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Hardliner wollen System bewahren

Die Führung Nordkoreas kommt heute erstmals seit 30 Jahren zu einem Delegiertentreffen zusammen. Präsident Kim Jong Il will dort die Weichen für seinen jüngsten Sohn als künftigen Nachfolger stellen.. Der Diktator sorge schon jetzt dafür, dass sich möglichst wenig bewegt, so Ingrid Steiner-Gashi.

Ingrid Steiner-Gashi im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Die Welt weiß nicht wirklich viel über Nordkorea. Kein anderes Land ist so abgeschottet, so isoliert, so eisern rigide, so geheimnisumwoben. Nach monatelangen Spekulationen ist aber wenigstens eines klar: Staatschef Kim Jong-Il ist gesundheitlich derart angeschlagen, dass er nun seine Nachfolge regeln will. Ab heute soll der erste offizielle Parteikongress seit Jahrzehnten die neue Führung bestätigen. Es wird damit gerechnet, dass der 68jährige dabei seinen jüngsten Sohn Kim Jong-Un als nächsten geliebten Führer, wie es in Pjöngjang heißt, in Stellung bringt. Über Kim Jong-Un weiß die Welt noch weniger als über dessen Vater. Er soll einmal als Schüler in einer Schweizer Privatschule gewesen sein. Seine Hobbys Basketball und Spielfilme des Actionhelden Jean-Claude Van Damme. Bei uns am Telefon ist nun die österreichische Journalistin und Publizistin Ingrid Steiner-Gashi, Autorin des Buches "Im Dienst des Diktators – Leben und Flucht eines nordkoreanischen Agenten". Guten Morgen nach Wien.

    Ingrid Steiner-Gashi: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Frau Steiner-Gashi, wissen Sie etwas über den neuen Mann?

    Steiner-Gashi: Das ist natürlich sehr schwer zu sagen. Der Name Kim Jong-Un ist eigentlich erst im Vorjahr zum ersten Mal aufgetaucht, und zwar im Zusammenhang mit Vermutungen, dass er das eine oder andere, den einen oder anderen Auftrag im Geheimdienst erhalten haben soll, aber Bestätigungen dafür gibt es gar keine. Es gibt immer nur Vermutungen und Gerüchte, die kommen zum Teil vom südkoreanischen Geheimdienst, teils von nordkoreanischen Überläufern. Tatsache aber ist, dass dieser Name zum ersten Mal im Vorjahr fiel, und das ist überraschend, weil an und für sich hat es immer geheißen, einer der beiden älteren Söhne von Kim Jong-Il würde nachfolgen. Aber die beiden älteren haben sich offensichtlich als "Nieten" erwiesen, sodass eigentlich nur noch der dritte Sohn übrig blieb, und von ihm weiß man tatsächlich nur, dass er in der Schweiz, nahe Bern, in einer internationalen Schule war. Dort ist er unter falschem Namen zur Schule gegangen, war nicht weiter auffällig, war sehr ruhig, war zurückhaltend. Man vermutet auch, dass seine Mutter während dieser Zeit kurz in Bern gelebt hat. Und mit 15 Jahren war er dann plötzlich verschwunden und hat den Rest seiner Ausbildung in Nordkorea selbst absolviert.

    Müller: Aber dann könnte er ja vielleicht auf Deutsch ein Interview geben?

    Steiner-Gashi: Das ist durchaus möglich. Nicht fließend wahrscheinlich, aber er könnte sich zumindest ausdrücken.

    Müller: Also der Jüngste muss ran, weil die anderen beiden Älteren versagt haben, haben Sie gesagt. Spielt das eine Rolle, wer Nordkorea regiert?

    Steiner-Gashi: Das spielt natürlich eine riesengroße Rolle, wer Nordkorea regiert. Allerdings glaube ich nicht, dass im Laufe dieses Parteitreffens, dass Kim Jong-Un sozusagen als Thronfolger eingesetzt wird. Es wird eher so sein, dass ein oberstes Führungsgremium neu bestellt wird mit einer Reihe von wichtigen Posten, und Kim Jong-Un könnte einen dieser Posten erhalten, dass er sozusagen ein Primus inter Pares wird eines Führungsteams.

    Müller: Wenn es eine Rolle spielt, Frau Steiner-Gashi, das heißt dann auch, es könnte möglicherweise Reformen geben?

    Steiner-Gashi: Das kann ich mir im Augenblick ehrlich gesagt schwer vorstellen, denn das oberste Ziel dieses Regimes ist es, das System zu erhalten, so wie es ist: also unzugänglich, isoliert. Es soll einfach alles so bleiben, wie es ist, und insofern ist es, glaube ich, auch das Bemühen vom Diktator Kim Jong-Il, schon jetzt dafür zu sorgen, dass möglichst alles sich möglichst wenig bewegt. Das Risiko mit Reformen ist einfach: Dieses System ist so angespannt und so eingekeilt, es gibt einfach eine gewisse Gefahr wie bei einem Druckkochtopf, wenn man da einfach zu früh aufmacht oder zu weit aufmacht, dass einem der ganze Deckel um die Ohren fliegt. Das ist das Problem mit Nordkorea. Dann müsste man sehr behutsam und sehr vorsichtig mit Reformen umgehen, und dafür gibt es einfach im Augenblick überhaupt keine Anzeichen.

    Müller: Sie hatten ja die Gelegenheit, mehrfach Nordkorea zu bereisen. Sie haben dort so viele Gespräche wie möglich geführt, wenn ich das so formulieren darf. Gibt es in Nordkorea nur Hardliner?

    Steiner-Gashi: Was die politische Elite angeht, gibt es ausschließlich nur Hardliner, weil eben die die sind, die das System bewahren wollen. Wer immer von der Linie abweicht, wird weggesäubert, wird in den Gulak geschickt, verschwindet von der Bildfläche. Es ist ja auch der Schwager von Diktator Kim Jong-Il, der jetzt wieder im Hintergrund die Fäden zieht, seit der Diktator so krank und angeschlagen ist. Also dieser Schwager ist vor einigen Jahren von der Bildfläche verschwunden. Man hatte schon vermutet, er ist für immer verschwunden, aber dann 2008 ist er wieder aufgetaucht. Also es ist auch für die höchsten Familienmitglieder höchst gefährlich, irgendetwas anderes zu sagen und zu denken, als die oberste Führung will.

    Müller: Und innerhalb des Militärs, innerhalb der politischen Eliten gibt es keine Opposition?

    Steiner-Gashi: Keine sichtbare und man muss sich das auch so vorstellen: Es ist gänzlich unmöglich, in Nordkorea irgendetwas zu sagen, was von der Linie abweicht. Alles wird überwacht, abgehört, man wird bespitzelt, man wird innerhalb der Familie bespitzelt, es gibt keinen Raum für kreative, für alternative Gedanken, das ist unmöglich. Insofern: Es gibt eine große Unzufriedenheit in der Bevölkerung, das weiß man von nordkoreanischen Überläufern. Es gibt einen wachsenden Missmut, aber es gibt keine politische Figur oder keine Bewegung oder keine Dissidentengruppe, die das ausdrücken kann.

    Müller: Und das Bruderland China kann auch nichts zum Positiven richten?

    Steiner-Gashi: China versucht wohl allmählich, vor allem über den wirtschaftlichen Zugang eine Art von leichter Lockerung zu erreichen. Man will mehr kooperieren. Es gibt mittlerweile sehr große, sehr viele Firmen, die versuchen, in Nordkorea anzudocken. Aber was China versucht, ist nur die wirtschaftliche Schiene, und das ist schon schwierig genug. Aber von der politischen Schiene her kann man natürlich auch von China nicht erwarten, dass sie sich hier für demokratische und liberale Reformen einsetzen. Das ist von China ein bisschen viel verlangt.

    Müller: Hat sich in Nordkorea in den vergangenen Jahrzehnten etwas zum Positiven entwickelt, gerade mit Blick auf die sozialen, auf die wirtschaftlichen Verhältnisse?

    Steiner-Gashi: Positiv? – Schwierige Frage. – Es hat sich etwas verändert in Nordkorea. Das waren die großen Hungerkatastrophen in den 90er-Jahren. Damals wurde offensichtlich, damals sind, man schätzt, zwischen zwei und drei Millionen Menschen verhungert. Damals haben die Menschen zum ersten Mal erfahren, dass der Staat nicht in der Lage ist, sie zu retten und für sie zu sorgen, und das war eine tiefgreifende Erfahrung für die Nordkoreaner, die bis zu diesem Zeitpunkt immer nur gehört hatten, dass sie im besten aller möglichen Staaten leben und dass die Welt draußen schrecklich und furchtbar ist. Das war für sie so schlimm und so traumatisch, diese Erfahrung wirkt nach, und das war auch der Zeitpunkt, als zum ersten Mal Flüchtlinge aus dem Land gegangen sind. Ich habe vor Kurzem mit zwei nordkoreanischen Flüchtlingen gesprochen. Die haben erzählt, es herrscht wirklich Wut und Verzweiflung in der einfachen Bevölkerung und die Menschen sind verbittert und traurig, dass von ihrer Führung einfach nichts kommt. Es gibt zu wenig zu essen, das Leben ist schwierig, es ist ein absoluter Kampf, um zu überleben, und wer nicht für sich selbst kämpft, der kommt unter die Räder. Diese Stimmung und dieses Gefühl ist definitiv anders, als es zum Zeitpunkt war, als damals der junge Diktator Kim Jong-Il die Macht übernommen hat.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk die österreichische Journalistin und Publizistin Ingrid Steiner-Gashi, Autorin des Buches "Im Dienst des Diktators". Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Wien.

    Steiner-Gashi: Danke schön! Auf Wiederhören.