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Harms warnt vor "Rücksprung auf den Energiemix der Vergangenheit"

Atomkraftwerksbetreiber sollen leichter an staatliche Fördermittel kommen, Beihilfen für erneuerbare Energien könnten dagegen beschränkt werden. Deutschland hat den EU-Plänen widersprochen. Auch die Grünen-Europapolitikerin Rebecca Harms warnt vor einem Rückschritt. Atomkraft sei nicht wettbewerbsfähig und werde das noch nicht mal mit solchen Subventionen sein, sagt Harms.

Rebecca Harms im Gespräch mit Christoph Heinemann | 19.07.2013
    Christoph Heinemann: Die EU-Kommission – ganz anderes Thema jetzt – will den Bau und den Betrieb von Atomkraftwerken in Europa erleichtern. Im Entwurf für eine neue Beihilferichtlinie von Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia wird der Ausbau der Nuklearenergie als ein Ziel der Europäischen Union bezeichnet. Um dieses Ziel zu verfolgen, könnten speziell für die Errichtung und den Betrieb eines Atomkraftwerks staatliche Finanzhilfen benötigt werden, heißt es in dem Entwurf. Über solche möglichen Beihilfen sollten Investoren künftig von vornherein Rechtssicherheit haben. Bislang gibt es nur für grüne Energie erleichterte Beihilferegeln. Auf dieser Ausnahme beruht unter anderem das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz, eine Grundlage der sogenannten Energiewende. Und bisher müssen Subventionen für die Kernkraft in jedem Einzelfall und mit hohem Zeit- und bürokratischem Aufwand beantragt werden. – Am Telefon ist jetzt Rebecca Harms, die Co-Vorsitzende der Fraktionen der Grünen im Europäischen Parlament. Guten Morgen.

    Rebecca Harms: Guten Morgen.

    Heinemann: Frau Harms, die Bundesregierung hat dem Plan widersprochen, also dem Entwurf von Herrn Almunia. Bedroht diese Planung der Kommission die deutsche Energiewende?

    Harms: Die deutsche Energiewende hat ihre eigenen Probleme, darüber wird in Deutschland ja auch viel diskutiert. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das muss unbedingt novelliert werden, auch um Wettbewerbsverzerrungen in Deutschland zugunsten der energieintensiven Industrie zu korrigieren.
    Aber in Brüssel haben wir ein anderes Problem. In Brüssel haben wir das Problem, dass in der Kommission die deutsche Energiewende nicht akzeptiert wird, dass in der Kommission im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise der neue Weg in die Erneuerbaren angezweifelt wird und dass man jetzt doch ziemlich systematisch vorbereitet hat, einen Rückgriff, einen Rücksprung auf den Energiemix der Vergangenheit.

    Heinemann: Vielleicht ist die Kommission einfach nur realistischer?

    Harms: Ja wenn man sich anguckt, um welche Subventionen und welche Beträge es geht für das eine Atomkraftwerk, an dessen Beispiel da verhandelt worden ist, Hinkley Point C …

    Heinemann: In England.

    Harms: … in Großbritannien, dann muss man sehen: Es geht darum, einen Preis zu garantieren über zehn Jahre für die Megawattstunde, der über dem, weit über dem, beim doppelten dessen liegt, was heute der Marktpreis für Elektrizität ist. Atomkraft ist zurzeit, was den Neubau angeht, nicht wettbewerbsfähig und wird das meiner Meinung nach noch nicht mal mit solchen Subventionen sein.

    Heinemann: Das gilt für die grüne Energie genauso.

    Harms: Wir sehen eine ganz interessante Entwicklung. Wir haben vor Kurzem eine Wirtschaftlichkeitsstudie in Auftrag gegeben und wir sehen, dass der günstigste Strom derzeit erzeugt werden kann an Land durch Windenergie. Wenn man die externen Kosten, Umweltbelastung, Versicherungen und so weiter, noch reinrechnet, dann ist Windenergie, ist sogar Sonnenenergie weitaus günstiger als Atomkraft.

    Heinemann: Nur werden die im Moment nicht rein gerechnet und die Bürgerinnen und Bürger merken, ihre Stromrechnung steigt.

    Harms: Die Stromrechnung der Bürgerinnen und Bürger steigt zu Unrecht in dem Umfang in Deutschland, weil diese großen Vergünstigungen für die energieintensive Industrie in Deutschland gemacht worden sind. Das ist gerade ein Punkt, die Privilegien für die energieintensive Industrie, den man sich angucken muss. Man muss natürlich die Industrie am Standort halten, aber die Ausnahmen, die sich da aufgetürmt haben, die gehen zulasten von jedem privaten Stromkunden und von kleinen und mittelständischen Unternehmen.

    Heinemann: Frau Harms, möchten Sie, dass in der europäischen Energiepolitik Deutsch gesprochen wird?

    Harms: Der deutsche Atomausstieg, der wird in Deutschland für ein Unikum gehalten. Mehr als die Hälfte der europäischen Mitgliedsstaaten nutzen keine Atomkraft, haben es entweder noch nie getan, oder haben spektakulär nach Fukushima den Ausstieg beschlossen, oder beschlossen, nicht einzusteigen, wie die Italiener oder die Litauer. Und was ich nicht möchte, ist, dass ein deutscher Kommissar in Brüssel gegen Mehrheitswillen in Europa Atomkraft neu förderfähig macht.

    Heinemann: Nun halten viele oder nicht wenige in unseren Nachbarländern die deutsche Energiewende für groben Unfug.

    Harms: Das ist etwas, das ich auch von Kommissar Oettinger immer wieder höre. Der selber gehört nämlich auch zu diesen Leuten, die sagen, das sei alles falsch und schlecht gemacht. Ich selber erlebe, dass man mit großer Spannung auf Deutschland guckt, dass Mehrheitsmeinung quer durch Europa gegen die Fortsetzung der Atomkraftnutzung ist, für einen Ausstieg ist, und dass man jetzt guckt, wie schaffen die Deutschen das.

    Heinemann: Frau Harms, wir haben ein kleines Problem. Haben Sie ein Handy irgendwo in der Nähe des Telefons, denn es rappelt furchtbar und es kratzt?

    Harms: Nein, eigentlich nicht.

    Heinemann: Jetzt geht es wieder besser.

    Harms: Ja, okay! – Wir haben die Situation, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Europa sich seit Langem für den Ausstieg ausspricht. Man guckt darauf, wie die Deutschen das jetzt machen. Ich wünsche, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz so novelliert wird, dass wir weiter einen zukunftsfähigen Ausbau der Erneuerbaren haben. Wichtig dafür wäre – und das ist ein Versäumnis der Bundesregierung -, dass man die Dinge, die man in Deutschland macht, in Brüssel auch verlängert. Ich fände es absurd, wenn …

    Heinemann: Und die Deutschen sind doch nicht allein in Europa!

    Harms: Ja!

    Heinemann: Gott sei Dank.

    Harms: Sie sind natürlich nicht allein. Sie haben sogar, was die Mehrheiten in Europa angeht, ausdrücklich die Unterstützung für ihren Kurs des Atomausstiegs und für den Umbau. Wir haben eine Erneuerbare-Richtlinie mit großer Zustimmung in Europa gemacht. Der Euratom-Vertrag, der jetzt in Brüssel ausgegraben wird, ist einer der Gründungsverträge der Europäischen Union. Der ist nie novelliert worden. Dass man sich auf den jetzt berufen muss, um ein unwirtschaftliches Atomprojekt in Großbritannien zu fördern, das zeigt, dass noch viel zu erklären ist über die Wirtschaftlichkeit der deutschen Energiewende.

    Heinemann: Und wenn die Briten es wollen, sollen sie es doch machen!

    Harms: Es geht um die Briten und es geht um die Franzosen. Der übrigens bankrotte Konzern EdF, Électricité de France – da müssen Sie sich die Börsenzahlen mal angucken -, versucht, sich mithilfe dieser Subvention ein Stück weit aus dem ökonomischen Sumpf zu ziehen. Ob wir das wollen, ob wir das wollen, einen bankrotten Staatskonzern, Atomkonzern zu sanieren mit Beihilfen, mit neuen Beihilferegeln, da habe ich große Zweifel, dass das die EU zukunftsfähig macht.

    Heinemann: …, sagt Rebecca Harms, Co-Vorsitzende der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament. Danke schön für das Gespräch, bei uns folgen die Nachrichten.

    Harms: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.