Stefan Heinlein: Das Thema ist wahrhaft kompliziert und für Nicht-Juristen nur schwer verdaulich. Es taugt entsprechend kaum für die großen Reden auf den Marktplätzen. Doch abseits aller Wahlkampfschlachten haben sich die Fraktionen in Berlin noch einmal zusammengerauft und ein wichtiges Stück parlamentarische Arbeit erledigt. Nach langen Diskussionen ist das EU-Begleitgesetz seit gestern Abend weitgehend in trockenen Tüchern. Noch fehlen zwar einige wenige Details, die heute nachverhandelt werden, doch im Grundsatz hat man sich parteiübergreifend geeinigt.
Am Telefon begrüße ich jetzt die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms. Guten Morgen, Frau Harms.
Rebecca Harms: Guten Morgen.
Heinlein: Einigkeit in Berlin, ist das auch eine gute Nachricht für Brüssel?
Harms: Ich finde, dass das Ergebnis, so weit ich das jetzt sehe, ein gutes Ergebnis ist. Ich hoffe, dass die Fraktionen sich jetzt auf den letzten Metern auch darauf verständigen. Es sollte ja heute noch gesprochen werden. Für uns Europapolitiker und für alle diejenigen, die für die Europäische Union und eine stärkere politische Zusammenarbeit in der Europäischen Union arbeiten, für uns ist das sehr gut, wenn nationale Parlamente sich sehr viel stärker, als sie das bisher getan haben - sie hätten es ja auch in Deutschland schon tun können -, mit der europäischen Politik befassen und dafür sorgen, dass die Verhandlungen im Rat, also die Verhandlungen, die letztlich die Bundesregierung führt, dann transparenter und nachvollziehbarer werden.
Heinlein: Also das Positive an dieser Entscheidung, an dieser wahrscheinlichen Entscheidung ist, wenn ich Sie richtig verstehe, dass europäische Fragen künftig nicht nur in Brüssel und Straßburg debattiert werden, sondern auch auf nationaler Ebene in Berlin?
Harms: Bisher scheint es ja sehr oft so, dass Brüsseler Politik exterritoriale Politik ist. Brüsseler Politik hat immer noch den Geruch von Außenpolitik, etwas, das außerhalb der Nationen stattfindet, und dass jetzt endlich das stattfindet und auch wirklich verbindlich geregelt wird, was eigentlich schon längst der Fall ist, nämlich dass Brüsseler Politik gemeinsame europäische Politik als Teil der Innenpolitik etabliert wird, das fand ich überfällig.
Heinlein: Der Bundestag, Frau Harms, und auch der Bundesrat kann sich ja in laufende EU-Verhandlungen künftig beliebig oft einschalten. Wie groß ist da die Gefahr, dass die deutschen Parlamente nun Sand im Getriebe der Europapolitik sind?
Harms: Wir werden sehen, welche Praxis sich da etabliert. Wie stark das Engagement des Parlaments, des Bundestages sein wird, das bleibt abzuwarten. Ich hoffe, dass sie die richtigen Prioritäten dann setzen, dass sie ihre Rechte auch tatsächlich nutzen. Die bisherige Erfahrung, wenn ich aus Brüssel nach Berlin gucke, heißt ja, dass die Rechte, die nach einer Vereinbarung bestehen, die es schon seit 1993 zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat gibt, die Abgeordneten in Deutschland weder im Bundestag noch im Landtag die Möglichkeiten, die sie haben zu Stellungnahmen zur europäischen Rechtsetzung, nutzen. Sie lassen die weitgehend ungenutzt und da das viel Arbeit macht, sich in die europäische Gesetzgebung einzumischen, denke ich, wird man richtige Prioritäten setzen. Was wir uns natürlich wünschen ist, dass nicht nur mit nationaler Brille geguckt wird, sondern dass unter anderem durch eine stärkere Zusammenarbeit mit uns Kollegen aus dem Europäischen Parlament auch europäische Perspektive auf die Rechtsetzung in Brüssel gesucht wird.
Heinlein: Also keine Konkurrenz zwischen Bundestag und Europaparlament, sondern künftig eine stärkere Zusammenarbeit, so Ihre Erwartungen?
Harms: Das wäre mein ganz großer Wunsch, weil es wird ja sehr oft über das Demokratiedefizit in der Europäischen Union geredet. Ich sehe, dass das Europäische Parlament seine Rolle sehr oft sehr vorbildlich spielt, aber die Arbeit der Abgeordneten in Brüssel wird für die nationale Diskussion über die europäische Politik überhaupt nicht genügend erschlossen. Wir haben eine gute Möglichkeit, zum Beispiel über Mitgliedschaft von Europaabgeordneten im Europaausschuss, da tatsächlich zu einer viel engeren Zusammenarbeit zu kommen. Das ist nämlich schon heute so geregelt, dass Mitglieder des Europäischen Parlaments auch im Europaausschuss des Bundestages Mitglieder sind.
Heinlein: Was heißt das nun konkret, etwa beim Thema EU-Beitritt der Türkei? Bundestag und Bundesrat dürften künftig lange mitreden und beliebig oft mitdiskutieren, aber entscheiden letztendlich wird dann doch wieder die Bundesregierung? Was hat sich da jetzt eigentlich geändert?
Harms: Es wird sich einfach ändern, dass die Bundesregierung ihre Verhandlungsstrategien, ihre Ziele, ihre Linie in Brüssel stärker national zurückberichten muss. Die Notwendigkeit, dass der Bundestag, dass die nationalen Parlamente eingeschaltet werden in Debatten, die das Gefüge der Europäischen Union wirklich verändern, diese Notwendigkeit ist ja richtig. Dieses Unbehagen, das unter Bürgerinnen und Bürgern gewachsen ist, über dieses Demokratiedefizit, die Intransparenz, die Undurchschaubarkeit der Brüsseler Politik, die kann ja gerade bei so relevanten Zukunftsfragen für die Europäische Union nur geändert werden, wenn tatsächlich Debatten über Ziele, Schritte und Entscheidungen auch in Berlin stattfinden.
Heinlein: Kann sich das Europa aber leisten, wenn künftig das größte Mitgliedsland, also Deutschland, europäische Fragen endlos debattiert? Muss die EU nicht schneller, flexibler reagieren auf viele Fragen und nicht endlos debattieren?
Harms: Natürlich haben wir ganz oft gesagt, dass die Verhandlungen zu lange dauern, dass das zu behäbig ist. Aber über Fragen, die relevant sind für die Art und Weise, wie die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union unter dem gemeinsamen Dach zusammenarbeiten, welche Politikfelder in Zukunft vergemeinschaftet werden, wie stark die europäische Integration fortgesetzt wird - und ich halte das für notwendig, dass wir mehr integrieren -, solche Fragen sollten stärker diskutiert werden, weil das Bundesverfassungsgericht hat da tatsächlich, glaube ich, den Finger in eine politische Wunde gelegt. Das ist nicht so, dass diese supranationale Politik, diese supranationale Demokratie automatisch funktioniert. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Bürgerinnen und Bürger sehr viel stärker teilhaben können an der europäischen Politik. Sonst wird diese Distanziertheit der Bürgerinnen und Bürger gegenüber Brüssel wachsen.
Heinlein: Kurz zum Schluss, Frau Harms. Warten oder vielleicht hoffen Sie sogar, dass künftig nun weitere EU-Mitglieder dem deutschen Beispiel folgen und eine stärkere Mitsprache ihrer Nationalparlamente in europäischen Fragen fordern?
Harms: Das hoffe ich, aber ich muss sagen, Deutschland hängt da ja ein Stück weit hinterher. Die skandinavischen Länder, Großbritannien, Österreich, die haben das, was wir jetzt mit dem Begleitgesetz diskutieren, schon längst verankert. Vorbild ist für mich bisher immer Dänemark gewesen, ein kleines Land natürlich, aber intensiv diskutierend im Parlament vor jedem europäischen Gipfel, und das hilft tatsächlich auch der Herstellung dieser europäischen Öffentlichkeit. Wissen Sie, wenn Europathemen nur in Brüssel diskutiert werden und die Bürgerinnen und Bürger immer nur teilhaben, wenn ihre Staats- und Regierungschefs jeweils die Ratspräsidentschaft inne haben und ihre großen Erfolge verkünden, dann wird das mit der europäischen Demokratie nie funktionieren.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören, Frau Harms.
Harms: Auf Wiederhören.
Am Telefon begrüße ich jetzt die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms. Guten Morgen, Frau Harms.
Rebecca Harms: Guten Morgen.
Heinlein: Einigkeit in Berlin, ist das auch eine gute Nachricht für Brüssel?
Harms: Ich finde, dass das Ergebnis, so weit ich das jetzt sehe, ein gutes Ergebnis ist. Ich hoffe, dass die Fraktionen sich jetzt auf den letzten Metern auch darauf verständigen. Es sollte ja heute noch gesprochen werden. Für uns Europapolitiker und für alle diejenigen, die für die Europäische Union und eine stärkere politische Zusammenarbeit in der Europäischen Union arbeiten, für uns ist das sehr gut, wenn nationale Parlamente sich sehr viel stärker, als sie das bisher getan haben - sie hätten es ja auch in Deutschland schon tun können -, mit der europäischen Politik befassen und dafür sorgen, dass die Verhandlungen im Rat, also die Verhandlungen, die letztlich die Bundesregierung führt, dann transparenter und nachvollziehbarer werden.
Heinlein: Also das Positive an dieser Entscheidung, an dieser wahrscheinlichen Entscheidung ist, wenn ich Sie richtig verstehe, dass europäische Fragen künftig nicht nur in Brüssel und Straßburg debattiert werden, sondern auch auf nationaler Ebene in Berlin?
Harms: Bisher scheint es ja sehr oft so, dass Brüsseler Politik exterritoriale Politik ist. Brüsseler Politik hat immer noch den Geruch von Außenpolitik, etwas, das außerhalb der Nationen stattfindet, und dass jetzt endlich das stattfindet und auch wirklich verbindlich geregelt wird, was eigentlich schon längst der Fall ist, nämlich dass Brüsseler Politik gemeinsame europäische Politik als Teil der Innenpolitik etabliert wird, das fand ich überfällig.
Heinlein: Der Bundestag, Frau Harms, und auch der Bundesrat kann sich ja in laufende EU-Verhandlungen künftig beliebig oft einschalten. Wie groß ist da die Gefahr, dass die deutschen Parlamente nun Sand im Getriebe der Europapolitik sind?
Harms: Wir werden sehen, welche Praxis sich da etabliert. Wie stark das Engagement des Parlaments, des Bundestages sein wird, das bleibt abzuwarten. Ich hoffe, dass sie die richtigen Prioritäten dann setzen, dass sie ihre Rechte auch tatsächlich nutzen. Die bisherige Erfahrung, wenn ich aus Brüssel nach Berlin gucke, heißt ja, dass die Rechte, die nach einer Vereinbarung bestehen, die es schon seit 1993 zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat gibt, die Abgeordneten in Deutschland weder im Bundestag noch im Landtag die Möglichkeiten, die sie haben zu Stellungnahmen zur europäischen Rechtsetzung, nutzen. Sie lassen die weitgehend ungenutzt und da das viel Arbeit macht, sich in die europäische Gesetzgebung einzumischen, denke ich, wird man richtige Prioritäten setzen. Was wir uns natürlich wünschen ist, dass nicht nur mit nationaler Brille geguckt wird, sondern dass unter anderem durch eine stärkere Zusammenarbeit mit uns Kollegen aus dem Europäischen Parlament auch europäische Perspektive auf die Rechtsetzung in Brüssel gesucht wird.
Heinlein: Also keine Konkurrenz zwischen Bundestag und Europaparlament, sondern künftig eine stärkere Zusammenarbeit, so Ihre Erwartungen?
Harms: Das wäre mein ganz großer Wunsch, weil es wird ja sehr oft über das Demokratiedefizit in der Europäischen Union geredet. Ich sehe, dass das Europäische Parlament seine Rolle sehr oft sehr vorbildlich spielt, aber die Arbeit der Abgeordneten in Brüssel wird für die nationale Diskussion über die europäische Politik überhaupt nicht genügend erschlossen. Wir haben eine gute Möglichkeit, zum Beispiel über Mitgliedschaft von Europaabgeordneten im Europaausschuss, da tatsächlich zu einer viel engeren Zusammenarbeit zu kommen. Das ist nämlich schon heute so geregelt, dass Mitglieder des Europäischen Parlaments auch im Europaausschuss des Bundestages Mitglieder sind.
Heinlein: Was heißt das nun konkret, etwa beim Thema EU-Beitritt der Türkei? Bundestag und Bundesrat dürften künftig lange mitreden und beliebig oft mitdiskutieren, aber entscheiden letztendlich wird dann doch wieder die Bundesregierung? Was hat sich da jetzt eigentlich geändert?
Harms: Es wird sich einfach ändern, dass die Bundesregierung ihre Verhandlungsstrategien, ihre Ziele, ihre Linie in Brüssel stärker national zurückberichten muss. Die Notwendigkeit, dass der Bundestag, dass die nationalen Parlamente eingeschaltet werden in Debatten, die das Gefüge der Europäischen Union wirklich verändern, diese Notwendigkeit ist ja richtig. Dieses Unbehagen, das unter Bürgerinnen und Bürgern gewachsen ist, über dieses Demokratiedefizit, die Intransparenz, die Undurchschaubarkeit der Brüsseler Politik, die kann ja gerade bei so relevanten Zukunftsfragen für die Europäische Union nur geändert werden, wenn tatsächlich Debatten über Ziele, Schritte und Entscheidungen auch in Berlin stattfinden.
Heinlein: Kann sich das Europa aber leisten, wenn künftig das größte Mitgliedsland, also Deutschland, europäische Fragen endlos debattiert? Muss die EU nicht schneller, flexibler reagieren auf viele Fragen und nicht endlos debattieren?
Harms: Natürlich haben wir ganz oft gesagt, dass die Verhandlungen zu lange dauern, dass das zu behäbig ist. Aber über Fragen, die relevant sind für die Art und Weise, wie die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union unter dem gemeinsamen Dach zusammenarbeiten, welche Politikfelder in Zukunft vergemeinschaftet werden, wie stark die europäische Integration fortgesetzt wird - und ich halte das für notwendig, dass wir mehr integrieren -, solche Fragen sollten stärker diskutiert werden, weil das Bundesverfassungsgericht hat da tatsächlich, glaube ich, den Finger in eine politische Wunde gelegt. Das ist nicht so, dass diese supranationale Politik, diese supranationale Demokratie automatisch funktioniert. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Bürgerinnen und Bürger sehr viel stärker teilhaben können an der europäischen Politik. Sonst wird diese Distanziertheit der Bürgerinnen und Bürger gegenüber Brüssel wachsen.
Heinlein: Kurz zum Schluss, Frau Harms. Warten oder vielleicht hoffen Sie sogar, dass künftig nun weitere EU-Mitglieder dem deutschen Beispiel folgen und eine stärkere Mitsprache ihrer Nationalparlamente in europäischen Fragen fordern?
Harms: Das hoffe ich, aber ich muss sagen, Deutschland hängt da ja ein Stück weit hinterher. Die skandinavischen Länder, Großbritannien, Österreich, die haben das, was wir jetzt mit dem Begleitgesetz diskutieren, schon längst verankert. Vorbild ist für mich bisher immer Dänemark gewesen, ein kleines Land natürlich, aber intensiv diskutierend im Parlament vor jedem europäischen Gipfel, und das hilft tatsächlich auch der Herstellung dieser europäischen Öffentlichkeit. Wissen Sie, wenn Europathemen nur in Brüssel diskutiert werden und die Bürgerinnen und Bürger immer nur teilhaben, wenn ihre Staats- und Regierungschefs jeweils die Ratspräsidentschaft inne haben und ihre großen Erfolge verkünden, dann wird das mit der europäischen Demokratie nie funktionieren.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören, Frau Harms.
Harms: Auf Wiederhören.