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Hans-Olaf Henkel: Die Nerven behalten und umstrukturieren

Wenn es wieder bergauf gehe, werde Deutschland zuallererst vom Aufschwung profitieren, meint der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel. Der Bank-Berater spricht sich gegen staatliche Hilfen für Opel aus. Eine Insolvenz könne auch eine Chance sein. Der Untergang Opels sei nicht der Untergang Deutschlands, betonte er.

Hans-Olaf Henkel im Gespräch mit Christian Schütte |
    Christian Schütte: Deutschlands Wirtschaftsleistung schrumpft, das ist in der Geschichte der Bundesrepublik schon ein paar Mal geschehen, doch das Jahr 2009 mit einem erwarteten Rückgang von bis zu 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – so schlecht ist noch keine Prognose für Deutschland ausgefallen und mit entsprechenden Folgen für den Arbeitsmarkt. Wie kann es weitergehen? Vor welchen Herausforderungen stehen die Politik, die Wirtschaft, aber auch die Gesellschaft? Darüber spreche ich nun mit Hans Olaf Henkel, ehemals Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und jetzt Bankberater. Guten Morgen, Herr Henkel!

    Hans-Olaf Henkel: Hallo, guten Morgen!

    Schütte: Vor Monaten hieß es noch in der Politik, Vollbeschäftigung sei möglich, jetzt gehen die Institute davon aus, im kommenden Jahr könnte es bis zu einer Million mehr Arbeitslose geben. Auch deshalb hat der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der ARD vor sozialen Unruhen gewarnt. Herr Henkel, das hören wir uns zusammen noch einmal an.

    Michael Sommer: Wir werden sicherlich nicht über kurz oder lang zu französischen Verhältnissen kommen, aber ich glaube schon, dass wir vergleichbar zu Fragen kommen, dass die Menschen sich abwenden von Politik, möglicherweise sich radikalisieren, man weiß nicht, in welche Richtung, möglicherweise dann auch sehr viel stärker protestieren, in den Betrieben, möglicherweise auch in Großdemonstrationen.

    Schütte: Michael Sommer, DGB-Chef, sorgt sich. Sie auch, Herr Henkel?

    Henkel: Ja, ich sorge mich vor allen Dingen dann, wenn politische und gewerkschaftliche Vorbilder wie Herr Sommer oder neuerdings auch die Kandidatin für den Bundespräsidenten-Job, Frau Schwan, irgendwie den Eindruck vermitteln, das sei unabwendbar. Man hat ja fast den Eindruck, sie würden den roten Teppich ausrollen, damit auch in Deutschland endlich mal französische Verhältnisse ankommen. Ich glaube, wir sollten gemeinsam für Ruhe sorgen, und wir sollten nicht noch Öl ins Feuer kippen, wie das Herr Sommer ganz offensichtlich – indirekt, aber ich glaube nicht unbewusst – getan hat. Ich glaube, dass auch ein Gewerkschaftsführer mal antreten muss, um den Menschen in Deutschland klarzumachen, dass es kein Land vergleichbarer Größenordnung gibt, was ein so weit und dicht gespanntes soziales Netz hat wie Deutschland. Und wenn mit Sicherheit – und viele Leute berichten das ja – die große Krise eigentlich noch nicht so richtig bei vielen angekommen ist, dann liegt das auch daran, dass wir dieses soziale Netz haben. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir verantwortlich mit der Möglichkeit von sozialen Spannungen umgehen und nicht sozusagen den Boden vorbereiten, denn ich glaube, nicht nur Ihnen, Herr Schütte, sondern vielen Leuten, die diesen Kommentar gehört und gelesen haben, ist klargeworden, dass dahinter durchaus stecken könnte: Warum seid ihr eigentlich so ruhig, wenn man in Frankreich Rabatz macht?

    Schütte: Herr Henkel, schauen wir einmal konkret auf die Zahlen des Frühjahrsgutachtens. Experten rechnen für das kommende Jahr mit 4,7 Millionen Arbeitslosen im Schnitt, was bedeutet, mehr als jeder Zehnte potenziell Erwerbstätige wäre ohne Arbeit. Da ist aber schon viel Potenzial für Frustrationen, oder?

    Henkel: Ja, natürlich. Die Arbeitslosen-Problematik ist in Deutschland latent schon seit 30 Jahren vorhanden. Viele Leute – Wirtschaftswissenschaftler, meine Wenigkeit und andere – haben immer davor gewarnt. Diese hier hat eine andere Qualität, sie taucht besonders schnell auf und die liegt eben mehr an der Konjunktur als an der Struktur, wie früher. Nur, ich glaube, dass so Leute wie Herr Sommer oder wie Frau Schwan auch mal sagen könnten, Leute, eins wissen wir, wir wissen nicht genau, wie lange es dauert, aber wir wissen, es geht wieder bergauf. Wir müssen dafür sorgen, dass die Akzeptanz unseres Wirtschafts- und sozialen Systems nicht verloren geht. Und wir haben im Augenblick kaum noch Fürsprecher in diesem Lande, die den Menschen eine Erklärung für diese Krise liefern – und die gibt es ja – und denen auch das Gefühl geben, dass es irgendwann mal wieder bergauf geht. Ich glaube, Frau Merkel, wenn man es mal genau nimmt – und ich bin hier in keiner Partei –, ist, glaube ich, noch die Einzige, die das versucht.

    Schütte: Inwiefern versucht sie das?

    Henkel: Na ja, wenn sie konfrontiert wird mit den neuesten Aussagen der Wirtschaftswissenschaftler zu den sicherlich sehr düsteren Wirtschaftsprognosen, dann versucht sie immer, noch die Nerven zu behalten, und erklärt: Lasst uns erst mal die beiden Konjunkturprogramme auf ihre Wirksamkeit prüfen und so weiter und nicht gleich wieder neue Konjunkturprogramme fordern, wie Herr Sommer. Denn auch Herr Sommer müsste sich eigentlich mal darüber im Klaren sein, dass die Milliarden, die er dauernd fordert, irgendwann mal zurückgezahlt werden, nur nicht von ihm, sondern von unseren Kindern und Kindeskindern, und deshalb ist es unverantwortlich, hier diese Stimmung zu verbreiten und es wäre verantwortlicher, mal etwas mehr aufzuklären und für Ruhe zu sorgen.

    Schütte: Viele Wirtschaftsexperten sagen: Eigentlich ist die deutsche Wirtschaft gut aufgestellt, wäre da nicht der Einbruch in der Weltwirtschaft gewesen. Müssen wir statt Exportweltmeister nicht eher Binnenkonsumweltmeister werden?

    Henkel: Wir sind zwar Exportweltmeister und wir haben einen immer noch sehr starken Exportüberschuss, also Handelsbilanzüberschuss, und wir dürfen auch nicht vergessen, dass dieser Überschuss eigentlich bedeutet, dass die deutsche Wirtschaft immer noch mehr Arbeitsplätze importiert als exportiert. Und deshalb ist es sehr wichtig, dass wir – gerade vor dem Hintergrund der sich jetzt abzeichnenden Zuwächse in der Arbeitslosigkeit –, dass wir darauf achten, dass dieser Exportüberschuss erhalten bleibt. Wir sind übrigens inzwischen auch schon Importeur Nummer zwei, es ist ja nicht so, dass wir nun nur exportieren, sondern wir sind inzwischen auch schon der zweitgrößte Importeur in der Welt. Und wenn Sie mich fragen, es gibt kein Land vergleichbarer Größenordnung, was so von der Globalisierung und vom Export profitiert wie Deutschland. Bei uns ist es ja fast jeder vierte Arbeitsplatz, und deshalb sind wir im Augenblick besonders betroffen. Aber da hat Frau Merkel schon recht: Wenn die Krise vorbeigeht – und irgendwann geht sie vorbei –, dann werden wir als allererste auch davon profitieren.

    Schütte: Was muss denn die Wirtschaft selbst tun, außer auf Staatshilfen zu hoffen?

    Henkel: Ich finde, das allererste, was sie nicht tun darf, ist, auf Staatshilfe zu hoffen. Es ist durchaus richtig, dass die Regierungen in der Welt das Finanzsystem finanziell abgedeckt haben, wobei es ja noch nicht raus ist, ob den Steuerzahler das wirklich was kostet, weil diese ganzen Papiere ja heute zwar keinen Preis haben, aber immer noch irgendwas wert sind. Aber ich kann nur sagen: Gnade uns Gott, wenn wir jetzt anfangen, in der Industrie Unterstützung anzubieten oder auf Forderungen einzugehen. Und das sagt Ihnen der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der sagt: Es ist richtig, die Banken zu fördern, aber nicht die Industrie. Und da soll man genau hinhören, wenn ich das sage, denn ich halte es für falsch, wenn der Staat jetzt zum Beispiel bei Opel einsteigt. Ich gebe Ihnen nur ein Beispiel: Wir haben eine weltweite Kapazität von 90 Millionen Autos heute, und in diesem Jahr werden etwas über 50 Millionen wahrscheinlich verkauft. Das heißt, wir haben strukturell eine Überkapazität an Automobilfabriken. Wir kommen daran nicht vorbei. Und wenn der Staat jetzt meint, er muss Opel unterstützen mit meinetwegen einer kräftigen Staatsbeteiligung, wie Herr Steinmeier das vorgeschlagen hat, und wir stellen dann fest, dass Opel auch weiterhin keine Gewinne macht – in Europa waren sie in den letzen Jahren immer defizitär –, was will der Staat denn als nächstes machen? Will er die Opel alle kaufen? Oder will er uns dazu zwingen, dass wir alle Opel kaufen? Und wenn wir das täten, was ist dann mit Volkswagen oder BMW oder Mercedes oder den anderen? Wir sollten auf keinen Fall jetzt einen Systemwechsel einleiten in dieser Krise, der letzten Endes dazu führt, dass wir so eine Art DDR werden.

    Schütte: Herr Henkel, muss aber nicht die Bundesregierung auch ein Interesse daran haben, Opel zu sichern, und damit wären wir wieder beim Stichwort vom Beginn unseres Gesprächs, nämlich, um soziale Unruhen zu vermeiden? Denn Opel ist ja eine Symbolmarke.

    Henkel: Ja, gut, aber dann muss ich mal zurückfragen, jetzt stellen wir mal fest für eine logische Sekunde, der Staat hätte eingegriffen, wir hätten die Firma gerettet, in Anführungsstrichen, was wäre denn passiert, wenn diese Autos nicht abgesetzt werden am Markt? Dann hätten wir wahrscheinlich erst mal vielleicht die Wut der Opel-Arbeiter in Eisenach oder in Rüsselsheim oder was weiß ich wo, nicht in Kauf nehmen müssen, aber was passiert danach? Ich kann nur davor warnen. Ich wundere mich immer wieder, wenn tatsächlich mal 20.000 Arbeitsplätze auf der Kippe stehen, dann kommen die Ministerpräsidenten, die Kanzlerkandidaten, die Kanzlerin und was weiß ich wer alles. Wenn aber 1000 mittelständische Unternehmen je 20 verlieren – und das passiert dauernd –, dann kommt gar keiner, dabei ist das viel dramatischer. Mein Ratschlag ist: um Gottes Willen die Nerven behalten, umstrukturieren! Lassen Sie auch mal eine Insolvenz möglich sein. Ich darf vielleicht die älteren Hörer daran erinnern, dass die Firma Borgward in Bremen in den 50er- oder 60er-Jahren vor einer ähnlichen Situation stand, aber man ließ Borgward pleite gehen. Heute haben wir in Bremen wesentlich mehr Arbeitsplätze im Automobilsektor als damals. Der Untergang von Opel ist nicht der Untergang Deutschlands.

    Schütte: Hans Olaf Henkel, ehemals Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Henkel: Bitte schön!