", als schweigsamer und geheimnisvoller Strippenzieher, als "ein Politiker, der für den Ausnahmezustand lebt und arbeitet". Die Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice charakterisiert er als die von extremem Ehrgeiz getriebene Bauchrednerin des Präsidenten, die formulieren kann, was der nur erahnt. Der starke Mann im Hintergrund, Richard Perle, erscheint bei Leyendecker als "Fürst der Finsternis", als Propagandist der Neokonservativen, der bei jeder Keilerei dabei ist. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gibt eine Mischung aus "Kriegsführer und Woody Allen", und Colin Powell ist der "teflon man", ein pragmatischer - man könnte auch sagen - opportunistischer Prinzipienreiter. Als Chefideologen dieser konservativen Revolutionäre macht Leyendecker den stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz aus. Ein Vertreter des Unbedingten, der die Vorstellung von der Apokalypse brauche wie ein Junkie den Schuss.

    Hans Leyendecker:
    Er hat eine Obsession, also er hat einfach eine Saddam-Obsession gehabt, und er hat auch eine Obsession gehabt, dass der Irak ganz wichtig ist, um so vieles auf dieser Welt zu verändern. Ein hochintelligenter Mann, fünf Sprachen, Philosophie, Geschichte, Politik, anders als George W. Bush wirklich auch ein kluger Mann. Aber er war einfach besessen von dem Gedanken, den er schon in den 70er Jahren hatte, dass man im Irak etwas tun muss, und dem hat er immer alles untergeordnet. Beispielsweise, als 93 der erste Anschlag auf das World Trade Center war, da war Wolfowitz überzeugt, Saddam müsse dahinter stecken. Und als 95 in Oklahoma der große Anschlag war, da war Wolfowitz wieder überzeugt, irgendwas muss der Irak damit zu tun haben. Und er hat dann auch die Geheimdienste auf den Weg gebracht, er hat eine Philosophie, die ist eigentlich hochinteressant. Der sagt: "Es kommt auf die Linse an, mit der man was betrachtet. Wir können eigentlich nicht verstehen, wie Tyranneien arbeiten. Deshalb muss man eine andere Linse nehmen." Das ist Wolfowitz. Und so ist er ein Stück, wenn Sie es so sagen, psychopatisch geworden. Ich glaube, dass das für ihn auch zutrifft, wenn man ihn unterscheidet von den anderen Figuren. Da sind ja einige dabei wie Richard Perle, der wirklich, finde ich, ein ungewöhnlicher Geschäftemacher und fürchterlicher politischer Mensch ist. Da ist Wolfowitz ganz anders. Wolfowitz wird auch wieder zurückgehen, wenn das jetzt alles vorbei ist, an die Universität. Er kommt von der Universität, er hat damit nicht Geschäfte verbunden wie viele andere, die an diesem Tisch sitzen. Und von daher steckt dahinter wirklich der Glaube, und da ist Ernst Jünger auch ein gutes Beispiel, über Krieg und die Schlacht die Welt anders sortieren zu können.

    So weit Hans Leyendecker. "Die Lügen des Weißen Hauses. Warum Amerika einen Neuanfang braucht" ist sein Buch überschrieben. Es ist erschienen bei Rowohlt in Reinbek, umfasst 223 Seiten und kostet 14,90 Euro.