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Hans Traxler
Vierzeiler dichten wie im Rausch

Er ist Karikaturist, Mitgründer der Satirezeitschrift "Titanic" und Kinderbuchautor. Hans Traxler hat inzwischen mehr als 50 Bücher bebildert und geschrieben, ein neues ist in Vorbereitung. Ans Aufhören denkt der 85-Jährige überhaupt nicht. Selbst über das Altern macht er sich noch lustig.

Hanx Traxler im Gespräch mit Ute Wegmann | 13.09.2014
    Der Maler, Cartoonist, Illustrator und Kinderbuchautor Hans Traxler, aufgenommen 2012.
    Der Maler, Cartoonist, Illustrator und Kinderbuchautor Hans Traxler, aufgenommen 2012. (picture alliance / dpa / Emily Wabitsch)
    Mein heutiger Gast beschrieb sich einmal wie folgt: „Ich bin Karikaturist. Als solcher denke ich mir Bilder und dazugehörige Texte aus, mit denen ich komische Wirkungen zu erzielen hoffe.“ Ich behaupte, wenn es einem gelingt, dann ihm. Über 50 Bücher hat er bebildert und viele geschrieben. Er ist Cartoonist, Maler, Illustrator, Pardon-Autor, Erfinder der Kohl-Birne, Mitgründer des Satiremagazins Titanic und der Neuen Frankfurter Schule, und er ist Kinderbuchautor - ich begrüße Hans Traxler.
    Hans Traxler, 1951 kamen Sie über Regensburg nach Frankfurt am Main und studierten dort Freie Malerei. Was führte Sie nach Frankfurt anstatt an die Akademie nach Düsseldorf?
    Hans Traxler: Ja, ich wollte ja kein Maler werden. Mit fünf oder sechs Jahren habe ich beschlossen, Karikaturist zu werden. Es gab damals diese vielen Illustrierten, jede größere Stadt hatte eine: München, Hamburg, Köln, Frankfurt. Und als kleiner Bub, sobald ich lesen konnte, hab ich mir die gegriffen. Das wollte ich werden und das bin ich dann auch geworden. Nach Frankfurt kam ich speziell deshalb, weil das mal die Bundeshauptstadt werden sollte. Man hatte mir gesagt, dass sich dann dort auch die großen Verlage ansiedeln würden, das hat sich ja dann auch bewahrheitet. Mit der Bundeshauptstadt hat es nicht geklappt. Da war ja Adenauer davor, wie man weiß.
    Ute Wegmann: Die Neue Frankfurter Schule, so hieß die Gruppe der kreativen Frankfurter ja erst ab 1981, - aber vorher waren sie schon eine Gruppe, zu der Chlodwig Poth, F.K. Waechter und Robert Gernhardt gehörten, um nur einige zu nennen. Wie lernten Sie sich kennen?
    Traxler: Das Zusammentreffen, das ist Hans Nickel geschuldet, das war der Verleger, Herausgeber, Eigentümer, Chefredakteur von "Pardon". Und der hatte vorher einen kleinen Karikaturendienst, so hat er angefangen. Dann hat er einen Verlag gegründet und 1963 war es soweit, da kam "Pardon" raus, der hatte eine Spürnase, und das führte dazu - F.W: Bernstein gehörte noch dazu und ganz ganz viele andere - die haben sich dann hier getroffen, und viele von ihnen sind auch hier geblieben.
    Unzufrieden mit dem, wie es bei "Pardon" lief
    Wegmann: Die literarisch-satirische Zeitschrift "Pardon" (1962-1982) war Ihr erstes Betätigungsfeld für Beiträge. Es war neu, Politik mit Humor zu verbinden. Diese Art zu schreiben, pustete frischen Wind in die Republik. Wie war das bei Redaktionskonferenzen - herrschte damals ein Gefühl von Aufbruchstimmung?
    Traxler: Ja, wir hatten schon sehr viel Spaß miteinander. Es waren sehr unterschiedliche Typen, die da aufeinandergestoßen sind. Da war zum Beispiel Chlodwig Poth, der war der einzige von uns, der Marx gelesen hatte. Die anderen sind eher auf der antiautoritären Welle geschwommen, und zu denen hab ich auch gehört. Uns war klar, dass wenn man so eine Zeitschrift machen wollte, konnte man das nicht in den Fußstapfen von "Simplicissimus" machen. Die war großartig zu ihrer Zeit, sicher das Beste, was es in der Welt gab an Zeichnern, aber das hatte sich dann eben über die Jahrzehnte totgelaufen, war ausgeblutet, sowohl inhaltlich als auch formal. Wir wollten was ganz anderes machen, und dann haben wir experimentiert wie verrückt. Wir haben alle Formen, die man sich vorstellen kann, bedient. Den Cartoon mit einer Zeile, das Bildergedicht, die Bildgeschichte, die Parodie auf Zeitungsberichte, dann gab es das berühmte WIMS, das deutschlandweit Schule gemacht hatte. Man hatte ja den Eindruck, dass alle Redakteure, die danach gekommen sind, dass die die Sprache aufgenommen haben, denn diese Töne findet man in der FAZ, in der SZ, die findet man überall.
    Wegmann: Die nächste Station - ab 1979: Das Satiremagazin "Titanic". Das haben wir geliebt. Diese Art von Witz und brillantem Protest gegen eingefahrene Strukturen und Muster. Kann man sagen, dass die Veränderungen vor allem durch den Umgang mit der Sprache hervorgerufen wurden, das war etwas Besonderes, die Sprachspiele, die Verdrehungen, mit der Sprache auch etwas auf den Kopf zu stellen. Oder standen Sprache und Bild gleichwertig nebeneinander?
    Traxler: Das stand immer nebeneinander. Robert Gernhardt und Fritz Weigle (Red: F.W. Bernstein) zum Beispiel, die haben beide Germanistik und Malerei studiert. Das ist vielleicht eine Erklärung. Nein, wir waren nicht alle nur Zeichner. Jeder Zeichner hat auch geschrieben, und viele Schreiber, wie zum Beispiel Eckhard Henscheid, haben auch gemalt. Das ging durcheinander. Aber die Gründung von "Titanic" hatte damit zu tun, dass wir nicht mehr zufrieden waren mit dem, wie es bei "Pardon" lief. Und wir wollten was Eigenes machen. Ich hab aufgehört nach zehn Jahren (Red: Bei der Titanic) und zwar in aller Konsequenz. Es war für mich einfach eine Phase beendet, ich wollte mich nicht ewig mit den doch immer wiederkehrenden Themen der deutschen Innenpolitik befassen. Das hat mich schlicht gelangweilt. Ich hatte dann schon angefangen, Bildergedichte zu machen, die dann in den Jahren darauf - acht oder neun Jahre insgesamt - im "Zeit-Magazin" entstanden sind. Später hat mich die "Süddeutsche" abgeworben, mit schnödem Mammon, und da war ich dann auch drei Jahre glücklich, dann kam die "FAZ" und daraus sind dann auch die ersten Bücher entstanden. Und das hat sich ausgeweitet, inzwischen gibt es zwischen 50 und 60 Büchern, ganz unterschiedlicher Art. Es gibt Kinderbücher, es gibt illustrierte Bücher. Und da hat es sich als Vorteil erwiesen, dass ich von Anfang an nicht auf der Suche nach einem speziellen Stil oder noch schlimmer nach einem bestimmten Männchen war, nach einem mit dicker Nase oder sowas, ich hab das eher vermieden. Es genügte mir, eine eigene Handschrift zu haben. Und diese Handschrift, die ist so brauchbar, dass ich damit Goethe illustrieren kann oder Mark Twain oder Schiller. Und das habe ich ja auch getan. Ich kann aber gleichzeitig mit der gleichen Handschrift Bilderbücher machen oder satirische Zeichnungen. Und das ist für mich ein großes Glück, weil es hört eigentlich nie auf. Es kommen dann auch Vorschläge von den Verlagen. Das ist ein sehr schöner Zustand.
    Zeichnen vor dem Hintergrund der Natur mit mehr Intensität
    Wegmann: Dann sprechen wir an dieser Stelle doch über diese Handschrift. Sie machen eher zartfarbene Aquarelle. Und ob in Büchern und in Cartoons auch - die Geschichten sind immer angesiedelt in einem realistischen Ambiente. Das ist Ihnen wichtig.
    Traxler: Ja, das ist richtig. Sowohl die Backgrounds, also die Räume, in denen das stattfindet, als auch die Charaktere, die gibt es irgendwo, die werden dann natürlich verwendet und passend gemacht. Also das Zeichnen nach der Natur hat immer eine große Rolle gespielt. Ich habe ja eine richtige akademische Ausbildung mit Aktzeichnen - das ist mir geblieben. Es ist einfach so, ich kann zwar fast alles aus dem Kopf zeichnen - wenn Sie mir jetzt sagen, ich soll einen indischen Maharadscha zeichnen mit seinen Lieblingsfrauen, dann kann ich das, aber wenn ich eine alte Vorlage habe aus der Zeit, dann wird es mit Sicherheit sehr viel besser, die Zeichnung wird konziser, spannender, aussagekräftiger, als wenn sie aus meiner Erinnerung stammt. Das gilt generell. Also in allen Büchern tauchen Räume und Landschaften auf, in denen ich mich gerade befinde, während das Buch entsteht. Zum Beispiel beim Emil (Red: "Komm, wir gehen heim, Emil!"), das hab ich in einer Sennhütte gezeichnet, und das spielt auch in einer Sennhütte. Oder das letzte Kinderbuch, der Willi (Red: "Willi. Der Kater, der immer größer wurde"), der spielt genau in diesem Haus, in dem wir jetzt gerade sitzen. Und auch die Geschichte hat wirklich so stattgefunden. Ich denke, es ist so, dass das Zeichnen vor dem Hintergrund der Natur, dass das zu einer größeren Intensität und auch Nachhaltigkeit führt. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass viele von meinen Büchern auch nach Jahrzehnten noch nachgedruckt werden. Das ist gerade in letzter Zeit mehrfach passiert. Mein Bestseller, der ist jetzt über fünfzig Jahre alt geworden, "Die Wahrheit über Hänsel und Gretel", und den gibt es immer noch, nach 60 oder 70 Auflagen.
    Wegmann: Wenn Sie ein neues Projekt beginnen, legen Sie viele Skizzenbücher an oder entstehen die Bilder aus einem Wurf?
    Traxler: Es gibt ganz viele Vorarbeiten. Erstmal schreib ich die Geschichte auf, dann gibt es schon ganz viele Scribbels. Ich muss mir grundsätzlich alles sofort aufschreiben, weil ich es sonst sofort wieder vergesse. Das ist bei vielen Ideen so. Das geht nicht nur mir so, ich hör das oft von Kollegen, die sagen: Wenn ich nicht etwas sofort notiere, ist es in der nächsten Minute weg. Das ist die Vorarbeit. Dann wird es geziert auf Teufel komm raus, also nach der Natur eben. Der nächste Schritt ist, dass das, was man vorfindet-– vielleicht kann man das mit einem Filmregisseur vergleichen, der kann ja die Räume auch nicht eins zu eins benutzen, wie sie sind, sondern er muss sie entsprechend seiner Erzählung arrangieren - und das tu ich auch.
    Wegmann: Ich geh noch mal einen Schritt zurück zu den Cartoons: Gespeist vom revolutionären, linken Geist der 68er Jahre haben Sie Politik, Religion, menschliche Eigenarten, Mann-Frau-Themen, Öko-Freaks, Vegetarier, Holländer - alle eben - auf die Schippe genommen. Es waren die alltäglichen Dinge, das Beobachten des Alltäglichen, das Ihnen die Themen eingab. Ist das heute noch so?
    Aufgewachsen in einem katholischen Milieu
    Traxler: Das wohl, aber grundiert ist eigentlich alles durch meine Auseinandersetzung mit Ideologien und Religionen. Mein erstes gezeichnetes Buch "Die Reise nach Jerusalem", das war ja ein großes Spottbuch auf Paul VI., den sogenannten Pillenpaul, ein bizarrer Papst. Dieses Buch besteht aus Bildergedichten. Von diesem Buch hab ich jetzt den Bogen zurückgeschlagen. In meinem neuen Buch geht es um Religionen und Ideologien, um Sekten, um Heiligengeschichten. Vielleicht sollte ich etwas vorlesen, damit man sich eine Vorstellung macht. Es sind ungefähr 130/140 Vierzeiler inzwischen. Aber auch hier gilt. Ich hab mich sehr genau an die Realitäten gehalten, so nonsenshaftig das auch manchmal weitergeht. Dazu war Karl-Heinz Daeschner eine sehr gute Quelle, der "Das Kreuz mit dem Kreuz" geschrieben hat. Und daraus stammen zwei der Heiligengeschichten.
    Da gab’s die Heilige Ursula
    Die lebte in Askese
    Und wenn ihr mal der Nachtisch schmeckte
    Da wurd sie richtig böse.
    Und dann sieht man die zuerst fromme Heilige Ursula, die isst ein grünes Blättchen zum Nachtisch und sie wird so böse, als ihr das schmeckt, dass sie sich sofort geißelt. Oder noch realistischer:
    Noch weiter ging die Heilige Hedwig
    Aus Andechs, die war krasser.
    Die wusch den Aussätzigen die Füß
    Und trank danach das Wasser.
    Das hat die wirklich gemacht. Weiter mit dem Leben der Heiligen.
    In Rimini gab’s hundert Jungfrauen
    Das war der Orden der Keuchen
    Die schnitten sich Haare und Brüste ab
    Um die Männerwelt zu täuschen.
    Und das wird alles auch im Bild gezeigt.
    Wegmann: Hans Traxler war das mit Vierzeilern aus einem Buch, an dem er gerade arbeitet, das nächstes Jahr erscheinen wird. Wir haben hier viele Vierzeiler über Heilige gehört. Himmel und Hölle, Teufel und Schutzengel sind immer wieder Thema in Ihren Cartoons. Es gibt sogar zwei Bücher: "Das Teufelsbuch" und "Das Schutzengelbuch". Aber auch Gott oder Kirchenvertreter wie Päpste und Bischöfe sind beliebte Figuren. Woran glaubt Hans Traxler?
    Traxler: Hm, an wenig. Und es wird weniger, wenn man älter wird. Es ist so, ich bin in einem katholischen Milieu aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Westböhmen. Mein Vater war der Postenkommandant der Gendarmerie, und der ging mit dem Schleppsäbel hinter der Monstranz her an Fronleichnam. Meine Mutter spielte die Orgel. Ich glaube nicht, dass meine Eltern sonderlich religiös waren. Sie waren, wie man damals schon sagte, Gewohnheitschristen. Es gehörte zum Leben, war Teil der Folklore. Das ist es auch weiter für mich geblieben. Ich bin immer noch froh, dass in diesem kleinen Dorf in der Mitte immer noch eine Kirche steht und keine Filiale der Deutschen Bank. Insofern hat die Kirche für mich eine Bedeutung. Aber ich seh natürlich auch die schrecklichen Folgen von fanatisierten Gläubigen. Das kann man ja gerade in Syrien und überhaupt im ganzen Vorderen Orient beobachten, wozu das führt. Und da stellt man sich schon die Frage, ob wir nicht ohne Religionen besser dran wären. Aber dazu wird es vermutlich nie kommen, weil menschliche Gemeinschaften, wie auch immer sie geartet sind, die brauchen irgendein transzendentales Konzept, nachdem sie ihr Leben ausrichten können. Ich persönlich brauche es nicht.
    Wegmann: Sie haben zwei Bilder unter Ihren Cartoons mit Ihren Traumhäusern. Im ersten lebten Claude Monet / Tschechow / Brigit Bardot und Sie. Vier Zimmer, und Bardot steigt natürlich gerade aus dem Pool, während Monet einen See malt und Cechov im Garten denkt. (Es gab ein zweites Haus: Tschechow wechselt mit Sommerset Maugham, die Bardot mit den Kessler-Zwillingen.)
    Wer wären denn heute Ihre Traummitbewohner in einer - wenn ich das sagen darf Senioren-WG, denn schließlich sind Sie 85 Jahre alt geworden?
    Traxler: Am liebsten allein mit meiner Frau, aber der Pool sollte schon dabei sein, denn das Schwimmen ist nach dem Zeichnen und Schreiben meine dritte große Leidenschaft geblieben, bis zum heutigen Tag. Ich denk, das ist auch ein Grund dafür, weshalb ich mich noch so gut fühle.
    Die Geschichte einer Rettung
    Wegmann: Kommen wir zum Kinderbuch. Oder andres gefragt: Wie kamen Sie zum Kinderbuch?
    Traxler: Kinderbücher sind für einen, der gern zeichnet, fast die einzige verbliebene Chance, sich mal richtig auszutoben. Also man hat große Seiten, meistens 32 Seiten, die man mit farbigen Zeichnungen füllen kann. Und wenn man ein bisschen begabt zum Schreiben ist, dann schreibt man sich auch die eigenen Texte, womit man gleichzeitig die Bilder vorgibt. Das tun ja in der Tat viele, die Bilderbücher machen. Waechter hat das auch gemacht. Ja, ich glaub, das ist ein ausreichender Grund.
    Wegmann: "Komm, wir gehen heim, Emil!" Eine arme Bäuerin und ihr Schwein Emil, das sie nicht schlachten kann, obwohl sie kein Essen für den Winter hat. Dann mein Lieblingsbuch: "Franz, der Junge, der ein Murmeltier sein wollte". Eine herzerwärmende Freundschaftsgeschichte über einen Jungen, der sich mit einem scheuen Murmeltier anfreundet und mit ihm zusammen Karotten kaut. Ganz toll ist die Sequenz der Annäherung. Sie haben beide mit dem Rücken zum Betrachter auf einer Wiese positioniert und zeigen in fünf Panels, wie sie sich langsam annähern und von Bild zu Bild mehr zusammenrücken.
    "Willi. Der Kater, der immer größer wurde". Eine heitere Geschichte über das Zusammenleben von Tier und Mensch und den Raum, den sich jeder nimmt, wenn man ihn nur lässt. Wie kam es zu der Willi-Geschichte, die ja auch eine Geschichte darüber ist, wie es sich anfühlt, wenn die Kinder das Haus verlassen haben.
    Traxler: Es ist die Geschichte einer Rettung. Ich hör das immer wieder, dass Hunde gerettet werden. Und wir haben den kleinen Kater von einem Bauernhof in der Nähe von Frankfurt gerettet, da sollte er dem Hofhund ausgeliefert werden. Und dann stellt sich die Frage: Bleibt er in der Wohnung oder darf er raus? Schwierige Frage, denn wenn er auf die Straße geht, gibt es die Gefahr, dass er überfahren wird, und dann ist der Jammer groß. Schwer zu ertragen, wenn man sich an so ein Tier gewöhnt hat. Wir haben ihn mitgenommen, hierher und er ist in einem unbewachten Moment geflohen, seither ist er draußen. Er hat die Geschichte sozusagen nachgespielt, wie ich sie im Buch geschrieben habe. Der Wunsch nach Freiheit ist unbändig in so einem Tier, und jetzt sind wir alle drei glücklich, nur auch immer ein bisschen ängstlich, so wie damals, als die Kinder klein waren: Wird er gut wieder zurückkommen?
    Schärfe, aber nie etwas Bösartiges
    Wegmann: Was ich auffällig finde, wenn ich noch einmal zurückschaue auf ihre Cartoons, oder auf Ihr ganzes Werk, da kann man feststellen, dass bei aller Kritik, die sie an Gesellschaft oder an Strukturen äußern, das ist immer humorvoll, Sie legen immer den Finger in die Wunde mit Zeichnungen und Vierzeilern, es hat Schärfe, aber nie etwas Bösartiges.
    Traxler: Das liegt wahrscheinlich in meiner Natur. Ich bin ja auch im natürlichen Leben kein bösartiger Mensch. Dem Bösartigen gehe ich eigentlich mehr oder weniger aus dem Wege, den Lauten und den Nervenden. Aber es gibt noch etwas Anderes: Man kann sich sehr viel besser mit scharfen Themen, mit bösartigen Themen auseinandersetzen und selber auch schärfer werden, wenn man das gleichzeitig sehr schön zeichnet. Das kann man in den Büchern verfolgen, da geht es manchmal schon ziemlich deutlich zu. Ich seh mich auch nicht als sanftmütigen Menschen. Inhaltlichen Auseinandersetzungen bin ich noch nie aus dem Weg gegangen. Aber man kann die Antwort dann besser geben, wenn man sie souverän gibt. Das meine ich damit, wenn man sie in einer guten ästhetischen Form gibt, dann ist es auch sehr viel wirksamer, dann schauen die Leute nicht weg. Dann kann man die Leser gewinnen damit.
    Wegmann: Nun haben Sie vorhin schon aus dem Buch gelesen, an dem Sie gerade arbeiten. Das heißt, die Arbeit ist nach wie vor täglicher Bestandteil Ihres Lebens. Inwieweit hat sich denn das Arbeiten jetzt mit 85 Jahren verändert? Oder auch das Zeichnen und Malen?
    Traxler: Ja, es sollte eigentlich weniger werden, aber das stimmt nicht. Als wir hierher gekommen sind, war das mit der Absicht, ein paar Reinzeichnungen zumachen. Aber dann fiel mir ein Vierzeiler in die Hände, der war dreißig Jahre alt, aus Titanic. Dann fing ich anzudichten und in einem einzigen Tag und einer halben Nacht waren es dann plötzlich 15 Vierzeiler. Inzwischen bin ich bei 130. Es wird ein richtiges Buch. Das war ein Rausch, in dem ich gedichtet habe. Daran sieht man, dass es auch inhaltlich, was die Texte anlangt, die Wortsuche, die Verbindungen, die Alliterationen, die man zum Dichten braucht, dass es daran nicht mangelt. Dass die noch zur Verfügung stehen. Mit dem Zeichnen geht es sowieso. Also ich hab vor drei Jahren zwei neue Linsen bekommen, und jetzt seh ich hundertprozent auf beiden Augen. Ich arbeite ohne Brille und kann auch in die Ferne schauen wie ein Adler, und meine Hand ist so sicher wie nur eh und je. Also warum sollte ich aufhören. Außerdem, die Verlage stehen immer noch an, wenn ich so sagen darf, ich kann’s mir auswählen. Es ist ein idealer Zustand.
    Zeichner werden manchmal sehr alt
    Wegmann: Und wir können noch auf ein weiteres Kinderbuch hoffen. Sie haben vorhin gesagt, Sie haben es zur Seite geschoben, aber es wird da noch etwas kommen demnächst?
    Traxler: Ja, ja, es gibt noch ein gescribbeltes Kinderbuch, aber im nächsten oder übernächsten Jahr. Sie sehen, ich bin sehr optimistisch. Übrigens werden Zeichner manchmal sehr alt. Als ich meinen 85. feierte, auf einer Schiffsfahrt auf dem Main, da hab ich alle Kollegen eingeladen, die ich mag und die einfach toll sind. Und da war auch die Marie Marcks dabei, die ist 92, die hat bis vor ein paar Jahren gezeichnet. Und der Ernst Maria Lang, der ist vor kurzem gestorben, der ist fast hundert geworden. Also, das hört nicht auf. Aber es wird nicht ganz so schlimm wie bei der Bibel. Das würde ich auch ganz gern noch vorlesen:
    Man sieht da auf einem Bild vier sehr sehr sehr alte Knaben, die sitzen in den Rollstühlen und haben Runzeln ohne Ende und freuen sich ihres Lebens. Und die Überschrift lautet:
    Rentenbericht
    In langen vergangenen biblischen Zeiten
    wurden die Männer sehr sehr alt
    Sie waren ein einziger Alptraum
    für die Rentenversicherungsanstalt
    Die da sitzen, das muss ich noch sagen, das ist der Noah - der ist 950 Jahre alt geworden, der Adam 930 Jahre, Enoch 905 Jahre und der Methusalem 969 Jahre. Tja, so alt zu werden, das wäre jetzt eher ein Alptraum.
    Wegmann: Hans Traxler, ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Das war der Büchermarkt am Samstag. Die Kinderbücher von Hans Traxler erschienen im Hanser Verlag, alle anderen Traxler-Werke bei den Verlagen Reclam, Insel, Sanssouci und der Büchergilde.
    "Die Reise nach Jerusalem", Rowohlt/Zweitausendeins
    "Das Teufelsbuch", Sanssouci
    "Das Schutzengelbuch", Sanssouci
    "Komm, wir gehen heim, Emil!", Hanser Verlag
    "Franz, der Junge, der ein Murmeltier sein wollte", Hanser Verlag
    "Willi. Der Kater, der immer größer wurde", Hanser Verlag