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Harald Schmid: Deutliche Worte statt Boykott von Olympia

Der ehemalige 400-Meter-Hürden-Europameister Harald Schmid hält einen Boykott der Olympischen Spiele in Peking als Reaktion auf die chinesische Tibet-Politik für unangemessen. Das würde die Lage eher schwieriger machen, die Fronten würden verhärtet, argumentierte Schmid, den der deutsche Olympiaboykott 1980 um Medaillenchancen in Moskau gebracht hatte.

Moderation: Friedbert Meurer | 27.03.2008
    Friedbert Meurer: Ein Totalboykott der Olympischen Spiele in Peking, das wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht so kommen. Vielleicht aber wird es andere Formen des Protestes geben.

    Das war 1980 anders: Unter Führung der USA haben sich damals die meisten westlichen Länder von den Olympischen Spielen in Moskau fern gehalten, denn die Sowjetunion war gerade in Afghanistan einmarschiert. In Deutschland gab es heftige Kontroversen innerhalb des Nationalen Olympischen Komitees und eine knappe Abstimmung für den Boykott. Die westdeutschen Sportler mussten also außen vor bleiben. Die Athleten der DDR traten an.

    Zu den Leidtragenden zählte damals Harald Schmid, einer der besten deutschen Leichtathleten damals, 400-Meter-Hürden-Europameister, Olympia-Dritter von 1976 und 1984, aber keine Medaille 1980 logischerweise, weil er nicht teilnehmen durfte. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt, wenn er die Diskussion über Peking hört, welche Erinnerungen das bei ihm an 1980 weckt.

    Harald Schmid: Na ja, als Sportler war es für mich das Schlimmste, was mir passieren konnte. Ich war einmal ganz vorne in der Welt mit meinen Leistungen, und ich war ein heißer Medaillenkandidat, und ich durfte dann dort nicht starten, wofür ich mich eigentlich sehr lange vorbereitet hatte.

    Meurer: Sie hatten gerade, glaube ich, den Europarekord aufgestellt, ein, zwei Jahre vorher. Hat Sie das sehr geärgert, fanden Sie das einfach ungerecht, dass Sie nicht mitmachen dürfen?

    Schmid: Also das Wie der Entscheidung, das hat mich am meisten gestört. Denn damals durfte der Sport, oder der Sport ist ja souverän in seinen Entscheidungen, hat sich für diesen Boykott entschieden. Das heißt, die Vertreter, die eigentlich für mich entscheiden sollten, also zu meinen Gunsten, die haben sich bei einer Sitzung dann, das war das Nationale Olympische Komitee, ich war dabei als Gast bei dieser Sitzung, und die haben wirklich gejubelt, als sie den Boykott durch hatten. Und das war für mich das Frustrierendste. Denn das sollten ja eigentlich Menschen sein, die für den Sport stehen und für die Athleten und nicht umgekehrt.

    Meurer: War der Jubel frustrierend für Sie oder einfach die Tatsache, dass das NOK gegen Sie entschieden hat?

    Schmid: Der Jubel, ja. Wenn man so eine Entscheidung trifft und dann noch jubelt, das hat mich am meisten getroffen. Das konnte ich auch wirklich nicht verarbeiten.

    Meurer: Welche Argumente haben Sie damals gehabt für Olympia-Teilnahme?

    Schmid: Na ja, ich wollte doch meine Interessen wahren. Als Sportler wollte ich gerne dort starten. Ich hatte dafür gearbeitet. Und ich habe damals auch etwas gesehen, ich weiß nicht, warum es andere nicht so erkennen wollten, dass, wenn da zu wenige Länder diesen Boykott durchziehen, dass man da gar nichts bewirken kann. Eigentlich hätten alle wegbleiben müssen von Moskau. Aber so war das ja nur ein Teil der westlichen Länder, die nicht gefahren sind. Und dieser Boykott ist eigentlich verpufft.

    Meurer: Es waren auch die islamischen Länder damals dabei. Dass alle wegbleiben, das wird es wahrscheinlich nie geben?

    Schmid: Ja, das wird es nie geben. Aber es gibt eine Institution, die die Olympischen Spiele vergibt, das ist das Internationale Olympische Komitee. Und eigentlich sollten die so viel Druck ausüben, auch jetzt wie auf die Chinesen, dass es dort Entscheidungen gibt und dass die Regierung handelt, und zwar im positiven und im friedlichen Sinne.

    Meurer: Sind Sie mit dem Kurs des IOC im Prinzip einverstanden jetzt, Herr Schmid, denn das IOC sagt ja klipp und klar, wir fahren nach Peking, das ist beschlossene Sache, davon lassen wir uns nicht abbringen?

    Schmid: Ja, das IOC will im Moment fahren. Aber sie sagen auch nicht so deutlich, was die chinesische Regierung machen soll. Ich fände deutliche Worte viel besser, damit schneller gehandelt wird.

    Meurer: Ihr Eindruck ist also, dass das Nationale Olympische Komitee beziehungsweise der Deutsche Olympische Sportbund jetzt im Moment radikaler auftritt, als Sie sich das wünschen?

    Schmid: Nein, wir haben ja jetzt über das IOC gesprochen. Der Deutsche Olympische Sportbund hat auch klar gesagt, wir fahren, wir gehen dorthin, was natürlich für die Athleten wunderbar ist, denn die wollen alle dort starten. Nur hilft das den Menschen in Tibet? Das weiß man auch nicht. Es ist also immer eine kontroverse Diskussion. Andererseits wusste man doch über diese politische Situation in Tibet, als man die Olympische Spiele vergeben hat, als das IOC sich dafür entschieden hat. Hätte man nicht von vornherein sagen sollen, ja, wenn wir dahin gehen, dann müssen wir mit Problemen rechnen, und vielleicht können wir die chinesische Regierung von vornherein dazu bringen, möglichst eine positive Lösung zu finden?

    Meurer: Es hat ja damals auch Warnungen gegeben, als die Spiele vergeben wurden nach Peking. Hätte man besser anders entschieden?
    Schmid: Vielleicht hätte man deutlicher mit der Regierung reden sollen. Die Zeit wird immer knapper, und beide Parteien sind gehörig unter Druck. Die Tibeter wollen natürlich auch den Moment der Stunde nutzen und auf ihr Problem aufmerksam machen. Wenn nicht alle möglichst schnell jetzt anfangen, miteinander zu reden, dann wird das alles eng und wird immer schwieriger.
    Meurer: Verstehe ich Sie aber recht, Herr Schmid, Sie sind gegen einen Boykott der Olympischen Spiele in Peking?
    Schmid: Ja, ich glaube, mit dem Boykott werden Sie nichts erreichen. Sie machen die Lage eher schwieriger. Sie sind nicht mehr im Gespräch, Sie sind nicht mehr in Verhandlungen. Wenn Sie nicht hingehen, wird die Sache viel schwieriger, da verhärten sich die Fronten.

    Meurer: Das hat man bisher immer so gedacht, und diese Argumentation gegenüber Peking ins Spiel gebracht, und dieser Kurs hat nicht gefruchtet.
    Schmid: Ich kann immer nur die Seite des Sportlers vertreten und wie wichtig für den Sportler in seinem Sportlerleben die Teilnahme an Olympischen Spielen ist, das kann man eigentlich nur nachvollziehen, wenn man wirklich mal selbst auf der Laufbahn gestanden hat und sich Tag für Tag vorbereitet hat. Dann möchte nicht einfach durch einen Boykott dann das dahinschwinden sehen, für was man gearbeitet hat.

    Meurer: Jetzt werden ja schon einige Kompromisse sozusagen diskutiert. Was halten Sie von dem Vorschlag oder von der Anregung, dass die Sportler teilnehmen, es ihnen aber durchaus ermöglicht wird, in Peking in ihrer Art und Weise Protest zu zeigen?

    Schmid: Ich glaube, dass das die Regeln nicht zulassen, dass man das, wenn Sie zum Beispiel sich vorstellen, da zieht ein Sportler ein bestimmtes T-Shirt an zu Siegerehrung, wo eben ein Spruch drauf steht, ich glaube, der wird gar nicht zugelassen zur Siegerehrung.

    Meurer: Diese Regel, halten Sie die für richtig?

    Schmid: Ja, weil: Das ist eine pauschale Regel, sonst könnte jeder mit irgendeinem Spruch auftreten, der jetzt, sage ich mal, nicht Tibet betrifft, sondern ein Problem in seinem Heimatland. Und das will man vornherein, will man die Olympischen Spiele frei von solchen Äußerungen halten.

    Meurer: Was ist mit verbalen Äußerungen vor den Spielen, während der Spiele? Ist es während der Spiele erlaubt?

    Schmid: Natürlich, jeder Sportler kann seine Meinung äußern, nur nicht so plakativ während einer Siegerehrung zum Beispiel. Es sind doch genug Journalisten da, denen man seine Meinung mitteilen kann. Die werden alle Mikrofone offen haben dafür.

    Meurer: Werden Sie sich die Spiele anschauen im Fernsehen in Peking, wenn es losgeht?

    Schmid: Ich werde es auf jeden Fall im Fernsehen betrachten.

    Meurer: Ohne ein schlechtes Gefühl zu haben?

    Schmid: Warten wir mal die Entwicklung ab, vielleicht gibt es ja noch gute Schritte bis dahin.

    Meurer: Das war Harald Schmid, ehemaliger 400-Meter-Hürden-Europameister, Olympia-Dritter von 1976 und 84, und 1980 durfte er wegen des Boykotts nicht an Olympischen Spielen in Moskau teilnehmen. Herr Schmid, schönen Dank und auf Wiederhören.

    Schmid: Ja, bitteschön.