Hansen: Der Grundfehler besteht schon mal darin, dass die Absichten der Bahnreform nicht vollständig realisiert wurden. Die Regierungskommission, die ihren Bericht 1991 vorgelegt hatte, hat empfohlen, mit der Bahnreform gleichzeitig in Deutschland eine Reform des Verkehrssystems vorzunehmen. Ein wesentlicher Teil dieser Gesamtreform sollte sein die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen. Diese zweite Säule – so habe ich das immer genannt – der Bahnreform ist bis heute in keiner Weise realisiert worden. Die Wettbewerbsnachteile, die die Bahn hat, summieren sich materiell im Jahr auf etwa 2 Milliarden Mark. Aber es gibt neben diesem politischen Versäumnis auch eine Reihe unternehmerischer Fehlleistungen in den vergangenen Jahren. Die Bahn hat es nicht geschafft, ihr Angebot insbesondere in den hauptsächlichen Bereichen des Personennahverkehrs und des Personenfernverkehrs so attraktiv zu gestalten, dass in einem höheren Maße mehr Menschen bereit wären, auf die Schiene umzusteigen. Im Regionalverkehr ist das zum Teil geschehen, unterstützt durch das Regionalisierungsgesetz und die Finanzierungsmöglichkeiten der Länder, die es gibt. Im Personenfernverkehr hat man sich zu stark auf das Paradepferd ICE konzentriert. Das übrige Angebot im Fernverkehr Interregio ist noch reduziert worden, bei den IC und bei den D-Zügen ist das Wagenmaterial so alt, dass es nicht mehr attraktiv ist. Im Güterverkehr sind aber die entscheidenden Fehler gemacht worden. Wir haben schon einige Jahre darauf hingewiesen, dass man kooperieren muss mit dem Speditionsgewerbe, mit den Logistikanbietern, um hier die Frachtkunden mit einem Gesamtangebot auf die Schiene zu holen. Stattdessen hat es eine Blockadepolitik gegeben gegenüber der Konkurrenz auf den anderen Verkehrswegen. Jetzt ist man wohl dabei, einen Schwenk vorzunehmen – auch mit der Einstellung von Herrn Mahlström als Nachfolger von Herrn Sinneker; bei der CARGO AG ist das erkennbar. Aber dadurch sind natürlich schon Milliarden an fehlenden Frachteinnahmen jetzt zu verbuchen.
DLF: Das klingt aber danach, dass Sie aufgrund der Entscheidungen, die auf der Aufsichtsratssitzung gefällt worden sind und abgesegnet worden sind, also zum Beispiel Verstärkung des Marketingbereichs, zum Beispiel neue Strategien bei DB-Cargo, jetzt ganz zufrieden sind mit dem Weg, der jetzt eingeschlagen wird.
Hansen: Mit den organisatorischen Entscheidungen, die hier getroffen worden sind, sind wir zufrieden. Deswegen haben wir auch als Arbeitnehmervertreter zugestimmt. Ob das jetzt zu den entsprechenden Unternehmensergebnissen und Erlösen führen wird, da haben wir immer noch unsere Zweifel, denn an der Mittelfristplanung der Bahn AG ist nichts geändert worden. Die ist im Dezember im Aufsichtsrat zur Kenntnis gegeben worden – nicht abgestimmt, das ist nicht üblich. Wir haben im Zusammenhang mit dieser Präsentation sehr deutlich unsere Kritik formuliert, dass dieses eine absolut defensive Mittelfristplanung ist. Es ist doch nicht zu fassen, dass die Bahn selbst davon ausgeht, dass sie keine Fahrgaststeigerungen haben wird bis 2004 und dass sie keine Mehrung des Frachtaufkommens haben wird, aber schon von einer Umsatzsteigerung ausgeht und eine Rendite von 4 bis 5 Milliarden Mark. Wie das aufgehen soll, das kann ich mir also selbst mit einem Dreisatz nicht erklären.
DLF: Wahrscheinlich können sich das auch Annalisten nicht erklären. Sehen Sie den Börsengang der Bahn, der ja für gar nicht allzu ferne Zeit geplant ist, überhaupt annähernd in einer realistischen Nähe – mit solchen unternehmerischen Kenndaten?
Hansen: Es ist nach meiner Meinung Unfug, überhaupt von dem Börsengang zu reden. Die Bahn wird niemals im Jahre 2004 an die Börse gehen. Das ist von den Zahlen und von den zu erwartenden Marktentwicklungen her schon nicht möglich. Und der Gesetzgeber hat auch nicht gewollt, dass die Bahn 2004 an die Börse geht, sondern es ist mit der dritten Stufe der Bahnreform, die noch durch entsprechende Beschlüsse auszufüllen sein wird, gesagt, dass nach einem Ablauf von neun Jahren ab der zweiten Stufe Bahnreform auch die Börsenfähigkeit gegeben sein soll. Das muss also nicht 2004 sein, das kann auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Da – meinen wir – wäre es schon besser, hier etwas realistischer zu planen.
DLF: Am Anfang unseres Gesprächs klang auch Kritik durch in Sachen verkehrspolitische Steuerungen durch die alte Bundesregierung, aber auch jetzt. Sehen Sie konkrete Verkehrspolitikfelder, wo es auch jetzt nicht so läuft – unter einer rot-grünen Bundesregierung –, wie Sie das gerne hätten, 'pro Schiene'?
Hansen: Die Regierungskoalition hat in den Koalitionsvereinbarungen festgelegt, dass einer ihrer verkehrspolitischen Schwerpunkte die Umlenkung von Verkehrsströmen von der Straße auf die Schiene sein soll. Davon ist bisher noch nicht viel realisiert worden. Was wir sehr begrüßen, ist die Entscheidung, nun endlich die streckenbezogene LKW-Abgabe einzuführen. Hoffentlich kommt sie nun wirklich 2002 und nicht erst 2003 oder später, wie es jetzt manchmal schon wieder klingt. Was wir aber dabei kritisieren, ist die Höhe dieser Schwerverkehrsabgabe. Eine Verdoppelung gegenüber der bisherigen Vignettenzahlung reicht mit Sicherheit nicht aus, um einen Verkehrsverlagerungseffekt zu erzielen. Die Einnahmen, die man hier erzielt, werden mal gerade reichen, um bei den notwendigen Verkehrswegeinvestitionen etwas Luft zu kriegen. Wir fordern stattdessen für jeden Tonnenkilometer LKW-Transport einen Pfennig streckenbezogener Abgabe. Das wäre bei einem Durchschnitts-LKW etwa 38 bis 40 Pfennig pro Tonnenkilometer. Damit könnten vier bis fünf Milliarden D-Mark im Jahr eingenommen werden. Wenn diese gleichzeitig zum größten Teil in die Schieneninvestition gelenkt werden, könnte ein wirklicher Verlagerungseffekt eintreten. Und dazu möchte ich noch sagen, dass selbst mit diesen 38 Pfennig Deutschland noch lange nicht Spitzenreiter wäre. In Großbritannien, in Österreich, in der Schweiz werden heute schon höhere Abgaben verlangt.
DLF: Symptomatisch war es ja auch, wie der Bundesverkehrsminister sein Anti-Stau-Programm vorgestellt hat, dass ja mit dieser Schwerverkehrsabgabe finanziert werden soll – symptomatisch war, dass dieses Anti-Stau-Programm als 'Anti-Stau-Programm für die Straße' begriffen worden war in der öffentlichen Diskussion. Entnehme ich Ihren Ausführungen auch, dass Sie glauben, dass die Erlöse, mit denen dieses Anti-Stau-Programm finanziert werden soll, überhaupt nicht reichen werden und dass die Bahn eventuell wieder außen vorbleibt, zusammen mit den Wasserstraßen – gegenüber der Straße?
Hansen: Herr Klimt geht davon aus, dass innerhalb von vier Jahren ein Gesamterlös von etwa 7 ½ Milliarden D-Mark erzielt werden kann. Wir gehen davon aus, dass jährlich 5 Milliarden hereinkommen würden. Von diesen 7 ½ Milliarden, die man jetzt unterstellt, soll die Bahn den deutlich geringeren Anteil kriegen, keine 40 Prozent. Das reicht erstens nicht aus, um dringend erforderliche Unterhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen zu realisieren. Das wird bei weitem nicht ausreichen, um die Bahn dazu zu bringen, dass sie eine Entlastung für die Straße hinkriegt, also gegen den Stau eingesetzt werden kann. Insofern ist das auch aus meiner Sicht eine eher populistische Formulierung gewesen.
DLF: Herr Hansen, kommen wir zu dem für Sie als Gewerkschaftler wahrscheinlich wichtigsten Punkt. Bei 240.000 Mitarbeitern der Bahn stehen 70.000 Stellen zur Disposition; auch hier ein vollkommen unverständliches Verhältnis. Gehen wir mal von jedem 4. Mitarbeiter aus, der um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Man bekommt ja den Eindruck, die Bahnbeschäftigten hätten zu wenig zu tun, wenn Kosteneinsparungen von mehr als 3 ½ Milliarden Mark möglich sein sollen.
Hansen: Dieser Eindruck entsteht, ist aber völlig falsch. Die Eisenbahner habe ihre Produktivität in den letzten vier Jahren um 100 Prozent erhöht, die Wertschöpfung um 60 Prozent erhöht. Das gibt es in keinem anderen Wirtschaftszweig, so gewaltige Produktivitätssteigerungen. Jetzt ist allerdings das Ende der Fahnenstange. Man will diese Arbeitsplatzvernichtung dadurch realisieren, dass man die Angebote im Personenverkehr und im Güterverkehr reduziert. Durch Reduktion soll Beschäftigung abgebaut werden. Das ist kaufmännisch überhaupt nicht nachvollziehbar. Die Bahn wird damit gegen den Prellbock gefahren. Deswegen wehren wir uns nicht nur gegen den Arbeitsplatzabbau, sondern auch gegen diese falsche Unternehmenspolitik.
DLF: Nun sind einige Personalabbaupläne auch im Vorfeld bekannt geworden, zum Beispiel beim Nahverkehr, wo man Züge ohne Zugbegleiter fahren lassen will; beim Vertrieb, wo weniger Verkaufsstellen offen bleiben sollen, um Fahrkarten zu verkaufen. Nun sind aber moderne Vertriebswege in anderen Verkehrsbetrieben Gang zu Gebe – Internet, Call-Center. Was halten Sie diesen Strategien des Bahnvorstandes entgegen?
Hansen: Man muss beides tun. Man wird es nicht erreichen, die Menschen so umzuerziehen, dass sie sich ihre Informationen, ihre Fahrkarten und ihre Transportwünsche, die sie haben, ausschließlich selber über elektronische Wege holen, sondern sie wollen individuell bedient werden, und zwar im Bahnhof, im Zug und um die Transportabläufe herum. Dafür braucht man Menschen. Und gerade dieser kundennahe Bereich miss weiter verstärkt werden. Nur dann wird es gelingen, auch die Fahrgastzahlen zu steigern. Übers Internet kann man niemanden persönlich ansprechen; das ist eher anonym.
DLF: Das heißt, diese Maßnahmen führen aus Ihrer Sicht zu Kundenverlust, nicht zu Kundengewinn?
Hansen: Ja, wir befürchten, wenn es einseitig jetzt eine Verlagerung gibt in den Absatzbereichen von menschlicher Leistung - hin zu automatisierten Abläufen, dann gibt es auch Kundenverluste.
DLF: Die Beschäftigungssicherung war ja Teil des Verhandlungspaketes mit der alten Geschäftsführung. Die neue Geschäftsführung will diese Beschäftigungssicherung jetzt aufkündigen. Wie wird Ihre Gewerkschaft reagieren in diesem Fall?
Hansen: Das ist das Schlimmste, was wir zur Zeit zu bewältigen haben. Erstmalig seit der Bahnreform droht der Vorstand offen damit, Mitarbeiter zu entlassen, wenn wir nicht bereit sind, Einkommenskürzungen hinzunehmen. Unser Beschäftigungsbündnis sieht vor, dass bis zum Jahre 2002 niemand betriebsbedingt entlassen werden darf. Dies soll nun einseitig nicht mehr eingehalten werden. In den nächsten 2-3 Wochen wird es deswegen bundesweit nahezu täglich Protestaktionen der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner geben. Das ist nur die Vorstufe dessen, was wir mobilisieren werden. Wenn am 24. März der Vorstand der Bahn AG bei seiner Absicht bleibt, dieses Beschäftigungsbündnis einseitig aufzukündigen, schließen wir auch einen Streik nicht mehr aus.
DLF: Ist nicht das Drohen mit einem Streik bei einer Gewerkschaft, die von Beamtenmitgliedschaft geprägt ist, ein ziemlich leeres Gespenst?
Hansen: Wir haben inzwischen mehr Tarifkräfte als Beamte. Außerdem muss man bei der Eisenbahn keinen Flächenstreik durchführen, um Wirkung zu erzielen. Wir sind in der Lage, durch intelligente Streikführung mit geringstem Aufwand höchste Wirkung zu erzielen.
DLF: Wie steht es da mit den Finanzen, wenn es wirklich hart auf hart kommen sollte? Man hat sich ja im Vorfeld eigentlich noch nie mit einer Streikkasse der Eisenbahnergewerkschaft auseinandersetzen müssen.
Hansen: Sehen Sie, dass lässt ja vermuten, dass die ganz gut gefüllt sein muss.
DLF: In dem Unternehmen Bahn werden junge Leute ausgebildet, die nirgendwo anders zu beschäftigen sind, wenn sie nicht übernommen werden. Nun rumort es etwas an der Basis, gerade bei jungen Gewerkschaftsmitgliedern bei Ihnen. Was, glauben Sie, könnte die Bahn da als Lösung anbieten?
Hansen: Was die Bahn hier vorhat, ist ein Skandal. Die Menschen, die sie zunächst zu sich gelockt hatte mit vielen Hoffnungen, Perspektiven und Versprechungen, die dann spezifische Eisenbahnberufe gelernt haben, weil sie dem geglaubt haben, wären nun chancenlos in der Freien Wirtschaft, weil es für diese Berufe keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Angeboten wird ihnen entweder keine Übernahme, oder nur befristet in Teilzeitarbeitsverträgen. Wir werden das nicht einfach so hinnehmen, sondern unsere jungen Mitglieder in die Demonstrationen und notfalls Arbeitskampfmaßnahmen mit einbeziehen. Und es ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Forderungen zum Beschäftigungsbündnis, dass die Bahn die Auszubildenden nach ihrer Ausbildung auch in Vollzeitarbeitsverhältnisse, und zwar unbefristet, übernimmt. Aber die Auseinandersetzungen hierzu sind ebenfalls sehr hart.
DLF: Ein zweiter, ganz spezieller Effekt jetzt bei den Bahnmitarbeitern ist der Zusammenhang mit dem anstehenden Verkauf der Eisenbahnerwohnungen. Da bahnt sich ja fast so eine Strategie an wie 'Wohnung gegen Arbeit', das heißt: Empfinden Sie den anstehenden Verkauf oder auch die gerichtlichen Entscheidungen, die noch anstehen, auch mit als Teil 'Druckmittel' in den Verhandlungen zwischen Ihnen und der Geschäftsführung?
Hansen: Das empfinden wir nicht nur so, das ist so. Das wird als Druckmittel genutzt. Es ist ein großer Erfolg für uns, dass wir den Verkauf jetzt über zwei Jahre verhindern konnten. Am 28. Juni wird es wohl eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes geben. Wenn diese nun doch noch einen Verkauf ermöglichen sollte - ist uns schon angekündigt worden - wird man diesen auch realisieren wollen. Wir sind dann gezwungen, unseren Widerstand dagegen weiterhin aufrecht zu erhalten. Wir werden auf keinen Fall diesem Druck 'Arbeitsplätze gegen Wohnungen' nachgeben, sondern alles mobilisieren, uns gegen beide Bedrohungen und Belastungen zur Wehr zu setzen.
DLF: Die Kollegen vom HANDELSBLATT haben nach der Aufsichtsratssitzung am Mittwoch eine sehr hübsche Überschrift gefunden: 'Hartmut Mehdorn überrollt die Bahn', hieß es da. Sind die Bahnmitarbeiter überfordert, sich in neue Konzepte hineinzudenken? Was wären darstellbare Alternativen zum Personalabbau aus Ihrer Sicht?
Hansen: Wenn hier jemand überfordert ist, ist es vielleicht das Management, mit diesem großen Unternehmen klarzukommen, die Eisenbahner ganz gewiss nicht. Es gibt wohl kaum einen Wirtschaftszweig in Deutschland, wo so viel und so oft rationalisiert worden ist. Wenn Sie das zurückverfolgen, sind alleine in der Nachkriegsgeschichte der Bahn mehr als 500.000 Arbeitsplätze abgebaut worden; in den letzten vier Jahren 120.000. Es gibt in dieser Republik eine Riesenaufregung, wenn ein Bauunternehmen mit 2.500 Arbeitnehmern vom Konkurs bedroht ist, so stark, dass der Kanzler sich selber darum kümmern muss. Bei uns ist das bisher alles ziemlich friedlich und sozialverträglich gelaufen. Wenn das jetzt so nicht mehr weiterläuft, wird man eben auch die Erfahrung machen müssen, dass die Eisenbahner mit ihrer Gewerkschaft sehr wehrhaft sein kann.
DLF: Das bezog sich allerdings auf einen westdeutschen Baukonzern, und die Arbeitsplatzzahlen, die Sie genannt haben, sind gesamtdeutsch und resultieren natürlich auch aus dem immensen Arbeitsplatzabbau in Ostdeutschland. Gestehen Sie denn dem neuen Vorstandschef der Deutschen Bahn zumindestens die Sanierungserfolge, die er hinter sich hat, zu? Also, die Situation bei Airbus ist ja nicht ganz unähnlich. Da ist ein vom Staat sehr abhängiges Unternehmen, hoch subventioniert, in eine Marktposition geführt worden, die jetzt internationaler Marktführer geworden ist. Es sind doch sicher in solchen Strukturen Erfahrungen auch übertragbar auf ein Unternehmen Deutsche Bahn, wie flexible Tarifverträge, der flexible Einsatz von Personal – zum Beispiel auch mit Zeitverträgen. Das sind ja jetzt auch in der Wirtschaft Dinge, die Gang und Gebe sind, die überall gemacht werden.
Hansen: Selbstverständlich gestehe ich ihm diese Erfahrungen zu und respektiere auch die persönlichen Leistungen, die er in seiner bisherigen Verantwortung für sich verbuchen kann. Er hat auch mit den ersten Wochen und Monaten die richtigen Schritte gemacht. Er hat dafür gesorgt, dass in der Öffentlichkeit die Bahn nicht mehr in diesem negativen Licht ausschließlich dargestellt wird. Er hat dafür gesorgt, dass man über die Fragen der Zukunftsentwicklung wieder miteinander redet. Jetzt haben wir einen Riesenkonflikt, weil die Planungen, die mittelfristig vom Vorstand verabschiedet worden sind, in einer Art und Weise die Mitarbeiter belasten sollen, die einfach nicht hinnehmbar sind. Für mich ist das aber nichts Ungewöhnliches in diesem Wirtschaftssystem als Gewerkschaft. Nur das heißt noch lange nicht, die Tatsache, dass das etwas Normales ist, dass wir das auch einfach hinnehmen werden. Und deswegen muss auch Herr Mehdorn wissen: Er kann nicht alles so durchsetzen, wie er das vielleicht bisher gewohnt war. Dieses Unternehmen ist kein mittelständisches Unternehmen. Die Bahn ist auch nicht irgendein Großunternehmen, sondern es ist eine gesellschaftliche Veranstaltung in Deutschland. Das sehen Sie ja schon an dem Medieninteresse. Jeder Bürger interessiert sich dafür, was bei dieser Bahn passiert, und wir ganz besonders. Wir wollen es nicht zulassen, das hier durch Fehlentscheidungen etwas schiefläuft. Herr Mehdorn muss da vielleicht noch ein bisschen ruhiger werden und Erfahrungen sammeln, was alles schon möglich wäre. Sie haben flexible Tarifverträge erwähnt, Sie haben erwähnt, dass man hier auch mit verschiedensten Formen der Beschäftigungsverhältnisse Flexibilität erreichen kann – die Möglichkeit haben wir alle bei der Bahn. Wir haben schon einen Jahresarbeitszeit-Tarifvertrag abgeschlossen 1996, wir haben bei der Bahn eine Initiative zur Erhöhung des Teilzeitanteils. Es gibt die Möglichkeit des Outplacement und verschiedene moderne Möglichkeiten der Mitarbeiterbeteiligungen sind geplant. Nur man muss sie nutzen. Bisher war das Management nicht in er Lage, diese Instrumente, die wir tarifpolitisch geschaffen haben, in einem Umfang einzurichten oder zu nutzen, dass es hier auch wirklich Effekte geben würde.
DLF: Das Eisenbahnbundesamt wird nach der Prüfung des Unfalls in Brühl zu dem Ergebnis kommen, dass es gravierende Mängel gegeben hat bei der Sicherheitsausstattung auf der Schiene und der Ausbildung des Lokführers. Sind das nicht Alarmzeichen einer Personalpolitik, die nur aufs Sparen setzt? Denn dieser Lokführer, so wie es sich jetzt abzeichnet, hätte ja eigentlich gar nicht auf die Strecke gehen dürfen.
Hansen: Zu welchem Ergebnis das Eisenbahnbundesamt kommen wird, weiß ich nicht. Was mir bekannt ist, lässt noch nicht eindeutig den Schluss zu, dass hier ein menschliches Versagen ursächlich ist oder alleine ursächlich ist. Es lässt auch nicht den Schluss zu, dass es betriebliche Mängel gegeben hätte, die ausschließlich oder ursächlich verantwortlich zu machen sind. Deswegen – meine ich – sollte man wirklich jetzt sich über die Konsequenzen aus diesem Unglück erst dann äußern und Gedanken machen, wenn das abschließende Ergebnis vorliegt. Alles andere hilft der Bahn nicht, hilft den Bürgern nicht und schon gar nicht denen, die persönlich betroffen sind durch dieses schreckliche Unglück.
DLF: Am Freitag ist bekannt geworden, dass dieser Lokführer mehrere Male durch Prüfungen der Deutschen Bahn gefallen ist und dann als Seiteneinsteiger nur eine fünftägige Aufschulung bekommen hat, bevor er dann Personenzüge mit Hunderten von Passagieren führen durfte. Wenn sich das jetzt bestätigt, wäre das doch zumindestens ein ziemlich fatales Signal.
Hansen: Für die Ausbildungssituation nicht zwangsläufig, sondern für die Personalpolitik und Personalauswahlentscheidungen wäre das sicherlich eine sehr bedenkenswerte Situation. Zur Ausbildung der Lokführer sind wir – unabhängig von dem Unfall in Brühl – mit dem Vorstand und auch mit der Bundesregierung schon länger im Gespräch, weil es dringend erforderlich ist, gesetzliche Ausbildungsnormen für diesen Lokomotivführer-Beruf festzulegen.
DLF: Zweites Stichwort in Sachen Sicherheit: Die Geschehnisse um die ICE-Neigetechnikzüge jetzt in Berlin – zum Glück von der Strecke genommen ohne Passagiere. Aber es war wieder sehr symptomatisch, dass neue Bahntechnik einfach nicht funktioniert – ein Sachverhalt, der immer auf die Eisenbahner zurückfällt und komischerweise nicht auf die Hersteller. Das ist ja ein ganz eigenartiges Phänomen in diesem Kontext. Da muss man ja sagen, dass gewisse Dinge bei der Deutschen Bahn nicht mehr funktionieren, wenn sich solche Vorkommnisse häufen.
Hansen: Das kann man so nicht sagen, dass das bei der Bahn nicht funktioniert. Es funktioniert wirklich bei der Industrie nicht. Die Industrie hat sich noch nicht eingestellt auf die veränderte Situation, die mit der Privatisierung der Bahn entstanden ist. In der Vergangenheit hat die Bahn die Forschung weitestgehend selber betrieben – Fahrzeugentwicklung, die Testverfahren, alles was dazu gehört selber betrieben. Das ist dann auf die Industrie verlagert worden – zum allergrößten Teil. Die Industrie hat offensichtlich nicht genügend investiert, um hier so zu forschen und zu entwickeln, dass höchstmögliche Qualitätsstandards gelten und abgeliefert werden. Was vom Vorstand der Bahn AG erwartet wird von uns, ist, dass sie diese Zusammenhänge noch deutlicher auch in der Öffentlichkeit nennt, denn dem Reisenden wird das ja nicht bewusst. Der sieht nur, dass sein Zug nicht funktioniert, und Schuld hat natürlich erst mal die Bahn, und nicht Adtranz oder Daimler-Benz oder Siemens oder sonst wer. Und das muss klargemacht werden, dass es hier Schlampereien in der Industrie gibt.
DLF: Zum Thema Transrapid. Die Entscheidung – zumindest in Sachen Hamburg – Berlin – ist gefallen. Die Eisenbahnergewerkschaft wollte den Magnetzug nicht haben und stellte damit auch Arbeitsplätze in Frage. Wir führen dieses Interview in Kassel, der technischen Wiege des Transrapid. Wie wird die Eisenbahnergewerkschaft dieses Projekt weiter begleiten, und was sagen Sie den Kollegen von der IG Metall, die nun hier an diesem Standort ihre Arbeitsplätze verlieren werden?
Hansen: Es ist sehr schön, dass Sie mir an diesem Ort die Frage stellen. Meine Hoffnung ist, dass der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Thyssen diese Sendung hört, weil ich von dem doch ziemlich massiv in den vergangenen Monaten beschimpft worden bin als 'Dinosaurier der Gewerkschaftsbewegung'. Dazu habe ich nun mehrfach erklärt, dass es mir darum geht, dass die Industrie hier nicht für ihre Interessen finanzielle Lasten und finanzielle Verantwortung auf die Bahn verlagert. Wenn die Industrie jetzt Wege findet, das System weiter zu entwickeln, auch meinetwegen mit staatlicher Unterstützung, um es dann weltweit vermarkten zu können – ohne dass die Bahn dadurch Nachteile hat –, wird auch die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands das konstruktiv begleiten. So bin ich auch gerne bereit, mit meinen IG Metall-Kollegen zu reden. Bisher sind sie aber nicht auf mich zugekommen.
DLF: Aber Sie würden zumindest den Transrapid – denn er fährt ja auf so einer Art Schiene – auch begreifen als ein Transportmedium, das in Zukunft vielleicht in Ihrer Gewerkschaft eine Rolle spielen kann? Sie haben es ja immer auch aus technischen Gründen – ich sage jetzt mal wirklich Eisenbahn – abgelehnt.
Hansen: Vor allen Dingen, weil dieses System als zusätzliches Verkehrssystem bei den engen geographischen Verhältnissen in Deutschland und der Dichte von Verkehrssystemen, die wir schon haben, keinen Sinn macht. Das heißt aber ja noch lange nicht, dass es nicht an anderer Stelle Sinn macht, oder dass es nicht in Verknüpfung mit anderen Systemen, ohne dass man in Konkurrenz zueinander fährt, Sinn macht. Wissen Sie, bei Hamburg – Berlin wäre es ja so, dass man die Schiene nicht rausgerissen hätte, und es gibt eine Regelung in Europa für den diskriminierungsfreien Zugang auf die Schiene. Die Skandinavier haben schon erklärt gehabt: Wenn der Transrapid dort fährt, werden sie in Konkurrenz mit einem Hochgeschwindigkeitszug auf der Schiene fahren – aber billiger als der Transrapid. Und das wäre doch Unfug, solche Systeme jetzt noch in Konkurrenz - gleichzeitig zur Straße - zu betreiben. Das muss verkehrspolitisch vernünftiger begleitet werden, und dann hat das vielleicht auch eine Chance.
DLF: Herr Hansen, ich danke Ihnen für das Gespräch.
DLF: Das klingt aber danach, dass Sie aufgrund der Entscheidungen, die auf der Aufsichtsratssitzung gefällt worden sind und abgesegnet worden sind, also zum Beispiel Verstärkung des Marketingbereichs, zum Beispiel neue Strategien bei DB-Cargo, jetzt ganz zufrieden sind mit dem Weg, der jetzt eingeschlagen wird.
Hansen: Mit den organisatorischen Entscheidungen, die hier getroffen worden sind, sind wir zufrieden. Deswegen haben wir auch als Arbeitnehmervertreter zugestimmt. Ob das jetzt zu den entsprechenden Unternehmensergebnissen und Erlösen führen wird, da haben wir immer noch unsere Zweifel, denn an der Mittelfristplanung der Bahn AG ist nichts geändert worden. Die ist im Dezember im Aufsichtsrat zur Kenntnis gegeben worden – nicht abgestimmt, das ist nicht üblich. Wir haben im Zusammenhang mit dieser Präsentation sehr deutlich unsere Kritik formuliert, dass dieses eine absolut defensive Mittelfristplanung ist. Es ist doch nicht zu fassen, dass die Bahn selbst davon ausgeht, dass sie keine Fahrgaststeigerungen haben wird bis 2004 und dass sie keine Mehrung des Frachtaufkommens haben wird, aber schon von einer Umsatzsteigerung ausgeht und eine Rendite von 4 bis 5 Milliarden Mark. Wie das aufgehen soll, das kann ich mir also selbst mit einem Dreisatz nicht erklären.
DLF: Wahrscheinlich können sich das auch Annalisten nicht erklären. Sehen Sie den Börsengang der Bahn, der ja für gar nicht allzu ferne Zeit geplant ist, überhaupt annähernd in einer realistischen Nähe – mit solchen unternehmerischen Kenndaten?
Hansen: Es ist nach meiner Meinung Unfug, überhaupt von dem Börsengang zu reden. Die Bahn wird niemals im Jahre 2004 an die Börse gehen. Das ist von den Zahlen und von den zu erwartenden Marktentwicklungen her schon nicht möglich. Und der Gesetzgeber hat auch nicht gewollt, dass die Bahn 2004 an die Börse geht, sondern es ist mit der dritten Stufe der Bahnreform, die noch durch entsprechende Beschlüsse auszufüllen sein wird, gesagt, dass nach einem Ablauf von neun Jahren ab der zweiten Stufe Bahnreform auch die Börsenfähigkeit gegeben sein soll. Das muss also nicht 2004 sein, das kann auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Da – meinen wir – wäre es schon besser, hier etwas realistischer zu planen.
DLF: Am Anfang unseres Gesprächs klang auch Kritik durch in Sachen verkehrspolitische Steuerungen durch die alte Bundesregierung, aber auch jetzt. Sehen Sie konkrete Verkehrspolitikfelder, wo es auch jetzt nicht so läuft – unter einer rot-grünen Bundesregierung –, wie Sie das gerne hätten, 'pro Schiene'?
Hansen: Die Regierungskoalition hat in den Koalitionsvereinbarungen festgelegt, dass einer ihrer verkehrspolitischen Schwerpunkte die Umlenkung von Verkehrsströmen von der Straße auf die Schiene sein soll. Davon ist bisher noch nicht viel realisiert worden. Was wir sehr begrüßen, ist die Entscheidung, nun endlich die streckenbezogene LKW-Abgabe einzuführen. Hoffentlich kommt sie nun wirklich 2002 und nicht erst 2003 oder später, wie es jetzt manchmal schon wieder klingt. Was wir aber dabei kritisieren, ist die Höhe dieser Schwerverkehrsabgabe. Eine Verdoppelung gegenüber der bisherigen Vignettenzahlung reicht mit Sicherheit nicht aus, um einen Verkehrsverlagerungseffekt zu erzielen. Die Einnahmen, die man hier erzielt, werden mal gerade reichen, um bei den notwendigen Verkehrswegeinvestitionen etwas Luft zu kriegen. Wir fordern stattdessen für jeden Tonnenkilometer LKW-Transport einen Pfennig streckenbezogener Abgabe. Das wäre bei einem Durchschnitts-LKW etwa 38 bis 40 Pfennig pro Tonnenkilometer. Damit könnten vier bis fünf Milliarden D-Mark im Jahr eingenommen werden. Wenn diese gleichzeitig zum größten Teil in die Schieneninvestition gelenkt werden, könnte ein wirklicher Verlagerungseffekt eintreten. Und dazu möchte ich noch sagen, dass selbst mit diesen 38 Pfennig Deutschland noch lange nicht Spitzenreiter wäre. In Großbritannien, in Österreich, in der Schweiz werden heute schon höhere Abgaben verlangt.
DLF: Symptomatisch war es ja auch, wie der Bundesverkehrsminister sein Anti-Stau-Programm vorgestellt hat, dass ja mit dieser Schwerverkehrsabgabe finanziert werden soll – symptomatisch war, dass dieses Anti-Stau-Programm als 'Anti-Stau-Programm für die Straße' begriffen worden war in der öffentlichen Diskussion. Entnehme ich Ihren Ausführungen auch, dass Sie glauben, dass die Erlöse, mit denen dieses Anti-Stau-Programm finanziert werden soll, überhaupt nicht reichen werden und dass die Bahn eventuell wieder außen vorbleibt, zusammen mit den Wasserstraßen – gegenüber der Straße?
Hansen: Herr Klimt geht davon aus, dass innerhalb von vier Jahren ein Gesamterlös von etwa 7 ½ Milliarden D-Mark erzielt werden kann. Wir gehen davon aus, dass jährlich 5 Milliarden hereinkommen würden. Von diesen 7 ½ Milliarden, die man jetzt unterstellt, soll die Bahn den deutlich geringeren Anteil kriegen, keine 40 Prozent. Das reicht erstens nicht aus, um dringend erforderliche Unterhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen zu realisieren. Das wird bei weitem nicht ausreichen, um die Bahn dazu zu bringen, dass sie eine Entlastung für die Straße hinkriegt, also gegen den Stau eingesetzt werden kann. Insofern ist das auch aus meiner Sicht eine eher populistische Formulierung gewesen.
DLF: Herr Hansen, kommen wir zu dem für Sie als Gewerkschaftler wahrscheinlich wichtigsten Punkt. Bei 240.000 Mitarbeitern der Bahn stehen 70.000 Stellen zur Disposition; auch hier ein vollkommen unverständliches Verhältnis. Gehen wir mal von jedem 4. Mitarbeiter aus, der um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Man bekommt ja den Eindruck, die Bahnbeschäftigten hätten zu wenig zu tun, wenn Kosteneinsparungen von mehr als 3 ½ Milliarden Mark möglich sein sollen.
Hansen: Dieser Eindruck entsteht, ist aber völlig falsch. Die Eisenbahner habe ihre Produktivität in den letzten vier Jahren um 100 Prozent erhöht, die Wertschöpfung um 60 Prozent erhöht. Das gibt es in keinem anderen Wirtschaftszweig, so gewaltige Produktivitätssteigerungen. Jetzt ist allerdings das Ende der Fahnenstange. Man will diese Arbeitsplatzvernichtung dadurch realisieren, dass man die Angebote im Personenverkehr und im Güterverkehr reduziert. Durch Reduktion soll Beschäftigung abgebaut werden. Das ist kaufmännisch überhaupt nicht nachvollziehbar. Die Bahn wird damit gegen den Prellbock gefahren. Deswegen wehren wir uns nicht nur gegen den Arbeitsplatzabbau, sondern auch gegen diese falsche Unternehmenspolitik.
DLF: Nun sind einige Personalabbaupläne auch im Vorfeld bekannt geworden, zum Beispiel beim Nahverkehr, wo man Züge ohne Zugbegleiter fahren lassen will; beim Vertrieb, wo weniger Verkaufsstellen offen bleiben sollen, um Fahrkarten zu verkaufen. Nun sind aber moderne Vertriebswege in anderen Verkehrsbetrieben Gang zu Gebe – Internet, Call-Center. Was halten Sie diesen Strategien des Bahnvorstandes entgegen?
Hansen: Man muss beides tun. Man wird es nicht erreichen, die Menschen so umzuerziehen, dass sie sich ihre Informationen, ihre Fahrkarten und ihre Transportwünsche, die sie haben, ausschließlich selber über elektronische Wege holen, sondern sie wollen individuell bedient werden, und zwar im Bahnhof, im Zug und um die Transportabläufe herum. Dafür braucht man Menschen. Und gerade dieser kundennahe Bereich miss weiter verstärkt werden. Nur dann wird es gelingen, auch die Fahrgastzahlen zu steigern. Übers Internet kann man niemanden persönlich ansprechen; das ist eher anonym.
DLF: Das heißt, diese Maßnahmen führen aus Ihrer Sicht zu Kundenverlust, nicht zu Kundengewinn?
Hansen: Ja, wir befürchten, wenn es einseitig jetzt eine Verlagerung gibt in den Absatzbereichen von menschlicher Leistung - hin zu automatisierten Abläufen, dann gibt es auch Kundenverluste.
DLF: Die Beschäftigungssicherung war ja Teil des Verhandlungspaketes mit der alten Geschäftsführung. Die neue Geschäftsführung will diese Beschäftigungssicherung jetzt aufkündigen. Wie wird Ihre Gewerkschaft reagieren in diesem Fall?
Hansen: Das ist das Schlimmste, was wir zur Zeit zu bewältigen haben. Erstmalig seit der Bahnreform droht der Vorstand offen damit, Mitarbeiter zu entlassen, wenn wir nicht bereit sind, Einkommenskürzungen hinzunehmen. Unser Beschäftigungsbündnis sieht vor, dass bis zum Jahre 2002 niemand betriebsbedingt entlassen werden darf. Dies soll nun einseitig nicht mehr eingehalten werden. In den nächsten 2-3 Wochen wird es deswegen bundesweit nahezu täglich Protestaktionen der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner geben. Das ist nur die Vorstufe dessen, was wir mobilisieren werden. Wenn am 24. März der Vorstand der Bahn AG bei seiner Absicht bleibt, dieses Beschäftigungsbündnis einseitig aufzukündigen, schließen wir auch einen Streik nicht mehr aus.
DLF: Ist nicht das Drohen mit einem Streik bei einer Gewerkschaft, die von Beamtenmitgliedschaft geprägt ist, ein ziemlich leeres Gespenst?
Hansen: Wir haben inzwischen mehr Tarifkräfte als Beamte. Außerdem muss man bei der Eisenbahn keinen Flächenstreik durchführen, um Wirkung zu erzielen. Wir sind in der Lage, durch intelligente Streikführung mit geringstem Aufwand höchste Wirkung zu erzielen.
DLF: Wie steht es da mit den Finanzen, wenn es wirklich hart auf hart kommen sollte? Man hat sich ja im Vorfeld eigentlich noch nie mit einer Streikkasse der Eisenbahnergewerkschaft auseinandersetzen müssen.
Hansen: Sehen Sie, dass lässt ja vermuten, dass die ganz gut gefüllt sein muss.
DLF: In dem Unternehmen Bahn werden junge Leute ausgebildet, die nirgendwo anders zu beschäftigen sind, wenn sie nicht übernommen werden. Nun rumort es etwas an der Basis, gerade bei jungen Gewerkschaftsmitgliedern bei Ihnen. Was, glauben Sie, könnte die Bahn da als Lösung anbieten?
Hansen: Was die Bahn hier vorhat, ist ein Skandal. Die Menschen, die sie zunächst zu sich gelockt hatte mit vielen Hoffnungen, Perspektiven und Versprechungen, die dann spezifische Eisenbahnberufe gelernt haben, weil sie dem geglaubt haben, wären nun chancenlos in der Freien Wirtschaft, weil es für diese Berufe keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Angeboten wird ihnen entweder keine Übernahme, oder nur befristet in Teilzeitarbeitsverträgen. Wir werden das nicht einfach so hinnehmen, sondern unsere jungen Mitglieder in die Demonstrationen und notfalls Arbeitskampfmaßnahmen mit einbeziehen. Und es ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Forderungen zum Beschäftigungsbündnis, dass die Bahn die Auszubildenden nach ihrer Ausbildung auch in Vollzeitarbeitsverhältnisse, und zwar unbefristet, übernimmt. Aber die Auseinandersetzungen hierzu sind ebenfalls sehr hart.
DLF: Ein zweiter, ganz spezieller Effekt jetzt bei den Bahnmitarbeitern ist der Zusammenhang mit dem anstehenden Verkauf der Eisenbahnerwohnungen. Da bahnt sich ja fast so eine Strategie an wie 'Wohnung gegen Arbeit', das heißt: Empfinden Sie den anstehenden Verkauf oder auch die gerichtlichen Entscheidungen, die noch anstehen, auch mit als Teil 'Druckmittel' in den Verhandlungen zwischen Ihnen und der Geschäftsführung?
Hansen: Das empfinden wir nicht nur so, das ist so. Das wird als Druckmittel genutzt. Es ist ein großer Erfolg für uns, dass wir den Verkauf jetzt über zwei Jahre verhindern konnten. Am 28. Juni wird es wohl eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes geben. Wenn diese nun doch noch einen Verkauf ermöglichen sollte - ist uns schon angekündigt worden - wird man diesen auch realisieren wollen. Wir sind dann gezwungen, unseren Widerstand dagegen weiterhin aufrecht zu erhalten. Wir werden auf keinen Fall diesem Druck 'Arbeitsplätze gegen Wohnungen' nachgeben, sondern alles mobilisieren, uns gegen beide Bedrohungen und Belastungen zur Wehr zu setzen.
DLF: Die Kollegen vom HANDELSBLATT haben nach der Aufsichtsratssitzung am Mittwoch eine sehr hübsche Überschrift gefunden: 'Hartmut Mehdorn überrollt die Bahn', hieß es da. Sind die Bahnmitarbeiter überfordert, sich in neue Konzepte hineinzudenken? Was wären darstellbare Alternativen zum Personalabbau aus Ihrer Sicht?
Hansen: Wenn hier jemand überfordert ist, ist es vielleicht das Management, mit diesem großen Unternehmen klarzukommen, die Eisenbahner ganz gewiss nicht. Es gibt wohl kaum einen Wirtschaftszweig in Deutschland, wo so viel und so oft rationalisiert worden ist. Wenn Sie das zurückverfolgen, sind alleine in der Nachkriegsgeschichte der Bahn mehr als 500.000 Arbeitsplätze abgebaut worden; in den letzten vier Jahren 120.000. Es gibt in dieser Republik eine Riesenaufregung, wenn ein Bauunternehmen mit 2.500 Arbeitnehmern vom Konkurs bedroht ist, so stark, dass der Kanzler sich selber darum kümmern muss. Bei uns ist das bisher alles ziemlich friedlich und sozialverträglich gelaufen. Wenn das jetzt so nicht mehr weiterläuft, wird man eben auch die Erfahrung machen müssen, dass die Eisenbahner mit ihrer Gewerkschaft sehr wehrhaft sein kann.
DLF: Das bezog sich allerdings auf einen westdeutschen Baukonzern, und die Arbeitsplatzzahlen, die Sie genannt haben, sind gesamtdeutsch und resultieren natürlich auch aus dem immensen Arbeitsplatzabbau in Ostdeutschland. Gestehen Sie denn dem neuen Vorstandschef der Deutschen Bahn zumindestens die Sanierungserfolge, die er hinter sich hat, zu? Also, die Situation bei Airbus ist ja nicht ganz unähnlich. Da ist ein vom Staat sehr abhängiges Unternehmen, hoch subventioniert, in eine Marktposition geführt worden, die jetzt internationaler Marktführer geworden ist. Es sind doch sicher in solchen Strukturen Erfahrungen auch übertragbar auf ein Unternehmen Deutsche Bahn, wie flexible Tarifverträge, der flexible Einsatz von Personal – zum Beispiel auch mit Zeitverträgen. Das sind ja jetzt auch in der Wirtschaft Dinge, die Gang und Gebe sind, die überall gemacht werden.
Hansen: Selbstverständlich gestehe ich ihm diese Erfahrungen zu und respektiere auch die persönlichen Leistungen, die er in seiner bisherigen Verantwortung für sich verbuchen kann. Er hat auch mit den ersten Wochen und Monaten die richtigen Schritte gemacht. Er hat dafür gesorgt, dass in der Öffentlichkeit die Bahn nicht mehr in diesem negativen Licht ausschließlich dargestellt wird. Er hat dafür gesorgt, dass man über die Fragen der Zukunftsentwicklung wieder miteinander redet. Jetzt haben wir einen Riesenkonflikt, weil die Planungen, die mittelfristig vom Vorstand verabschiedet worden sind, in einer Art und Weise die Mitarbeiter belasten sollen, die einfach nicht hinnehmbar sind. Für mich ist das aber nichts Ungewöhnliches in diesem Wirtschaftssystem als Gewerkschaft. Nur das heißt noch lange nicht, die Tatsache, dass das etwas Normales ist, dass wir das auch einfach hinnehmen werden. Und deswegen muss auch Herr Mehdorn wissen: Er kann nicht alles so durchsetzen, wie er das vielleicht bisher gewohnt war. Dieses Unternehmen ist kein mittelständisches Unternehmen. Die Bahn ist auch nicht irgendein Großunternehmen, sondern es ist eine gesellschaftliche Veranstaltung in Deutschland. Das sehen Sie ja schon an dem Medieninteresse. Jeder Bürger interessiert sich dafür, was bei dieser Bahn passiert, und wir ganz besonders. Wir wollen es nicht zulassen, das hier durch Fehlentscheidungen etwas schiefläuft. Herr Mehdorn muss da vielleicht noch ein bisschen ruhiger werden und Erfahrungen sammeln, was alles schon möglich wäre. Sie haben flexible Tarifverträge erwähnt, Sie haben erwähnt, dass man hier auch mit verschiedensten Formen der Beschäftigungsverhältnisse Flexibilität erreichen kann – die Möglichkeit haben wir alle bei der Bahn. Wir haben schon einen Jahresarbeitszeit-Tarifvertrag abgeschlossen 1996, wir haben bei der Bahn eine Initiative zur Erhöhung des Teilzeitanteils. Es gibt die Möglichkeit des Outplacement und verschiedene moderne Möglichkeiten der Mitarbeiterbeteiligungen sind geplant. Nur man muss sie nutzen. Bisher war das Management nicht in er Lage, diese Instrumente, die wir tarifpolitisch geschaffen haben, in einem Umfang einzurichten oder zu nutzen, dass es hier auch wirklich Effekte geben würde.
DLF: Das Eisenbahnbundesamt wird nach der Prüfung des Unfalls in Brühl zu dem Ergebnis kommen, dass es gravierende Mängel gegeben hat bei der Sicherheitsausstattung auf der Schiene und der Ausbildung des Lokführers. Sind das nicht Alarmzeichen einer Personalpolitik, die nur aufs Sparen setzt? Denn dieser Lokführer, so wie es sich jetzt abzeichnet, hätte ja eigentlich gar nicht auf die Strecke gehen dürfen.
Hansen: Zu welchem Ergebnis das Eisenbahnbundesamt kommen wird, weiß ich nicht. Was mir bekannt ist, lässt noch nicht eindeutig den Schluss zu, dass hier ein menschliches Versagen ursächlich ist oder alleine ursächlich ist. Es lässt auch nicht den Schluss zu, dass es betriebliche Mängel gegeben hätte, die ausschließlich oder ursächlich verantwortlich zu machen sind. Deswegen – meine ich – sollte man wirklich jetzt sich über die Konsequenzen aus diesem Unglück erst dann äußern und Gedanken machen, wenn das abschließende Ergebnis vorliegt. Alles andere hilft der Bahn nicht, hilft den Bürgern nicht und schon gar nicht denen, die persönlich betroffen sind durch dieses schreckliche Unglück.
DLF: Am Freitag ist bekannt geworden, dass dieser Lokführer mehrere Male durch Prüfungen der Deutschen Bahn gefallen ist und dann als Seiteneinsteiger nur eine fünftägige Aufschulung bekommen hat, bevor er dann Personenzüge mit Hunderten von Passagieren führen durfte. Wenn sich das jetzt bestätigt, wäre das doch zumindestens ein ziemlich fatales Signal.
Hansen: Für die Ausbildungssituation nicht zwangsläufig, sondern für die Personalpolitik und Personalauswahlentscheidungen wäre das sicherlich eine sehr bedenkenswerte Situation. Zur Ausbildung der Lokführer sind wir – unabhängig von dem Unfall in Brühl – mit dem Vorstand und auch mit der Bundesregierung schon länger im Gespräch, weil es dringend erforderlich ist, gesetzliche Ausbildungsnormen für diesen Lokomotivführer-Beruf festzulegen.
DLF: Zweites Stichwort in Sachen Sicherheit: Die Geschehnisse um die ICE-Neigetechnikzüge jetzt in Berlin – zum Glück von der Strecke genommen ohne Passagiere. Aber es war wieder sehr symptomatisch, dass neue Bahntechnik einfach nicht funktioniert – ein Sachverhalt, der immer auf die Eisenbahner zurückfällt und komischerweise nicht auf die Hersteller. Das ist ja ein ganz eigenartiges Phänomen in diesem Kontext. Da muss man ja sagen, dass gewisse Dinge bei der Deutschen Bahn nicht mehr funktionieren, wenn sich solche Vorkommnisse häufen.
Hansen: Das kann man so nicht sagen, dass das bei der Bahn nicht funktioniert. Es funktioniert wirklich bei der Industrie nicht. Die Industrie hat sich noch nicht eingestellt auf die veränderte Situation, die mit der Privatisierung der Bahn entstanden ist. In der Vergangenheit hat die Bahn die Forschung weitestgehend selber betrieben – Fahrzeugentwicklung, die Testverfahren, alles was dazu gehört selber betrieben. Das ist dann auf die Industrie verlagert worden – zum allergrößten Teil. Die Industrie hat offensichtlich nicht genügend investiert, um hier so zu forschen und zu entwickeln, dass höchstmögliche Qualitätsstandards gelten und abgeliefert werden. Was vom Vorstand der Bahn AG erwartet wird von uns, ist, dass sie diese Zusammenhänge noch deutlicher auch in der Öffentlichkeit nennt, denn dem Reisenden wird das ja nicht bewusst. Der sieht nur, dass sein Zug nicht funktioniert, und Schuld hat natürlich erst mal die Bahn, und nicht Adtranz oder Daimler-Benz oder Siemens oder sonst wer. Und das muss klargemacht werden, dass es hier Schlampereien in der Industrie gibt.
DLF: Zum Thema Transrapid. Die Entscheidung – zumindest in Sachen Hamburg – Berlin – ist gefallen. Die Eisenbahnergewerkschaft wollte den Magnetzug nicht haben und stellte damit auch Arbeitsplätze in Frage. Wir führen dieses Interview in Kassel, der technischen Wiege des Transrapid. Wie wird die Eisenbahnergewerkschaft dieses Projekt weiter begleiten, und was sagen Sie den Kollegen von der IG Metall, die nun hier an diesem Standort ihre Arbeitsplätze verlieren werden?
Hansen: Es ist sehr schön, dass Sie mir an diesem Ort die Frage stellen. Meine Hoffnung ist, dass der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Thyssen diese Sendung hört, weil ich von dem doch ziemlich massiv in den vergangenen Monaten beschimpft worden bin als 'Dinosaurier der Gewerkschaftsbewegung'. Dazu habe ich nun mehrfach erklärt, dass es mir darum geht, dass die Industrie hier nicht für ihre Interessen finanzielle Lasten und finanzielle Verantwortung auf die Bahn verlagert. Wenn die Industrie jetzt Wege findet, das System weiter zu entwickeln, auch meinetwegen mit staatlicher Unterstützung, um es dann weltweit vermarkten zu können – ohne dass die Bahn dadurch Nachteile hat –, wird auch die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands das konstruktiv begleiten. So bin ich auch gerne bereit, mit meinen IG Metall-Kollegen zu reden. Bisher sind sie aber nicht auf mich zugekommen.
DLF: Aber Sie würden zumindest den Transrapid – denn er fährt ja auf so einer Art Schiene – auch begreifen als ein Transportmedium, das in Zukunft vielleicht in Ihrer Gewerkschaft eine Rolle spielen kann? Sie haben es ja immer auch aus technischen Gründen – ich sage jetzt mal wirklich Eisenbahn – abgelehnt.
Hansen: Vor allen Dingen, weil dieses System als zusätzliches Verkehrssystem bei den engen geographischen Verhältnissen in Deutschland und der Dichte von Verkehrssystemen, die wir schon haben, keinen Sinn macht. Das heißt aber ja noch lange nicht, dass es nicht an anderer Stelle Sinn macht, oder dass es nicht in Verknüpfung mit anderen Systemen, ohne dass man in Konkurrenz zueinander fährt, Sinn macht. Wissen Sie, bei Hamburg – Berlin wäre es ja so, dass man die Schiene nicht rausgerissen hätte, und es gibt eine Regelung in Europa für den diskriminierungsfreien Zugang auf die Schiene. Die Skandinavier haben schon erklärt gehabt: Wenn der Transrapid dort fährt, werden sie in Konkurrenz mit einem Hochgeschwindigkeitszug auf der Schiene fahren – aber billiger als der Transrapid. Und das wäre doch Unfug, solche Systeme jetzt noch in Konkurrenz - gleichzeitig zur Straße - zu betreiben. Das muss verkehrspolitisch vernünftiger begleitet werden, und dann hat das vielleicht auch eine Chance.
DLF: Herr Hansen, ich danke Ihnen für das Gespräch.